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Fortsetzung der Abhandlung über Viren von Karl Grampp:

Die Evolution der Viren ist eng mit der Frage verknüpft, wie das Leben entstanden ist.

Dr. rer. nat. Karin Mölling, ehemalige Direktorin des Instituts für Medizinische Virologie Zürich (Bild: UZH, news.uzh.ch)

Würde die Viren-zuerst-Hypothese stimmen, wären also Viren vor den ersten Zellen entstanden, dann ständen sie am Anfang des Lebens. Ob selbst schon lebend, oder auf dem Weg dorthin, das ist die Frage.

Wir hatten schon erwähnt, daß Viren üblicherweise nicht zu den Lebewesen zählen, da sie nicht in der Lage sind, ohne lebende Zellen zu überleben. Karin Mölling sieht das anders:

Viren sind nicht tot. Sie sind jedenfalls nicht so tot wie ein Stein oder Kristall. Vereinfachend kann man sagen, alles was in der Welt der Biomoleküle kleiner ist als Viren, ist eher tot; alles was größer ist, eher lebendig. Damit befinden sich die Viren gewissermaßen an der Schnittstelle, sie sind entweder tot oder lebendig oder beides. Allerdings sehe ich da keine Singularität, keinen Punkt, sondern ein Kontinuum, einen allmäh­lichen, fließenden Übergang von einzelnen Biomolekülen bis zur Zelle. (26)

Die Definition der NASA für „Leben“ lautet nach Karin Mölling:

Leben ist ein sich selbst unterhaltendes System, das genetische Information enthält und fähig ist, darwinsche Evolution zu durchlaufen (1994).

Ein sich selbst unterhaltendes System sind Viren nicht, die anderen beiden Kriterien treffen zu.

Der feste Kristall: Einzelwesen mit Richtkraft

Dr. med. Mathilde Ludendorff (Bild: Zeichnung von Wolfgang Willrich 1947)

Was sagt die Philosophin Mathilde Ludendorff zu der Frage: Was ist Leben und wie ist es entstanden? In Übereinstimmung mit der Naturwissenschaft geht sie davon aus, daß die Organismen ein Ergebnis der Evolution sind. Ziel dieser Entwicklung war aus ihrer Sicht die Entstehung eines Lebewesens, das Gott bewußt erleben kann:

Im Anfang war der Wille Gottes zur Bewußtheit.(1)

Wir wollen hier nur die letzten Stufen zur Entstehung des ersten Lebewesens aus Sicht Mathilde Ludendorffs betrachten. Es beginnt mit dem festen Kristall.

Physikalisch gesehen ist ein Kristall ein Festkörper, dessen Bau­steine – z.B. Atome, Ionen oder Moleküle – nicht zufällig, sondern regelmäßig in einer Kristallstruktur (Raumgitter) angeordnet sind.

Aus Sicht der Philosophin war der Kristall der gewaltigste Schritt hin zum Schöpfungsziel „Bewußtheit“, denn er war das erste Einzelwesen. (1, S. 92)

fester Kristall (Bild: Scinexx)

Der feste Kristall, von dem hier zunächst ausschließlich die Rede ist, zeichnet sich durch eine Kraft aus, die erstmals nicht weltallweit, sondern in einem Einzelwesen in Erscheinung tritt: Die Richtkraft.

Sie sorgt für die gesetzmäßige Anordnung der Kristallbausteine im Kristallgitter. Wird ein Kristall in einem Mörser zerstoßen, so behalten die Bruchstücke trotzdem die typische Struktur des jeweiligen Kristalls.

Dies deutet die Philosophin als ein erstes dumpfes Erscheinen des Selbsterhaltungswillens in einem Ein­zelwesen! (1, S. 93f). Zusammenfassend drückt Mathilde Ludendorff diesen Schöpfungsschritt so aus:

Gottesbewußtheit aber bedingt vor allem Erhaltung der Eigenform des Trägers. Da ward Richtkraft im festen Kristall.

Der flüssige Kristall: Einzelwesen mit Selbsterhaltungswillen und Gestaltungskraft

Dem festen Kristall geht allerdings eine wichtige Fähigkeit ab, die ihn für das Schöpfungsziel taug­licher machen würde. Er ist starr auf die Erhaltung seiner Eigenform bedacht. Bei geringster Störung des Kristallwachstums kann er seine Idealform nur noch teilweise ausbilden.

