O, Brahms!
Donnerstag, 28. Februar 2008 von Adelinde
Das 19. Jahrhundert in Europa, namentlich in Deutschland, war geprägt von Nationalismus, Heldenverehrung, Geniekult und Frauenfeindlichkeit. Das Brahms-Denkmal in Wien ist ein Abbild davon.
Diese Art von Geniekult hatte Brahms zwar nicht zu verantworten. Aber er brachte es doch tatsächlich – ganz Kind seiner Zeit – fertig, beim Tonkünstlerfest 1887 in Köln zu verlangen, daß die Frauen ausgeschlossen würden. Clara Schumann erwähnt diese Peinlichkeit in ihrem Tagebuch:
Da wurden denn alle Damen ausgeladen, dann auf Frau Kwasts ernste Anfrage erlaubte er sie wieder, und nun wurden die Damen alle wieder eingeladen (die Frauen der Künstler), es blieben aber doch einige begreiflicherweise fort.
Wenn’s nicht so traurig wäre, man könnte sich amüsieren.
“Lieben Sie Brahms?” – Ich liebe seine Musik.
Vielleicht hatte er sich geärgert, daß er zu einem ihm wichtigen weiblichen Kaffeekränzchen zuvor nicht eingeladen worden war, weil die Damen unter sich hatten sein wollen? – Sehr richtig, diese Sache ist sehr empörend.
(Peter Rosegger übrigens berichtet, daß Brahms einmal ohne Voranmeldung plötzlich persönlich vor seiner Haustür gestanden hatte, daß er selbst – Rosegger – aber so sehr ins Schaffen vertieft gewesen wäre, daß er die Visitenkarte gar nicht richtig wahrgenommen hätte und sich hätte verleugnen lassen. Er sollte von Brahms nie wieder etwas hören. – Und seine Töchter sollten ihm ein Leben lang vorhalten, daß er einen der größten Tonkünstler seiner Zeit von seiner Türe fortgewiesen hätte.
Aber den Stuhl, auf dem er gesessen hatte, und auf Antwort gewartet hatte, den hielt die Familie Rosegger in Ehren.)
Viel trauriger aber finde ich noch, daß heutige Tonkünstler-Feste oft weder auf Männlein noch auf Weiblein besondere Anziehungskräfte mehr ausüben, so daß niemand wohl überhaupt nur gekränkt wäre, nicht kommen zu dürfen. Gibt es die überhaupt noch in irgendeinem, dem damaligen Fest vergleichbaren Sinne?
Aber sehr richtig: Es ist empörend, was die Geschichte alles hervorgebracht hat. Und wir müssen Ihnen dankbar sein, daß Sie den Finger auf die Wunde legen. Der Geist ist fruchtbar noch!
Nein, das heißt wohl so:
Der Schoß ist fruchtbar noch, aus dem das kroch!
Ja, der Schoß ist fruchtbar noch, aus dem das kroch, lieber Herr Meinecke. Da können wir gar nicht genug aufpassen!
Schön, Ihre Ergänzung mit der Rosegger-Geschichte!
Herzlichen Dank und Gruß
Adelinde
Tja, wenn man das heute so bedenkt – dieser Brahms, ein großer Künstler – aber doch nur ein kleines Menschlein mit groben Fehlern? Und Künstlern sagt man ja nach, sie hätten noch mehr davon als allgemein zuträglich. Künstler sind eben sehr oft Egomanen der künstlerischen Freiheit, das müssen wir eben vom Ergebnis her konzedieren und können es nicht verallgemeinernd auf die Gesellschaft übertragen. Entschuldigen soll dies nichts, es macht uns aber gelassener, oder?
Auch die englische High-Society mit ihren abgekapselten Herrenclubs, die preußischen Offizierskasinos, die geheimnisumwitterteren Freimaurerlogen, die Skatclubs, Krieger- und Schützenvereine bis ins 20. Jahrhundert hinein – alles männliche Domänen! Schadete deren Existenz den Frauen?
