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Die folgende Abhandlung des Historikers

Gerhard Bracke

entnehme ich der Zeitschrift „Mensch und Maß“, 8/2020:

Über das historisch bedeutsamste Bühnenwerk des Dramatikers

Rolf Hochuth

Rolf Hochhuth (Bild: rowohlt.de)

Seinen Nachruf auf den am 13. Mai 2020 im Alter von 89 Jahren verstorbenen Dramatiker Rolf Hochhuth faßte Thorsten Hinz unter der aussagekräftigen Überschrift „Ein entschiedener Moralist“ zusammen.1

Daß Hochhuth 1963 mit seinem Theaterstück „Der Stellvertreter“ einen Welterfolg erzielte, daran wurde in sämtlichen Nachrufen selbstverständlich gebührend erinnert.

Das in 16 Sprachen übersetzte und in 25 Ländern aufgeführte Stück thematisiert die unverständliche Haltung des römischen Papstes Pius XII. in der Frage der nationalsozialistischen Judenverfolgung, sein Schweigen zur Judenvernichtung während des Krieges. Allerdings mußten am Premiereabend in New York Hunderte von Polizisten die Aufführung schützen, als die Empörung dem „Antichristen“ Hochhuth galt.

Thorsten Hinz weist darauf hin, der „ungeheuer belesene und in historischen Detailfragen bewanderte“ Autor habe „eine Fülle Theaterstücke und literarischer Texte nach dem erprobten Skandalrezept verfertigt“. Auf der anderen Seite beweise sein „detailversessenes Dokumentar-Theater“, daß Hochhuth kein Opportunist, „vielmehr auf eigene Weise ein Freigeist war“, der dem britischen Historiker David Irving, mit dem ihn ein persönliches Verhältnis verband, viele Anregungen zu verdanken hatte. Er nannte Irving in einem Interview mit der „Jungen Freiheit“ 2005 einen „fabelhaften Pionier der Zeitgeschichte“, was ihm von verschiedenen Seiten heftige Kritik einbrachte.

Es fällt auf, daß dem nur vier Jahre später uraufgeführten Drama

„Soldaten“ – „Nekrolog auf Genf – Tragödie in freien Rhythmen“

heute kaum noch Aufmerksamkeit gewidmet wird. Allenfalls wurde nach Hochhuths Tod der Titel kurz erwähnt, ohne auch nur anzudeuten, wieviel mehr an Sprengstoff dieses Stück damals freisetzte. Schließlich geht es um eine den „Stellvertreter“ weit übertreffende welt(kriegs)geschichtliche Dimension, mit der wir uns einmal näher beschäftigen sollten:

Die am 9. Oktober 1967 an der Freien Volksbühne Berlin uraufgeführte Tragödie „Soldaten“ befaßt sich mit zwei durch die Person des einstigen britischen Kriegspremiers Winston Churchill verknüpften Themen:

  • die fehlende internationale Luftkriegsordnung zum Schutz der Zivilbevölkerung einerseits

  • und der mysteriöse „Unfalltod“ des polnischen Generals und Exilpräsidenten Wladislaw Sikorski andererseits.

Dieser war nach dem Bruch mit der UdSSR und dem Genossen Stalin aufgrund der Entdeckung der Leichenfunde bei Katyn durch einen Flugzeugabsturz am 4. Juli 1943 ums Leben gekommen.

Sikorskis Verhängnis bestand in dessen Forderung, mit der Aufklärung des offenkundig sowjetischen Massenverbrechens, der Erschießung Tausender polnischer Offiziere im Wald von Katyn, von den Deutschen kürzlich entdeckt, das Internationale Rote Kreuz zu befassen.

Damit war das Bündnis der sog. Anti-Hitler-Koalition ernsthaft gefährdet, und deren Zerfall galt es auf alle Fälle zu verhindern.

Die 1967 im Rowohlt-Verlag erschienene Paperback-Ausgabe der „Soldaten“ zeigt als Titelbild eine rotgetönte Ansammlung von Flieger-schirmmützen unterschiedli-cher Nationalitäten mit der Schwarz-weiß-Fotographie einer durch Hyperthermie mumifizierten Frauenleiche (am unteren Ende wie hinter einem Vorhang sichtbar).

