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Freundschaft – Zenta Maurina (4)

Zenta Maurina 1897-1978

Zenta Maurina 1897-1978

Seit ihrem 6. Lebensjahr konnte sie nicht auf den Beinen stehen. Wenn sie sich von dem Ort wegbegeben wollte, auf dem sie sich befand, war sie auf Hilfe angewiesen. War die nicht greifbar, hieß es, Verzicht üben, Selbstgenügsamkeit bis zum Äußersten, bis sie schließlich in dieser Gefangenschaft Angst, Verzweiflung, das Gefühl des Verlassenseins befielen.

Mutig verließ sie ihr Elternhaus, um in Riga ihre Studien fortzusetzen.

Denn das Wagnis ist schön, und man muß sich solches gleichsam zusingen können.

Ihren Eltern war nicht vorstellbar, wie sie dort in der Einsamkeit ihr Leben meistern wollte. Unter schmerzenden Sorgen ließen sie sie ziehen.

Und wieder fand sie das seltene Glück einer tiefen Freundschaft, diesmal in dem Schriftsteller Konstantin Raudive, der sich freudig aufopferungsvoll ihr an die Seite stellte. Um ihn nicht dadurch wieder zu verlieren, daß sie ihn zu sehr an sich und ihren schwierigen Alltag fesselte, riet sie ihm immer wieder, fern von ihr frei seiner Wege zu gehen.

Nicht nur, daß er – aus dieser ihm gelassenen Freiheit heraus – immer wieder zur Stelle war, mit ihr die ungeheuren Strapazen der monatelangen Flucht aus Lettland über Schlesien bis nach Uppsala in Schweden und wieder nach Süddeutschland fürsorgend durchgestanden und ihr Überleben ermöglicht hat, er war als unabhängiger Denker vor allem der Seelenfreund, der ihren Geist und auch ihr Werk richtig einzuschätzen wußte.

Konstantin Raudive 1909 - 1974

Konstantin Raudive 1909-1974, Detmold 1945

Dennoch hatte sie bei ihm Grund zur Eifersucht. Im Alter vermerkt sie:

Heute verstehe ich nicht, daß ich in jenen Jahren eifersüchtig war; daß ich es nicht verstand, daß die sogenannten Geliebten im Leben eines schöpferischen Menschen nicht wegzudenken sind. Diese ausschließen, hieße ihn ausplündern. Hat man wahrhaft im Herzen eines Mannes einen Platz, rauschen die anderen nur an der Peripherie vorbei, und bereichern das Herz. Kann dieser Platz geraubt werden, war die Liebe Irrtum. Mir wurde er nicht geraubt. Doch ich wußte es nicht. Unter meiner Blindheit litt ich maßlos. Die Welt wurde schwarz. Ich sah keinen Ausweg.

In jenen Jahren schrieb er: “Du bist das Zentrum meines Herzens, meines Lebens …” Von London aus: “Ich quäle mich mit Gewissensbissen. Ich dürfte nicht hier, ich müßte bei Dir sein. Unzerreißbare, unvergleichbare Bande verbinden unser Leben.” … “Ich habe nun eingesehen, daß ich ohne Dich nicht leben kann.”

Detmold 1945

Detmold 1945

In ihrer körperlichen Gefangenschaft brauchte sie unendliche Geduld. Rollstühle von heutiger Vollkommenheit waren – zumindest in ihrer Jugend – noch nicht einmal gedanklich vorhanden. Stufenlose Eingänge zur Wohnung, zu Hotels, zu Vortragsräumen – unverwirklichter Traum, Teppiche, auf denen sich der Rollstuhl nicht bewegen ließ, enge Badezimmertüren, durch die er nicht paßte, konnten zur Verzweiflung führen. Unvorstellbar, wie ein Mensch mit solchen Widrigkeiten zu leben den Mut haben kann.

