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Mathilde Ludendorff – 3. Teil

Wir sind gewohnt,
daß die Menschen verhöhnen,
was sie nicht verstehen.
Goethe

In den vergangenen 100 Jahren seit Entstehen der ersten philosophischen Werke Mathilde Ludendorffs war das Urteil über sie gegensätzlich. 

Gottfried Feder hatte einst den „Trommler“ Hitler zur Philosophin ins Haus mitgebracht, in der Hoffnung, daß die Aussagen ihrer Philosophie das Denken des zukünftigen Führers zu vertiefen und ihn zu mäßi-gen vermöchten. Die Kraßheit seiner Antwort sagte dann mehr über ihn, als ihm recht sein konnte.

Mathilde Ludendorff aber hat sich nie verziehen, auf die Bitten Gottfried Feders eingegangen zu sein und diesem Mann ihre „Perlen hingeworfen zu haben“. 

Eine ungeheure Hetze gegen sie setzte von Seiten der Genossen der aufsteigenden nationalsozia-listischen Partei ein, wie sie wohl nur zu Zeiten der Hexenverfolgung einstmals stattgefunden hat. Und die Deutschen durften von der SA an Wände ge-schmiert lesen: „Mathilde verrecke“.

Sie zeigte sich über solche Niedrigkeiten erhaben, unangreifbar, obwohl sie in den Augen von Zeitge-nossen zur Unperson geworden war. Ein eindrucks-volles Beispiel eines Herausragenden einmal wieder, der von seinem Volk nicht verstanden, aber beneidet und niedergemacht wird.

Dennoch schien es sich zu lohnen, über sie in Dok-torarbeiten zu schreiben, die den Doktoranden auch tatsächlich den erstrebten Doktortitel erlangen lie-ßen. So vermeldet Frank Schnoor 2001 in seiner Doktorarbeit über „Mathilde Ludendorff und das Christentum“:

„Die Sprache der Schriften ist betont nicht-philosophisch, Fachtermini werden vermieden oder mit Übersetzung versehen“.[1]

Ihre Sprache entspricht nicht der Norm, die in philosophischen Fachkreisen als die gültige hoch-angesehen ist. Dieser Norm entspricht seit zwei-einhalb Jahrtausenden Nüchternheit, Unanschau-lichkeit, theoretische Konstruktion, ja bloße Wortspielerei, kurz die Vorgehensweise des alles zerteilenden Logos, der grübelnden Vernunft, der das Göttliche in der Erscheinungswelt verschlossen bleibt, wie Immanuel Kant klar und für alle Zeiten gültig festgestellt hat.

Auf ganz andere Weise ist tatsächlich Mathilde Ludendorff dazu gekommen, ihre Werke zu schrei-ben. Die Philosophin Annegret Stopczyk spricht bei Philosophen dieser Erkenntnisweise vom „schauen-den Erkenntnistyp“. Auch sie, ohne sich auf Mathilde Ludendorff zu berufen, wird von der Antifa, wie sie sagt,

„inquisitorisch niedergemacht.“

Da haben die heutigen Linksextremisten also mit den einstigen „Nazis“ viel gemeinsam. In der Antifa-Zeitschrift „Rechter Rand“ wird – wie Stopczyk sagt – versucht, ihr letztes Buch

mit dem Stempel „rechtes faschistisches Lager“ politisch zu kriminalisieren.  

Ihr Verbrechen in den Augen der Antifa: Sie steht zur

„Mütterlichkeit als Frauenideal der Tiefe“,

wie die Philosophin Helene Stöcker in ihren Werken ausführt, mit denen sich Stopczyk sehr eingehend auseinandergesetzt hat.

Dies nur zur Kennzeichnung unserer Gegner und um ein Licht auf Annegret Stopczyk zu werfen, die den Ausdruck „schauender Erkenntnistyp“ geprägt hat, den sie z. B. auch in Giordano Bruno sieht. Sie sagt:

„Bruno sah sich nicht als Subjekt seiner Erkenntnisse, er verstand sich nicht als Macher und Hervorbringer, sondern wie Parmenides als ein von Diana (also vom Göttlichen) geführter Mann …

Gleichzeitig präsentierte er sich nicht als Aktiver, wie es sich seit Aristoteles für einen Vernunftmann gehörte, sondern als passiver, schauender Erkenntnistyp.“[2]

Passivität gehört zu den für „weiblich“ und damit seit Aristoteles und seinen Lehrern Platon und Sokrates für minderwertig eingeschätzten Verhaltensweisen. Werfen wir also zuvor einen Blick sowohl auf Parme-nides wie auf Bruno!

