Helden!

Dem ZDF und allen Beteiligten sei Dank für die Sendungen über die Wilhelm-Gustloff-Katastrophe in der Ostsee am 30. Januar 1945! Diese und ähnliche Begebenheiten waren m. E. bisher in unserer Erinnerungskultur zu wenig in Erscheinung getreten.

Doch Fragen blieben offen, z. B. die nach den Helden. Hier treffen wir auf unterschiedliche Bewertungen in den Ländern, die damals gegeneinander Krieg führten.

Marinesko

Sein Heldentum bestand darin, mit seinem U-Boot die Wilhelm Gustloff zu umschleichen und aus günstiger Position unter Wasser 4 Torpedos auf sie abzuschießen, von denen 3 trafen. Innerhalb von 66 Minuten versank die Gustloff in der eiskalten Ostsee und riß 10 000 Menschen in den Tod, darunter rund 5000 Zivilisten, hauptsächlich Frauen mit ihren Kindern.

Eine ähnliche Heldentat gelang Marinesko wenig später mit der Versenkung der Steuben. Insgesamt hat er mit der Torpedierung dieser beiden deutschen Schiffe rund 12000 Menschen in den Tod geschickt. Welch ein Held!

Dafür ersehnte er den Ehrentitel „Held der Sowjetunion“, der ihm aber verweigert wurde. Wegen mangelnder Disziplin wurde er gar unehrenhaft aus der Marine entlassen. Später saß er wegen Diebstahls im Straflager ein.

1990, 27 Jahre nach seinem Tod, wurde ihm der ersehnte Ehrentitel dann doch noch zuerkannt. In Königsberg – heute Kaliningrad – steht sein Denkmal, und ein Pregelufer trägt seinen Namen.

Ähnlich heldenhaft waren ja auch die Taten des

Bomber-Harris

Auch ihm wurde ein Denkmal gesetzt, dessen Einweihung die Queen durch ihre Anwesenheit noch zusätzlich Glanz verlieh. Er hatte die Vernichtung der deutschen Städte mit ihrer Zivilbevölkerung geplant und die Piloten seiner Bomber-Flotten zur Durchführung der Drecksarbeit losgeschickt, selbst weiterhin in der warmen Stube verharrend. Welch ein Held auch er!

Und welchen Idealen galten ihre Heldentaten? England war auf seiner Insel sehr bald unangreifbar geworden, als die Reserven der deutschen Luftwaffe aufgebraucht waren. Doch Harris bombte weiter auf die wehrlose deutsche Zivilbevölkerung.

Der Massenmörder

Stalin

hatte seine Angriffsarmee an der Westgrenze der Sowjetunion in Bereitschaft gestellt. Seinem Angriff auf das Deutsche Reich kam die Wehrmacht zuvor. So stehen die Deutschen als die Angreifer da, und Stalin konnte die Kampfmoral seines Volkes erfolgreich mobilisieren, indem er zum „großen vaterländischen (Verteidigungs-)Krieg“ aufrief. Russische Soldaten und Soldatinnen waren beseelt, ihr Leben zum Schutz ihrer Heimat einzusetzen. Das war wahrhaft heldenhaft.

Ebenso heldenhaft haben deutsche Soldaten der Wehrmacht ihr Leben in die Schanze geworfen, um die Heimat zu schützen. Daß sie beide, Russen wie Deutsche, ganz anderen Interessen und der Machterhaltung grausamer Diktatoren dienten, das schienen damals nur wenige zu ahnen und zu sehen.

Der „Held“ und Karlspreisträger der Stadt Aachen

Winston Churchill

hatte Ende März 1936 vor dem Auswärtigen Ausschuß der konservativen Parlamentsfraktion im britischen Unterhaus deutlich gesagt, worum es ging:

Vierhundert Jahre hat die auswärtige Politik Englands darin bestanden, der stärksten, aggressivsten und am meisten beherrschenden Macht auf dem Kontinent sich entgegenzustellen … Hier liegt eine wunderbare, unbewußte Tradition der britischen Außenpolitik. Alle unsere Vorstellungen beruhen auf dieser Tradition … Bitte beachten Sie, daß die Politik Englands keinerlei Rücksicht darauf nimmt, welche Nation gerade die Herrschaft über Europa erstrebt. Es kommt nicht darauf an, ob es Spanien, die französiche Monarchie, das Deutsche Reich oder das Hitler-Regime ist; es hat nichts zu tun mit Herrschern oder Nationen: Das Prinzip betrifft ausschließlich die Frage, wer der stärkste und möglicherweise beherrschende Tyrann ist … Deshalb scheint es mir so wichtig, daß wir wieder einmal alle Kräfte Europas zusammenfassen, um, wenn nötig, eine deutsche Herrschaft zu vereiteln.

Nach der Kriegserklärung Englands an Deutschland sagte er am 3. September 1939:

Dieser Krieg ist ein englischer Krieg, und sein Ziel ist die Vernichtung Deutschlands.

Das bekräftigte er im Mai 1940 noch einmal:

Ich führe keinen Krieg mit Hitler, sondern ich führe einen Krieg mit Deutschland.