Zenta Maurina meisterte ihr schwieriges Leben heldenhaft. Aus tiefen Melancholien rissen sie ihr Gedankenreichtum und der Austausch mit gleichklingenden Seelen, und seien die nur in deren Büchern zu finden, immer wieder empor. Ihr Gedankenreichtum war es, der sie dazu drängte, zu schreiben und zu den Menschen zu sprechen. Ihre Gedanken in Worte zu fassen, war ihr Lebenselixier, ohne das sie sich verloren sah.

Die Säle, in denen sie sprach, waren brechend voller Menschen, die ihrem Wort lauschen wollten. Ihre Bücher sind – in viele Sprachen übersetzt – in die Welt gegangen. Die Menschen finden bei ihr, der vom Leben so Gebeutelten, Trost, Geborgenheit, Weisheit. Manche haben ihr versichert, das eine oder andere ihrer Bücher stets bei sich zu tragen.

In ihren Büchern treffen die Menschen sie in der gemeinsamen Heimat des Ewigen an. Das ist es, was Zenta Maurina so anziehend macht.

Freundschaft

ist für Zenta Maurina nun selbstverständlich nicht deshalb so kostbar, weil sie in ihrem Alltag auf die Hilfe anderer Menschen angewiesen ist, Freundschaft trägt für sie – über allen Nutzen erhaben – ihren höchsten Wert in sich selbst. Den wird auch Schiller im Blick gehabt haben, als er sein Lied an die Freude dichtete:

Wem der große Wurf gelungen, eines Freundes Freund zu sein …, mische seinen Jubel ein, ja, wer auch nur eine Seele sein nennt auf dem Erdenrund,

doch:

wer’s nie gekonnt, der stehle weinend sich aus diesem Bund.

Freundschaft ist indes nicht gleich Freundschaft:

… daß ich an den durchschnittlichen Beziehungen der Menschen kein Genügen finde, daß mir all ihre „Freundschaften“ im Kramladen erhandelt erscheinen, und daß ich mich immer wieder danach sehne, daß alle, die mich Freund nennen, Onkel Hans ähnlich seien.

Schon allein in diesen Worten findet heimatlich gleiches Erleben, wer wie Zenta Maurina in ihrer Kindheit und Jugend einen Herzensfreund gehabt und dann verloren hat wie den reichsdeutschen Musikdirektor von Dresden Hans Holzapfel, diesen hochgebildeten “Onkel Hans”. Er dirigierte zehn Jahre lang die Symphoniekonzerte in Libau, kam oft von dort in das nahegelegene Grobina zum Elternhaus seiner jungen Freundin, förderte sie in jeder Beziehung und trug sie zu Konzert- und anderen Kultur-Veranstaltungen. Wer wie sie dann aus dieser Geborgenheit des gegenseitigen tiefsten Verstehens und Zueinanderhaltens hinausgeworfen ist, kann die unstillbare Sehnsucht nach der Güte einer solchen Freundschaft nur allzu gut nachempfinden.

mit roter Jacke

Konstantin Raudive, ihr späterer Lebensgefährte über viele Jahrzehnte, starb vor ihr. Nun übermannte sie die gleiche Sehnsucht nach einer solchen Freundschaft im Alter aufs Neue.

In allen ihren Büchern finden sich Gedanken über Freundschaft, dankenswerterweise zusammengestellt von Elisabeth Brühl in dem Band

Zenta Maurina, Geliebtes Leben – Gelebtes Leben. Aphorismen.

Hier seien einige davon wiedergegeben:

Hinwendung zum Mitmenschen

In einer abgeschlossenen Zelle vermag der Mensch Gott zu finden, nie und nimmer aber gelangt der Seelenbaum zur vollen Entfaltung, und in der Isolation verwandeln sich die ungenutzten Kräfte in ein lebensgefährliches Gift. Das Du senkt neue Samenkräfte ins Ich, gibt neue Entwicklungsimpulse. In der Wechselwirkung mit dem Du erkennt das Ich seine Mängel und Lücken.

Die tiefste Freude ist in den Beziehungen von Mensch zu Mensch gegeben, aber auch der tiefste Schmerz.