Der Vorsokratiker Parmenides von Elea[3] erkannte, daß unsere Wahrnehmungen von der Welt der Er-scheinungen nur eine Scheinwahrheit wiederspie-geln, während die wirkliche Welt „das Sein“ sei: die unveränderliche, ungeschaffene, unzerstörbare, ewige Wirklichkeit ohne jede Bewegung und Verän-derung.

In mythischen Bildern schildert er sein Einswerden mit dem Göttlichen.

„Die Stuten, die mich tragen, soweit mein Herz nur begehrt, geleiteten mich, seitdem sie mich auf den kundenreichen Weg der Göttin geführt …“

Er wird also getragen, ist selbst passiv, und dies Getragen-Werden, soweit das Herz nur begehrt, das währt, seitdem er zur Göttin, zum Göttlichen geführt wurde. Er erzählt weiter:

Auf diesem Weg ließ ich mich tragen; denn auf diesem trugen mich die verständnis-reichen Stuten, indem sie den Wagen zogen, und Jungfrauen wiesen den Weg … zuvor-kommend empfing mich die Göttin …:

„Junger Mann, der du in Begleitung unsterb-licher Wagenlenkerinnen mit den Stuten, die dich tragen, unser Haus erreicht hast, sei willkommen!“

Parmenides ließ sich tragen und führen, noch dazu von weiblichen Kräften „auf kundenreichem Weg, der den wissenden Mann über alle Städte hin trägt“[4] zur Göttin, wie er schreibt. Er kleidet sein erhabenes Erleben in mythische Sinnbilder.

Gleiches erfahren wir bei Giordano Bruno, der die „Vorsokratiker“ lobt, die noch ganzheitlich und in den Bildern der alten Mythen dachten, der aber den „Sokratismus“ zurückweist, den „Sokratismus“ – wie er die neuaufgekommene Denkungsart nennt, die einzig die Vernunft als Erkenntnisfähigkeit gelten läßt und die den Zugang zur Weisheit der Mythen verloren hatte.

Bruno lehnt auch den Dualismus Platons scharf ab und schilt die „Dürftigkeit“ des Übervaters moderner, bis heute vorherrschender Denkweise, nämlich die des Aristoteles, der – wie Bruno schreibt –

niemals müde wird, das, was in Natur und Wirklichkeit ungesondert ist, im Verstande zu sondern.[5]

So lesen wir es in seinem Werk „Von der Ursache, dem Prinzip und dem einen“. In seinem Werk „Von den heroischen Leidenschaften“[6] finden wir seine Anknüpfung an die Vorsokratiker in der mythisch-bildhaften Wiedergabe seines Erlebens, daß die menschliche Seele in ihrer Suche nach Erkenntnis und Weisheit dem Jäger Aktaion gleiche, der der Göttin Diana nachjagt und – wörtlich:

dem vom Schicksal gewährt ist, Diana unver-hüllt zu schauen und dahin zu kommen, daß die schöne Liebesgestalt der Natur ihn ganz verzaubert, und der dann, durch die beiden Augen, durch die er den Glanz göttlicher Güte und Schönheit wahrgenommen, in den Hirsch verwandelt wird und fortan nicht mehr Jäger, sondern gejagtes Wild ist.

Diese Sprache des Mythos will sagen: Durch seine eigenen Augen, wohl besser: durch das innere Auge, das das hüllenlose Göttliche geschaut hat, wird er selbst in ein gejagtes Tier verwandelt.

Denn das letzte und endgültige Ziel dieser Jagd“, sagt Bruno, „ist eben das, jene flüchti-ge und wilde Beute zu erreichen, durch die der Erbeuter selbst zur Beute, der Jäger zum gejagten Wild wird.

Das heißt mit anderen Worten: Wer das Göttliche schaut, wird von ihm eingenommen.

„Doch wer seine Jagd auf einzelne Dinge richtet“, fährt Bruno fort, „gelangt … schließlich dazu, diese … Dinge an sich zu reißen, indem er sie mit dem Munde der eigenen Erkenntnis erfaßt … – er meint die alles zerteilende Vernunft – bei jener gött-lichen und allumfassenden Jagd aber vollzieht sich das Fangen so, daß auch er notwendi-gerweise gefangen, aufgesogen und geeint wird.

