Auch Japan bekam „sein“ Siegertribunal – 2. Teil
Donnerstag, 6. Dezember 2018 von Adelinde
Lore Waldvogel fährt in ihrem Gastbeirag fort:
Asiens Herrenrasse?
Den Glauben an die eigene Auserwähltheit und die besondere Rolle im göttlichen Heilsplan hat der Calvinismus aus dem Judentum übernommen — auch wenn der Calvinist bisweilen von Selbstzweifeln geplagt wird und seine Auserwähltheit in Frage stellt.
Das ist insofern von Bedeutung, als dies ein Punkt war, den die Alliierten den Japanern unterstellten. Schon in der antijapanischen Kriegspropaganda war behauptet worden, es sei eine „nationale Obsession“ der Japaner, zu glauben, ihnen stünde die Weltherrschaft zu, mit Tokio als Welthauptstadt.
In einem amerikanischen Propaganda-Film, der die Volkspsychologie der Japaner erklärt, versichert der Sprecher:
Sie glauben, es sei die Vorsehung der japanischen Kaiser, die ganze Welt zu beherrschen. Diese (göttliche) Bestimmung ihrer Erfüllung zuzuführen und alle Nationen und Völker zu zerstören, die der Erfüllung dieser Bestimmung im Weg stehen, ist die heilige Pflicht der japanischen Armee und Marine. Die japanische Armee ist eine gut trainierte, disziplinierte Streitmacht, bestehend aus Fanatikern. (https://www.youtube.com/watch?v=F1Nxz7a7T5o).
Die Darstellung dieser national-religiösen Haltung ist arg verzerrt und eine böswillige Fehlinterpretation der japanischen Überlieferung. Die Vermutung liegt nahe, daß es sich hier vielmehr um eine Projektion des eigenen Weltherrschaftsanspruchs und der eigenen Auserwähltheit handelt.
Die Behauptung bezieht sich auf das Konzept des „Hakkôichiu“, was so viel bedeutet wie „Die ganze Erde unter einem Dach“. Das stellt ungefähr denselben Weltherrschaftsanspruch dar wie der Vers „Deutschland, Deutschland über alles“: nämlich gar keinen.
Der Begriff stammt aus einem Gebet des ersten legendären japanischen Kaisers Jimmu bei der Gründung der Kaiserstadt Kashihara, das allerdings erst in der modernen Zeit verfaßt wurde. „Hakkô“ bedeutet „acht Kordeln“ und stammt ursprünglich aus dem Chinesischen; die Ziffer acht steht in Japan für alle Himmelsrichtungen, also metaphorisch gesprochen für die Welt. „Ichiu“ bedeutet „unter dem Dach eines Hauses“.
Von einem Glauben an die göttliche Vorsehung zur Weltherrschaft kann allerdings keine Rede sein: Gemeint ist damit eigentlich die harmonische, friedliche Koexistenz der Völker.
Der Begriff wurde zwar im 2. Weltkrieg auch als Propaganda-Slogan für die japanische „Kolonialisierung“ verwendet, die das Kaiserreich damals offiziell zum Schutz Asiens vor den imperialistischen West-Mächten, insbesondere Großbritannien und Holland, und vor dem Kommunismus, betrieben hatte.
Die Alliierten deuteten dies als verbrecherisches Vorherrschaftsstreben Japans — aus reinem Eigennutz, wie es aussieht: Schließlich wurden sie von den Japanern aus „ihren“ Gebieten zurückgedrängt, in denen sie sich mit Opiumkriegen und Ausbeutung der einheimischen Bevölkerung lukrative Einnahmequellen erschlossen hatten.
Bei den Tokio Prozessen wurde den Japanern auch ihr angebliches Herrenrasse-Denken zur Last gelegt.
Es steht außer Frage, daß die Japaner sich ihrer im Vergleich zu anderen asiatischen Völkern außergewöhnlichen Leistungsfähigkeit und Disziplin sehr bewußt sind und waren und großen Wert auf ihre Traditionen legen.
Das heißt aber noch lange nicht, daß sie sich deshalb als überlegene Rasse oder gar als „auserwähltes Volk“ mit Führungsanspruch über die ganze Welt begreifen oder je begriffen haben.
