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Der Scheich und die Krankenschwester

Die ehemalige Krankenschwester

Dörte Berger

hat viel erlebt. Ihre Geschichten könnten Bände füllen. Eine davon, die Geschichte vom

Morgenland in einem Schweizer Spital

soll hier wiedergegeben werden:

Und hier kam er geschritten, mein neuer Patient, erhobenen Hauptes, eine imposante Erscheinung – mit Gefolge.

Araber in ihrer Tracht (Foto: Wikipedia)

Sie trugen den Thawb, ein weites knöchellanges Gewand aus weißer Baumwolle. Auf dem Kopf die Guthra, das weiße Tuch, das durch den Agal, einen schwarzen „Strick“ gehalten wird. Ursprünglich war der ein Seil für die Kamele gewesen.

Fast bedrohlich kamen sie näher. Ihre schwarzen Augen und die starren Mienen schienen mich zu durchbohren. Frauen hatten sie wohl nicht erwartet, diese Diener ihres Herrn.

Ausgerechnet in meinem Bereich lag die Spital-Suite, die der Scheich nun bezog. Neben dem Bereich des Krankenbettes dehnte sich ein komfortabler Wohnbereich aus. Der diente den acht Dienern als Aufenthaltsraum.

Hinter angelehnten Türen hörte ich meine lieben Kolleginnen kichern. Mit unverhohlener Schadenfreude spotteten sie: „Selber schuld, nicht umsonst kann man Englisch!“

Darüber vernachlässigten sie fast ihre eigenen Patienten. „Geht an Eure Arbeit!“ frotzelte ich zurück. Wie froh waren sie, nicht in meiner Haut zu stecken.

Ich hatte mir vorgenommen, „Seine Hoheit“ wie meine anderen Patienten zu behandeln.

Ich zeigte ihm seine Suite, sein nobles „Zuhause“ hier im Spital, bat ihn sich auszuziehen und sich ins Bett zu legen, der Chefarzt sei gleich da.

Eigentlich sprach ich zu den Dienern, denn „Seine Hoheit“ würdigte mich keines Blickes. Eine Frau! Was für eine Zumutung!

Foto: Kostümpalast

Vor der Türe stand ein schöner Bursche, hochgewachsen. Mit ernster Miene bewachte er seinen Herrn.

Seine Erscheinung erinnerte an „Tausend und eine Nacht“: rot schillernd sein Gewand, mit farbigen Stickereien, an den Füßen rot-goldene Schnabelschuhe, auf dem Kopf ein kunstvoll geflochtener Turban.

Ein Prachtskerl, dieser Leibwächter, und standfest wie eine Salzsäule!

Merkwürdig viele Patienten schlurften plötzlich durch den Flur. Auch diejenigen, die man kaum zu einem Spaziergang bewegen konnte, schlüpften erstaunlich hurtig aus dem warmen Bett, um einen Blick auf das Spektakel zu erhaschen.

Ihre Kommentare blieben nicht aus, nicht zimperlich, urschweizerisch: „Ölgötz, Hagaff, fuler Siech!“

„He, hör uf!“ wies eine alte Frau den Lautesten zurecht. „Die haben alle in Deutschland oder der Schweiz studiert und verstehen, was du gesagt hast. Paß nur auf, er hat einen Krummdolch unter seinem Wams!“

Mittlerweile hatte der Chefarzt persönlich „Seine Hoheit“ untersucht und sie für operationswürdig erklärt.

Ich sollte ihn vorbereiten. Dazu  stellte ich mich vor einen der Diener und wies ihn an: „Spital-Hemd und -Strümpfe anziehen, Schmuck weg, Zahnprothesen raus, falls vorhanden!“

Ich überließ alles seinen Dienern. Denn „Seine Hoheit“ schien durch meine Gegenwart, einer Frau!, bereits reichlich beleidigt.

Foto: Wirtschaftswoche

Die Operation des Leistenbruchs war schnell erledigt. Für diesen kleinen Schnitt von 5 cm war der Scheich aus dem Orient um die halbe Welt geflogen mit

  • Privatflugzeug, darin

  • Panzerlimousinen,

  • Stapel von Gepäckstücken,

  • eigenes Bettzeug,

  • eine komplette Küchenausrüstung,

  • 4 Köche (auch für die Schleimsuppe am ersten Tag),

  • 8 Diener.

Mit dem Hubschrauber war er vom Flughafen Kloten zum 6-Sterne-Hotel geflogen. Dort kostete eine Nacht mit Frühstück bis zu 10.000 sfr. Und der Scheich hatte standesgemäß auch dort eine Suite gebucht mit für ihn allein bereitstehendem Hotelpersonal, Riesenblumenschmuck, ausgefallenen Menüs zu jeder Tages- und Nachtzeit.