Dadurch wird er aus einem gewöhnlichen, durchschnittlichen und dem alltäglichen Volk angehörenden Menschen zu einem wilden Wesen, wie ein Hirsch oder ein Bewohner der Wildnis; gleichsam göttlich lebt er in der Erhabenheit des Waldes, in den nicht durch Menschenkunst gestalteten Gemächern höhlenreicher Berge, wo er den Ursprung der großen Ströme bewundert, wo er von den gewöhnlichen Begierden unberührt und rein dahinlebt, wo die Gottheit freier umgeht … so daß er nun nach seiner Diana nicht mehr wie durch Ritzen und Fenster zu spähen braucht, sondern die trennenden Wände niederwirft und angesichts der ganzen Weite des Hori-zonts ganz Auge wird.

So schaut er das Ganze wie ein Einziges und sieht nicht mehr durch Unterscheidung und Zählung, wie sie sich aus der Verschiedenheit der Sinne ergibt, durch die man wie durch Ritzen nur in verworrener Weise wahrnehmen kann.“

Hier treffen wir auf deutliche Parallelen des Erlebens Giordano Brunos, des Italieners (mit deutscher Mut-ter) aus Nola, zu dem der deutschen Philosophin Mathilde Ludendorff, die in ihrem Werk „Selbst-schöpfung“ den Seelenwandel beschreibt, der sich in der Gott schauenden Seele vollzieht, ja, der Voraus-setzung für Gotterkennen ist.[7] Dort heißt es:

Gottesbewußtheit bedingt Einklang der Seele mit Gott …
Gottesbewußtheit bedingt Wahlverschmel-zung mit Gott …
Gotteinheit aber bedingt Erlösung vom unvollkommenen Sein.

Das „unvollkommene Sein“ (M. L.) mit seinen „ge-wöhnlichen Begierden“ (G. B.) ist die Folge des Selbsterhaltungswillens, der – wie Mathilde Luden-dorff darlegt – im Menschen von der göttlichen Einheit des Alls abgesondert und ohne Rücksicht auf sie darauf aus ist, Lust zu häufen und Leid zu meiden.

Und wie Bruno bedient sich auch Mathilde Luden-dorff eines Naturbildes, um die Erhabenheit des Gotterlebens zu versinnbildlichen:[8]

Stille harret auf einsamer Höhe, lautlose Stille,
Das Schweigen lauschet mit uns auf nächtlich umdunkeltem Gipfel.
Ein heiliges Klingen hebt an, das Werdelied der vollkommenen Seele.

In diesem „Werdelied“ führt Mathilde Ludendorff in ihrem Werk „Selbstschöpfung“ ähnlich dem Bruno-schen Bild von den „Ritzen und Fenstern“ das Bild des Seelenkerkers vor Augen, aus dem sich die Seele selbst befreit, indem sie Steine aus den Mauern herausbricht und somit Licht und Luft hereinströmen läßt, bis ihr einst der Abflug ins Unendliche gelingt und sie der Mauern für immer ledig ist, die sie von der in Allem waltenden Gottheit getrennt haben.

Bei Bruno „wirft“ die Seele „die trennenden Wände nieder“ und wird nun angesichts der ganzen Weite des Horizonts „ganz – schauendes – Auge“.

Für Mathilde Ludendorff war das Hochgebirge seeli-sche Heimat und zugleich Sinnbild menschlicher Seelenverfassungen. Dort auf dem Rofan, im Angesichte des Todes bei der Grablegung ihres Ehemannes Gustav Adolf v. Kemnitz,

„kam jene seltsame Klarheit stärker denn je zuvor über mich, jene Überwachheit, wie sie in der Zukunft das große Schaffen der Werke meines Gotterkennens mir dann wieder und wieder schenkte.“ [9]

Die Gottschau – Mathilde Ludendorff bezeichnet sie auch als Überbewußtsein – läßt beide Philosophen zu Dichtern werden. Bruno wird deshalb auch – mehr oder minder herablassend – als „Dichterphilosoph“ eingestuft.