Das ist beim flüssigen Kristall, der nächsten Schöpfungsstufe, anders. Man kann sich zunächst schwer vorstellen, wie etwas gleichzeitig kristallin und trotzdem flüssig sein kann.

Polarisationsmikroskopische Aufnahme eines Flüssigkristalls (Bild: Wikipedia.org)

Mit flüssigem Kristall ist nicht ein aufgelöster, ursprünglich fester, Kristall gemeint. Der Aggregatzustand einer flüssigkristallinen Substanz befindet sich zwischen dem einer Flüssigkeit und dem eines festen Kristalls.

Optisch zeigt er oft eine typische „Schlierentextur“ (durch Doppelbrechung des Lichtes). Eine weitverbreitete Anwendung von Flüssigkristallen sind die LCD-Bildschirme der Rechner. LCD heißt nichts anderes also Liquid Crystal Display, also Flüssigkristallbildschirm.

Philosophisch gesehen verfügt der flüssige Kristall im Gegensatz zum festen Kristall zusätzlich zur Richtkraft über Gestaltungskraft.

Dadurch kann er trotz äußerer Störeinflüsse immer wieder seine Eigenform herstellen, womit nicht seine äußere Gestalt gemeint ist – diese ist sehr wandelbar –, sondern die innere Ausrichtung seiner Moleküle (1, S. 96).

Rührt man z.B. in einem solchen flüssigen Kristall mit einer Nadel, so stellt sich bald die ursprüngliche Ordnung der Moleküle wieder her.

Aus Richtkraft und Gestaltungskraft ist der Selbsterhaltungswillen „geboren“, wie Mathilde Ludendorff schreibt.

Eine andere Art von Flüssigkristallen entsteht aus länglichen Molekülen, die ein wasserliebendes und ein fettliebendes[6] Ende besitzen. Dazu gehören z.B. Seifenmoleküle.

Bei geeigneter Konzentration können sie z.B. in Wasser Flüssigkristalle in Form von winzigen Bläschen mit einer einfachen oder doppelten Hülle ausbilden. Übt man einen mechanischen Druck auf sie aus, können sie sich verformen und anschließend wieder ihre ursprüngliche Form ein­nehmen.

Eine vergleichbare flüssigkristalline Grundstruktur (Lipiddoppelschicht) haben alle biologi­schen Membranen, die lebende Zellen und deren Organellen umhüllen. Mathilde Ludendorff faßt den Evolutionsschritt zu den Flüssigkristallen in den Worten zusammen:

Nun erst ist der Wille zur Erhaltung der Eigenform vollkommen verwirklicht, denn es ward Gestaltungskraft im flüssigen Kristalle, und so ward das Einzelwesen und mit ihm der Selbsterhaltungswille geschaffen. (1, S. 97)

Das Kolloid: Sterbfähiges Einzelwesen mit Wahlkraft

Der nächste Schritt aus philosophischer Sicht ist die Fähigkeit eines solchen Einzelwesens, andere Stoffe aufnehmen zu können, also eine Wahlkraft zu zeigen. Eine Fähigkeit, die der flüssige Kristall noch nicht zeigt. Dieser entledigt sich aller fremden Substanzen. Mathilde Ludendorff schreibt:

Mit anderen Worten, unsere Philosophie weiß, daß ein Flüssigkeitströpfchen, welches Gestaltungskraft in sich birgt wie der flüssige Kristall, aber überdies durch Wahlkraft in bestimmten Fällen Verbindung mit der Umwelt ermöglicht, die Brücke zur ersten lebenden Zelle bildet. (1, S. 107)

Kolloidkristall (Bild: 22b73f054b9b9c5a52c0a161d9114e38-microscope-pictures-the-human-body. pinterest.com)

Physikalisch betrachtet, entspricht ein solches Gebilde einem kolloidalen System.

Kolloide sind Teil­chen von 1 Nanometer (nm) bis 1 Mikrometer (µm) Größe, die in einem Trägermedium fein verteilt sind und „in Schwebe“ gehalten werden[7].

Die Teilchen und das Trägermedium können fest, flüssig oder gasförmig sein. Ein einzelnes Kolloid kann wiederum aus vielen kleinen Teilchen zusammen­gesetzt sein.