Wie sehr stehen sie im krassen Kontrast – und lassen sich deswegen auch nicht vergleichen – zu den damaligen großen Salons berühmter Frauen (s. z.B. Bettina von Arnim, Rahel Varnhagen oder Frau von Stein), denen geistreiche und großartige (von ars = Kunst) Männer stets willkommen waren und in denen auch erste Frauenrechtsbestrebungen erörtert wurden (Varnhagen). Auch das schadete niemanden bis auf einige erzkonservative Politiker.
In den rein männlichen Vereinigungen ging es meist (Ausnahme: Wissenschafts – und Kunstvereine) ums männliche Ego, ebenso in den weiblichen Zirkeln aller Art – vielliecht als Trotzreaktion. Diese allgemeine Tatsache der geschlechtsabhängigen Versammlungen hat seinen guten Grund in dem absolut verständlichen – jetzt aber geschlechtsunabhängigen – Bedürfnis nach Ausbruch aus dem Alltag, aus der Ehe (gilt nicht für Brahms) oder aus sonstiger Fron.
Bei dem m. W. unverheirateten Brahms gab es dieses Bedürfnis nach Ausbruch folglich nicht und es waren aller Wahrscheinlichkeit nach gewachsene Konventionen, denen er sich wenig sensibel nicht unterordnen mochte. Bei Brahms können wir überhaupt nicht von hierarschischer und geistiger Enge ausgehen. Ihn mag als Künstler etwas ganz anderes bewegt haben zu seiner negativen Entscheidung, wir wissen nur nicht, was das war. Wir können es uns aber leichter vorstellen, wenn wir das Ganze unter dem Gesichtspunkt der Funktionalität einer jeweiligen Einrichtung betrachten. Es mag dabei wohl bei ihm das Dilemma mitgespielt haben, dass Frauen einerseits – siehe auch deren kirchliche Stellung zum Thema Priesterschaft und Zölibat bis heute – in der Ansicht der maßgeblichen Hierarchen und Zeitgenossen störend im Sinne von hemmend wirken könnten, wenn es um spezifische, fachliche, hier: künstlerische Ziele und Diskussionen ging. Andererseits wurde im Manne der damaligen Zeit stets der Kavalier erwartet, der der Begleiterin aufmerksame Zuwendung schuldete. Ein Gebot der Höflichkeit (und vielleicht nicht zuletzt durch ein Suffragettentum im Übermaß beseitigt). Brahms mag es beim besagten Künstlerfest vielleicht durchaus gezielt auf eine Befreiung als Künstler von gesellschaftlichen Konventionen angekommen sein. Wir kennen das ja auch schon von Beethoven. Brahms schuf sich mit seiner rüden Ausladung der Frauen Freiraum dafür, unter Künstlern künstlerische Fachfragen und Ideen frei von anderen Rücksichtsnahmen zu erörtern, was unter Berücksichtigung der Höflichkeit nicht denkbar ist.
Im Bericht ist von einem “Fest” die Rede. Muß man dabei unbedingt von einem Ballabend ausgehen, wo Frauen nun wahrlich unentbehrlich sind? Kann es nicht nur ein gemeinsames Beisammensein Gleichgesinnter zu einem Festessen oder -vortrag gewesen sein. Die genaue Antwort auf diese Frage mag uns da weiterhelfen in der Beurteilung des Brahms’schen (Fehl-)Verhaltens.
Ganz offensichtlich aber hat das als negativ empfundene Verhalten Brahms’, wovon seine Freundin Clara Schumann berichtet, der Freundschaft zwischen beiden nicht geschadet. Eine sehr gelassene, wunderbare Frau! Leider trat sie freiwillig hinter ihrem Manne zurück, obgleich hochbegabte Musikerin und Komponistin. Sie hatte aus ihrer Haltung und ihrem Stand heraus keinen Anlaß, die Frauenfrage in den Raum zu stellen. Das betraf damals vorwiegend mehr untere Schichten, nur hatten deren Männer kein besseres Los gezogen. Das wird heute leider sehr “schwarzerisch” gemalt anders gesehen.
Mein Vorschlag: Statt in der Frauenfrage Brahms negativ zu belichten, dem unter seinem Denkmal eine Muse als Zeichen für die Zuneigung zur Kunst gelegt wurde, sollte man sich mit den Briefen der Rahel Varnhagen in der Frauenfrage beschäftigen.