Mathilde Ludendorff wird ihr „Stil“ angekreidet. Sie berichtet selbst über ihre Gedanken zur Sprache der Philosophie:

„Während die Wellen des Sees mir zu Füßen rauschten, lag ich jeden Tag am Strand … und schrieb ungestört nieder, was leise und dann lauter und immer herrlicher zu klingen begann.

Ich … erkannte im Schreiben, daß es Dichter-sprache wurde. Wie seltsam! Wenn ich zuvor bei Kant gelesen, wie er die Hoffnung aus-sprach, daß seine Erkenntnis wohl irgend-wann einmal von einem Dichter in die geho-bene Sprache der Dichtkunst gekleidet werde, da hatte ich ihm im Geiste geantwortet:

„Ach, lieber Kant, das hast du vergeblich erhofft, denn hier könnte nur der dichten, der das schöpferische Erleben der Erkenntnis gehabt hat.“[10]

Über das Erleben, das dem Beginnen mit dem Prosateil ihres ersten philosophischen Werkes vorausgegangen war, berichtet sie:

Es waren nur wenige Tage vergangen, da ging ich von der Sprechstunde aus an den Kramer-hang auf jenem Weg, den ich schon so man-ches Mal im Mondschein aufgesucht hatte, bis hin zu einem einsamen Waldplätzchen, das zwischen Tannen die erhabene Zugspitz-gruppe freigab, und ließ des Erlebens Allge-walt, das ich in den Felsen jüngst gehabt, wieder über mich kommen … meine überwa-che Seele erlebte mit unbeschreiblicher, erhabener Schönheit und Kraft den Sinn des Lebens aller bewußten Seelen.“[11]

Mathilde Ludendorff „ließ des Erlebens Allgewalt wieder über“ sich „kommen“. Sie war nicht die „Macherin“, passiv ließ sie es über sich kommen. Früher schon, Jahre vor Beginn ihres philosophischen Schaffens, war in ihr unversehens etwas entstanden, dessen Nichtvergehen sie sich wünschte, was man aber nicht aktiv herbeibefehlen kann:

O diese köstliche Klarheit, dieses Überwach-sein, möchte es doch nie mehr schwinden, so sehnte ich. Aber weiter, als zu der Gewißheit, daß sich hier der Weg zu den heiligen Rätseln öffnete, drang ich nicht, denn durch „Nach-denken“ läßt sich diese leuchtende Klarheit nichts abringen![12]

Philosophen dieser Art „passen weder ins abend-ländische noch ins morgenländische oder asiatische Herrschaftssystem“, stellt Annegret Stopczyk sehr richtig fest.

Der Doktorand der Theologie Frank Schnoor gehört dem Herrschaftssystem innerhalb seines Christen-tums noch an. Aus diesem, seinem Blickwinkel zitiert er Erich Ludendorff, der das Schaffen seiner Frau aus nächster Nähe beobachten konnte:

Es ging von meiner Frau die höchste Weihe aus, wenn sie in tiefster Empfindsamkeit oft in transzendentaler Schau die Werke gestal-tete.[13]

Schnoor versieht das Wort „Schau“ mit einem „[sic.]“; er scheint hier einen kennzeichnenden Ausdruck entdeckt zu haben, mit dem Mathilde Ludendorff das „Nichtphilosophische“ nicht nur ihrer Sprache, son-dern ihrer Werke insgesamt seiner Meinung nach selbst verrät: die „Schau“, vermerkt er,

„also ein aus der mystischen Tradition stammender Begriff“.[14]

Mit seiner Schublade „Mystik“ will er Mathilde Ludendorffs Philosophie abqualifizieren. Er scheint überzeugt zu sein, damit die richtige Wahl getroffen zu haben, denn er setzt das Wort „philosophische“ ebenso wie das Wort „Werke“, wenn sie diejenigen Mathilde Ludendorffs betreffen, stets in Anfüh-rungszeichen und nennt ihre Werke „Schriften“, ja versteigt sich gar dazu, sie „monomanische Ela-borate“ zu nennen, zu Deutsch: unter Zwangsvor-stellungen hervorgebrachte Machwerke, denen er nicht dadurch (wörtlich)

„zuviel der Ehre antun“ wolle, daß er „alle Gesichtspunkte“ der Philosophie Mathilde Ludendorffs „nachzeichnete“.