Radhabinod Pal nimmt diesen Vorwurf gründlich auseinander:
Jedes gesunde Volk sei in gewissem Maße von seiner Einzigartigkeit überzeugt, was an sich auch nicht problematisch sei, da es dem natürlichen Selbsterhaltungstrieb entspreche.
Problematisch werde es erst, wenn damit Politik gemacht würde.
Pal erinnert daran, daß ausgerechnet Japan im Jahr 1919 als erstes einen Antrag auf die rassische Gleichwertigkeit der Völker beim Völkerbund in Paris eingereicht hatte — und daß der Antrag aufgrund eines Vetos Australiens und den USA abgelehnt worden war.
Pals Herkunft macht die Diskussion um rassische Überlegenheit besonders brisant. Ihm war das Herrenrasse-Denken der britischen Kolonialherren nur allzu vertraut:
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Seine Heimatstadt Kalkutta war bis 1911 das Zentrum der britischen Herrschaftsausübung gewesen.
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Indiens Unabhängigkeit wurde 1947 ausgerufen, als Pal sich gerade in Japan aufhielt.
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Die Erinnerung an die große Hungersnot von 1943 in seiner Heimat, dem ostindischen Bundesstaat Bengalen, war ihm sicherlich noch lebendig vor Augen.
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Der auf das politische Versagen Churchills zurückgehende Bengal Famine kostete geschätzt 1,5 – 4 Millionen Menschen das Leben.
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Für viele Inder ist dies ein bis heute nicht verwundenes und nicht genügend anerkanntes Verbrechen der Briten an der indischen Bevölkerung, das die gefühlte Nicht-Achtung der Europäer gegenüber nicht-weißen Völkern der Welt zu bestätigen scheint.
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Vom Holodomor weiß man in Indien natürlich noch weniger als vom Bengal Famine in Europa.
In seiner Verteidigung des gesteigerten japanischen Rassebewußtseins während des 2. Weltkriegs zitiert Pal Arnold Toynbee, dessen Ausführungen über den Herrschaftsanspruch der „englischsprachigen Protestanten“ (316) gegenüber nicht-europäischen Völkern die moralische Überlegenheit der Alliierten gegenüber den Japanern in ein äußerst fragwürdiges Licht rücken.
Pal lenkt die Aufmerksamkeit hier auch auf die religiösen Grundlagen des europäischen Herrschaftsanspruchs, und zitiert aus Toynbees Werk The Study of History:
Die europäisch-stämmigen bibeltreuen Christen, die unter Nicht-Europäern siedelten, identifizierten sich unweigerlich mit Israel, dem Willen Jahwes gehorchend und das Werk des Herrn ausführend, indem sie das verheißene Land („the promised land“) in Besitz nahmen, während sie die Nicht-Europäer, die ihre Wege kreuzten, als Kanaaniter identifizierten, die der Herr seinem AUSERWÄHLTEN VOLK zur Vernichtung oder Unterwerfung anheimgegeben hatte. (316)
Das, was Luther „das gelobte Land“ nannte, heißt im Englischen „the promised land“, im Französischen „la terre promise“: das versprochene Land. (Die bis heute gebräuchlichen Bibelübersetzungen beider Nationen gehen übrigens auf Übersetzungen zurück, die von Calvinisten angefertigt wurden — sogar die der französischen Katholiken).
Hier wird unmißverständlich deutlich, daß die Vorstellung von überlegenen Rassen und deren Vormachtstellung in der Welt keine japanische Erfindung war, und daß vor allem die judaisierten Völker mit ihrem Auserwähltheitsglauben in der Welt mehr Unheil angerichtet hatten als die Japaner — Unheil, für das es bislang noch keinen internationalen Prozeß gegeben hatte.