Michael Wiesemann
Ja, man kann viele Gedanken anknüpfen an diesen kurzen Beitrag, lieber Michael. Vielen Dank für all Deine klugen!
Brahms war anhänglich an Frauen wie an seine Mutter, Stiefmutter, Schwester, an Clara und viele andere.
Aber an die Möglichkeit eigener schöpferischer Erfindungsgabe bei Frauen – vor allem auf musikalischem Gebiet – schien er nicht zu glauben. Da magst Du wirklich Recht haben, daß er bei dem Kölner Musikfest gern unter Fachleuten geblieben wäre.
Brahms hatte vieles Liebenswerte in seinem Wesen, aber er war – wer wollte ihm das verübeln? – Kind seiner Zeit. Bis in die 70er-Jahre des 20 Jahrhunderts war es ja Glaubenssatz, daß Mädchen nur durch “Bienenfleiß” sich etwas aneignen könnten, was andere gedacht und erfunden hatten, selbst aber grundsätzlich unschöpferisch, ungenial seien.
Clara Schumann ist noch einmal ein anderer “Fall”. Darüber sind viele kluge Bücher geschrieben worden. Sie war ein ganz außerordentlich starker Mensch und die europaweit gefeiertste Künstlerpersönlichkeit auf ihrem Gebiet des Klavierspiels. Sie hatte ein immenses Arbeitspensum zu bewältigen. Was sollte sie darüber hinaus bewegen, sich noch in die Frauenbewegung einzubringen? Sie erbrachte ja ihren ganz gewichtigen Teil, obwohl sie an der Vollentfaltung ihres Genius in vielfältiger Weise gehindert wurde durch die Familie und die Suggestionen der gängigen Meinung über das, was sich für Frauen schickt oder nicht schickt.
Heute sind wir in Europa einigermaßen über den 3000jährigen Wahnsinn hinweggekommen, stehen aber immer wieder in der Gefahr, alles zu verlieren, was wir gerade gewonnen zu haben glaubten.
Das liegt mit daran, daß wir zu wenig geschichtsbewußt leben. Es gibt auch Leute, die – wenn sie denn ein wenig was aus der Geschichte der Freiheitsbewegungen vernommen haben – über gewisse “Auswüchse” die Nase rümpfen, selbst aber aus ihrem bürgerlich abgesicherten Milieu keinen Schritt vor die Tür setzen. Was wissen diese Leute von dem Einsatz der Vorfahren für Freiheit und Selbstbestimmung!
Sehr erfreulich sind ja auch die Fortschritte in der Psychologie, die auch viel Licht in das Dunkel menschlichen Verhaltens gebracht und viele Erscheinungen bzw. Nichterscheinungen der vergangenen Jahrhunderte durchleuchtet haben.
Sehr ermutigt das neueste Spiegel-Special “Das starke Geschlecht”. Es zeigt, wo die heutige weibliche Elite steht. Ganz wunderbar! Mario Adorf gerät richtig ins Schwärmen.
Bleiben wir dran. Wir alle haben von der Entwicklung gewonnen, auch wenn gewisse Reaktionäre den Weltuntergang vor Augen sehen, weil ja nun alles ganz anders geworden ist als im Bürgertum des 19. Jahrhunderts.
Herzlichst dankt Dir für Deine wertvollen Kommentare
Adelinde
Welch’ Mann von einigem Format wird etwas gegen geistreiche oder gebildete Frauen haben? Um möglichst viel mehr davon zu bekommen, als dies leider noch Realität ist – übrigens darf man das bei den meisten Männern nicht minder wünschen – wird die Vernunft siegen müssen und die Chancengleichheit dort, wo Gleichheit denkbar ist, auch stark unterstützt werden müssen. Also: das Grundproblem ist dank der Frauenbewegung als Fakt erkannt und
kann therapiert werden. Allerdings müssen wir hier aufpassen, wer da als “helfend” unterwegs ist. Nicht jede(r) weiß die Emanzipation (lat. Befreiung) zur sozialen Unabhängigkeit vom Aufstand gegen alles Männliche einerseits und gegen alles Weibliche andererseits fein zu trennen. Auf beiden Seiten der Barrikade kämpfen auch Verbohrte. Kurz, auch hier gilt: “Alles mit Bedacht” (Lichtenberg) und Maß.
