“Das werden Sie Ihr Lebtag bereuen.”
Samstag, 2. Dezember 2017 von Adelinde
4. Folge der Reihe „Deutsche Geschichte am Beispiel Hanna Reitsch“
Die Drohung des Captain Cohn
wurde wahr.
Hanna Reitsch hatte sich nicht beugen lassen.
Nun begann für sie ein Leben, das sie sich in ihrer Zeit des Höhenflugs nicht hätte träumen lassen. Auch wenn ihre Mutter sie in ihren Glückstagen immer wieder auf die alte Wahrheit hingewiesen hatte:
Hosianna – kreuziget ihn,
so war die Schändung ihres Namens zu ertragen doch eine Aufgabe, die nur von den ganz Unnahbaren der Menschheit wie – um nur ein Beispiel zu nennen – Erich und Mathilde Ludendorff zu bewältigen war. Doch auch Hanna Reitsch fand letztendlich für sich den richtigen Weg.
1. Was nach ihrer von Captain Cohn erzwungenen Pressekonferenz geschah
Schon am übernächsten Tag zog sie aus einem Mülleimer die neue Ausgabe von Stars & Stripes. Und was las sie
darin mit riesengroßer Überschrift? „Augenzeugenbericht über die letzten Tage Hitlers von Hanna Reitsch“ (in Ich-Form geschrieben).
Das war teuflisch.
Mit keinem Wort war ich danach gefragt worden. Nichts, aber auch gar nichts stimmte in dem Bericht außer der nackten Tatsache, daß ich mit Generaloberst von Greim nach Berlin hineingeflogen, daß ich vom 26. bis 28. April 1945 mit ihm im Hitler-Bunker war, wo er von Hitler zum Feldmarschall und Oberbefehlshaber der deutschen Luftwaffe ernannt worden war, und daß wir am 28. April wieder mit einem Flugzeug aus Berlin herausgekommen waren.
Alles andere war unwahr und primitiv und so, wie sich buchstäblich „Klein-Mäxchen“ den Untergang des Dritten Reiches nur vorstellen kann …
Um nicht den abenteuerlichen Flug, der aus selbstverständlicher Kameradschaft und aus Pflichtgefühl von mir durchgeführt worden war, glorifizieren zu müssen, ließ der Autor dieses Machwerkes mich „als Freundin Hitlers“ zum Bunker nach Berlin fliegen.
Im Bericht läßt er Hitler mir mit ausgebreiteten Armen entgegenkommen und ausrufen: „Hanna, du mein liebes Mädchen!“
Ich war atemlos. Niemals hatte Hitler mich je angeredet bei den vier Gelegenheiten, bei denen ich ihm im Leben kurz begegnet war, nämlich:
als ich den Titel Flugkapitän erhielt,
als mir das EK 2 verliehen wurde
und ich die von Frau Professor Trost entworfene Urkunde für das EK 1 in Empfang nahm.
Die vierte Begegnung war bei diesem Flug mit Herrn von Greim in dem Führerbunker der Reichskanzlei in Berlin.
… Der Artikel war so raffiniert geschrieben, daß alle Leser auf mich zornig werden mußten, sowohl jene, die für, als auch jene, die gegen Hitler waren.
Im ersten Teil wurde ich als Freundin, fast als Geliebte Hitlers dargestellt.
Im zweiten Teil ließ mich der Autor vernichtende, total erfundene Aussagen machen über die Atmosphäre im Bunker und über ihre Insassen, wie beispielsweise: Im Bunker wäre getanzt und getrunken worden, während Berlin unterging.
2. Der angesehene britische Historiker Trevor-Roper
Bei Wikipedia lesen wir:
Trevor-Ropers zweites Spezialgebiet entwickelte sich, als er 1945 als Nachrichtenoffizier für den britischen Militärnachrichtendienst zum Verbleib Hitlers recherchierte und bald darauf sein erfolgreichstes Buch veröffentlichte – Hitlers letzte Tage – das bis ins 21. Jahrhundert in zahlreichen Auflagen erschienen ist und rasch in mehrere Sprachen übersetzt wurde.