Auch die Stellungnahme der Londoner Zeitschrift The Nineteenth Century vom September 1943 ließ keinen Zweifel an Englands Kriegspolitik:

England kämpft, um die „Balance of Power“ aufrechtzuerhalten … Die allgemeine Ansicht, daß Deutschland den Krieg begann, um die Welt zu beherrschen, ist unserer Meinung nach falsch. Deutschland wünschte eine Weltmacht zu sein, aber Weltmacht und Weltherrschaft sind nicht dasselbe. Der politische Anstrich derjenigen, die das Gleichgewicht Europas bedrohen, ist völlig gleichgültig … Ein despotisches Deutschland, das nicht stark ist, ist besser als ein liberales Deutschland, das zu stark ist.

Und damit das ein für alle Mal klar bleibt, schrieb der Sunday Correspondent 1989 – auch in der FAZ am 18.9.1989 wiedergegeben:

Wir sind 1939 nicht in den Krieg eingetreten, um Deutschland vor Hitler oder die Juden vor Auschwitz zu retten. Wie 1914 sind wir für den nicht weniger edlen Grund in den Krieg eingetreten, daß wir eine deutsche Vorherrschaft in Europa nicht akzeptieren konnten.

Noch schamloser erklärte Churchill am 5. Mai 1946:

Der Krieg ging … um die Erringung der deutschen Absatzmärkte.

Auch er ein toller Held! Und von seiner Sorte gab es – abgesehen von dem unappetitlichen „Führer“ in Deutschland – seiner Zeit in Europa und Nordamerika eine ganze Reihe. Ihrer mit Wahrhaftigkeit und gerechter Bewertung zu gedenken sollte – weltweit, auch wenn’s wehtut – mehr als bisher zur Erinnerungskultur gehören.

Auf der Gustloff nun wiederum hatten doch sage und schreibe 5 Kapitäne das Sagen gehabt. Zwei von ihnen wurden dann trocken (!) aus einem der wenigen Rettungsboote geborgen. Sie waren gewiß nicht als Letzte von Bord gegangen, wie es sich nach dem seemännischen Ehrenkodex für sie gehört hätte.

Die wahren Helden

Im Gegensatz dazu wird von einer großen Zahl von Menschen berichtet, die bis zuletzt bei der Gustloff-Katastophe heldenhaft ihre Pflicht erfüllten. Da ist der

  • Arzt Dr. Richter. Er hatte für seine Abteilung vorsorglich einen Katastophenplan ausgearbeitet: „Gruppe eins“ hüllte die 4 Mütter, die an Bord entbunden hatten, in Wolldecken und bahnte ihnen mit ihren Neugeborenen den Weg zum ersten Rettungsboot, das zu Wasser gelassen wurde. „Gruppe zwei“ kümmerte sich um die Schwerverwundeten.

  • Die „Gruppen“ – das waren Krankenschwestern und Sanitäter, wahre Heldinnen und Helden, sie ihr Leben einsetzten, um das Leben anderer zu retten.

  • Der Funker Rudi Lange versucht bis zuletzt, Funksprüche auszusenden, die auf dem Torpedoboot T36 gehört werden.
  • Die Besatzung von T36 bereitet sich auf der Fahrt zum Unglücksort auf ihren Rettungseinsatz vor.

Mit geringer Maschinenkraft gleitet das Boot durch das Feld der Treibenden. Dann packen die tapferen Seeleute wortlos zu und beginnen ein Rettungswerk, das in der Seegeschichte bis auf den heutigen Tag einmalig ist,

schreibt der Gustloff-Überlebende Heinz Schön. Und ein weiterer Held ist zu nennen:

  • Der Kommandant der T36.

Der Standort des feindlichen U-Bootes ist noch immer unverändert … Backbord 15 Grad – 1400 m … Während das Torpedoboot seine Rettungsaktion ohne Unterbrechung fortsetzt, setzt das russische U-Boot zum Angriff an. Bis zum letzten Augenblick will (der Kommendant) mit seiner Besatzung ausharren und so vielen Schiffbrüchigen wie möglich das Leben retten … Jetzt eben signalisieren die Geräte ein Herumholen des U-Boot-Bugs um 30-35 Hektometer. Sofort dreht auch T36 bei, genau der U-Boot-Bewegung entsprechend, um bei einem etwaigen Torpedoschuß keine Breitseite zu bieten.

Während sich das stumme Duell zwei einander unsichtbarer Gegner unter nervenzerreißender Spannung vollzieht, merken weder die Schiffbrüchigen noch die Besatzung, was sich hinter den … Bewegungen des Torpedobootes verbirgt.

Näher als auf 800 Meter darf der Kommandant das feindliche U-Boot nicht herankommen lassen. Das wäre der Untergang. Durchs Megaphon hören die Ärmsten, die noch im Wasser treiben:

Achtung, Achtung! – Weg vom Schiff – U-Boot-Gefahr – Wir kommen wieder – Haltet aus – Wir retten euch!

Es geht um Sekunden. In diesem Augenblick kommt die Meldung:

Richtung 90 Grad – zwotes U-Boot!

Mit höchster Fahrt entkommt das Schiff den beiden herannahenden Torpedos.

Viele dieser wahren Helden blieben namenlos. Einigen namentlich bekannten konnte Heinz Schön in seinen Büchern ein Denkmal setzen. Steinerne Denkmäler werden sie sicher gern der anderen Art von Helden überlassen.