Die Emanzipationsbewegung ist zunächst einmal vorwiegend geschichtliche Reaktion auf Verhältnisse, in die beide Geschlechter hineingeboren wurden. Im Mittelalter galt das christliche Leitbild, die Frau als Partnerin im positiven Sinne (als Eva beigegeben) aufzufassen und zu ehren, bei Zweifelsfragen in der Erziehung, Lebensführung, gesellschaftlichen Einordnung und in Notlagen aber – christlich: gottgewollt, vorchristlich: schon unter den Germanen stammesgeschichtlich als “munt” (Gerichtsherr) gewachsen – galt die prinzipielle Unterordnung unter den Manneswillen, solange dieser auch die Verantwortung nach außen zu tragen hatte. Damit spiegelt sich die Sippenhoheit des germ. Stammesfürsten bis ins einzelne Familienmilieu wider.
Zwar gab es schon im Altertum Frauenbewegungen – es wäre ja auch ein Wunder, wäre das nicht der Fall gewesen. Jedoch erst mit der Aufklärung und verschärfend durch die Industriealisierung im 18., 19. und 20. Jahrhundert wurde neben der sozialen HAUPTFRAGE bzgl. der verelenden Arbeiter die ebenso bedeutsame NEBENFRAGE der noch elender betroffenen Frauen virulent. (Jene waren noch schwerer unterdrückt, hatten sie nicht einmal die Chance zu würdevoller Arbeit und Aufstieg aus eigener Kraft. Wenn es menschliche Entfremdung gröbsten Ausmaßes (außerhalb der Sklaverei) je zu beschreiben gab, dann mußte man sich nur die Lage der Durchschnittsfrau zur Zeit eines Karl Marx anschauen).
Die Reaktion auf diese Verhältnisse im 18. und 19. Jhd., nämlich der bürgerlich-soziale Befreiungsprozess, zielte verständlicherweise in erster Linie auf die allgemeine Verbesserung der Klassenlage ab, davon abgespalten und parallel entwickelte sich die Frauenbewegung, die sich die weibliche Chancengleichheit bis heute völlig zu Recht auf die Fahnen schrieb. Gleiche Chancen für Mann und Frau und nicht gegen den eigenen Mann oder die Allgemeinheit der Männer. Man dürfte in diesen Tagen auch gern ergänzen: Gleicher Lohn für gleiche Arbeit. Es gibt also noch viel zu tun, wenn denn die Zeit dazu noch ausreichte. Meine Bedenken dazu: s. Schlußbemerkung.
Wie im Leben immer zu beobachten ist, gab es bei diesen Bestrebungen auch Irrwege, Übertreibungen bis hin zum innergesellschaftlich-friedensstörenden Geschlechterkampf. Der Weg über die antiautoritäre Erziehung der Jugend ohne jegliches Korrektiv ist m. E. ein Bespiel für diese Abweichung vom konsensfähigen Ziel: Das Leitbild ist immer noch und gerade wieder auf die Erziehung zur kritischen Mündigkeit hin gerichtet. Und diese Mündigkeit, so sie denn je erreicht werden kann im Zeitalter des homo consumtivus, könnte dazu führen, sich besserer Methoden der Arbeitsteilung in der Familie und in der Gesellschaft zu besinnen. Das Ziel ist klar, der Weg indess ganz und gar offen. Grund: Breite Schichten werden im Turbokapitalismus kaum noch Gelegenheit finden, eine freiwillige Aufteilung der Verpflichtungen vorzunehmen. Globaler Zwang in die Abhängigkeit wird sie daran hindern, wirklich frei zu werden. Weltweite Konzernoligarchien sind kein Freunde der demokratischen Freiheit oder irgendeiner parlamentarischen Kontrolle. Da wäre es schon gut, dass die Geschlechter mehr zusammenhielten und dies erkennten. Grundsätzlich ist der Feind der Frau nicht der Mann als solcher, sondern entweder die kleine Schar von Männern, die gegen demokratische Freiheiten sind oder diejenigen Frauen, die entweder aus emotionaler, narzistischer oder psychopathologischer Sicht das “Männliche” schlechthin und vorurteilbehaftet bekämpfen und die guten Seiten der Geschlechter PARTNERSCHAFT (Gegenteil: Singletum) mit dem Bade auskippen. Mit dieser sehr provokanten Sicht liege ich leider – ganz gegen meine inneren Bedürfnisse – nicht im Abseits, denn das Überhandnehmen der Eheunfähigkeiten und Scheidungen, der zerstörten Familien und der anhaltenden Verflachung der Bildung durch mediale Ablenkung bezeugt dies. Ein Quell der Emanzipation wird so gerade nicht aufgetan.
