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Mathilde Ludendorff – 4. Teil

Ist denn nicht das Sehnen nach Wahrheit
das Göttliche selbst in uns?
Mathilde Spieß
(16jährig)

Zur Lebens- und Schaffenszeit der Philosophin Mathilde Ludendorff gab es für Frauen außerhalb des Haushaltes kaum Möglichkeiten, sich zu entfalten. Das Mutteramt fordert zwar den ganzen Menschen, zumal damals, als unsere heutigen technischen Hilfsmittel noch nicht zur Verfügung standen.

Aber wo blieben die Früchte weiblichen Schöpfer-tums? Männern standen alle Türen offen. Sie konn-ten sich von ihren Frauen den Alltagskram fernhalten lassen und sich ihrem Werk hingeben. Aber die hochbegabten Frauen – wo blieb für sie die Freiheit, Werke zu schaffen, auf welchem Gebiet auch immer!

Welche Hürden nun für sie als Angehörige eines mindergeachteten Geschlechtes bis zur Hochschul-reife zu nehmen waren, das schildert sie in ihren spannenden Lebenserinnerungen, so auch, wie die

Mathilde Spieß

„Schaffende … schon in den Kinderjahren an(fing), ohne dies zu wissen, sich den schwersten Stein wegzuwälzen, der sie von dem herrlichen Lande des Ge-staltens absperren wollte.

Soviel kann ich nur sagen, daß meine Seele von frühester Kind-heit an hellhörig war für die gro-ßen und kleinen Demütigungen des Frauen-stolzes und Knebelungen der geistigen Frei-heit …“

Im Laufe der Zeit ahnte sie 

… wohl dumpf, daß der Quell meines Schaf-fens erst sprudeln konnte, nachdem ich durch Forschen all die Vorurteile von der „geistigen Minderwertigkeit des Weibes“ widerlegt und in meinem Werke „Das Weib und seine Bestimmung“ wortgestaltet hatte“.

Und sie wunderte sich über ihre Zeitgenossinnen und -­genossen und könnte sich bis heute über so manche von ihnen wundern:

„Lange Jahrzehnte nach meiner Kindheit und Jugend sollte ich erst erfahren, daß meine Empörung gegen die christliche Geringschät-zung des Weibes, gegen ihre Entmündigung in Ehe und Volk tief im deutschen Erbgut be-gründet liegt …

Ihr war unbegreiflich, wie sie schreibt, wie die andern 

Mädchen gegenüber den erlauschten und erlittenen Demütigungen so stumpf sind, und die zu solchem Bewußtsein erwachten deut-schen Männer sich so zähe an die fremden christlichen Wertungen klammern, die ihnen so viel Reichtum des Lebens nehmen.“[23]

seit 14 Tagen Mutter – 1906

Die heutige Entartung zum Gender-Wahnsinn hat sie ja noch nicht einmal mehr miterlebt. Bei Mathilde Luden-dorff – sie war schon Mutter gewor-den – gesellte sich ihrem Stolz immer deutlicher ein Mahnen zu noch wei-tergreifender Verantwortung zu:

„Seltsam, obwohl das Mutterglück mich so tief getroffen hatte –“

auch hier also wieder das passive Erleben dessen, was mit ihr geschah: es hatte sie „getroffen“ –,

obwohl ich nicht von meinem Kind zu trennen war, kam mir in stillen Stunden aus der Seele Tiefen immer wieder ein ernstes Mahnen, als ob ich pflichtvergessen sei … Wieder und wieder tauchte es auf und mahnte mich da-ran, daß noch andere Pflichten meiner harr-ten. Nie aber konnte ich erkennen, welche denn?[24]

Das Erkennen solcher „Pflichten“ sollte sich wenige Jahre danach ereignen, als „jene seltsame Klarheit, jene Überwachheit“ sich immer öfter und bestän-diger in ihr einstellte.

Diesem „schauenden Erkenntnistyp“ waren auch – wie sie schildert – die

gewaltigen Natureindrücke ganz wesentliche Voraussetzung zum Schaffen, die bei den Klettertouren bei manchem Versteigen im Fels, bei manchem Unwetter oder bei Ski-touren durch Wettersturz unerwartete, manchmal allzu ernste Gefahren brachten.

Sie

haben in mir seelische Kräfte geweckt, ohne die wohl mein Schaffen niemals wach gewor-den wäre.

Auch hier wieder das Mit-sich-Geschehen-Lassen.

„Es blieb in jenen Jahren nur bei einem Erwachen“,

berichtet sie weiter. Der „unerbittliche Ernst der Naturgesetze“ habe sich aber in ihre Seele eingegra-ben, an denen sie bis dahin, wie ihr schien, „mit abgewendeten Augen singend vorübergezogen“ war.