Dieses Opfer des Feuersturms von Dresden im Februar 1945 findet sich ebenso auf Seite 20 ganzseitig abgebildet, denn

„dieses sehr reale Foto“ „steht riesig wie die Trümmerfassade [der Kathedrale von Coventry] im Bühnenbild „der durch Feuerwind mumifizierte  S c h ä d e l ,  dem unerklärbarerweise sein Haar geblieben ist, die sitzende Tote auf einer Straße in Dresden“:

Die Tote aus dem Holocaust von Dresden

„Die Frau saß da, wie sie die Hitze hingeworfen hatte,
die Glut des einkreisenden Feuerwindes,
Augen und Fleisch herausgeschmolzen,
nur ihr Nasenbein, unerklärbar,
war noch bedeckt mit Haut, wie imprägniert.
Und ihr Haar war erhalten.“2

Zwar wurde die Zerstörung der Barockstadt Dresden 1945 zum symbolischen Höhepunkt der brutalen Flächenbombardements, doch Hochhuth läßt die Tragödie der „Soldaten“ mit dem Szenenbild der 1940 von der deutschen Luftwaffe zerstörten Kathedrale von Coventry beginnen. Allerdings unterschlägt der Regieeinfall keineswegs die heute üblicherweise übergangenen Tatsachen:

„Im November 1940 errichteten deutsche Kampfflugzeuge hier ein Hitler-Denkmal, als sie während des Angriffs auf das Zentrum der englischen Flugzeugmotorenindustrie auch den Dom einäscherten und dreihundertacht-zig Zivilisten umbrachten.“ (S. 11)

Coventry, Rotterdam oder auch Guernica dienen hier nicht zur „Aufrechnung“, denn die deutschen Luftangriffe in diesen Fällen sind keineswegs mit den Terrorangriffen auf Lübeck, Hamburg oder Dresden vergleichbar. Aber alle zivilen Opfer solcher Angriffe machen eben deutlich:

„Es gibt ein Seekriegsrecht, es gibt ein Landkriegsrecht – ein Luftkriegsrecht jedoch ist nicht da.“ (S. 12)

Hochhuth verschweigt in seinem Stück auch nicht die

Tatsache, daß sich die deutsche Reichsregierung 1936 für ein Luftkriegsrecht in Genf einsetzte,

aber am Widerstand Englands scheiterte. Der

„Wegmerzung der Bevölkerungszentren im Lager des Gegners“ (S. 23),

auf die die britische Langstreckenbomberkonzeption seit Mitte der 30er Jahre angelegt war, stand damit nichts mehr im Wege. Dorland, ehemaliger Bomberpilot, bestätigt:

„So war’s bei Churchill – wie hat der, uns zu retten,
diese Insel, ohne Infanterie,
dazu getrieben, den Langstreckenbomber zu bauen …“ (S. 34)

Dorland, der im Schauspiel sinnigerweise als Regisseuer fungiert, führt an anderer Stelle aus, er habe dem ehemaligen Oberbefehlshaber des Bomberkommandos, Marschall Harris, vor Monaten sein Manuskript zur Korrektur vorgelegt:

„Ich hab ihm schriftlich angeboten,
jedes Wort zu streichen, das gegen die Wahrheit verstößt.
Ich  k o n n t e  nicht ahnen, daß Marschall Harris
mir mit einer Anzeige drohen würde, wenn ich ihn seine
historische Rolle auch in meinem Stück spielen lasse.
[Es ist einmalig in der Weltgeschichte,
daß ein Marschall aus der Historie  verschwinden  will,
nachdem er eine halbe Million Zivilisten verfeuert hat,
um in sie hineinzukommen.]“ (S. 36)

Dorlands Sohn, Oberleutnant der RAF, bemerkt einmal:

„In keinem Nürnberger Prozeß
ist je ein Bombermarschall angeklagt worden.“ (S. 30)

Auf eine Art Vorspiel folgt im Stück „Das Londoner Kleine Welttheater“ in drei Akten für neun Spieler. Als Akteure für April bis Juli 1943 werden u.a. aufgeführt:

  • Seiner Majestät Premierminister [PM],

  • Polens Ministerpräsident und Oberbefehlshaber,

  • der Bischof von Chichester,

  • der Chef des Empire-Generalstabs,

  • der Generalzahlmeister des Schatzamtes,

  • ein Group-Captain des Bomberkommandos,

  • ein Major der RAF,

  • ein Hauptmann der Warschauer Untergrundarmee,

  • ein Leutnant des Women’s Royal Naval Service.