Ich kann Dir nur zustimmen, lieber Michael, wenn es mir auch immer ein Bedürfnis ist, jede Pauschalierung zu vermeiden und auch das Positive zu sehen. Vieles Kämpfen haben wir heute ja schon hinter uns. Wir erfreuen uns einer hervorragenden beispielgebenden weiblichen Elite.
Mich freut, wenn z.B. ein Professor für Mathematik an der TU Hamburg-Harburg, Wolfgang Mackens, 58, seine Fähigkeit zur Zuwendung und Anerkennung beweist, indem er sagt:
“Frauen mögen manche Ingenieurberufe weniger, wenn es nämlich darum geht, Dinge zu bauen, die Menschen garen, verbrennen, in die Luft sprengen oder die Flugzeuge optimal schnell vom Himmel holen. Ich finde das ganz vernünftig. Sie mögen Ingenieurberufe dann, wenn dadurch Menschen oder der Umwelt geholfen wird, also zum Beispiel in der Medizintechnik und Stadtplanung.”
Das sind beispielhaft warme Töne. Mehr und mehr wird bemerkt, daß wir mit Verstehenwollen und Anerkennen bei weitem bessere Ergebnisse im menschlichen Miteinander erreichen als mit Kämpfen.
Aber man muß auch die vormaligen Kämpfenden aus ihrer Lage heraus verstehen. Erst als die Bildungsmöglichkeiten für Mädchen erkämpft und die Herrschaftmethoden – auch die subtilsten – durchschaut waren, konnten wir uns allmählich entspannen.
Heute sind Frauen in der Lage, ihre Leistungsfähigkeit durch ihre Leistungen zu beweisen und damit zu überzeugen. Das Spitzenereignis unserer Zeit ist die Wahrnehmung der Kanzlerschaft durch eine Frau. Ihre uneitle, kompetente Art der Amtsführung hat viele Ehrgeizlinge und viele Spötter zum Schweigen gebracht.
Die immer wieder zu hörende Behauptung, daß innenpolitisch nichts geschähe, ist ein Witz angesichts der Umwälzungen, die in die Wege geleitet und im Gange sind. Kanzlerin, Familienministerin, Justizministerin, Ausländerbeauftragte, Entwicklungsministerin – sie alle arbeiten unaufgeregt und weitgehend fern der medialen Bühne an einem ganz neuen Zusammenleben der Menschen.
Das mag so manchem noch unbehaglich sein – die Geburtenrate jedenfalls steigt mittlerweile in Deutschland. Und an der Tatsache, daß der Umsatz in Unternehmen “wächst, wo Frauen führen” (Spiegel-Special 1/08), können mit der Zeit auch Konzernchefs nicht vorbei – und auch nicht an der Umstellung ihrer Betriebe auf die familiären Bedürfnisse ihrer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.
Nur nicht diese Untergangsszenarien! Es wird viel Mist gebaut, ja, aber es “wächst das Rettende auch” (Hölderlin). Das Schönste sind für mich heutige Männer, die begriffen haben, was auch für sie Positives herausspringt. Z. B. sagt Mario Adorf (Spiegel-Special 1/08):
“Lange schien es so, als ob Frauen, die beruflich erfolgreich sein wollen, so wie Männer sein müßten. Was ich schade fand. Denn was Frauen da lernen konnten, waren so unerfreuliche Eigenschaften wie Machtgier, Rücksichtslosigkeit und übertriebene Härte. Allerdings sehe ich zur Zeit, daß sich auch da etwas verändert. Vor allem in der Politik. Wir bewegen uns schnurstracks ins Matriarchat, davon bin ich überzeugt. Nicht weil die Frauen so feministisch-kämpferisch sind, sondern weil sie gut sind, weil sie anders sind und weil sie mehr und mehr ihre weiblichen Stärken und Qualitäten einsetzen. Sie organisieren besser. Sie stehen nicht wie die Männer für Krieg, wir fühlen uns bei ihnen besser aufgehoben, weil sie nach friedlichen Lösungen suchen.”