Als weitere wichtige Voraussetzung empfand sie ihre

Eigenart, die mir in frühester Jugend schon Ereignisse bestimmter Art tief nachwirksam in der Seele machte, und die mich, mochte der persönliche Anteil an dem Ereignis auch noch so tief gehen, nicht an dem Persönli-chen des Erlebnisses haften ließ. Ich nahm bald das tiefer liegende Allgemeine, das da-runter erkennbar war, wahr und bereicherte meine Erfahrung daran.[25]

Ihr Schaffens-Geschehen beschreibt sie, soweit es sich in Worte fassen läßt:

Als ich aber dann mit dem Schaffen begann, da wuchs mir wieder das Buch unter den Händen. Hier ging ich nicht mehr von Be-weisführungen durch Statistiken aus.

Nein, von den Tatsachen der Entwicklungs-geschichte, von ihren Gesetzen … ging ich aus und erlebte nun weit mehr als in dem ersten Werke, wie reich die Intuition im Schaffen selbst in mir geweckt wurde und mich zu Erkenntnissen führte, die ich ebenso wenig wie ein Leser meines Buches zuvor gehabt hatte.

So fing schon hier jener seelische Zustand der Überwachheit im Schaffen an … Auch die Merkwürdigkeit, die sich in der Zukunft je-desmal wiederholte, zeigte sich hier schon, daß ich mich zu solchen Schaffensstunden nicht etwa vorbereiten, daß ich auch nicht etwa völlig verschont bleiben müßte von den Sorgen des Lebens, von den Alltagspflichten, von Arbeit in Fülle.

Nur anderes gab es damals und würde es auch zur Stunde noch geben, das mir Schaf-fen stören könnte: Häßliche Kleinlichkeit, schäbige Charakterzüge, Unfriede, der sich in meine nächste Umgebung drängt; die konn-ten das Schöpferlied der Seele manchmal verstummen machen.[26]

Weitere Stellen aus ihren Lebenserinnerungen zeigen das passive Empfangen der Erkenntnis, zu der ein aktives Wollen niemals gelangen könnte. Gerade die-se Tatsache ist die wichtigste Erkenntnis Mathilde Ludendorffs:

Nach unermeßlich langen Zeiten, die die Entwicklung der Erscheinungswelt benötigte, um ihr Ziel zu er-reichen, das Großhirn des Menschen, ist mit dem darin enthaltenen Ich gleichzeitig die göttliche Frei-heit in der Schöpfung wiedererlangt. Denn die Er-scheinungen sind räumlich und zeitlich begrenzt und den Gesetzen der Ursächlichkeit unterworfen. Das Erleben im Ich des Menschen ist wie das Göttliche selbst frei von den Begrenzungen, die der Erscheinungswelt anhaften.

Im Ich des menschlichen Großhirns, der nun ent-standenen „einzigen Stätte der Freiheit im All“[27] kann sich nun dieses Sich-Offenbaren des Göttlichen ereignen. Und es ereignet sich „ursachlos wie Gott selbst“.

Dieses Geschehen läßt sich nicht herbeiführen, weil das Göttliche sich nicht zwingen läßt. Zwang wäre Verursachung. Das Göttliche bliebe verhüllt. Eine versuchte Verursachung göttlichen Erlebens ist von vornherein zum Scheitern verurteilt.

Daher bringt allein der „schauende Erkenntnistyp“* die Voraussetzungen mit, der Wahrheit des Gött-lichen ins Antlitz zu schauen. Der „schauende Er-kenntnistyp“ weiß dann, wovon er spricht.

*) Fachausdruck geprägt von der Philosophin Annegret Stopczyk, siehe Adelinde

Sein passives Sich-ereignen-lassen-Können ist die einzige Möglichkeit, zur Göttin Sophia, zur Weisheit zu gelangen. Wer über das Göttliche Wahrheit be-richten will, braucht ihr Erschauen.

Denn, wie schon Kant feststellte, ist Erkenntnis der Erscheinungswelt nur à posteriori, nach Anschauung, möglich – so auch Erkenntnis des Göttlichen.

Der Vernunft ist das Göttliche verschlossen. Wenn sie über es Aussagen machen möchte, so bleiben ihr lediglich Vermutungen. Ihr fehlt die Anschauung von dem, worüber sie spricht.

So mußte Mathilde Ludendorff auch ihren beiden verehrten Vorgängern Kant und Schopenhauer das Zeugnis ausstellen,

aus Sehnsucht nach überschauender Klarheit über die Grenzen ihrer eigenen Erkenntnis hinausgegriffen (zu haben). Dadurch standen ihre Behauptungen keineswegs im Einklang mit der Tatsächlichkeit.“[28]

So verdankt ihr einzigartiges Werk „Schöpfungsge-schichte“ sein Entstehen wie sie schreibt, dem Um-stand, daß sie sich

in wunderbaren Sommersternennächten … diesem köstlichen Schaffen hingeben (durfte, das) ja ausschließlich aus dem Wesen der Schöpfung geboren, einer Mitarbeit der Ver-nunfterkenntnis nicht bedurfte … Was hier erschaut wurde, war jenseits der Grenzen der (Vernunft-)Erkenntnis.

