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Emilie Mayer 1812-1883

Aus der Rezension eines Vortrages in Gartow über Emilie Mayer

Oberstudienrätin Marita Richter – Schulmusikerin und Klavierpädagogin – war als Zuhörerin dabei. Sie schreibt u. a.:

Emilie Mayer! Wer diesen Namen noch nicht gehört und vor allem noch keine Musik von ihr gehört hat, kann sich jetzt nicht mehr zu den wirklichen Kennern „klassischer“ Musik zählen. Heidrun Beißwenger … gab … (ihrem) Auditorium … Emilie Mayers 5. Sinfonie f-moll in vier Sätzen zu Gehör. Danach war allen Anwesenden klar: Sie hatten einer Sensation beigewohnt, einer echten Neu-Entdeckung.

Zu hören war eine in allen Details geglückte und die Zuhörer beglückende Musik: zupackende Dramatik, düsterer und aufgehellter Klang, harmonische Überraschungen, belebte Melodien, rhythmische Eleganz und eine traumhaft sichere Instrumentierung, die den komplexen, aber dennoch gut durchhörbaren Orchestersatz immer wieder variantenreich belichtete.

Große Wärme strahlt diese Sinfonie aus … Hier zeigt sich ein Mensch … als ganz in sich seiend und in der Welt der Töne, so wie sie in abendländischer Tradition entwickelt worden ist.

Und sie braucht keinen Vergleich zu scheuen. … als „Konkurrenten“ (ihrer Zeit stünden) beispielsweise Wagner und Liszt auf dem Plan. Beide sind keine Meister von Bescheidenheit und Zurücknahme. Sie stellen sich selbst in ihrer ganzen „Herr“-lichkeit dar: ausufernde Länge, grelle Kontraste und Pathos sind ihre Mittel, das Publikum zu überreden und mitzureißen.

Nichts davon aber ist bei Emilie Mayer zu hören. Sie überzeugt. Pathos braucht sie nicht. Sie kann ihr Handwerk!

Lebenslauf

Heidrun Beißwenger hatte – gestützt hauptsächlich auf die Dissertation von Almut Runge-Woll (Europäischer Verlag der Wissenschaften 2003) – den Werdegang Emilie Mayers mit Bildpräsentation geschildert:

     

  • Sie wird geboren am 14. Mai 1812 in Friedland/Mecklenburg-Strelitz.
  • Sie ist das älteste Mädchen unter sechs lebenden (Halb-)Geschwistern.
  • Verlust der Mutter im Alter von 2 Jahren.
  • Bildungsmöglichkeiten für Mädchen gibt es kaum. Dennoch komponiert die kleine Emilie wie das berühmte Wunderkind Mozart schon mit 5 Jahren kleine Walzer und Variationen.
  • Der Vater, ein wohlhabender Apotheker, erschießt sich, als Emilie knapp 29 Jahre alt ist.
  • Endlich ist sie frei und kann ein neues Leben beginnen. Sie geht 1841 nach Stettin zu Carl Loewe, um bei ihm Komposition zu studieren.
  • Loewe ist beeindruckt: „Sie wissen eigentlich nichts, und doch alles“.
  • Emilie macht unter seiner Leitung rasante Fortschritte in der Komposition.
  • 1847 geht sie nach Berlin, um bei Marx Kontrapunkt und bei Wiprecht Instrumentierung zu studieren.
  • Der weltberühmte Dirigent Wiprecht führt ihre Werke auf, teils in Konzerten, die einzig und allein Werke Emilie Mayers enthalten.
  • Ihre Musik wird aufgeführt in Hamburg, Berlin, Stettin, Dessau, Halle, Leipzig, Karlsbad, Prag, Wien, München, Brüssel, Straßburg, Paris, Lyon, London. Die Begeisterung des Publikums steigert sich zu Ovationen.
  • Emilie Mayer ist zu ihrer Lebenszeit berühmt. Die Rezensenten der Presse kommen um höchste Anerkennung nicht herum, auch wenn es kaum einem gelingt, seine Vorurteile gegen weibliche kompositorische Fähigkeiten zurückzuhalten.
  • Emilie Mayer zieht sich 1862 wieder nach Stettin bzw. Berlin zurück, um dort in der Stille außer als Komponistin auch als Bildhauerin zu arbeiten. Eine von ihr geschaffene Plastik wird im Grünen Gewölbe in Dresden ausgestellt.
  • Ihr kompositorisches Werk umfaßt 8 Sinfonien (2 sind verschollen, eine liegt nur noch als Klavierbearbeitung vor), mindestens 15 Konzert-Ouverturen (nur 5 sind erhalten); von den Kammermusik-Werken sind erhalten: 3 Streichquintette, 8 Streichquartette, 2 Klavierquartette, 8 Klaviertrios, 7 Violin-Sonaten, 1 Notturno für Violine und Klavier, 12 Cello-Sonaten, etliche Klavierkompositionen und Vokalwerke mit und ohne Klavierbegleitung. Viele Lieder und Gesänge sind verschollen.
  • Nach kurzer Krankheit stirbt Emilie Mayer am 10. April 1883, mit knapp 71 Jahren aus dem vollen Musikschaffen gerissen, und – wird vergessen.