Dennoch sieht er sich – wie er schreibt – zu einer „gewissen Ausführlichkeit“ gezwungen,

„wegen der z. T. recht eigentümlichen Vorstellungen und der spezifischen Terminologie“ Mathilde Ludendorffs.[15]

Es ist immer wieder erstaunlich, zu welcher Arroganz sich solche Grünlinge in ihren Urteilen Mathilde Ludendorff gegenüber berechtigt sehen.

Etliche neuere Doktoranden seiner Kategorie wie z. B. auch Annika Spilker erfreuen sich ja heute mit ihren oberflächlichen, zeitgeistig beschränkten, diffamierenden Doktorarbeiten des Glanzes eines Doktortitels.

Mit seiner Einschätzung und Polemik stellt Schnoor sich hier als ein Theologe ein Zeugnis aus, das ihn selbst kennzeichnet. Unfähig, den schöpferischen Zugang der Philosophin zu ihrer Gotterkenntnis nachzuvollziehen, ist ihm der ungeliebte Gegenstand seiner Doktorarbeit bei allem Fleiß innerlich fremd geblieben. So kann er sich zur Verstärkung seiner Darstellung, daß – wie er schreibt –

diese Schriften doch oft eine straffe Struktur und Gedankenführung vermissen (lassen), was ihre Lektüre nicht gerade erleichtert,[16]

nicht verkneifen, eine überaus gehässige Auslassung eines feindlich gesonnenen Zeitgenossen Mathilde Ludendorffs anzuführen, wie es ihm auch darum zu tun zu sein scheint, Erich Ludendorffs Autorität in dessen „Beurteilung seiner späteren Frau und ihrer Ideen“ in Frage zu stellen, eine Beurteilung, die Schnoor, wie er schreibt,[17]

„– sehr vorsichtig gesagt – extrem positiv“

findet, und er läßt den ehemaligen Adjutanten Erich Ludendorffs, Wilhelm Breucker, „bezeugen“:

… der General wurde ihr hörig, wie nie ein Mann einer Frau hörig geworden ist.[18]

Mathilde und Erich Ludendorff

Wir sind nun vollends in die Giftküche patriarchalen Spießertums abgeglitten. Wie hätte ein Erich Luden-dorff in der Dumpfheit einer solchen dem Zeitgeist verhafteten Welt verstanden werden sollen, wo ein Mann sich „unmöglich“ macht, wenn er seine Frau in ihrem Denken ernstnimmt?

Seiner Zeit weit voraus und erhaben über Be-schränktheit und Häme der Zeitgenossen, gab Erich Ludendorff aus seelischer Kongenialität und daher Fähigkeit zur Hochachtung vor dem Geistesschaffen seiner Frau das Beispiel eines außergewöhnlichen, freien Mannes, der mit seiner Frau eine Ehegefähr-tenschaft auf geistiger, seelischer und charakter-licher Augenhöhe lebte.

Das war damals neu und einzigartig, ja läutete grundlegenden Wandel in dem weltweiten, etwa 2500 Jahre alten krassen Geschlechter-Mißverhältnis ein und steht in vollständigem Gegensatz zur extrem patriarchalen Herrenmenschen-Mentalität der sei-nerzeitigen NS-Diktatur.

Das Vorbild, das Erich Ludendorff auch hier gab, ist als eine starke Kraft in der Frauenbewegung einzu-stufen.

Schnoor gibt ein paar Kostproben aus jener Zeit. Er zitiert zum Beispiel den Reichsführer SS Himmler:

Wenn ich je glaubte, daß die Freimaurerei bestimmte Leute abschickt, um andere zu verderben, so glaube ich in diesem Falle bei Frau Dr. v. Kemnitz, daß sie geschickt worden ist, den General zu verderben.[19]

Und Breucker läßt er erzählen:

Diese Frau v. Kemnitz … stieß … bei Hitler, dem ihre Gedanken und Lehren als konfuse Wahnvorstellungen erschienen, auf brüske Ablehnung.[20]

Von Leuten solcher Art nicht verstanden und abgelehnt zu werden, ehrt schon fast. – Einen K. Hutten läßt Schnoor ehrlicherweise berichten:

Sie (Mathilde Ludendorff) war außerdem eine glänzende Rednerin – in einer Versammlung 1932 in Stuttgart konnte ich den General Ludendorff und seine Frau hören; sie stellte ihn weit in den Schatten und faszinierte die Versammlung mit der Klarheit und dem lei-denschaftlichen Schwung ihrer Rede.[21]

Bemerkenswert ist darüber hinaus, daß der Theologe den Bezug der Philosophie Mathilde Ludendorffs zur Naturwissenschaft mit seinen Begriffen „biologi-stisch“ und „mechanistisch“ abwerten will.