Pals Argumentation verdeutlicht, daß das ganze Verfahren auf einer eigentlich völlig inakzeptablen Doppelmoral fußte. Bei den Nürnberger Prozessen hatte der amerikanische Richter Jackson die Vorbereitung einer Nation, eine andere zu beherrschen, als „das schlimmste Verbrechen“ definiert. Pal nimmt darauf Bezug und argumentiert, wie immer gewandt und reichlich subtil:
Das mag heute so sein. Aber ich sehe nicht ein, wie man [solche Bestrebungen] vor dem zweiten Weltkrieg als Verbrechen bezeichnen kann, als kaum eine große Macht von diesem Makel frei war […] Anstatt alle mächtigen Nationen vor dem zweiten Weltkrieg für kriminell zu erklären, würde ich vorziehen zu sagen, daß sich die internationale Gemeinschaft noch nicht genügend entwickelt hatte, um diesen Makel als Verbrechen zu werten. (66)
Wieso durften die Westmächte die ganze Welt kolonialisieren und ausbeuten, ohne dafür bestraft zu werden, während Japan für seine hegemonialen Bestrebungen in einem Kriegstribunal eines Verbrechens beschuldigt wurde?
Das Massaker von Nanking
Das sogenannte Massaker von Nanking, auch bekannt unter dem Namen „The Rape of Nanjing“, ging in die Geschichtsbücher ein als eines der Hauptkriegsverbrechen der japanischen Armee. Den Protokollen der Tokio Prozesse zufolge wurden mindestens 200.000 Zivilisten und Kriegsgefangene ermordet sowie rund 20.000 Mädchen und Frauen vergewaltigt.
Die Massaker sollen am 13. Dezember 1937 nach der Besetzung der chinesischen Hauptstadt Nanking durch Truppen der Kaiserlich Japanischen Armee begonnen und sechs bis sieben Wochen angehalten haben.
Japanische Revisionisten bezweifeln heute die Fakten, die dieser Geschichte zugrunde liegen, und meinen, sie seien stark übertrieben, verzerrt dargestellt und z.T. sogar erfunden.
Die Zweifel erscheinen berechtigt, da einige Autoren bereits zugaben, Berichte und Fotos gefälscht zu haben. Auch in einem der populärsten Bücher über das Massaker, The Rape of Nanjing (1997) von der amerikanischen Chinesin Iris Chang, sollen zahlreiche Fotos gefälscht worden sein, wie Higashinakano Shudo, ein Geschichtsprofessor an der Asia University in Tokio, nachgewiesen hat.
Auch die Aussagen der Zeitzeugen sind sehr dissonant. Neben den Opferberichten gibt es auch Aussagen von Journalisten und ehemaligen Soldaten, die damals in Nanking waren und nichts von einem Massaker mitbekommen haben.
Stattdessen gibt es viele Zeitungsberichte und Fotos von japanischen Soldaten, die bei der Einnahme von Nanking mit der chinesischen Bevölkerung kooperierten. China besteht allerdings auf der Realität der Geschichte und errichtete eine Gedenkstätte für die Opfer, die auch gerne von chinesischen Schulklassen besucht wird.
Der historische Streit um die Tatsachen des Massakers vergiftet die japanisch-chinesischen Beziehungen bis heute. Obwohl das herrschende Narrativ in Japan das sogenannte Massaker anerkennt, wirft man den Japanern vor, sie würden nicht genügend Reue zeigen.
Laut einer Umfrage ist das Erste, was man in China heute mit Japan assoziiert, das sogenannte Massaker von Nanking. Ähnlich wie der Deutsche in Hollywood-Filmen der Nachkriegszeit ausschließlich als „blonde Bestie“ dargestellt wurde, wurde auch dem Japaner in chinesischen Kung-Fu-Filmen nach 1945 die Rolle des Schurken zugewiesen — obwohl die Kriegskunst der japanischen Samurai auf eine sehr ausgefeilte, lange Tradition zurückgeht, in der Begriffe wie Ehre und „Ritterlichkeit“ — japanisch: bushido — keine Fremdwörter sind.
Radhabinod Pal äußerte ebenfalls Zweifel an der Geschichte und mahnte zur Vorsicht: Geschichten über Kriegsverbrechen eigneten sich dazu, starke Gefühle hervorzurufen und den Wunsch nach Rache zu entfachen.