Im Vergleich zu echten Lösungen sind die Teilchen in kolloidalen Lösungen viel größer. Scheint Licht durch ein solches Kolloid hindurch, wird es in typischer Art und Weise gestreut (Tyndall-Effekt). Löst man z.B. Seife in Wasser auf, entstehen die schon erwähnten Flüssigkristall­bläschen, die in ihrer Gesamtheit ein kolloidales System bilden.

Auch viele biologische Systeme sind kolloidaler Natur:

  • Rote Blutkörperchen im Blutplasma,

  • Viren,

  • Bakterien und

  • Proteine (8).

  • Milch und selbst

  • Gummibärchen gehören ebenfalls dazu!

Die Grundsubstanz der Zellen, das Protoplasma (auch Zytoplasma genannt), kann man als ein kolloidales System auffassen. Sein Hauptbestandteil sind Eiweißkolloide.

Bei hinreichend hoher Konzentration können die Schwebeteilchen in einem kolloida­len System eine netzartige Struktur bilden (Gel) oder sich sogar auf regelmäßig angeordnete Gitter­plätze begeben. Die Kolloide kristallisieren, es ist ein kolloidaler Kristall entstanden (9).

Sind in einem solchen Fall Eiweiße die Teilchen des kolloidalen Systems, spricht man auch von einem Eiweiß­kristall.

Zusammenfassend kann man sagen, daß in der belebten Natur die meisten chemischen Reak­tionen in kolloiden Lösungen verlaufen, selbst Verwitterungsvorgänge und das Festhalten von Boden­feuchtigkeit im Ackerboden erfolgen durch Kolloide (Bodenkolloide).

Eine maßgebliche Ursache für diese grundlegende Bedeutung kolloidaler Systeme in der Natur ist die ungeheuer große Oberfläche, die die in „Schwebe“ gehaltenen kolloidalen Teilchen zusammen bilden. Dies begünstigt Wechsel­wirkungen mannigfaltiger Art zwischen verschiedenen Stoffen.

Kolloidale Lösungen besitzen die Eigenschaft, andere Substanzen in kolloidale Lösung zu überführen.

Es ist beim Kolloid also keine Rede mehr von einer Abgrenzung zur Außenwelt, um die stoffliche Einheitlichkeit zu bewahren.

Philosophisch gesehen ist dies eine Auswirkung der Wahlkraft im Kolloid.

Ein fester Kristall kann nur in engbegrenztem Umfang fremde Bausteine als „Verunreini­gung“ in sein Kristallgitter aufnehmen und einen Mischkristall bilden.

Auch ein einfacher flüssiger Kristall sondert sich von fremden Stoffen ab.

Erst die Zustandsform des Kolloids ermöglicht es, fremde Stoffe zu „dulden“.

Das Beispiel der biologischen Membranen (Lipiddoppelschicht) kann die Zusammenhänge veranschaulichen:

Die Membran kann man, wie beschrieben, als Flüssigkristall auffassen:

Ihre Molekülanordnung läßt das Wirken der Richtkraft erkennen und ihre „Flexibilität“ auf äußeren Druck die Gestaltungskraft. Die in die Membran eingelagerten, aus Eiweißen bestehenden, Poren sind ein Ausdruck der Wahlkraft. Über sie können Substanzen ins Zellinnere aufgenommen werden (10).

Solche kolloidalen Gebilde, die in der „Schöpfungsgeschichte“ Mathilde Ludendorffs mit den Begriffen „kolloidales Wesen“, „Kolloidtröpfchen“, „Kolloidkristall“ oder „Eiweißkristall bezeichnet werden, sind nun also nach Mathilde Ludendorff die Vorstufen des ersten Lebewesens (1, S. 109f).

Den Begriff Kolloid verwendet sie nicht für das einzelne kolloidale Teilchen, sondern für das ganze kolloidale System aus Teilchen und flüssigem Trägermedium.

Eine philosophisch wesentliche Eigenschaft dieser kolloidalen Vorstufen zum ersten Lebewesen haben wir noch nicht erwähnt. Die schon erwähnten Bläschen mit Lipiddoppelmembranen und auf- bzw. eingelagerten Eiweißen, verlieren ihre Fähigkeit, ausgewählte Stoffe aufzunehmen, wenn die Eiweiße durch Hitze oder Säuren zerstört (denaturiert) werden (10).

