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Fortsetzung der Abhandlung von

Gerhard Bracke

(„Mensch und Maß“, 8/2020):

Über das historisch bedeutsamste Bühnenwerk des Dramatikers

Rolf Hochhuth

Wladyslaw Sikorski (Bild: enzyklopedia PWN)

Am Schluß des dritten Aktes kommt die Sikorski-Tragödie noch einmal zur Sprache, und mit aller Deutlichkeit wird auf die Bühne gebracht, was von offizieller Seite bis heute verschleiert werden soll:

KOCJAN: Du hast  g e w u ß t , daß ihr ihn umbringt. Gib doch zu! …
Sikorski – ja!  E r m o r d e t  habt ihr ihn …  (S. 183)

Der britische Historiker David Irving hat in seinem gründlich recherchierten Buch „Mord aus Staatsräson?“ nach jahrelanger Forschungsarbeit, sorgfältiger Analyse der Untersuchungsausschuß-berichte, Befragung maßgeblicher Zeitzeugen einschließlich des einzigen Überlebenden des Flugzeugabsturzes am 4. Juli 1943, des Piloten, mit den  vielen Ungereimtheiten, Widersprüchen und Falschaussagen ein beeindruckendes Beispiel historischer Wahrheitssuche vorgelegt. Insbesondere wurde der Beweis erbracht, daß nach eingehender Wrackuntersuchung durch Fachleute seinerzeit bereits feststand: von der bis heute kolportierten Behauptung des Piloten, das Höhenruder sei blockiert gewesen, kann überhaupt keine Rede sein.

Rolf Hochhuth hat in seinem Stück „Soldaten“ dem englischen Kriegspremier Winston Churchill vorgeworfen, er habe den  Ministerpräsidenten der polnischen Exilregierung General Sikorski durch einen inszenierten Flugzeugunfall in Gibraltar umbringen lassen, weil dessen unnachgiebige Haltung gegenüber Stalins Territorialforderungen das Bündnis mit dem sowjetischen Diktator gefährdete, erst recht nach der Entdeckung der Massengräber von Katyn.

 

Stalins Massaker von Katyn 1943 – der Wehrmacht in die Schuhe geschoben (wikipedia.de)

Aber 1972 gab ein Londoner Gericht der Klage des Piloten von Sikorskis Maschine statt und verurteilte Hochhuth zu Schadens-ersatz, weil er den Wahrheitsbeweis nicht habe erbringen können.

In einer Stellungnahme in der WELT führte Hochhuth dazu aus:9

„Der Einfall eines Londoner Gerichts, ich solle dem tschechischen Piloten des polnischen Ministerpräsidenten Sikorski fünfzigtausend Pfund Schadenersatz zahlen, hat den falschen Eindruck erweckt, in London habe ein Prozeß stattgefunden. Er fand nicht statt und kann nicht stattfinden, solange die Regierung Ihrer Majestät alle jene Briten, die zu Aussagen über die Tragödie von Gibraltar und Montreal bereit wären, erneut an deren Schweigepflicht gemahnt, an die sie als ehemalige Militär-personen zeitlebens gebunden sind.

Das Gericht hat denn auch diese Forderung der Regierung respektiert und keinen einzigen Briten oder Polen vorgeladen, um sich solche Aussagen oder Indizien bestätigen zu lassen, auf denen das Buch des britischen Historikers David Irving über Sikorski … oder mein Drama „Soldaten“ basieren.“ […]

Hochhuth wie auch Irving betonen immer wieder die Tatsache, daß der Pilot Prchal unmittelbar mit angelegter Schwimmweste geborgen wurde, stets aber behauptet hat, seine Schwimmweste hinter dem Pilotensitz deponiert zu haben. Dazu paßt der weitere Hinweis:

„… seit der Fliegerhauptmann Buck, Unfall-spezialist des britischen Luftfahrtministe-riums im Jahre 1943, der über hundert Fotos des Wracks gemacht hat, belegt hat, daß die Pilotenkanzel unbeschädigt aufs Wasser kam und von innen von Hand geöffnet wurde: Was die Aussage des Piloten, durch die Perspex-Verglasung der Kanzel ‘herausgeschleudert’ worden zu sein, ad absurdum führt.“10

Genauer beschäftigt hat sich auch Irving mit den

„fünf ‘Incidents’ oder ‘Accidents’, die dem polnischen Ministerpräsidenten binnen achtzehn Monaten auf vier hintereinander erfolgten Reisen … in britischen Sondermaschinen zugestoßen sind.“ 11

Der „Absturz“ in Gibraltar jedoch war nach Aussage des britischen Leutnants Douglas Martin

„eine perfekte Bauchlandung, die so glatt verlief, daß es der Zeuge gar nicht für möglich hielt, dabei seien Menschen umgekommen.“

Daß gleichwohl alle 16 Passagiere umkamen und nur der Pilot überlebte,

„wird der Grund sein, warum die Briten 1943 eine Obduktion der polnischen Leichen  verboten und keinem polnischen Arzt die Leichen gezeigt haben. So viel Eifer beim Vertuschen der Wahrheit zeigt nur der Täter“,

beschließt Hochhuth seine Stellungnahme in der WELT 1972.