Wir erweitern unseren Horizont, indem wir in den anderen hineinlauschen, und nicht, indem wir ihn beherrschen.

Unser Gespräch – wechselseitige Enthüllung und Bereicherung – eine eigentümlich aufblitzende Durchleuchtetheit, die Unverlierbares schenkt.

Wesensfremde, aufgezwungene Geselligkeit rupft eine Feder nach der anderen aus.

Begegnung mit dem Du

Im Laufe der Jahre habe ich einsehen müssen, daß in einigen der sogenannten kleinen Menschen ein solches Maß an Hoheit und Größe verborgen liegt, daß man sich gezwungen fühlt, sich demütig vor ihnen zu verneigen.

Jede Begegnung mit einem Lichtmenschen weist uns einen neuen Weg.

Nicht anzuzweifeln ist, daß es zu einem Gefühl der Geborgenheit, zu einer innerlichen Vereinigung nur bei einer Begegnung von Gleichgesinnten kommt, bei Menschen, die auf einem langen Wege der Einsamkeit zur Persönlichkeit gereift sind, ohne die tragende Kraft der Einsamkeit eingebüßt zu haben.

Wie im Leben der Völker, so bedingt auch im Leben der Einzelmenschen Begegnung eine Steigerung der Individualität. Unser Ich entfaltet sich nur im Dialog mit der Welt und bei der Begegnung mit dem Du.

Die Du-Findung ist die schwerste Aufgabe in unserem Leben, nicht nur das Du des anderen Geschlechts, sondern das Du des Mitmenschen überhaupt. Das Ich sehnt sich nicht nach irgendeinem Du, sondern nach einem traumbekannten, dessen Wesen das seine läutert und steigert, nach einem Du, das zu neuen schöpferischen Taten drängt und vor den Lebenswidrigkeiten nicht zurückschreckt. Das Ich trägt in seinem Innern einen göttlichen Funken, das Du ist der Entzünder, der nur eine bestimmte Steinart zum Aufflammen bingt.

Freunde sind durch eigene Wahl zusammengeführt und nicht zwei Lasttiere in einem Gespann oder zwei Regentropfen auf einer Fensterscheibe. Weggenossen, Kriegskameraden, Reisegefährten, Nachbarn sind noch nicht Freunde. Zum Freundsein gehört die gleiche Gesinnung, das gleiche geistige Klima.

Warum gerade dieses eine Du das auserkorene ist, können wir mit der Vernunft nicht erklären. Nicht nur Sterne, auch Menschen senden Strahlen aus, und auf dieser Sendefähigkeit beruht die vernunftmäßig unerklärbare und “ungerechte” Sympathie und Antipathie.

Wie unendlich auch die Bereicherung durch Religion und Philosophie ist, nichts läßt sich mit der Zuneigung eines geliebten Menschen messen. Im Zusammensein mit dem geliebten Menschen geht die Sonne auf, und die Welt leuchtet wie am siebten Schöpfungstage.

Tatsächlich, jeder Schmerz, der körperliche wie der seelische, wird durch die Nähe des Freundes gemildert und verdoppelt sich, wenn er auf die Gleichgültigkeit eines anonymen Jemand stößt.

Je höher die Kulturstufe, auf der ein Mensch steht, desto reichhaltiger sind seine Beziehungen zur Umwelt. Je feiner die Fäden, aus denen das Innere verwebt ist, desto mehr vermag ein Mensch zu geben, doch desto schwerer ist er auch zu befriedigen. Differenzierung bedeutet Bereicherung, also Beglückung, doch andererseits auch Vereinsamung, also Betrübnis.

Das Zwiegespräch

Der Bruder des Briefes ist das Zwiegespräch. Was für den Körper der Spaziergang, das bedeutet für den Geist das Gespräch; doch einen guten Gesprächspartner zu finden, ist heute noch schwerer, als einen vollendeten Briefschreiber. Denn Reklame und Propaganga sind die Würger der intimen Seele des Gespräches. In der Freudenskala nimmt das Gespräch eine der höchsten Stufen ein.