Es sei aber wichtig, Ressentiments zu vermeiden und objektiv zu bleiben. Dies sei umso schwieriger, da diese Handlungen im Krieg geschahen und viele der Augenzeugen selbst emotional involviert oder voreingenommen waren. Mit anderen Worten:
Pal warnte vor emotionaler Manipulation durch Greuelpropaganda seitens interessierter Parteien. Als Beispiel führt er die Unterstellungen an, die während des 1. Weltkriegs dazu dienten, Deutschland in ein schlechtes Licht zu rücken.
Als „klassische Kriegspropagandalüge“ (605) bezeichnet Pal die von den Briten frei erfundene Episode, Deutsche würden ihre eigenen toten Soldaten auskochen und den Schweinen zum Fraß vorwerfen. Die Geschichte sollte damals „in Ägypten, Indien und generell im Osten so weit wie möglich verbreitet werden“, so die Anweisung eines Ronald McNeil an die britische Regierung, obwohl man außer einem englischen Pressebericht keinerlei faktische Grundlagen für die Behauptung hatte.
Pal zitiert außerdem den ehemaligen Richter am Ständigen Internationalen Gerichtshof John Basset Moore, der schon 1933 schrieb:
Ich glaube es gibt nur wenige Menschen, denen bekannt ist, in welchem Ausmaß Propaganda im Bereich internationale Beziehungen eingesetzt wurde.
Pal zitiert auch eine führende englische Zeitschrift, die zugab, daß
der erstaunlich effiziente britische Propagandadienst während des (ersten Welt-)Kriegs den Amerikanern die skurrilsten Märchen verkaufte, die man je ersonnen hatte. Die Bevölkerung hat sich bis heute nicht von diesen angeblichen Informationen erholt, die sie damals in vollem Umfang aufsog. (605)
Obwohl Pal (vielleicht aus taktischen Gründen) davon ausgeht, daß in Nanking schreckliche Dinge stattgefunden haben, findet er keine Hinweise darauf, daß ein solches Massaker von der Regierung gezielt angeordnet wurde. Im Gegenteil: Die Regierung scheint über die Berichte überrascht gewesen zu sein, die über die Botschaft in Shanghai nach Tokio übermittelt wurden. Die Angeklagten könnten für diese Verbrechen deshalb nicht schuldig gesprochen werden.
Pal führt außerdem alle gewaltsamen Vorfälle einzeln auf, die laut Zeugenberichten in den von Japanern besetzten Gebieten von 1942 -1945 begangen wurden, darunter Borneo, Formosa, Sumatra, Java, China und Hongkong. Mit Ausnahme der Philippinen sind diese so geringfügig (im Bereich unter 15), daß ein plötzlicher Gewaltausbruch der japanischen Armee, der in einem Massenmord mit 300.000 Opfern mündete, etwas unrealistisch erscheint.
Im philippinischen Manila hingegen soll 1945 ein ähnliches Massaker wie in Nanking stattgefunden haben („The Rape of Manila“), wobei Pal auch hier immer wieder zweifelhafte Zeugen moniert. In Manila kämpften US-amerikanische Truppen gemeinsam mit der philippinischen Armee, die unter amerikanischer Führung stand, gegen die Japaner.
Die Atombombe
Die Atombombe erlitten zu haben ist Japans größtes Trauma. Angesichts des ungeheuerlichen Vernichtungswillens, der in dieser Art der Kriegführung zum Ausdruck kommt, sieht sich Japan nicht ausschließlich in der Rolle des Täters, sondern auch als Opfer.
Jedes Jahr finden Gedenkfeiern für den Frieden und die Toten von Hiroshima und Nagasaki statt. Bis heute haben sich die Amerikaner nicht für diese unverhältnismäßige Aggression entschuldigt.
US-Präsident Barack Obama wohnte zwar der Gedenkfeier am 71. Jahrestag des Abwurfs der Bombe in Japan bei, seine ausbleibende Entschuldigung wurde jedoch mit Bitterkeit zur Kenntnis genommen und sorgte weltweit für Entrüstung.
