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Sie hatten den Auftrag, Bomben auf Deutschland zu werfen, und wurden Freunde von Deutschen

Crew der B24, v.l. Lt. Paul P. Jones, v.r. Navigator Hermann Engel

Crew der B24, v.l. Lt. Paul P. Jones, v.r. Navigator Hermann Engel

Diese jungen, fröhlich lächelnden Amerikaner hatten sich in ihrer Ausbildungszeit vor ihrem Bomberflugzeug des Typs B-24 „Liberator“ fotografieren lassen. Auf einem ihrer späteren, todbringenden Flüge mag ihnen das Lächeln vergangen sein, denn sie wären beinahe selbst ums Leben gekommen.

Fast auf den Tag genau vor 65 Jahren, an einem sonnigen

Sonntag, dem 25. März 1945,

hatte die Mannschaft über den unterirdischen Treibstofflagern von Büchen bei Hamburg gerade ihre Bomben fallen lassen, als ihre Maschine aus der Me 262 des deutschen Jagdfliegerleutnants und Ritterkreuzträgers Rudolf Rademacher, eines gebürtigen Lüneburgers, angeschossen wurde.

Rudolf Rademacher, Pilot der Me 262

Rudolf Rademacher, Pilot der Me 262

Drei der vier Motoren fielen aus, und der US-Bomber verlor an Höhe und Geschwindigkeit. Die glücklicherweise unverletzt gebliebene Crew folgte dem Vorschlag des Kopiloten, nicht mit Fallschirmen abzuspringen, sondern:

Let’s just ride her down.

Tatsächlich gelang dem Piloten der Maschine, Paul J. Jones, die fliegerische Meisterleistung einer „Bauchlandung“, trotz ausgefallener Hydraulik, noch offenem Bombenschacht, einem letzten Rest Treibstoff und nur einem Motor, und zwar in der Nähe von Soltau, dem Wohnort des damals zwölfjährigen

Gerhard Bracke.

Gerhard Bracke, 12 Jahre alt

Gerhard Bracke (12)

Der hatte das Röhren der Maschine über sich gehört, als ein Mädchen ihm zurief:

Guck mal, da ist eben ein Bomber gelandet!

Gerhard konnte aber schon nichts mehr davon sehen. Das Flugzeug war hinter Häusern und Bäumen verschwunden. Aber, berichtet mir Gerhard Bracke jetzt:

Ich habe selbst an diesem Tag vor dem Bomber gestanden.

Gerhard Bracke, der spätere Historiker und Autor von vier Büchern, der in seiner Freizeit auch gern Flugzeug-Typen des 2. Weltkrieges als Modelle nachbaut – so auch den US-Bomber B-24 -, ist den Vorgängen nachgegangen, hat die Augenzeugen aufgesucht, nach der neunköpfigen Crew der „Liberator“ in den Vereinigten Staaten geforscht und hat diesen kleinen Teil der Kriegsgeschichte aufgeschrieben.

Dabei sind aus den ehemaligen „Feinden“ Freunde geworden. Zu Feinden hatte sie ja nur die Kriegs-Propaganda gemacht. In unmittelbarer Nähe begegneten sich die Menschen bereits am Tag des Absturzes ganz anders. Bracke berichtet:

B24 Do Bunny

B24 Do Bunny

Auf dem Gelände der damaligen Reitschule sah Oberleutnant Joachim Grauenhorst den Bomber direkt über sich und erwartete jeden Augenblick eine Explosion mit Aufschlagbrand.

Als es ruhig blieb, suchte er mit seinen Soldaten den Landeplatz auf und kümmerte sich unverzüglich um die eingeklemmten Besatzungsmitglieder. Der obere Gefechtsturm war beim Auftreffen herabgestürzt und hatte den Funker, S/SGT Charles W. Blaney, den Navigator, 2nd Lt. Herman Engel, und den Frontturmschützen, SGT William J. Wilson, eingeklemmt.

Do Bunny nach der Bruchlandung

Do Bunny nach der Bruchlandung

Sie wurden in mühevoller Arbeit geborgen und anschließend im Krankenhaus Winsener Straße ärztlich versorgt. Die anderen wurden durch die Harburger Straße zur Reitschule geführt, wo später auch die Verletzten eintrafen.