Wie durch Reimen noch kein Gedicht entsteht, so durch Sprechen noch kein Gespräch. Das Edelste wird bisweilen so sinnlos zerschwatzt, daß man sich vor den Worten der Menschen fürchtet.

Der Gedanke ist dem Saatkorn vergleichbar. Um seine volle Keimkraft zu entfalten, braucht er fruchtbare Erde, Geruhsamkeit, Wärme, Wind aus dem Süden – alles das, was ein wahrhaftes Gespräch enthält.

Müßte ich die seligsten Augenblicke meines Lebens nennen, in denen ich am intensivsten gelebt habe, so sind es meine Gespräche …

Sternbild der Freundschaft

Der gestirnte Himmel der Liebe und Freundschaft wird von zwei Säulen getragen: vom Verständnis füreinander und vom Vertrauen zueinander. Wo eine dieser Säulen stürzt, ist das Himmelsgewölbe bedroht.

Freund zu sein vermag nur ein Verstehender, ein Hellsehender, nie und nimmer jemand, der auf einem Auge blind ist und somit nur sein eigenes Ich sieht.

Wohlklingend und wohltuend ist jeder Akkord der Freundschaft, doch glücklich preise ich den Wanderer, den die Sinfonie der Freundschaft über den Sumpf, die steinige Wüste, durch das Dickicht des Waldes begleitet – in Krankheit, Armut und Verlassenheit bis zu den Toren des Todes …

Gewöhnlich suchen wir im Du entweder eine Wiederholung unseres Ich oder einen Lückenbüßer, und am öftesten gehen wir fehl, indem wir erwarten, das Du müsse unserem willkürlich hergestellten Idealbild entsprechen.

Nichts ist schmerzlicher als Enttäuschung am Freunde.

Man zog am frühen trüben Morgen aus, um einen Montblanc zu besteigen, und als sich um die Mittagszeit der Nebel verzog, stand man vor einem Maulwurfshügel.

Bei solchen Begängnissen ist ein peinliches Gefühl der Scham, der eigenen Unzulänglichkeit nicht zu vermeiden. Der Maulwurfshügel ist nicht schuld, daß wir ihn in unserer Kurzsichtigkeit, in unserer Unkenntnis der geographischen Seelenkarte, in unserm Durst nach Höhenluft für einen schneegekrönten Gipfel hielten.

Wenn es schwer ist, einen Freund zu finden, so noch schwerer, Freundschaft zu bewahren. Distanz bewahrt Freundschaft mehr als allzu große Offenheit.

Wahrhaftigkeit ist ein starkes Band der Freundschaft, doch darf man diese nicht mit Klatsch, plumper Geschwätzigkeit, mit dem unbeherrschten Drang, alles auch zur Unzeit zu sagen, verwechseln. Taktlosigkeit ist der tödliche Stachel der Freundschaft.

So alt wie die Kulturgeschichte ist auch das Hohelied der Freundschaft, das seinen vollsten Klang bei freien Völkern, in Epochen der Verherrlichung der Persönlichkeit erhalten hat.

Freundschaft, Gespräche und Briefe sind eng miteinander verbundene Ausdrucksweisen eines anthropozentrischen Geistes. Ihr gemeinsames Leitmotiv ist Ehrfurcht vor dem Menschen, Liebe zu ihm und ihre gemeinsame Voraussetzung – die Muße.

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Elke
Elke
13 Jahre zuvor

Welch ein Glück, dass das Medium Internet solche Schätze des Geistes und der Seele einer großen Frau so leicht verbreiten kann. Tiefer Dank aber gebührt auch der Autorin dieser Zenta- Maurina- Serie, dass sie uns einmal wieder den Kopf auf diese unvergänglichen Schätze stößt: Z. M. macht immer einen besseren Menschen aus mir, wenn ich sie lese. Man sollte ihre Bücher wieder mehr verbreiten.

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