Marita Richter:

Eines aber ist klar: Emilie Mayer steht, und soviel ist nach dem Hören der 5. Sinfonie deutlich, in einer hervorragenden Position als Komponistin von Sinfonien in der Nachfolge von Beethoven, Schubert und Mendelssohn. Und sie ist ein Bindeglied, quasi ein „missing link“, zu den Sinfonien von Schumann und Brahms.

Wer ist Emilie Mayer? – Diese Frage dürfte unter Kennern klassischer Musik nicht mehr gestellt werden. Selbstverständlich sollte ihr 125. Todestag am 10. April dieses Jahres gebührend gefeiert werden.

„Ist sie ein weiblicher Beethoven?“ – Nein. Sie ist Emilie Mayer. Die gab’s nur einmal. Beethoven übrigens auch.

Adelinde:

Zu wünschen ist, daß das Gesamtwerk Emilie Mayers – soweit noch vorhanden – nun recht bald gespielt und auf Tonträger aufgenommen wird. Ein wichtiges Ziel-Datum dafür und für Emilie-Mayer-Musikfeste wäre der 200. Geburtstag Emilie Mayers am 14. Mai 2012.

Welche Stadt, welche Orchester, welche Kammermusik-Ensembles, welche Chöre, welche Solisten werden sich die Ehre geben, die verborgenen Schätze zu heben?

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Wiesemann, Michael
Wiesemann, Michael
16 Jahre zuvor

Sehr erfreulich ist es, Adelinde, dass Du Dich der „vergessenen Künstlerinnen“, zu denen auch Emilie Meyer – selbst unter Freunden der Klassik – zählt, annimmst und sie in das heutige Leben zurückrufst. Solch Glück möge noch vielen Frauen widerfahren, weil ihr Tribut an die damaligen gesellschaftlichen Gepflogenheiten – bescheiden und still sein zu müssen – objektiv viel zu hoch war. Das läßt sich heute glücklicherweise noch ändern.
Weniger gefallen will mir der immer wieder auftauchende Seitenhieb gegen das Männliche und ihre „Herr“-lichkeit schlechthin. Eine wahre Untugend, liebe Adelinde. Diese Patheten, diese lauten Gestalten, diese maßlosen Unterdrücker – ist das wirklich so? Eine Marilette Jorgina Rover sieht das so:
„Siehe, wie gut und schön ist es,
wenn Frauen und Männer
geschwisterlich miteinander umgehen.

Wie gut und schön ist es,
für Gleichheit zu kämpfen,
das Leben miteinander zu teilen
und an einem neuen Leben in Freiheit zu bauen.

Das ist wie köstliches Parfümöl,
das über unseren Köpfen ausgegossen wird,
das uns umgibt und uns einhüllt
wie ein Tuch aus Zärtlichkeit und Wohlgefühl.
……

Kunst, sei sie nun weiblich oder männlich, verdient keine
Gegenüberstellung abgrenzender Art, denn Kunst ist immer einmalig und wenn sie denn Kunst ist, erhaben über das Profane.

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[…] dankenswerte Kommentar Hartmut Köhlers bei Adelinde sei hier wegen seiner erfreulichen Botschaft noch einmal hervorgehoben: Emilie Mayers 200. […]

trackback

[…] zufällig stieß ich im Internet auf Ihre Emilie-Mayer-Seite. […]

Dr. Mirjam Schadendorf
12 Jahre zuvor

Liebe Adelinde,
vielen Dank für die Informationen zu Emilie Mayer. Tatsächlich ist es ja so, dass man sich inzwischen an sie erinnert und zu ihrem 200. Geburtstag einige Aufführungen in die Wege geleitet hat. Ich schreibe einen Programmheft-Text für die Festspiele Mecklenburg-Vorpommern, wo es dieses Jahr einen Schwerpunkt Emilie Mayer gibt!
LG Mirjam

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