Die philosophische Deutung dieses Vorganges nach Mathilde Ludendorff:

Ein solches organisches Kolloid lebt, ohne jedoch alle Eigenschaften von echten Lebewesen zu zeigen. Es kann daher auch sterben, wenn es seine Wahlkraft und seinen Selbsterhaltungswillen verliert. Diese Todmöglichkeit war somit gesichert, bevor das erste Lebewesen geschaffen war, was nach Mathilde Ludendorff eine wichtige Voraussetzung für die Errei­chung des Schöpfungszieles war.

Ewiges Leben eines bewußten Lebewesens ist mit göttlicher Voll­kommenheit nicht vereinbar.

In der knappen Wortgestaltung der Philosophin lautet dieser Vorgang:

Gottesbewußtheit aber bedingt Wahlverbindung des Trägers.

Da ward Wahlkraft im Einzelwesen und mit ihr Todmöglichkeit. (1, S. 109)

Einordnung der Viren in die Welt der flüssigen Kristalle und Kolloide: Vorstufen zum Lebewesen?

Wir haben nun einen langen Ausflug in die Welt der festen und flüssigen Kristalle und lebenden Kolloide gemacht. „Worin besteht nun der Zusammenhang mit den Viren?“, werden Sie sich schon lange fragen.

In einer Fußnote der „Schöpfungsgeschichte“ in der Ausgabe von 1954 schreibt Mathilde Ludendorff:

„Im Jahre 1923 sah ich also in einem Kolloid- oder Eiweißkristall die Vorstufe zum ersten Lebewesen. Im Jahre 1936 meldete die Presse, daß der Amerikaner Stanley „Eiweißkristalle“ als Krankheitserreger entdeckt hat, die er auch „Ultralebewesen“, Vorstufen der Bakterien nennt.

Es wird für alle Zukunft wichtig sein, daß die Entdeckung dieser Zwischenstufe von der Philosophie zuerst gemacht wurde. Allerdings hat Stanley nur den Virus, ein zum Parasiten der Lebewesen ent­artetes Kolloidkristall gefunden, und beschrieben, während Ernst Haeckel – wie ich 10 Jahre nach Erscheinen dieses Werkes erfuhr – eine „Biokristall“ benannte Übergangsform beschrieben hat.“

Mathilde Ludendorff betont hier, daß sie als Philosophin unabhängig und vor der Naturwissenschaft die Existenz solcher Vorstufen der ersten Lebewesen vorhergesagt hat. Tatsächlich hatte Haeckel noch vor ihr von einem „Biokristall“ gesprochen, was sie allerdings erst viel später erfahren hatte.

Es ist zu beachten, daß Mathilde Ludendorff damals die Kolloide bzw. Kolloidkristalle im allgemeinen, nicht aber die Viren im besonderen als Vorstufe der ersten lebenden Zelle ansah. Diese wurden damals wie z.T. noch heute, als Parasiten bezeichnet.

Wie gezeigt wurde, könnten aber tatsächlich Kolloide in Form von Viren die ersten Vorstufen gewesen sein. Was weder Mathilde Ludendorff noch Wendell M. Stanley damals wußten:

Tabakmosaikvirus (Bild: Wikipedia)

Das Tabakmosaikvirus (TMV), von dem hier die Rede ist, besteht nicht nur aus Eiweiß, sondern enthält, wie jedes Virus, ein Stückchen Nukleinsäure, in diesem Fall RNS. Es handelt sich also nicht um einen reinen Eiweißkristall.

Vergleichen wir diese Aussage Mathilde Ludendorffs mit dem folgenden Zitat der Virologin Karin Mölling:

TMV kristallisiert praktisch von alleine und liefert damit ein Beispiel für die höchst effi­ziente Selbstorganisation von Viren. Für deren Strukturaufklärung erhielt Wendell M. Stanley aus New York 1946 den Nobelpreis. Er zeigte auch, daß das Virus sogar als Kristall noch infektiös ist.

Das ist ein schönes Beispiel für die Nähe von toter kristalliner und biologischer lebendiger Natur – am Beispiel eines Virus. (1, S. 196).

Vor Jahrzehnten bereits hatte sich Mathilde Ludendorff gegen die Vorstellung gewandt, daß sich zwischen „Substanz“ und Lebewesen eine unüberbrückbare Kluft befände (1, S. 84, 5, S. 94).

