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Fortsetzung der Abhandlung von

Gerhard Bracke

(„Mensch und Maß“, 8/2020):

Über das historisch bedeutsamste Bühnenwerk des Dramatikers

Rolf Hochhuth

In diesem Akt klingt auch schon das Sikorski-Thema an, indem Churchill Anweisung gibt,

„jene Hetzkommentare gegen die Russen, die seit Aufdeckung der Massengräber polnischer Offiziere bei Katyn in den zahllosen Blättern der in Großbritannien lebenden Exilpolen auftauchen“,

zu unterbinden. (S.64) Der Premierminister meint:

„Katyn – an diesem Leichengift kann unser Bündnis [mit Stalin] sterben
absurd: bedroht zu sein von einer Armee,
die zerfressen von Chlorkalk seit vier Jahren
die Hände in Stricken auf dem Rücken liegt,
Gesichter im Schlamm,
wie der Genickschuß sie hinwarf,
Leichen in zwölf Schichten. […]
PM außer sich: Aber das  e r l a u b e  ich nicht!
Daß die Londoner Polen auch nur fragen,ob der Mörder ihrer Offiziere –  S t a l i n   sei.
BROOKE auflachend:
Sir! – Das ist seit Tagen die öffentliche Meinung.
PM schroff: Es  g i b t  keine öffentliche –
es gibt nur eine  v e r  öffentlichte Meinung.
Aber sagen Sie das Sikorski, dem edlen …
Wojwode Quichote aus dem Sjem!
Auflachen.“ (S. 65)

Der sich anschließende Dialog Churchills mit Prof. Lindemann (Cherwell) greift das Thema der

„verordneten Einäscherung von Hamburg oder Köln“ erneut auf. Cherwell „ist vollkommen frei von der Perfidie, die aus dem nicht zu vergessenden Bekenntnis Robert Oppenheimers spricht, der den Einsatz seiner Hiroshima-Bombe auch deshalb begrüßte, weil ‚wir wollten, daß es geschah, ehe der Krieg vorüber war und keine Gelegenheit mehr dazu sein würde.’“ (S. 67)

Da durch Fakten und Originalzitate aus historischen Quellen Sinnzusammenhänge gestiftet werden sollen, kam es Hochhuth nicht immer auf Einhaltung der Chronologie an. Somit konnten das Unterneh-men „Gomorrha“ (Hamburg), Landung der Alliierten auf Sizilien, Schlacht im Kursker Bogen, Sikorskis Tod, der Luftangriff auf das Raketenzentrum Peenemünde (alles im Juli bzw. August 1943) durchaus mit der „Hiroshima-Bombe“ vom August 1945 verknüpft werden. Der wissenschaftlich argumentierende Cherwell ist der Überzeugung,

„Feuer ist  d a s  Element der Epoche.
Mit Feuer gewinnen wir den Krieg.“
„N i c h t  zielen, nicht zielen …,
B r ä n d e   l e g e n !“ (S. 69)

Der Professor des Flächenbombardements rechnet genau vor:

„Ich lege zugrunde eineinhalb Millionen kleinkalibriger Brandbomben, pro  Stab eins Komma sieben Kilogramm. Diese verstreut auf möglichst engem Raum der Altstadt, verursachen Kleinbrände, die binnen eines Zeitraumes, dessen Frist die atmosphärischen Voraussetzungen mitbestimmen  […] zu einer einzigen Brandstelle verschmelzen.

Hier die brennende Innenstadt, in deren Zentrum bei Temperaturen bis zu achthun-dert Grad alsbald nicht nur sämtliche brennbaren Stoffe aufgezehrt sind, sondern auch – das ist der Witz der  S a u e r s t o f f . Vom Sauertoff aber, wie Sie wissen, hängt jeder Verbrennungsvorgang ab. Demnach: resultiert aus dem beschleunigt wachsenden Sauerstoffbedarf des Brandzentrums ein  S o g  an der Peripherie, der die Luft aus den Nachbargebieten des Stadtzentrums in zentripetaler Richtung auf das Brandzentrum zutreibt. […] Diese Luftströme bezeichnen wir treffend als Feuerstürme. Sie fegen durch die Straßenzüge, mit Stärke und Geschwindig-keit, die Spitzenwerte auf unserer Windskala erreichen.“

„Gomorha“ über Hamburg, „Erfolg“ der Bombardierung mit Brandbomben Eilbeker Weg Juli 1943 (Bild: Wikipedia)