Zur „Beseitigung Sikorskis“ äußerten sich dagegen ziemlich offen US-Präsident Roosevelt und Kriegspremier Churchill in einem Telefongespräch am 29. Juli 1943, in den Tagen der schweren „Gomorrha“-Angriffe auf Hamburg. Darüber berichtete der Leiter der Zeitgeschichtlichen Forschungsstelle Ingolstadt, Dr. Alfred Schickel, in einem Zeitungsbeitrag 2008:

„Wie sehr man in London und Washington ein Ausscheren Moskaus aus der gemeinsamen Front gegen Deutschland fürchtete, belegt ein der Zeitgeschichtlichen Forschungsstelle Ingolstadt vorliegender Mitschnitt eines Telefongesprächs zwischen Churchill und Roosevelt vom 29. Juli 1943. Darin teilt der britische Premier dem US-Präsidenten mit, daß ‘Uncle Joe (Spitzname für Stalin) gegenüber den Nazis unangemessene Annäherungsschritte im Hinblick auf eine Verhandlungsregelung unternommen’ habe. Eine Parteinahme für Sikorski konnte die Neigung Stalins, sich separat mit Hitler zu arrangieren, nur noch steigern – wie schon beim überraschenden Hitler-Stalin-Pakt im August 1939. Auch Roosevelt war der Meinung, daß Sikorski ‘ein hartnäckiger Störenfried’ und daher auszuschalten sei.

Churchill äußerte sich schließlich wortwörtlich zur ‘Beseitigung Sikorskis’:

‘Diese Dinge, so unangenehm sie auch sein mögen, müssen im Interesse der gemein-samen Sache einfach gemacht werden’, um dann Roosevelt mit in die Verantwortung für den ‘Unfalltod’ des polnischen Exil-Ministerpräsidenten zu nehmen: ‘Ich kann mir nicht vorstellen, daß Sie unsere persönlichen Unterhaltungen über genau dieses Thema vergessen haben, als ich zuletzt in Washington war. Das ist schließlich erst vor zwei Monaten gewesen. Ihre Ansichten in der Sache entsprachen den meinen fast völlig.’ … ‘Sie wissen sehr wohl, daß wir den Fall Sikorski bis ins kleinste Detail besprochen haben und auch, daß Sie mit meiner Lösung vollständig einverstanden waren. Sie können ganz gewiß Ihre Kenntnis oder Ihre Verantwortung nicht in Abrede stellen. Das werde ich nicht akzeptieren.’“ 12

Folgt man der „Wikipedia“-Darstellung, dann gibt es für den Mordauftrag keine „Beweise“. Das hängt natürlich damit zusammen, daß man vorhandene Beweise nicht zur Kenntnis nehmen will. Die Tatsachen sprechen jedoch ihre eigene Sprache, und aus denen gilt es die richtigen Schlüsse zu ziehen.

Es bleibt das große Verdienst des Dramatikers Rolf Hochhuth, mit seinem Stück „Soldaten“ zwei Themen von zentraler geschichtlicher Bedeutung – im Scheinwerferlicht die Gestalt des britischen Kriegspremiers Winston Churchill – nicht nur auf die Bühne gebracht, sondern bis heute ins allgemeine Bewußtsein gerückt  zu haben.

Es ist die literarisch gestaltete Aufforderung zur permanenten Auseinandersetzung mit der verordneten Siegergeschichtsschreibung. Zumal in unseren Tagen, wo durch mangelndes Geschichts-wissen in Kombination mit einer infantilen Blickverengung Ursachen und Anlässe zweier Weltkriege (unterschiedslos) einseitig auf „Nationalismus“ und „Rassismus“ reduziert werden.

Folglich erschließen sich Begriffe wie „Kriegshetze“ und „Kriegstreiberei“ in ihrer ursächlichen Bedeutung  der vielgepriesenen „Erinnerungskultur“ in keiner Weise, zeigen jedoch in Hochhuths Drama im Hintergrund mittelbar ihre schreckliche Auswirkung.

__________________________

Anmerkungen

9DIE WELT vom 12. Mai 1972

10Hochhuth, Stellungnahme DIE WELT vom 12. Mai 1972

11ebenda

12Alfred Schickel: Die Beseitigung eines „hartnäckigen Störenfrieds“  Ein Telefongespräch zwischen Churchill und Roosevelt über die wahren Todesursachen des polnischen Exil-Premiers Wladyslaw Sikorski, in „Junge Freiheit“ vom 12. Dezember 2008

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