Als christlichem Theologen fehlt Schnoor für die sinnlich-anschauliche, ganzheitlich-lebendige Natur der Sinn. Er vertritt einen Glauben, der die Welt als gottfernes Jammertal betrachtet.

Doch gerade zum Bezug von Philosophie und Naturwissenschaft zueinander schreibt Mathilde Ludendorff in einem Brief vom 24.3.1920:[22]

Die Synthese naturwissenschaftlicher Tat-sachen und meiner philosophischen Erkennt-nisse hat mich zu einem wunderbaren Er-kennen geführt, zu einer Gotterkenntnis nicht nur dem Namen, sondern dem Inhalte nach, die dem Mann bisher verborgen blieb, weil er entweder zu wenig naturwissenschaftlicher Philosoph oder zu wenig philosophischer Naturwissenschaftler war …

Ich glaube überhaupt, daß in hochent-wickelten Frauen die höchsten Ahnungen dieser Gotterkenntnis lagen und liegen, und so wundert es mich denn auch gar nicht, daß schon wenige Jahrzehnte, nachdem Frauen in vollem Ausmaße aus der Wissenschaft schöp-fen, eine Frau diese Funde und diese Formge-staltung bringt.

 

Die Philosophin

Damit nimmt Mathilde Ludendorff den Faden zu weiblicher Weisheit wieder auf, der vor 3000 Jahren begonnen hatte, mürbe zu werden, und um 400 v. u. Z. in Griechenland vollends abgerissen war, was sich mit Ausbreitung des Christentums in ganz Europa auswirken sollte.

________________

Anmerkungen

[1] Frank Schnoor, Mathilde Ludendorff und das Christentum, Dissertation, bei der theologischen Fakultät der Universität Kiel eingereicht und für den Druck überarbeitet, Dr. Hänsel-Hohenhausen, 2001, S. 54

[2] Annegret Stopczyk, Sophias Leib, Entfesselung der Weisheit, Heidelberg 1998, S. 267-268

[3] seine Lebenszeit wird aus widersprüchlichen Berichten errechnet: entweder von 540 bis 470 oder von 515 bis 445 v. u. Z.

[4] Geoffrey S. Kirk, John E. Raven, Malcolm Schofield, Die vorsokratischen Philosophen, Stuttgart/Weimar 2001, S. 267

[5] Giordano Bruno, Von der Ursache, dem Prinzip und dem Einen, Hamburg 1993, S. 41

[6] Philosophische Bibliothek Band 398, Hamburg 1989

[7] Mathilde Ludendorff, Selbstschöpfung (Erstauflage 1923), München 1941, S. 278

[8] ebd., S. 66

[9] Mathilde Ludendorff, Lebenserinnerungen, Band 2, Durch Forschen und Schicksal zum Sinn des Lebens, München 1937, S. 296

[10] Mathilde Ludendorff, Lebenserinnerungen, Band 3, Erkenntnis – Erlösung, Pähl 1960, S. 161-162

[11] ebd., S. 98

[12] Lebenserinnerungen, Band 2, a. a. O., S. 71

[13] Erich Ludendorff, Mathilde Ludendorff – ihr Werk und Wirken, Erstauflage 1937, Pähl 1960, S. 68

[14] Schnoor, a. a. O., S. 56

[15] ebd., S. 58

[16] ebd., S. 37

[17] ebd., S. 27

[18] ebd., S. 28, zit. aus Wilhelm Breucker, Die Taktik Ludendorffs. Eine kritische Studie auf Grund persönlicher Erinnerungen an den General und seine Zeit, Stollmann o. J. (1953), S. 108

[19] ebd., 28, zit. aus „Reichsführer!“, Briefe an und von Himmler, hrg. von Heiber, H. Stuttgart 1968, 44, Nr. 14a

[20] ebd., S. 25, zit. aus Breucker, S. 108

[21] ebd., S. 31, zit. aus K. Hutten, Um Blut und Glauben, Stuttgart 1932, S. 183

[22] Lebenserinnerungen, Band 3, S. 56-57

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Drusius
Drusius
16 Tage zuvor

Nur Diktaturen brauchen Feinde.

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