Bombermarschall Harris ließ in seinen Memoiren ein deutsches Geheimdokument abdrucken,

in dem es heißt, daß die Feuerstürme in Gomorra [Hamburg] eine Stundengeschwindigkeit von zweihundertfünfzig Kilometern erreichen.“ Meterdicke Bäume wurden umgerissen oder entwurzelt, Menschen … bei lebendigem Leibe in die Flammen geschleudert. […] Drinnen erstickten sie an Kohlenoxydgas … wahrhaftig war jeder Luftschutzraum ein Krematorium..“  (S. 74)

Rolf Hochhuth läßt im Drama den polnischen Exil-präsidenten General Sikorksi selbst auftreten. Als Konfliktpotential der Alliierten erwiesen sich schon vor der Entdeckung der  Massengräber von Katyn die unterschiedlichen Vorstellungen Stalins und der Exilpolen in der Frage einer künftigen Territorial-entscheidung für Osteuropa.

Sämtliche Territorialansprüche der Sowjets wies General Sikorski mit Entschieden-heit zurück. Um die Gegensätze nicht eskalieren zu lassen, empfiehlt Churchill nun  im Hinblick auf die Ermordung Tausender polnischer Offiziere General Sikorski, wenigstens in Erwägung zu ziehen, den Deutschen auch diese Morde zuzutrauen.

PM aufbrausend, dann fast flehend:
W a s  , General Sikorski, ist eigentlich Ihr Ziel?
Geschichte  s c h r e i b e n : dann suchen Sie die Wahrheit!
Oder Geschichte  m a c h e n : da zählen Tatsachen.
Exzellenz, die Toten sind sachlich, die Toten haben Zeit.
Nehmen Sie sich der  L e b e n d e n  an Ihres Volkes.
Die Wahrheit entscheidet nichts.
Wäre die Wahrheit nur gefährdet: aber sie ist eine   G e f a h r !  (S. 84)

Dann kommt es zur dramatischen Steigerung des Dialogs

PM: Exzellenz –
Ich bitte Sie inständig im Namen unserer gemeinsamen Pflicht:
Hitler niederzuwerfen –
s c h w e i g e n  Sie zu Katyn! […]
Sikorski: Zu spät – es ist zu spät, Herr Churchill!
Premierminister: ich habe Ihnen namens der polnischen
Regierung amtlich mitzuteilen, daß mein Botschafter heute früh
in Genf dem Schweizer Roten Kreuz
die  U n t e r s u c h u n g der Gräber von Katyn –
PM schreit: Nein! Nein! Nein!
Das Internationale Rote Kreuz hat die Verpflichtung
zu absoluter Neutralität.
Die Regierung Seiner Majestät wird Genf daran erinnern,
daß eine Untersuchung der Massengräber
… sich   v e r b i e t e t , solange noch die Wälder um Smolensk
von deutschen Truppen besetzt sind –  (S. 88 f.)

Der zweite Akt schlägt sich herum mit einer Geheimdienst-“Maßnahme“, von der vielleicht deshalb bei keinem Historiker auch nur die Spur zu finden ist, weil sie erschreckender als andere der neuen Zeit bestätigt, daß der Trieb zum Bösen ein Wesenselement auch des Guten sein muß, wenn es stark sein will. (S.94)

Das ist bereits als Anspielung auf den „Unfalltod“ Sikorskis zu verstehen!

Dann erhält Churchill die Meldung, die er als „schlimmer als ein Desaster an der Front bezeichnet“

Cherwell: Stalin hat die Beziehungen zu Polen abgebrochen!

PM: Wie habe ich Stalin  a n g e f l e h t ,
d i e s e n  Trumpf Hitler nicht zu gönnen!
Cherwell – das einzige Mal im Stück, da er tiefes Betroffensein zeigt. Er preßt
sich die Worte ab:
Jetzt aber runter vom Schlitten mit dem Pollacken. (S. 108)

[…] Cherwell, da PM vor Erregung nicht weitersprechen kann:
So lange  d i e s e r  Pole da ist, Sir Alan,
hat Großbritannien  k e i n e  Garantie,
daß nicht der Kreml aus dem Kriege aussteigt
und sich erneut mit Hitler arrangiert.

Das im Stück von Churchill an Stalin diktierte „Kabel“ stellt eine bezeichnende Aussage dar und ist wörtlich dem Schreiben Churchills an Stalin vom 27. Februar 1944 entnommen.5

PM: „Mir scheint, die Russen haben einen historisch wohlbegründeten  Anspruch auf Königsberg. Die Regierung Seiner Majestät betrachtet diesen Krieg gegen die deutsche Aggression als einen dreißigjährigen von 1914 an …“ (S. 109)

Im 3. Akt („Der Park“) hält Bischof Bell von Chichester, der sich öffentlich immer wieder gegen die Flächenbombardements ausgesprochen hat, dem Kriegspremiers vor, durch „Gomorra“ in  e i n e r Stadt mehr Menschen getötet zu haben als „Hitler bis heute insgesamt in England“.