Das Matriarchat ist ja kein Gegenstück zum Patriarchat, d. h. dort werden nun nicht Frauen herrschen. Das Matriarchat war einst weltweit verbreitete Gesellschaftsform und gekennzeichnet durch die Ausrichtung auf das Göttliche sowie durch das Fehlen von vertikalen Hierarchien. Männer hatten dort überaus wichtige Staatsämter zu versehen. In solchen Gesellschaftsformen gelten die Menschenrechte für alle.
Wär schon schön, wenn wir’s wieder dahin brächten.
Na, na, liebe Adelinde, ich habe da immer meine Zweifel, wenn es um Machtfragen geht. Ich habe mir mal auf der Insel Karpathos, dort in der Ortschaft Olymbus, ein Matriarchat von heute angeschaut. Nur männliche Kinder und alte Opas lebten da, die Männer waren gezwungenermaßen im Ausland und in der Familie völlig mittellos. Das waren auch alle anderen Familienangehörigen außer der Erstgeborenen (Karakaná), auch dann, wenn diese noch ein Kind war. Nein, bitte das nicht, sondern demokratische Verantwortung des jeweils Besseren, Reiferen, Erfahreneren auf freiwiliger Basis. Bei mir steht Partnnerschaft obenan, und der Bessere usw. soll’s vereinbarungsgemäß richten. Mal ist das die Frau, die auch nur Mensch ist, mal ist es der Mann, der ebenso seine Schwächen haben kann. Der Glauben an die Verbesserung der Welt durch Frauen ist mir durch die eigene Erfahrung von Kind an schnell abgewöhnt worden. Heute herrschen meine Erfahrungen vor, und die sind keineswegs alternativlos, aber immer mit demokratischer Kontrolle geschlechtsneutral verbunden. Dann regelt es sich von selbst unvoreingenommen, wer bestimmt.
Auf die Fragen an Frauen, ob sie lieber mit Männern als mit Frauen zusammenarbeiteten, erhielt ich überwiegend die Antwort, es sei leichter mit den Männern. Ich glaube, das ist empirische Wahrheit. Es gibt keinen Grund menschliche Wesen zu vergöttern oder aus dem Unterschied der Geschlechter eine Ideologie werden zu lassen.
Ich hoffe sehr, liebe Adelinde, dass Du Dich in diese Sicht hineinfühlen kannst, zumal ich Dir meine familiären Erfahrungen über zwei Generationen “Weiberherrschaft”(pardon) längst gebeichtet hatte.
Es tut gut zu wissen, daß die Malerin Angelika Kauffmann im 18. Jhdt jedoch ganz andere Erfahrungen machen durfte: voll anerkannt sowohl im Kunstland Italien als auch am engl. Königshof als Künstlerin. Ihr Ehemann Antonio Zucchi, selbst Maler, arbeitete ihr zu, Ihre Überlegenheit wohl erkennend, und ließ ihr die Zeit und das Rampenlicht.
Dir, lieber Michael, stimme ich völlig zu. Bei dem Wort “Matriarchat” sollte niemand zusammenzucken. Es ist ursprünglich Demokratie durch und durch. Das ist schon recht gut erforscht. Auf Sumatra hat sich diese Gesellschaftsform trotz schlimmster Herausforderungen bis heute erhalten.
Daß Weiber-Herrschaft fürchterlich sein kann, ist klar. Aber wie das Wort schon sagt: Auch hier handelt es sich um Herrschaft. Das ist nicht das, was wir wollen. Das schwebt sicher auch Mario Adorf nicht vor.
Das, was Du schilderst, ist das Ideal, das wir anstreben. Und wir wollen es dann auch nicht mehr Matrarchat nennen, um niemanden zu beleidigen.