Auch nach Ansicht von Karin Mölling bewegen wir uns bei den Viren in einem Übergangsfeld vom Anorganischen hin zum Organischen, zum Lebendigen.

Kristallähnliche Formen sind bei Viren weit­verbreitet. Dabei muß man mehrere Ebenen unterscheiden: Ein ganzes Virus (Viruspartikel) kann eine kristallform aufweisen. Der Tabakmosaikvirus bildet z.B. eine stäbchenförmige Struktur. Die Eiweiß­hüllen (Kapside) vieler anderer Viren besitzen eine ikosaedrische Symmetrie (Zwanzigflächner) oder lassen sich auf eine solche Grundform zurückführen.

Die Lipiddoppelmembran eines einzelnen behüllten Virus kann außerdem als ein Flüssigkristall aufgefaßt werden, aber auch viele Viren zusam­men können in einem Dispersionsmedium eine flüssigkristalline Lösung bzw. eine kolloidale Lösung bilden. Das Tabakmosaikvirus ein schönes Beispiel dafür.

Zur Erinnerung: Viele Viren liegen genau in der geeigneten Größenordnung, um kolloidale Eigenschaften zu zeigen (1 nm bis 1 µm). Manche Viren sind gerade aufgrund ihres flüssigkristallinen Verhaltens und ihrer kolloidalen Eigenschaften zu beliebten Modellsystemen für technische Anwendungen geworden (11).

Schließlich wäre zu fragen, ob nicht auch das Innere eines Virus, ähnlich dem Protoplasma einer Zelle, kolloidale Eigenschaften haben kann.

Wo wäre hier eine unüberbrückbare Kluft zu den höheren Stufen, zur lebenden Zelle?

können wir mit den Worten Mathilde Ludendorffs fragen (5, S. 100).

Komplexe Flüssigkeiten und weiche Materie

An dieser Stelle ist eine grundsätzliche Bemerkung zur Benennung der angesprochenen Erscheinungs­formen angebracht. Die Begriffe Flüssigkristall, Kolloid und Eiweiß lassen sich in der Natur nicht immer scharf voneinander trennen, was die Begriffsbestimmung erschwert.

In der neueren Forschung spricht man häufig übergreifend von „komplexen Flüssigkeiten“ oder „weicher Materie“, wenn von flüssigen Kristallen, Kolloiden, Makromolekülen, Amphiphilen[8] und Polymeren[9] die Rede ist.

Kenn­zeichnend ist bei allen ein komplexer Aufbau und eine große Zahl an Freiheitsgraden (d.h. sie können sich in vielfältiger Weise bewegen, mit anderen Teilchen kooperieren und sich selbst organisieren).

Durch äußere Kräfte lassen sie sich leicht verformen – sie sind “weich”. Außerdem weisen weiche Materialien im Nanometer- bis Mikrometerbereich Struktur auf, das heißt, die Baueinheiten sind zwischen einem Millionstel und einigen Tausendstel Millimeter klein.

Proteine sind Bilderbuch­beispiele für weiche Materie. Sie besitzen Eigenschaften von Kolloiden, Polymeren und Amphiphilen. Sie spielen nicht umsonst eine tragende Rolle in allen Lebewesen!

Es gibt auch Mischsysteme aus verschiedenen Formen von weicher Materie. Dazu gehören z.B. die hochkomplexen biologischen Membranen (12). Das meiste davon war zu Lebzeiten Mathilde Ludendorffs noch völlig unbekannt, daher ist ein Abgleich ihrer Aussagen in den Werken „Schöpfungsgeschichte“ und „Wunder der Biologie“ mit der aktuellen Forschung nicht immer einfach.

Sollte die derzeitige Theorie, nach der am Beginn des Lebens eine RNS-Welt und nicht eine Protein­welt stand, richtig sein, wäre womöglich nicht der Proteinkristall, sondern der RNS-Kristall die Vor­stufe des ersten Lebewesens gewesen. Allerdings gehören auch die Nukleinsäuren als Polymere zu der „weichen Materie“ und damit in das Übergangsfeld von Kolloiden, flüssigen Kristallen usw.

An der grundsätzlichen Abfolge der Schöpfungsstufen Kristall – flüssiger Kristall – Kolloid und den sie kenn­zeichnenden Willensäußerungen würde sich also nichts ändern.

Viren: Lebewesen ja oder nein?

