Königin Luise war wie Schiller beseelt vom Geist der Freiheit – 6. Teil
Samstag, 11. Dezember 2021 von Adelinde
Das schmerzhafteste Opfer
Am 23. November trifft das Königspaar in Ortelsburg ein. Nun wird Luise schwer krank, und gleichzeitig mit den Schreckensnachrichten wächst ihr Fieber:
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Beide Mecklenburg von Napoleon besetzt;
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die Franzosen stünden schon in Thorn.
Man sieht den Zusammenhang ihres Fiebers mit ihren seelischen Leiden wegen des preußischen Un-glücks. Sie war nicht, wie immer wieder behauptet wird, „schon immer“ von „zarter Gesundheit“, son-dern sie hatte Ungeheures durchzustehen, was ihr Fieber verursachte.
Dazu kam noch der Konflikt des Königs und des Freiherrn vom Stein, den es ärgerte, daß seine Majestät auf Harden-berg so schlecht zu sprechen war.
Als Friedrich Wilhelm am 3.1.1807 an vom Stein schreibt, daß er
ein widerspenstiger, trotziger, hartnäckiger und ungehorsamer Staatsdiener (sei), der, auf sein Genie und seine Talente pochend, weit entfernt, das Beste des Staates vor Augen zu haben, nur durch Kaprizen geleitet, aus Leidenschaft und aus persönlichem Haß und Erbitterung (handle),
bittet Stein den König um seinen Abschied, den dieser ihm auch umgehend am 4. Januar gewährt.
Luise ist entsetzt: erst Harden-berg und nun vom Stein! Im Gegensatz zu ihr, die die Men-schen richtig einzuschätzen weiß, entzweit sich der König mit seinen besten Beratern.
Hinzu kam jetzt, daß sich die Russen am 1. Januar 1807 zurückgezogen hatten und nun
„kein preußischer oder russischer Soldat mehr zwischen Königsberg und dem Feinde stand“.
Nun hieß es wiederum flüchten. Luise, keineswegs genesen, schwankt keinen Augenblick:
Ich will lieber in die Hände Gottes fallen als dieser Menschen,
sagt sie zu Hufeland.
Es geht nach Memel. 3 Tage und 3 Nächte bei schneidend kaltem Wetter über die stellenweise kaum 2 km breite Kurische Nehrung. Von ihrem Nervenfieber ist sie so schwach, daß sie in ihren Wagen und bei Ankunft in das Haus des Kaufmanns Consentius getragen werden muß, das Haus des Treffens mit Alexander.
Aber o Wunder: Die Fahrt und die frische Luft hatten Luise gutgetan, ja, sie schien wie verjüngt und er-holte sich rasch.
Breslau und Brieg in Schlesien hatten sich ergeben müssen, die Provinz gebrandschatzt!
Napoleon sendet einen Boten mit dem Angebot, Preußen alle seine Länder, auch die polnischen, zurückzugeben, wenn Friedrich Wilhelm die Waf-fenbrüderschaft mit Alexander sofort aufkündigte.
Luise hat nach ihren eigenen Worten
den König auf das Innigste gebeten, fest zu bleiben und nur jetzt nicht Frieden zu schließen.
Ihre Söhne liegen schwer erkrankt mit Scharlach und Nervenfieber, als Alexander sie am 1. April besucht und unverbrüchliche Freundschaft gelobt. Luise schreibt an ihre Schwester Therese:
Unser Retter, unsere Stütze, unsere Hoffnung!
Wieder ist sie von seiner unverbrüchlichen Freundschaft überzeugt und belebt.
… denn ein feinfühlendes Herz fühlt sich beschwingt … und ich kann in Wahrheit sagen, daß Sie, teurer, vielgeliebter Vetter, einen glücklichen Einfluß auf mein Dasein ausgeübt haben.
Das Königspaar reist Alexander nach. In Kydullen bei Georgenburg führt Alexander ihm seine Garde vor, umarmt den König und ruft:
Nicht wahr, keiner von uns beiden fällt allein? Entweder beide zusammen oder keiner von beiden!
Nun endlich wird auch das preußi-sche Kabinett umgebildet. Harden-berg wird Hauptratgeber des Kö-nigs.
Seine freimütige Wärme, die nie die Ehrfurcht vermissen ließ, und seine große Geschicklichkeit beim Vor-trag, diplomatisches Geschick, brachten ihm hohes Ansehen bei Alexander.
Am 10.4. erhält Hardenberg in aller Form den Fachbereich der auswärtigen Angelegenheiten übertragen.