BELL: Hier aus verschiedenen Berichten – erste Schätzungen,
der deutschen Bevölkerung verheimlicht – ,
fünfundvierzig Prozent mehr weibliche als männliche Tote,
zwanzig Prozent der Toten – jünger als vierzehn Jahre.
[…] Ortsteil Hammerbrook? – wohl ein Arbeiterviertel…

PM:  Die jedenfalls zielen wir an.
Mittelstandshäuser stehen zu aufgelockert.
Da fallen drei von fünf Bomben in die Gärten.

BELL: Ah ja. In Hammerbrook
verbrannte jeder dritte Bewohner oder mehr.
An Außenwänden vieler Häuser fand man verkohlte Mütter
mit Kindern; die hatten versucht, aus den Kellern zu entkommen
und wurden zu Fackeln.

PM düster, da ihm das Zuhören schwer erträglich ist:
Asphalt plus Phosphor – ja.
Cherwell kann das erklären.

BELL: Ein Arzt konstatierte – (Basler Nachrichten) – die Einäscherung
in den Kellern sei oft gründlicher erfolgt als im normalen Kremierungsprozeß.

[…] In Rage zu Dorland: E i n e Frage: ist ein Pilot, der vorsätzlich Wohnzentren verbrennt,
noch als  S o l d a t  anzusprechen?  (S. 147)
[…]

PM: … Vieles muß man verschweigen, was man im Krieg getan hat.
Was, Lordship, hinge davon ab? Der Sieg nicht.
Und nur der Sieger schreibt Geschichte. … (S. 151)

In dieser Überzeugung und nach diesem Grundsatz wurde das Ende der exilpolnischen Regierung Sikorski im Sinne der Alliierten geheimdienstlich in die Wege geleitet. In der britischen Öffentlichkeit und allgemein wird Geschichte so geschrieben, wie man es heute bei Wikipedia nachlesen kann:

„Der Flugzeugabsturz bei Gibraltar war ein Flugunfall am 4. Juli 1943 um 23.06 Uhr Ortszeit. Dabei stürzte eine zum Transportflugzeug umgebaute Consolidated Liberator der Royal Air Force 16 Sekunden nach dem Start auf dem Flughafen Gibraltar in die Straße von Gibraltar. 16 Passagiere und Besatzungsmitglieder wurden dabei getötet, darunter der Ministerpräsident der polnischen Exilregierung, Wladyslaw Sikorski. Nur der Pilot Eduard Prchal überlebte und gab an, das Höhenruder sei blockiert gewesen.

Die Absturzursache ist ungeklärt. Bis heute werden Sabotage und ein Mordauftrag an Sikorski vermutet. Beweise dafür gibt es nicht.“ 6

Hochhuth läßt im Stück den Premierminister die zynisch wirkenden Worte sagen:

Mit Flugzeugen und dem Kreml
soll sich nur einlassen, wer es muß

BELL: Kreml! –
PM verzerrt lächelnd: Wie? – Ach so! Natürlich wird man dort –
nicht gerade Halbmast flaggen.
Als ich vergebens darum kämpfte,
die Wahrheit um die Offiziere in Katyn – ruhen zu lassen …
Ein Politiker war er nicht, Sikorski –

BELL: Werden Sie die Wahrheit wieder ruhen lassen,
jetzt, um Sikorskis Absturz …

PM: Wer herrschen soll, mein lieber Bischof, der muß
die Wahrheit behandeln wie der Seemann den Nordstern:
sie nie aus dem Auge verlieren,
doch nicht stets darauf zusteuern. (S. 163)

Bischof Bell befällt eine gruselige Ahnung, (S. 164) doch Churchill lenkt alsbald wieder auf sein eigentliches Thema ab und erklärt zugleich, was sich eigentlich hinter der anmaßenden Bezeichnung „Unternehmen Gomorra“ verbirgt:

das Buch, in dem ich selten lese, ziellos schlug ich es auf:
Du wirst heute über den Jordan gehen, daß Du hineinkommest,
e i n z u n e h m e n   das Land der Völker,
die größer und stärker sind denn Du …
So sollst Du wissen  h e u t e , daß der Herr,
Dein Gott gehet vor Dir her,
ein  v e r z e h r e n d  Feuer.
Er wird sie vertilgen und wird sie unterwerfen
vor Dir her, und wirst sie vertreiben und umbringen  b a l d,
wie der Herr geredet hat. (S. 171)
Und einmal in Fahrt, setzt der Premierminister seine Geständnisse fort:

PM:   Wahr ist, das Unterhaus hätte nie
meine Heerzüge gegen die Hunnen als den Kampf Israels
gegen die Enakiter verstanden. –
Mir aber schrieb in fünfzehn schon, um mich zu trösten,
der Seelord Fisher, bei Gallipoli:
wir siegen ganz gewiß, denn  w i r  sind
die zehn verlorenen Stämme Israels.
Daß ich  b e i z e i t e n  warnte – spricht   m i c h  frei.
Hamburgs Verbrennung: ich habe sie vor achtzehn Jahren
so grell  wie möglich an die Wand gepinselt.
Copyright Winston Churchill – die ganze Welt hat es gelesen.