Durch seitenlange Zwischen- bzw. Einführungstexte erhält der Leser wichtige Informationen über die Darsteller und die von ihnen verkörperten historischen Figuren. Somit wissen wir, w e n „Cherwell“ historisch gesehen nun wirklich darstellt:

„Zwischen dem nervösen General und dem ebenso nervösen, jedoch breit auf Deck [eines Schiffes] lastenden Premierminister bewegt sich … Churchills  Günstling, der Physikprofessor Frederick Alexander Lindemann. Seit 1942 Baron, seit 1956 Viscount Cherwell … zur Grauen Eminenz der Downing Street abgezeichnet, wird Lindemann von seinen Feinden … als Deutscher oder als Jude gemieden …“ (S. 53)

Lindemann (Cherwell) gilt als der eigentliche „Konstrukteur“ des Flächenbombardements mit den fabrikmäßig entwickelten Feuerstürmen. Darüber lesen wir bei Hochhuth:

„Seit der Premierminister Lindemanns Rezept zur Einäscherung der Arbeiterwohnhäuser in allen deutschen Städten über fünfzigtausend Einwohnern als Hauptoffensive angeordnet hatte – ‘Mittelstandshäuser in ihrer aufgelok-kerten Bauweise führen unvermeidlich zu einer Verschwendung von Bomben’ – verteidigte Churchill seinen ‘Prof.’ in Rage gegen jeden wissenschaftlichen Einwand. Widersacher des Flächenbombardements ‘wurden aus dem Zimmer gewiesen’. Wer den Nutzen der Terrorangriffe – Churchill fand, das sei ein gutes Wort – anzweifelte, … der war erledigt.“ (S. 55)3

Als der Premierminister im Stück zu bedenken gibt:

„Hamburg oder Köln –
… Beide Städte sind als Ziel dem Risiko ebenbürtig,“
wird er von Cherwell beruhigt:
„Wir sparen Blut und Bomber.
Hitlers Nachtjagd wird durch den Ausstoß dieser Streifen
entscheidend desorientiert  … nur diese  e i n e  Handvoll …

“Gomorha” über Hamburg Juli 1943; “Lametta” verhindert die Abwehr (Bild: welt.de)

Er entnimmt seiner Manteltasche ein Kuvert und diesem mit flinken, spitzigen Fingern ein Bündel Lametta, fadendünne Silberstreifen von 25 cm Länge, deren einige er Churchill gibt, andere dem General. Einige läßt er aus hochgehaltener Hand demonstrierend herabschweben – auch Churchill tut das.

Täuscht schon auf deutschen Radarschirmen
ein zweites Flugzeug vor.
Stunden vergehen, bevor die Streifen
bis auf den Erdboden gesunken sind. Erst dann sind drüben
die Radarschirme wieder fähig, den Himmel abzusuchen.

PM hält dem ablehnenden Brooke die Streifen hin:

Brookie, ist das nicht genial – diese Simplizität: […]
was die Wissenschaft zum Kriege ausgeheckt hat –
unheimlich!“ (S. 61)

Hochhuth verfügte über erstaunliche Detailkenntnisse, aber fairerweise ist zu fragen: Wer weiß denn heute überhaupt noch von diesen geheimnisvollen Stanniolstreifen, die dem englischen Bomberkommando im Juli 1943 die Vernichtung Hamburgs mit den verheerenden Feuerstürmen erleichterten, indem sie schlagartig die deutsche Abwehr ausschalteten, und die wir Kinder damals am Tage auf den Wiesen fanden. Nachtjagd und Flak waren vollkommen „blind“, weil in jeder Minute von den mehr als 700 Bombern der RAF Bündel von Tausenden von Silberpapierstreifen abgeworfen wurden. Diese flatterten in der Luft auseinander und senkten sich als millionenfach reflektierende Wolke langsam zur Erde.

„Das ist das Geheimnis der schlagartigen Störung aller deutschen Radargeräte: Die Silberpapierstreifen, mit Tarnnamen in England ‘windows’, in Deutschland ‘Düppel’ genannt, sind genau auf die halbe Wellenlänge der Würzburg-Geräte zugeschnitten. Sie reflektieren die Suchimpulse der deutschen Nachtjagd- und Jägerleitgeräte besonders gut. Millionen winziger Echos werden auf die Bildschirme geworfen. Das ist der Nebel, hinter dem sich die Bomber verbergen.“4

Fortsetzung folgt

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Anmerkungen

1„Junge Freiheit“ vom 22. Mai 2020
2Rolf Hochhuth, Soldaten, Rowohlt-Paperback-Ausgabe 1967, S. 21
3Hochhuth verweist auf David Irving als den „Kenner auch des Nachlasses von Lindemann. (S. 36)
4Cajus Bekker: Angriffshöhe 4000  Kriegstagebuch der deutschen Luftwaffe, Oldenburg und Hamburg 1964, S.406
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