Halten wir fest: Sowohl Mathilde Ludendorff als auch Karin Mölling siedeln Viren bzw. Gebilde, die kolloidale Eigenschaften besitzen, im Übergangsbereich zum ersten Lebewesen an.

Was ist nun das Kennzeichen eines echten Lebewesens?

Nach Mathilde Ludendorff unterscheidet erst die Tatkraft das Lebewesen von den Vorstufen. In der Biologie wird meist nicht von Tat, sondern von Reaktion gesprochen: Ein Lebewesen kann auf einen Umweltreiz reagieren.

In engem Wechselspiel mit dem Willen zum Wandel, der der Tatkraft zugrunde liegt, ist der Wille zum Verweilen. Beide halten sich sozusagen in Schach, so daß aus der Tat die Tatbereitschaft und aus der Fähigkeit zum Verweilen oder zum Wiederholen die Wiederholungsbereitschaft wird. Sie dienen beide dem beherrschenden Willen, dem Selbsterhaltungswillen. (1, S. 113)

Diese Dreierstruktur ist das einfachste Bild einer Seele und damit das Kennzeichen von Lebewesen.

Zeigen nun Viren diesen neu erwachten Willen zur Tatkraft bzw. diese Seelenstruktur? In der Schöp­fungsgeschichte schildert Mathilde Ludendorff, wie oben beschrieben, die Abfolge der Schöpfungs­schritte in ihrer zeitlichen Reihenfolge. Als Vorstufe der ersten Lebewesen nannte sie den Kolloid­kristall. Seine Gestaltungskraft ermöglicht ihm, seine Eigenform zu bewahren und seine Wahlkraft ermöglicht, Fremdstoffe im Kolloid in der Schwebe zu halten. Mehr vermag er noch nicht. Daher schreibt sie:

Ja, nun will uns jenes Kolloidwesen eher tot als lebendig bedünken, denn wir vermissen die Vollentfaltung dieser Gestaltungskraft und Wahlkraft zur – Tatkraft! (1, S. 110)

Wenn man sich nun jedoch vergegenwärtigt, welche Wirkung ein Virus in einer Zelle entfaltet (man erinnere sich an den Vermehrungskreislauf), fällt es schwer, nicht an eine Tatkraft zu denken. Zum Zeitpunkt der Veröffentlichung der Schöpfungsgeschichte war dies noch nicht bekannt.

In ihrem Jahre später erschienen Werk „Wunder der Biologie im Lichte der Gotterkenntnis meiner Werke“, wirft Mathilde Ludendorff daher selbst die Frage auf, ob diese neu entdeckten Aktivitäten der Viren nicht ein Wider­spruch zu ihrer früheren Aussage wäre (5, S. 103).

Sie verweist darauf, daß sich ein göttlicher Wille in einer Vorstufe häufig erst matt enthüllt. Mit ihrer früheren Formulierung, daß der Kolloidkristall noch keine Vollentfaltung der Tatkraft zeigt, trägt sie diesem Umstand Rechnung. Er zeigt schon Ansätze zur Tatkraft, aber eben noch keine Vollentfaltung. Die Viren zeigen dies sehr anschaulich: Außerhalb einer lebenden Zelle verfügen sie nur über Gestaltungs- und Wahlkraft. Innerhalb der lebenden Zellen aber tritt erstmals so etwas wie Tatkraft in Erscheinung. Vergleichen wir, was der Evolutionsbiologe und Mediziner Frank dazu schreibt:

Außerhalb seines Wirts mag ein Virus leblos wirken, aber sobald es in eine Wirtszelle eindringt, erwacht es (…) zum Leben. Und was für ein außergewöhnliches Leben es führt! Hier im Umfeld seiner Wirtszelle, entfaltet es seine einzigartige Fähigkeit, die Macht über das Wirtsgenom zu übernehmen und dieses Genom so zu steuern, daß es neue Viren produziert. (6).

Es handelt sich bei den Viren also tatsächlich um Grenzgänger zwischen belebter und unbelebter Materie.

Bakterien: Lebewesen mit Selbsterhaltungswillen, Wiederholungsbereitschaft und Tatbereitschaft

Nach allem was wir gesehen haben, kann man also Viren bzw. virusähnliche, kolloidale Gebilde mit Fug und Recht als eine Vorstufe in den Übergangsbereich zum ersten Lebewesen einordnen. Zu den ersten, unstrittig als Lebewesen zu bezeichnenden Wesen gehören die Bakterien[10].