Mit Hardenbergs Hilfe versprachen sich aufs Neue am 20. April 1807 beide Mächte, die Waffen nie ohne den andern niederzulegen. Gleichzeitig erwirkt Hardenberg ein Abkommen mit Schweden, wonach dieses sich im Bunde mit Preußen zu energischem Vorgehen in Pommern entschloß.
Luise fährt nach Königsberg zurück. Sie kümmert sich um die Notleidenden und um die Verwundeten im Heer. Ein Augenzeuge bekundet:
Auch in einer Hütte geboren, wäre sie Königin; auch ohne Königin zu sein, huldigte ihr jedes fühlende Herz.
General Gebhard Leberecht von Blücher war im Frühjahr 1807 ein gern gesehener „Stammgast“ am abendlichen Teetische Luises. Hier in Königsberg rüstete er die Einheit aus, an deren Spitze er gemeinsam mit Schweden den Krieg gegen die Franzo-sen in Pommern führen sollte.
An ihren Vater schreibt Luise:
Bis zur dritten Woche meines Krankenlagers war jeder Tag mit einem neuen Unglück begleitet. Die gewon-nene Schlacht bei Pultusk am 26.12.1806 war das erste glückliche Ereignis nach 3 Monaten schrecklicher Leiden; die viel entscheidendere bei Preußisch-Eylau das zweite Glück und die Ankunft unseres wahren Freundes, des Kai-sers von Rußland die dritte Epoche.
Nun hab ich wieder Mut, mit der Zunahme meiner physischen Kräfte nehmen auch mei-ne Seelenkräfte und Hoffnungen zu … Ja, bester Vater, ich bin überzeugt, es wird noch alles gut gehen …
Die Belagerung von Danzig gehet gut, die Einwohner benehmen sich unbegreiflich, die Soldaten haben unbegreifliche Lasten zu tra-gen, aber die Einwohner geben ihnen Wein und Fleisch, um sie zu stärken. Sie wollen von keiner Übergabe reden hören, lieber unter Schutt begraben werden als untreu an ihrem König handeln.
Ebenso benimmt sich Graudenz und Kolberg (die beiden einzigen Festungen, die der Bela-gerung bis zum Friedensschluß standhielten). Gottlob, daß man einmal wieder auf ehrliche, ihrer Plicht getreue Menschen stößt …
Der König ist mit dem Kaiser bei der Armee. Er bleibt bei derselben, solange der Kaiser bleibt. Diese herrliche Einigkeit, durch uner-schütterliche Standhaftigkeit im Unglück, giebt die schönste Hoffnung zur Ausdauer; nur durch Beharrlichkeit wird man siegen, früh oder spät, davon bin ich überzeugt …
Am 26. Mai mußte sich Danzig ergeben.
Danzig! Danzig! ist dahin, seit gestern in französischen Händen! in diesen verhaßten, über alles gräßlichen Händen!
Nun bedrohen die Franzosen aufs neue Königsberg. Luise muß wieder fliehen – nach Memel. Dort kann sie nach ihrer Reise bei heißestem Wetter ihre Kinder in die Arme schließen.
Königsberg geht verloren.
Am 23.6. treffen Nachrichten von London ein: Unterstützung von England aus stehe nahe bevor. Größere Sendung von Waffen und Munition unter-wegs. Auch Österreich zeigt sich geneigt, Preußen mit bewaffneter Hand beizustehen.
Da kommt „Wie ein Donnerschlag für uns“ – so Hardenberg – noch vor der Abreise des Zaren nach dem Hauptquartier Napoleons in Piktupöhnen (bei Tilsit) ein Kurier mit dem einseitig abgeschlossenen Waffenstillstandsvertrag zwischen dem Zaren und Napoleon!
Gräfin Voß:
„Nun noch dieser letzte Schlag!“
Aber es war erst der vorletzte:
Friedrich Wilhelm, gezwungen, nun auch Waffenstill-standsverhandlungen mit Napoleon zu erreichen, reist mit Hardenberg nach Piktupöhnen zu einer äußerst peinlichen Unterredung mit dem Zaren.
Auf den Versuch, Hardenberg zu den Verhandlungen mit Napoleon hinzuzuziehen, erwiderte Napoleon, er würde lieber noch 40 Jahre Krieg führen, als mit Hardenberg zu unterhandeln.