Unverhältnismäßig erschien diese Art der Kriegführung auch Radhabinod Pal, der den Zynismus und die Scheinheiligkeit der Alliierten vorführt. Nach dem Krieg behauptete man, die Bombe hätte auch ihr Gutes gehabt: Sie hätte der Welt vor Augen geführt, welche Zerstörung der Rassenwahn und gesteigerte Nationalgefühle nach sich zogen, und die Menschheit ein für alle Mal gelehrt, daß wir „als Menschheit eine Einheit bilden, und mit unseren Mitmenschen egal welcher Rasse, Glaube oder Hautfarbe verbunden sind, durch ein Band, das in der diabolischen Hitze der Explosionen zusammengeschweißt und unzertrennbar wurde.“
Pal meldet seine Zweifel an:
Ich bin mir nicht sicher ob die Atombomben wirklich dazu geführt haben, den Vorkriegs-Schwindel beiseite zu räumen; vielleicht träumen wir nur. […] Es besteht kein Zweifel daran, daß, wenn überhaupt irgendjemand, die internationale Gemeinschaft als Ganze krank geworden ist.
Vielleicht hat das etwas damit zu tun, daß die der internationalen Gruppe zugehörigen Nationen sich in einer Phase des Übergangs zu einer geplanten Gesellschaft („planned society“) befinden.
Aber das ist eine Frage für die Zukunft, und vielleicht ist es auch nur ein Traum. Der Traum all jener, die die Weltpolitik studieren, ist es, das komplexe Zusammenspiel der Kräfte auf ein paar wenige Grund-Konstanten und Variablen herunterzubrechen, so daß die Vergangenheit und sogar die Zukunft in einfacher Schlichtheit leicht greifbar vor uns liegen. Hoffen wir, daß sich das in der Realität umsetzen läßt.
Die Atombombe als Mittel, um die unterschiedlichen Identitäten der Völker einzuschmelzen, und den Übergang zu einer neuen Weltordnung einzuläuten? Oder was meint Pal hier mit „planned society“?
Es ist nicht die einzige Stelle, bei der man den Eindruck gewinnt, daß Pal uns durch die Blume etwas über die Nürnberger und Tokio Prozesse sagen will, das an NWO-Verschwörungstheorien erinnert: nämlich, daß die West-Alliierten und die Sowjetunion der Welt nach außen hin eine ideologische Feindschaft vorgaukelten, hinterrücks aber gemeinsame Sache machten, um eine zentralistisch organisierte, geplante Gesellschaftsordnung in der ganzen Welt vorzubereiten.
Pal erschien die Teilnahme der Sowjetunion an diesem Tribunal äußerst fragwürdig, und es ist auffällig, wie häufig und wie kritisch er den sowjetischen Juristen Aron N. Trainin erwähnt. Auf die
Verteufelung des Nationalismus
als angebliche Ursache für den Weltkrieg erwidert Pal:
So entwürdigt und verdreht der Nationalismus in seinen gegenwärtigen Manifestationen auch sein mag, er ist dennoch eine organische und nicht zwingend böse Entwicklung des politischen Lebens des Menschen. (338)
Seine Kritik am Gedanken der Zentralisierung zielt in dieselbe Richtung:
Demokratie und Zentralisierung passen nicht zusammen. Sie sind im Wesentlichen so unvereinbar wie Freiheit und Sklaverei (65).
Und noch ein weiteres schlagendes Argument führt Pal zur Verteidigung des Nationalstaates an:
Die Unterteilung der Menschheit in Nationalstaaten stammt aus einer Zeit, in der die Idee vom Weltreich („World Empire“) aufgegeben worden war, und alle Staaten einander unabhängig begegneten, ohne übergeordnete Autorität.
Die Unterteilung war unerläßlich: IHRE RECHTFERTIGUNG war, daß die Mitglieder der verschiedenen Staaten so ihre besonderen Eigenschaften und Talente zur Entfaltung bringen konnten, ohne von den widersprüchlichen Ansichten und Bestrebungen Anderer behindert zu werden, die vielleicht eine völlig andere Sicht auf die Welt hatten.
Eine solche nationale Ausprägung ist von besonderem Wert, weil das der einzige Weg ist, der es einer nationalen Gruppe mit einer durchgehenden Begabung erlaubt, ihr Eigenleben, ihre ureigenen Talente und Fähigkeiten, zur vollendeten Entfaltung zu bringen.