„Teilst du das sicher fünfstellige Trinkgeld mit uns?“ fragten meine lieben Kolleginnen, „oder behältst du alles für dich?“ „Nur, wenn ihr aufhört zu spotten und wenn ihr mich gebührend bemitleidet!“

Auf dem Flur begegnete ich Herrn M. Nach einer Prostataoperation versuchte er, seine undichte Blase wieder in den Griff zu bekommen. Blasentraining war angesagt.

gefunden bei eBay (Google)

Häufig peilte er die Toilette an, die sich damals noch für alle auf dem Flur befand. „Ist der aus Wachs“, fragte er mich und zeigte auf die prächtige Leibwächter-Salzsäule.

„Das nicht, er muß seinen Herrn bewachen, das braucht absolute Konzentration.“

Verschmitzt schaute mich der alte Mann an: „Wenn es mir mal nicht auf die Toilette reicht, brünzle ich ihm auf seine noblen Schuhe, daß wir ihn zum Leben erwecken“, lachte und eilte tröpfelnd der Toilette entgegen.

Bei „Seiner Hoheit“ hatte ich – außer hin und wieder Blutdruck zu messen – nicht viel zu tun. Stoisch ließ er das über sich ergehen. Doch am Abend berichtete mir ein Diener, der Verband “Seiner Hoheit” habe einen Blutfleck.

Der Blutfleck hatte die Größe eines Schweizer Franken. „Das ist normal, der Verband muß gewechselt werden, um einer Infektion  vorzubeugen,“ erklärte ich und versprach, gleich zu kommen.

„Wir verlangen einen Krankenpfleger!“

„Wir haben nur einen, und der hat heute frei.“

„Dann bitte den Professor!“

„Er ist schon weg, bei einer Sitzung“, sagte ich und ging. Das Theater ging mir langsam auf die Nerven.

„Vergiß ja nichts für diesen Verband, du bist in den noblen Gemächern in der Minderheit!“ spotteten meine Kolleginnen.

„Etwas mehr Einfühlungsvermögen eurerseits wäre nicht schlecht, zudem bin ich in einer äußerst heiklen Mission unterwegs!“

Und das war sie auch, sehr heikel! Der Unterleib „Seiner Hoheit“ war mit einem Tuch gegen meine weiblichen Blicke abgedeckt, an einen Verbandwechsel nicht zu denken.

Ich bat die Diener, das Tuch beiseite zu schieben. Nur widerstrebend zogen sie auf der mir gegenüber liegenden Bettseite Millimeter für Millimeter das Tuch über ihres Herrn Unterleib zu sich hin, bis ich einen Zipfel des Verbandes sehen konnte.

Gewechselt habe ich ihn zwar, aber höchst unprofessionell unter dem Tuch im Dunkeln hantierend.

Erstarrt, das Gesicht eisern abgewandt, ließ „Seine Hoheit“ diese „Folter“ über sich ergehen. Unvermeidbar waren Berührungen mit meinen weiblichen Händen! Stumm und starr standen die Diener um das Bett ihres Herrn.

Auch für mich war die Behandlung unter den Argusaugen der Männer alles andere als ein Vergnügen. Danach hatte ich ab sofort in der Suite „Seiner Hoheit“ Hausverbot. Ich atmete auf.

Meine lieben Kolleginnen waren auch hier wieder nicht um Spott verlegen: „Paß bloß auf! Du mußt mit Sanktionen rechnen – aus dem Morgenland!“

Ein einziges Mal noch erhaschte ich durch die leicht geöffnete Tür seiner Suite einen Blick auf die ersten Gehversuche „Seiner Hoheit“: zusammengekrümmt, ängstlich auf seine Diener gestützt, machte er wehleidig stöhnend ein paar kleine Schritte.

Der Professor übernahm nun die gesamte Pflege des Scheichs und alles, was damit zusammenhing. Er hatte wie alle Ärzte keine Pflegeausbildung und eigentlich reichlich viel anderes zu tun.

Wenn ich auch einerseits erleichtert war, so war ich andererseits enttäuscht:

Der Herr Professor und Chef des Krankenhauses stand nicht hinter uns Frauen und den Gepflogenheiten westlicher Pflegeauffassung.

Eingeknickt war er, um des Geldes willen. Das floß bei der Entlassung „Seiner Hoheit“ vermutlich reichlich – für den Professor, und nur für ihn. Den Mann!

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