Nun kommt das berühmte Treffen Luises mit Napoleon ins Gespräch. Luise schreibt dazu:
Für Preußen nahmen die Verhandlungen vom ersten Augenblick an die unglücklichste Wendung; durch viel Böswilligkeit und Haß von seiten Napoleons war zu erkennen, daß die Dinge schlecht für uns gehen würden.
Der König schrieb mir das und fügte hinzu, man glaube, daß meine Anwesenheit von einigem Nutzen sein könne.
Mein Entschluß war im ersten Augenblick gefaßt, und ich antwortete, ich würde nach Tilsit fliegen, sobald er es wünsche und sobald er glaube, ich könnte den geringsten Nutzen stiften.
Zu Hufeland sagt sie:
Das ist das schmerzhafteste Opfer, das ich meinem Volke bringe, und nur die Hoffnung, diesem dadurch nützlich zu sein, kann mich dazu bringen.
Tilsit wird als Verhandlungsort kurzerhand für neu-tral erklärt. Das Königspaar übernachtet in dem Dorf Piktupönen. Alexander sagt zu ihr:
Die Dinge gehen nicht gut. Alle unsere Hoff-nung ruht auf Ihnen, auf Ihrem Vermögen, nehmen Sie es auf sich und retten Sie den Staat.
Luise vermerkt in ihren Aufzeichnungen:
Kaum war ich angekommen, da traf der Kaiser der Franzosen ein mit all dem Pomp und dem ganzen Gefolge, das ihn immer umgibt, wenn er sich öffentlich zeigt …
Von der Unterredung selbst schreibt sie nichts, aber der Schwede Brinkmann, dem sie von der Unterre-dung mit Napoleon berichtet, hält – wie er schreibt –
…es für meine Pflicht, dabei soviel als mög-lich die eigenen Ausdrücke ihrer Majestät beizubehalten …
Im Verhandlungszimmer sind Kaiser und Königin ohne Zeugen allein.
Gräfin Voß findet den Kaiser Napoleon
…auffallend häßlich, ein dickes, aufgedun-senes braunes Gesicht, dabei ist er korpulent, klein und ganz ohne Figur, seine großen run-den Augen rollen unheimlich umher, der Aus-druck seiner Züge ist Härte, er sieht aus wie die Inkarnation des Erfolges. Nur der Mund ist schön geschnitten und auch die Zähne sind schön.
Luise fragt Napoleon:
Ist die Rache dessen würdig, der sie wider-standslos ausüben darf? … Erwerben Sie sich Rechte auf unsre Dankbarkeit, und Ihre Siege werden Ihnen doppelt Ehre machen! Ich weiß, daß wir Opfer bringen müssen, aber wenig-stens trenne man nicht Provinzen von Preu-ßen, die ihm seit Jahrhunderten gehören.
… Trotzdem Sie mir einen Vorwurf wegen der Verlängerung des Krieges gemacht haben, kann ich mir doch nicht denken, daß Stand-haftigkeit im Unglück in Ihren Augen ein Unrecht ist.
Aber Sie lassen mich immer allein sprechen, ohne auf meine Hauptfrage etwas zu erwi-dern, und doch kostet es Sie nur ein Wort, um einen vernünftigen Frieden zu schließen.
Das Herz Eurer Kaiserlichen Majestät ist zu edel, es verbindet mit seinen Eigenschaften einen zu hohen Charakter, um unempfindlich für meine Leiden zu sein.
Napoleon hatte mit Interesse zugehört. Luise meinte einen Zug der Güte um seinen Mund und in seinem Lächeln zu sehen, woraus sie auf eine Gewährung ihrer Bitte schließen konnte.
Leider trat diesem Augenblick Friedrich Wilhelm in das Zimmer. Er erschien
zur rechten Zeit, und ich würde der Königin alles versprochen haben,
sagte Napoleon später. Talleyrand sagt 1810 in einer Gesellschaft in Paris, in der auch Luises Schwester Therese zugegen war:
Als diese schöne Frau mit hoheitsvoller Miene gesagt hatte: ,Sire, der Ruhm Friedrichs II. hatte uns über unsere Mittel getäuscht‘, stand der Kaiser neben ihr wie ein Schuljunge da.
Vom anschließenden gemeinsamen Abendessen erzählt Napoleon später:
Sie leitete beständig die Unterhaltung, kehrte nach Belieben zu ihrem Gegenstande zurück und sprach mit Takt und Zartgefühl, so daß man sich unmöglich beleidigt fühlen konnte.
Und später erzählte er:
Alles, was ich der Königin gesagt habe, sind nur höfliche Redensarten gewesen, die mich zu nichts verpflichten, denn ich bin fest ent-schlossen, dem Könige von Preußen die Elbe als westliche Grenze zu geben.