Sie zeigen genau den erwähnten grundlegenden Aufbau der ersten Seele aus Selbsterhaltungswillen, Wiederholungs­bereitschaft und Tatbereitschaft (1, S. 114).

Die Wahlkraft zeigt sich durch die Fähigkeit, ausgewählte Stoffe durch die umhüllende Zellmembran aufzunehmen. Die Tatkraft kann sich in vielerlei Weise äußern. Sie ermöglicht z.B., die aufgenommenen Stoffe, die man üblicherweise als Nahrung bezeich­net, in körpereigene Stoffe oder Energie umzuwandeln. Bei Nervenzellen zeigt sich die Tatkraft in der Fähigkeit, elektrische Reize weiterzuleiten.

Der Wille zum Verweilen äußert sich in der Biologie sehr augenfällig als die Fähigkeit zur Vererbung. All dies faßt Mathilde Ludendorff in den beiden Sätzen zusammen:  

Gottesbewußtheit aber bedingt Willen zum Wandel und Verweilungswillen im Träger. Da ward das tatbereite, erbweise Lebewesen. (1, S. 115)

Zusammenfassung

Viren sind mehr als nur Krankheitserreger. Das ist ganz offensichtlich. Sie sind allgegenwärtig und besiedeln alle Lebensräume. Sie sind Symbionten, d.h. sie leben zu gegenseitigem Nutzen auf das Engste mit anderen Lebewesen zusammen und sie sind wichtige Bestandteile von Ökosystemen.

Die Aufdeckung ihrer Struktur und ihrer Vermehrungszyklen ist eine großartige Forschungsleistung.

Völlig unterschätzt wurde auch die evolutionsbiologische Bedeutung der Viren. Sie spielten mit hoher Wahrscheinlichkeit eine wichtige Rolle in der Evolution, indem sie einen vielfältigen Erbgutaustausch zwischen verschiedenen Arten von Lebewesen ermöglichten und so ganz neue Wege in der Evolution eröffneten.

Ihr Ursprung reicht bis zu den Anfängen des Lebens zurück. Die Mehrzahl der Wissen­schaftler geht nach wie von der klassischen Virendefinition aus, wonach die Viren keine Lebewesen sind, da sie zwingend parasitär auf lebende Zellen angewiesen sind.

Es gibt aber immer mehr Hin­weise, die diese klassische Definition in Frage stellen. Der Streit zeigt:

Lebendiges und Nichtlebendi­ges läßt sich nicht so einfach voneinander unterscheiden,

wie es auf den ersten Blick erscheint. Es handelt sich um einen fließenden Übergang.

Die Philosophin Mathilde Ludendorff geht in ihrem 1923 erschienenen Werk „Schöpfungsgeschichte“ ausführlich auf diese aktuell diskutierten Fragen ein. Sie beschreibt ausführlich die Stufen der Schöpfung bis hin zum ersten echten Lebewesen.

Das erste Einzelwesen ist der feste Kristall, der sich durch seine Richtkraft auszeichnet und erste Ansätze eines Selbsterhaltungswillens zeigt.

Ihm folgt der flüssige Kristall, in dem zum ersten Mal die Gestaltungskraft auftaucht.

Auf der nächsten Stufe, den Kolloiden, kommt die Wahlkraft hinzu, die es ermöglicht, in vielfältiger Form fremde Stoffe aufzunehmen. Mit ihnen kommt auch die Todmöglichkeit in die Welt.

Anorganische und organische Welt sind keineswegs scharf voneinander getrennt, wie die organischen Flüssigkristalle bzw. die organischen Kolloide, zu denen auch die Kolloid- bzw. Eiweiß- und Nukleinsäurekristalle gehören, zeigen.

Viren wie das Tabakmosaikvirus gehören in diese Zwischenwelt.

Mathilde Ludendorff kennzeichnet ein Lebewesen aus philosophischer Sicht durch den Vollbesitz der Tatkraft und einer Seelenstruktur aus Selbsterhaltungswillen, Wiederholungsbereitschaft und Tatbereitschaft.

Viren zeigen bereits erste Ansätze von Tatkraft.