In dokumentarischen Biographien liest sich diese „Peinlichkeit“ allerdings etwas anders: Auf dem Wege zum Tonkünstlerfest in Köln machte Brahms Zwischenstation in Frankfurt bei Clara Schumann, um ihr seine neuen Werke vorzuführen. Wäre Clara Schumann auf Brahms’ Vorschlag derart eingegangen, wie er gemeint war, hätte sie sich nicht beklagen müssen. Anstatt einige Mitspieler für die Vorführung und ein paar nähere Kollegen vom Konservatorium zu sich zu bitten, meinte sie, einen musikalischen Tee mit Damen veranstalten zu können. Wahrscheinlich hat Clara nicht daran gedacht – sie hätte es aber aus früheren Zeiten wissen müssen –, wie sehr ihrem Johannes dergleichen verhaßt war.
So heißt es z.B. bei Siegfried Kross in „Johannes Brahms, Versuch einer kritischen Dokumentar-Biographie“ auf Seite 954: „Sie faßte das gleich als ‚ein Zeichen, daß er fühlte, er habe etwas bei mir gutzumachen.’(Zitat aus Claras Tagebuch) So allerdings war das Angebot nicht gemeint gewesen und prompt löste seine gut gemeinte Absicht allerlei Mißverständnisse aus. Dabei muß man einrechnen, daß sie eben über Jahrzehnte gewöhnt gewesen war, nicht nur umjubelter Star der Podien gewesen zu sein, sondern auch strahlender Mittelpunkt der Salons. Mit den zunehmenden Altersbeschwerden der Achtundsechzigjährigen, der fortschreitenden Altersschwerhörigkeit und dem Rheuma, hatte das alles nachgelassen. Sie verstand daher Brahms’ Bereitschaft, ihr die beiden Duosonaten und das Trio vorzuspielen, als Chance, ersatzweise ein wenig von dem alten Glanz in ihre Residenz in der Myliusstraße im Frankfurter Westend zurückzuholen, und hatte Gäste dazu eingeladen, also genau die Mischung aus Intimität und halber Öffentlichkeit, die er zutiefst haßte. Auf seinen Einspruch hatte sie dann die Gäste wieder ausladen müssen.“
Hier ist also nur die Sprache von der Ausladung aller Gäste, was auch verständlich ist, denn Brahms wollte ja seine neuen Werke zunächst nur ihr allein – also ohne Öffentlichkeit – zur Begutachtung vorlegen. Ihm ging es offensichtlich in erster Linie um Claras ganz persönliche Meinung, so wie er sie ja in den vielen Jahren ihrer Freundschaft immer wieder zuerst von ihr eingeholt hatte. Bei der Aussprache konnte Brahms dann Claras Kollegen vom Konservatorium mit ihrem Fachurteil akzeptierten, aber nicht einen größeren Kreis, der ohne das erforderliche Fachwissen nur den berühmten Künstler bewundern würde. Aus Rücksicht auf Clara und insbesondere auf „Frau Kwasts ernste Anfrage“ hat Brahms dann seine anfängliche Weigerung zurückgenommen. Auf die Forderung einer Frau geht er also ein; das paßt aber nur schwer mit der angeblichen Frauenfeindlichkeit zusammen!
Die Kürze der erst später erfolgten Tagebucheintragung von Clara über die „Peinlichkeit der Ausladung“ und damit verbunden das Hervorheben eines aus dem Zusammenhang gerissenen Zitates und des falsch wiedergegebenen Ereignisses mag zu Irrtümern geführt haben. Wie sagte Alice Schwarzer doch ganz richtig? Genauer hinsehen!
Es ist schon bemerkenswert, wieviel mehr Sie dem Biografen Kross trauen als derjenigen, die die Szene miterlebt und in einer Tagebuchnotiz festgehalten hat.
Leute, die nicht dabei waren, können sich manches zusammenreimen. Das kann man z. B. auch bei zahlreichen Beethoven-Biografien verfolgen. Je nach Blickrichtung entstehen die unterschiedlichsten Beurteilungen seiner Person und seines Verhältnisses zu anderen Personen seines Umfeldes.
Welch wahres Wort, liebe Adelinde!