BELL schockiert: Vor achtzehn Jahren war doch Hitler noch gar nicht da!

PM gelassen: L e s e n  konnte er schon. Und seine Deutschen auch.
Nächstes Mal würden wir den Hunnen
frei Haus das Feuer in die Stube tragen:
Ich schrieb, hätte der erste Krieg nur  e i n  Jahr noch gedauert,
ich hätte neunzehnhundertneunzehn als Munitionsminister
Berlin heimgesucht.
Nationen, die sich in ihrer Existenz bedroht fühlen,
sie werden vor keinem Mittel zurückschrecken.
Man  w e i ß , wie genau der Mann da drüben
diese meine Mahnung zur Kenntnis nahm.

BELL: Woher – wissen Sie das?
PM erbittert: Aus seinen impotenten Appellen ans Rote Kreuz,
den Luftkrieg gegen Städte zu verbieten – Bemühungen,
mit denen er auf die Pazifisten auch in Großbritannien […]
so großen Eindruck machte, daß ihm fast geglückt wäre,
uns die  e i n z i g e  Waffe aus der Hand zu schlagen,
die der Insel ohne Infanterie geblieben war!  (S. 172) 7

Es ist erstaunlich, welche historischen Details in diesem Drama berücksichtigt wurden, Details, die heute nur wenigen noch bekannt sind.

BELL: Verbrannte Städte für verbrannte Erde –
Warum aber belügt dann seit Jahren Ihr Luftfahrtminister
das Parlament?

PM:   Das hört jetzt auf. Der Stärkere darf ehrlich sein:
Im Frühjahr darf ein Buch erscheinen, Bombing Vindicated,
das mit Gelassenheit für Großbritannien
das Verdienst in Anspruch nimmt,
g e w o l l t  zu haben, daß der Krieg
durch Bombardierung der Städte entschieden wird.
[…]Mr. Spaight kann Ihnen das Manuskript zeigen,
er ist stellvertetender Staatssekretär
im Luftfahrtministerium.   (S. 173)
[…]Doch Warschau und Rotterdam:
das waren  k e i n e  Offenen Städte,
beiden waren zu Festungen erklärt und wurden  m e h r f a c h ,
beide, zur Übergabe aufgefordert,
bevor die Hunnen ihre Flieger schickten.

BELL: Warum dann – versichert man das Gegenteil !

PM:   Weil Legenden mächtiger sind als Waffen.  (S. 174)

In seinem 1944 veröffentlichten Buch „Bombing Vindicated“ (Rechtfertigung des Bombenkrieges) gibt Spaight offen zu, daß England mit dem Bombenkrieg gegen die Zivilbevölkerung begonnen hat:

„Wir begannen, Ziele in Deutschland zu bombardieren, ehe die Deutschen das in England taten. Das ist eine historische Tatsache… Wir wählten damit den besseren, aber härteren Weg. Indem wir die deutschen Städte zerschlugen, verzichteten wir auf das Privileg, unsere Städte in Takt zu halten… Es ist keine absolute Gewißheit, aber doch sehr wahrscheinlich, daß die Deutschen London und das Industriegebiet nicht angegriffen hätten, wenn wir uns ruhig verhalten hätten. … Diese Art der Luftkriegführung machte sich nicht für sie bezahlt.“8

Fortsetzung folgt

_____________________

Anmerkungen 

5Briefwechsel Stalins mit Churchill, Attlee, Roosevelt und Truman 1941-1945, Berlin 1961. Streng geheime und persönliche Botschaft von Herrn Winston Churchill an Marschall Stalin Nr. 243, S. 251 ff.

6https://de. Wikipedia.org/w/index.php?title=Flugzeugabsturz_bei_Gibraltar_(1943)&oldid=194585586“

7Damit wird angespielt auf die Bemühungen der Reichsregierung, den Bombenkrieg gegen die Zivilbevölkerung international zu ächten.

8Cajus Bekker, a.a.O., S. 397 f.  Der Große Wendig, Richtigstellungen zur Zeitgschichte, Bde. I, II, IV und V

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