Außerhalb der Zelle weisen sie nur Gestaltungs- und Wahlkraft auf, erst innerhalb der Wirtszellen erwachen sie sozusagen zum Leben und zeigen in ihrem Vermehrungskreislauf Ansätze zur Tatkraft, indem sie die Zelle für ihre Zwecke einspannen.

Eindeutig zu den Lebewesen gehören die Bakterien. Sie besitzen (wie alle Zellen) als äußere Hülle eine Lipiddoppelmembran. Diese sind Paradebeispiele für Flüssigkristalle und Kolloide. Sie zeigen Gestaltungskraft bei äußerem Druck und sie zeigen Wahlkraft bei der Aufnahme von fremden Substanzen über Proteinporen in die Zelle. Ihre Tatkraft kommt z.B. bei der der Weiterleitung der elektrischen Erregung zum Ausdruck.

Mathilde Ludendorff sieht die Kolloidkristalle als Vorstufen zum ersten echten Lebewesen an, wobei sie Viren als zum Parasiten der Lebewesen entartete Kolloidkristalle bezeichnet. Daß Viren heute ausschließlich auf lebende Zellen zur Fortpflanzung angewiesen sind, ist unstrittig. Immer mehr Virologen stellen jedoch die Viren selbst an den Beginn des Lebens.

Demnach wären sie ursprünglich zellähnliche Gebilde gewesen, die erst im Laufe der Evolution ihre Selbständigkeit verloren hätten.

Wie auch immer der Streit ausgeht: Viren können als Grenzgänger zwischen lebender und toter Materie betrachtet werden.

Wie wir sehen, ist die „Schöpfungsgeschichte“ Mathilde Ludendorffs zwar ein ziemlich altes Buch, aber ihr Inhalt könnte aktueller nicht sein!

Quellenverzeichnis

  1. Ludendorff, M. (1954): Schöpfungsgeschichte. – Erstausgabe 1923. Pähl: Hohe Warte. 159 S.
  2. Hoffmann, C., Rockstroh, J.K. (Hrsg.): HIV 2016/2017. www.hivbuch.de. Hamburg: Medizin Fokus Verlag. 712 S.
  3. Global Hepatitis Report 2017, http://apps.who.int/iris/bitstream/10665/255016/1/9789241565455-eng.pdf)
  4. Mölling, K. (2015): Supermacht des Lebens. Reise in die erstaunliche Welt der Viren. – München: C.H. Beck. 318 S.
  5. Ludendorff, M. (1950): Wunder der Biologie im Lichte der Gotterkenntnis meiner Werke. – 1. Band. Stuttgart: Hohe Warte. 362 S.
  6. Ryan, F. (2009): Virolution. Die Macht der Viren in der Evolution. – Heidelberg: Spektrum Akademischer Verlag.
  7. Nasir, A., Caetano-Anollés, G. (2015): A phylogenomic data-driven exploration of viral origins and evolution. – Sci. Adv. 2015;1:e1500527: 1-24
  8. https://www.colloids.uni-freiburg.de/Methoden/dispersionen
  9. http://www.weltderphysik.de/gebiet/theorie/symmetrien/kolloidale-kristalle-und-kugel­packungen/
  10. Adam, G. (o.J.): Stufen der Schöpfungsgeschichte in der molekularen Biologe. Unveröffentlich­tes Manuskript.
  11. http://tuprints.ulb.tu-darmstadt.de/5954/
  12. http://www.fz-juelich.de/ics/ics-2/DE/UeberUns/Organisation/organisation_node.html

6] Wasserliebend = hydrophil, fettliebend = lipophil

[7] Der Begriff Kolloid gilt eigentlich für das einzelne (kolloidale) Teilchen im Trägermedium, wird z.T. aber auch für Teilchen und Trägermedium zusammen verwendet (so auch von Mathilde Ludendorff). Kolloidales Teilchen und Trägermedium werden auch als kolloidales System, kolloidale Suspension, … bezeichnet.

[8] Amphiphile sind Substanzen, die sowohl in Wasser als auch in Fett löslich sind (vereinfacht)

[9] Polymere sind chemische Stoffe, die aus vielen gleichen Einheiten zusammengebaut sind (z.B. Eiweiße oder Nukleinsäuren)

[10] von Mathilde Ludendorff gemäß dem damaligen Sprachgebrauch noch als Spaltpilze bezeichnet. Sie haben mit Pilzen jedoch nichts zu tun.

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