Einige Zeit nach ihrer Entlassung aus dem Gefängnis brachten Nachbarn Hanna Reitsch das Buch.
Durch das Buch zog sich wie ein roter Faden jener gefälschte, in Ichform verfaßte „Augenzeugenbericht über die letzten Tage Hitlers von Hanna Reitsch“. Ich war außer mir.
Gutgläubig und naiv, wie ich damals noch war, schrieb ich sofort einen höflichen Brief an den Autor Trevor-Roper. Er sei einer Fälschung zum Opfer gefallen, ich hätte nie diesen Augenzeugenbericht geschrieben, ihn niemals gesprochen, ihn niemals zu Gesicht bekommen und niemals unterschrieben. Er sei völlig unwahr.
Er müsse sein Buch sofort stoppen. Ich wäre bereit, ihm zu schreiben, wie es wirklich gewesen war.
Seine mit größter Spannung von mir erwartete Antwort war erstaunlich für einen Historker:
Was er geschrieben habe, das habe er von der amerikanischen CIC [Counter Intelligence Corps (CIC, deutsch Spionageabwehrkorps)], und die schriebe die Wahrheit.
Der englische Historiker wollte keinen Bericht von mir.
Ich versuchte, einen Prozeß zu arrangieren, und wandte mich an den obersten amerikanischen Gerichtshof. Die Antwort war:
Als Angehörige einer besiegten Nation hätte ich kein Recht zu prozessieren.
Wir hatten damals noch keine Bundesregierung. Kaum war diese aber gegründet, versuchte ich, Prozesse in Paris und London zu beginnen, natürlich auf Armengeld klagend.
Denn alles, was ich besaß, war mir von den Siegern genommen worden und der Besitz meiner Eltern in Schlesien den Russen in die Hände gefallen.
Die Antworten aus Paris und London lauteten, daß ich im Ausland nicht auf Armengeld klagen könne. Ich müsse die Prozeßkosten in der Währung des jeweiligen Landes vor dem Prozeß hinterlegen.
Jetzt wurde mir klar, daß man Millionär sein müßte, um für die Wahrheit kämpfen zu können.
Mit Hilfe eines befreundeten Rechtsanwaltes (Fritsch) griff ich Trevor-Roper an, unter Androhung eines Prozesses. Es gelang, wenigstens einige Formulierungen in der 2. Auflage seines Buches zu ändern.
Doch inzwischen war dieser gefälschte Augenzeugenbericht in fast allen Büchern verwendet worden, die sich mit dem Ende des Dritten Reiches befaßten, wie zum Beispiel bei William Shirer „Aufstieg und Fall des Dritten Reiches“.
Ich sah mich bald hilflos einer ständig wachsenden Flut von Lügen gegenüber, die sich aus jenem Bericht ergaben.
… jetzt griffen Magazine den Inhalt dieses gefälschten Berichts auf und machten ihrerseits entsprechend erfundene Reportagen daraus, wie zum Beispiel mit großer Überschrift: „Die Frauen um Hitler von Eva Braun bis Hanna Reitsch“ …
Aber dies sollte nur der Anfang eines Kreuzweges sein, den gehen zu müssen ich kaum für möglich gehalten hatte.
Im Gegensatz zu A.J.P. Taylor war der britische “Historiker” Trevor-Roper (später wahrscheinlich wegen seiner Gefälligkeit “Lord Dacre” genannt) derjenige, der nach Zürich geflogen ist, um die “Hitler-Tagebücher” als Experte zu untersuchen, und der diese als echt beschrieben hat. Nachdem Frau Reitsch ihn als Fälscher erkannt hat, ist es schwer zu wissen, ob er damals einen Fehler begangen hat oder aus Absicht diese Fälschungen vorantreiben wollte.