Es ist die Aufgabe einer nationalen Gesellschaft, jede in einem Volk innewohnende Fähigkeit zu entwickeln, und sie wird dadurch gerechtfertigt, daß sich auf diese Weise jeder überall sinnvoll einbringen kann. (60)
Ein interessantes Argument für den Nationalismus, das man vielleicht auch mal im aktuellen Diskurs anbringen könnte!
Den antinationalen Linksliberalen von heute wird der Kopf schwirren, wenn sie hören, daß es einmal eine Zeit gab, in denen die ausgebeuteten, nicht-weißen Völker in den ehemaligen Kolonien den Nationalismus als Befreiung von den anmaßenden Welteroberungsplänen und der Fremdherrschaft der Westmächte, allen voran Englands, betrachteten.
Aus dieser Perspektive erscheint der Nationalismus doch wie ein historischer Fortschritt im besten, marxistischen Sinne — die Befreiung aus einer Situation der Unterdrückung hin zu einer gerechteren Gesellschaftsordnung?
Apropos Verschwörung: Interessant ist auch der Anklagepunkt, Japan und Deutschland hätten sich gegen den Frieden verschworen (conspiracy).
Dieser Vorwurf erschien Pal besonders absurd. Er zeigt auf, daß die japanisch-deutsche Allianz ganz überlebenspraktische, nachvollziehbare Gründe hatte. Beide Länder hatten sich nach ihrem Austritt aus dem Völkerbund weltpolitisch zunehmend isoliert gefühlt und fürchteten denselben Feind: die kommunistische Internationale.
Der Antikomintern-Pakt, den das Deutsche Reich und das Japanische Kaiserreich 1936 gemeinsam unterzeichnet hatten, war nach Pal nicht als Verschwörung oder Geheimplan zu deuten. Es gab zwar ein geheimes Zusatzabkommen, das der Anklage als Beweis für eine „Verschwörung“ diente. Dieses bezog sich aber nur auf die gemeinsame Verteidigung gegen die Sowjetunion.
Pal konnte im Wortlaut dieses Zusatzabkommens nichts Aggressives oder Verschwörerisches erkennen. Den Vorwurf, die japanische Regierung hätte vor und während der Zeit des 2. Weltkriegs einen geheimen Plan verfolgt, hatte schon der Verteidiger George Yamaoko als
eines der merkwürdigsten und unglaubhaftesten Dinge, die jemals in einem Gerichtsprozeß verhandelt worden sind (179)
bezeichnet. Als weitere Rechtfertigung für den Abwurf der Atombombe auf Zivilisten diente den Alliierten das vorgebliche Ziel, den Krieg zügig zu Ende führen zu wollen.
Pal findet diese Aussage bemerkenswert, galt den Alliierten doch bis dahin Kaiser Wilhelm II. als Inbegriff deutscher Grausamkeit. Pal zitiert einen Brief an Kaiser Franz Joseph I., in dem der deutsche Kaiser vorgeschlagen hatte, den Krieg so rasch wie möglich, innerhalb von zwei Monaten, abzuwickeln, anstatt ihn über Jahre auszudehnen — dazu sei jedes Mittel und jedes Opfer recht, inklusive Frauen, Kindern und alten Männern.
Pal wunderte sich: Wenn der Kaiser aufgrund dieser Aussage so ein Unmensch war, wie konnte man mit derselben Logik den Abwurf einer Atombombe auf japanische Frauen und Kinder rechtfertigen?
Pals Schrift schließt mit einem Zitat von Jefferson Davis, dem Führer der Südstaaten im Amerikanischen Bürgerkrieg (1861-65). Das englische Zitat ist auch auf dem Denkmal für Pal im Yasukuni-Schrein eingraviert:
Wenn die Zeit die Wogen geglättet und Vorurteile besänftigt hat,
wenn die Vernunft der Falschdarstellung die Maske vom Gesicht gerissen hat,
dann wird Justitia ihre Waagschalen ins rechte Lot bringen und verlangen,
daß der Tadel und das Lob von einst ihre Plätze tauschen.
Coda
Radhabinod Pal (1886-1967) war von 1952 bis 1966 Mitglied der Völkerrechtskommission der Vereinten Nationen.