Sie lebte da

… in dieser heiligen Pracht, in dieser ge-waltigen unermeßlichen Welt der kreisenden Gestirne, wie ich einst in den Seelen der un-sterblichen Einzeller gelebt hatte.

Sie taucht ein in die Erscheinungen und erlebt sie in ihrem Wesen.

Wie selbstverständlich ward mir da die Wahrheit –

Auch hier läßt sie Erkennen geschehen, die Wahrheit „ward“ ihr:

Wer die Rätsel der Menschenseele als Wille enthüllen will, der muß den gewaltigen Weg der Entwicklung hin zur Bewußtheit … von Urbeginn an schreiten …

Ich werde zurückschreiten bis hin zu den stumm kreisenden Urwelten … werde mit diesen Milliarden glutender Sonnen eins werden … werde dann weitere Zeiträume zurückschreiten bis zur ersten Erscheinung des Weltalls, um zu erleben, welcher göttliche Wille jeweils als Kraft Erscheinung wurde, die zum fernen Ziel hinführte.

In einer der folgenden Nächte

kam das Erhabenste: Es kam in dieser Nacht das Erschauen des Schwindens des Weltalls in seiner stillen Feierlichkeit, in seiner Einfach-heit und seiner großartigen Unerbittlichkeit … sinnvolle Verhüllung göttlichen Willens … Heimkehr in das Jenseits, Heimkehr der See-len, Heimkehr der Stoffe des Alls, Lösung von aller Verwebung an die Formen des Seins.

Dies Geschehen in ihr erschöpfte ihre Körperkraft:

Nach dieser Nacht mußte ich mir eine Woche Ruhe lassen, zu Kräften zu kommen und das Durchlebte abklingen zu lassen, ehe ich es wagen durfte, dies Schwinden des Alls in Worte zu fassen.

Und doch ergriff mich nach dieser Woche die Niederschrift noch so tief, daß meine Freun-din, die ins Zimmer trat, sichtlich über mein Aussehen erschrak; ich winkte ihr ab – war noch eine Stunde schweigsam bei meinem Werke – und mußte dann noch das Weiter-leben lernen![29]

Wen wundert es, wenn dies Erleben und Gotterken-nen von den meisten Menschen nicht nachvollzogen werden kann, vor allem von Menschen mit Vorurtei-len verschiedenster Art?

Mathilde Ludendorff wollte ihre Gotterkenntnis in Worte fassen,

die auch fernsten Geschlechtern ein Gleichnis des Erlebens sein (konnten). Ja, fernsten Geschlechtern; an sie nur dachte ich dabei!

Somit ist es gut, daß nur wenige ihrer Zeitgenossen sich den Weg zu ihrem Werk freimachen und ihr Erkennen mitverfolgen können. Es werden andere Zeiten kommen mit Menschen, die – in größerem Abstand zum Jetzt und Hier – den Zugang zu ihr leichter finden.

Mit der Veröffentlichung ihr Innerstes damit preis-zugeben, war ihr zunächst ein unerträglicher Ge-danke. Dann aber wurde ihr klar, daß sie ihr Werk einer ihr

– „wohltuenden Gleichgültigkeit der Millionen“ gäbe,
– einem „schmerzenden Mißverstehen der Tausende,
– der erkennenden Aufnahme der Hunderte und
– dem seltenen kongenialen Miterleben Einzelner …“

Jedes Kulturwerk trägt seine Hüllen um sich, die nur der durchdringt, der sie auch getrost durchdringen mag.“[30]

Ein solcher Mensch müßte wie die Schöpferin der Gotterkenntnis ein „schauender Erkenntnistyp“ sein.

_______________

Anmerkungen

[23] Lebenserinnerungen, Band 1, Kindheit und Jugend, Neudruck Pähl 1974, S. 174-175

[24] ebd., Band 2, S. 169

[25] ebd., Band 3, S. 30

[26] ebd., S. 53 ff.

[27] Mathilde Ludendorff, Des Menschen Seele, München 1941, S. 44

[28] Lebenserinnerungen, 3. Band, a. a. O., S. 56

[29] ebd., Band 4, S. 83 ff.

[30] ebd., Band 3, S. 102

 

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Drusius
Drusius
14 Tage zuvor

Was können wir für unsere Zeit erkennen:

Der globale Prädiktor will China als Führungsmacht sehen, deswegen wird Rußland wirtschaftlich an China gebunden und aus Europa ausgeschlossen, da Europa aus der aktiven Wirtschaftszone verbannt wird – bis auf die Visegrad-Gruppe, die eine Zone der Hochtechnologie werden soll.

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