Es ist keine Rede mehr davon, noch zu unter-handeln, denn ich habe bereits alles mit dem Kaiser Alexander, auf dessen Freundschaft ich großen Wert lege, verabredet.
Der König von Preußen hat seine Stellung nur der ritterlichen Anhänglichkeit dieses Monar-chen zu danken, ohne dessen Fürsprache mein Bruder Jérôme König von Preußen ge-worden und die jetzige Dynastie verjagt wäre.
Am nächsten Tag, dem 7.7.1807:
… hatten die 3 Monarchen noch stürmische Unterredung. Friedrich Wilhelm nannte im Eifer die Bedingungen, die ihm Napoleon abverlangte, erniedrigend. Dieser wurde wü-tend, bleich, gelb vor Zorn und antwortete mit blauen Lippen:
Als Zar Alexander Einwendungen erhob, er-widerte Napoleon: „Es muß immer ein ausge-sprochener Haß gegen die Franzosen in den Herzen der Preußen bestehen. Diese Völker können sich nicht versöhnen, und ich will es wenigstens in die Unmöglichkeit versetzen, mir zu schaden!“
Mit Talleyrand hatte er die Friedensbedingungen festgelegt. Und er blieb dabei. Am Abend kommt Luise hinzu. Gräfin Voß berichtet:
Er sah verlegen und zugleich tückisch und boshaft aus.
Auf der Treppe des Hauses stand Talleyrand, und bei seinem Anblick erkannte Luise, daß sie auch die letzte Hoffnung schwinden lassen müsse. Napoleon soll zu ihm gesagt haben:
Meiner Treu, Sie haben recht; beinahe hätte ich mich von der Schlauheit eines Weibes einfangen lassen.
Seiner Frau schreibt Napoleon:
Die Königin von Preußen hat gestern mit mir gegessen. Ich habe auf der Hut sein müssen, da sie mich verpflichten wollte, ihrem Gemahl noch einige Zugeständnisse zu machen. Aber ich bin (nur) verbindlich gewesen und habe mich an meine Politik gehalten. Sie ist sehr liebenswürdig.
Luise an ihre Freundin Frau von Berg:
… ich bat im Namen der Liebe und Humani-tät, im Namen unseres Unglücks und der Gesetze, welche die Welt regieren. Und ich war nur eine Frau, ein schwaches Wesen, und doch erhaben über diesen Widersacher, so arm und matt an Herz!
An ihren Bruder Georg schreibt sie:
27 Marschällen und Generälen hat er die Domänen des Königs in Polen verschenkt …Und unsere Magdeburger, Altmärker, Halberstädter usw. an Jérôme, König von Westfalen. Ist es zum Überleben, George?
Erschüttert von dem Kurswechsel Alexanders fährt sie fort:
… gute Menschen untergehen sehen, Hoff-nungen aufgeben zu müssen, die auf Tugend gebaut waren … Auf der anderen Seite aber das Böse, von dem man wußte, es lebt, es wirkt, es ist da, in der Nähe zu sehen, es aber zugleich tausendmal fürchterlicher zu finden, als je der schwache Geist es ahnen konnte, das erschüttert auch.
… da gehört Riesenkraft zu, es auszuhalten, und dennoch reicht sie nicht.
Es ist erschütternd, diese Niederlage hinnehmen zu müssen. Daß der Kaiser der Franzosen aber sehr wohl wußte, in welcher Position er sich befandt, daß er aber auch sein Ziel längst gesteckt hatte, das alles als der typische Machtmensch, das erinnert mich an unser Heute. Er – Napoleon – hatte gute Vorarbeit geleistet, nicht nur mittels seiner Armeen sondern auch politisch, das machte ihn sicher.
Ist es mit dem deep state anders?
Trotzdem: Napoleon scheiterte. Wird der deep state auch scheitern?
Dem deep state ist so eine Einzelfigur – wenn sie denn gescheitert ist – nicht mehr wichtig. Seine “Arbeit” geht trotzdem weiter. Er bringt dann Leute an die “Macht”, die auf ihre Weise dasselbe Ziel weiterverfolgen, bis heute. Auch Allerdümmste sind genehm, wenn sie nur völkerfeindlich eingestellt sind, sich als Puppen führen lassen und zu jeder Schandtat bereit sind.
Möglich, daß längst eine Gegenmacht dabei ist, Wandel zu schaffen. Wir selbst können ein Teil davon sein.