Sein inzwischen verstorbener Sohn Prasanta verfügte in seinem Testament, daß in seinem Haus in Kalkutta eine Bibliothek zu Ehren seines Vaters eingerichtet werden soll.
Oft ist behauptet worden, daß sich Pal mit den Japanern als Leidtragende westlicher Aggression identifizierte, und daß sein Sondervotum auch als Rache an den Briten zu verstehen ist.
Es ist sicherlich nicht von der Hand zu weisen, daß Pal aufgrund seiner persönlichen Erfahrungen in Indien weitaus kritischer eingestellt war als zum Beispiel ein Bert Röling aus Holland.
Den Vorwurf der Parteinahme wies Pal jedoch vehement zurück: Als Richter sei es ihm ausschließlich um Gerechtigkeit gegangen.
Jahre später, bei einem Besuch in Japan, war er entsetzt darüber, daß sich die Japaner, die Opfer der Atombombe geworden waren, mit Schuldgefühlen herumtrugen.
Er soll gesagt haben:
Ich kann nicht untätig danebenstehen und dabei zusehen, wie künftige Generationen japanischer Kinder mit einem schiefen Schuldgefühl belastet werden, das sie mit Unterwürfigkeit und Verfall infiziert. (https://www.youtube.com/watch?v=lVbMaJIyhKQ, 3:52)
In den von Rachsucht und einer fragwürdigen Doppelmoral getragenen Urteilen der Tokio Prozesse, die Japan anzunehmen gezwungen war, sah Pal die Ursache für einen ungesunden Schuldkomplex, der schon allein deshalb abzulehnen war, weil er auf verdrehten Tatsachen beruhte.
Aus seiner Sicht hatten die Tokio Prozesse Japan nachhaltiger geschadet als die Atombombe.
Shoichi Watanabe sieht das auch so und hofft, daß sich die ganze Welt mit Pals Schrift befaßt. Für ihn ist sie der Schlüssel zur Genesung Japans:
Wenn Japan nicht bei Pals Urteil anfängt, dann wird es sich geistig nie mehr erholen können.
(Watanabe, 119).
Quellen:
- Radhabhinod Pal. International Military Tribunal for the Far East: Dissentient Judgment of Justice Pal. Kokusho – Kankokai, Inc., 1999.
- Shoichi Watanabe. The Tokyo Trials and the Truth of ‚Pal’s Judgment‘. Tokio: The Society for the Dissemination of Historical Fact, 2009.
- Robert Cryer. Prosecuting International Crimes. Selectivity and the International Criminal Law Regime. Cambridge: Cambridge University Press, 2005.
- Time Magazine. „War Crimes. Road Show“, 20. Mai 1946.
- Society for the Dissemination of Historical Fact: http://www.sdh-fact.com/
- Antijapanischer Propaganda-Film: https://www.youtube.com/watch?v=F1Nxz7a7T5o.
- Zitate von Pal über Schuld: https://www.youtube.com/watch?v=lVbMaJIyhKQ.
- Revisionistische Diskussion über Nanking zwischen Jin Matsubara (Politiker der demokratischen Partei Japans, DPJ) und Shoichi Watanabe: https://www.youtube.com/watch?v=3orlrcenBSw
- Higashinakano Shudo. The Nanking Massacre. Fact versus Fiction. A Historian’s Quest for the Truth. Tokio: Sekai Shuppan Inc., 2005.
- Iris Chang. The Rape of Nanking. New York: Basic Books, 1997. Übersetzungen liegen auf französisch, japanisch und chinesisch vor.
Ein unglaublich wichtiges Thema – politisch wie uralt-geschichtlich !!!
Im japanischen Wesen ist uraltes nordisches Denken fest verwurzelt; wenn man das weiß, sind viele Parallelen nicht mehr überraschend, auch wenn beide Völker so weit auseinander leben und verschiedenen Ursprungs sind.
Diese uralten Zusammenhänge hat Frau Ina Mahlstedt in ihrem Buch hervorragend herausgearbeitet:
https://www.amazon.de/Das-fremde-Japan-pr%C3%A4historischen-Weltbild/dp/3631648499/ref=sr_1_2?s=books&ie=UTF8&qid=1544212936&sr=1-2&keywords=Ina+Mahlstedt