Für den abwesenden Kommandeur, Oberstleutnant Hasse, führte Oberleutnant Grauenhorst die Verhandlungen mit den Gefangenen, von denen nur Herman Engel deutsch sprach. Seine Eltern waren erst in den 20er Jahren nach Amerika ausgewandert. 1937 besuchte die Familie Mannheim. Der damals zwölfjährige Herman wäre am liebsten in Deutschland geblieben, doch alles kam ganz anders.

Nun saß er in der Soltauer Reitschule und verfolgte mit Sorge, wie der deutsche Wehrmachtsoffizier bemüht war, die Kriegsgefangenen dem Zugriff eines SS-Kommendos zu entziehen. Erleichtert konnte Grauenhorst am Abend die Gefangenen der Luftwaffe in Rotenburg, die einen LKW schickte, übergeben. Dafür sind die Amerikaner ihm heute noch dankbar.

Es folgten Verhöre in Rotenburg, in Hamburg und Pinneberg und schließlich die Überführung in das Gefangenenlager Stalag Luft I in Barth (östlich von Rostock). Im Mai 1945 wurden sie von russischen Truppen befreit, jedoch schlechter behandelt als von den Deutschen.

Und das, obwohl die Russen Verbündete der Amerikaner, die Deutschen dagegen ihre Kriegsgegner waren.

50 Jahre nach diesen Ereignissen

kam es auf Grund der Nachforschungen Brackes zur Wiederbegegnung von einem Teil der damaligen Crew und Gerhard Bracke vom 9. bis 12. Oktober 1995 in Dayton/Ohio. Bracke:

Die Herzlichkeit der aus Colorado, Florida, Pennsylvania und Ohio eingetroffenen Amerikaner und ihrer Ehefrauen war unbeschreiblich. Anläßlich eines festlichen „Reunions-Dinners“ wurden das offizielle Schreiben und ein Grußwort von Bürgermeister Wolfgang Bargmann überreicht, dazu kleine Präsente als Zeichen der Verbundenheit mit der Stadt Soltau.

Man spürte es, wie glücklich die Veteranen und Ex-Kriegsgefangenen sich fühlten, daß ein „Vertreter“ und Zeitzeuge aus Soltau eigens zu diesem historischen Treffen über den Atlantik gekommen war.

Die 1995 noch lebenden Besatzungsmitglieder der "Do Bunny" im Air-Force Museum in Dayton vor einer B-24 (mit Me 262 im Hintergrund) am 11. Oktober 1995. Von links: Herman Engel, Paul Jones, Charles Blaney und James Mucha.

Die 1995 noch lebenden Besatzungsmitglieder der "Do Bunny" im Air-Force Museum in Dayton vor einer B-24 (mit Me 262 im Hintergrund) am 11. Oktober 1995. Von links: Herman Engel, Paul Jones, Charles Blaney und James Mucha.

Höhepunkt des Programms: der gemeinsame Besuch des größten Luftfahrtmuseums der Welt in Dayton. Hier konnte eine B-24, die 1943-45 über Nordafrika geflogen war, besichtigt werden. Daneben stand die Me 262.

Paul J. Jones als strahlender US-Fliegerheld, darunter seine Widmung: "To my friend Gerhard - Paul J. Jones"

Paul J. Jones als strahlender US-Fliegerheld, darunter seine Widmung: "To my friend Gerhard - Paul J. Jones"

Als Paul Jones im Cockpit der hervorragend präsentierten Me 262 Platz nahm, meinte er nachdenklich: „Das hätte ich nie für möglich gehalten, einmal in dem Flugzeug sitzen zu können, das mich abgeschossen hat!“

Ein Jahr danach kam Herman Engel mit seiner Frau nach Deutschland an den Ort des Geschehens zurück. Im Soltauer Rathaus wurde er gemeinsam mit Joachim Grauenhorst, dem damaligen Wehrmachts-Oberlautnant und Beschützer der abgestürzten Amerikaner, vom Soltauer Bürgermeister Wolfgang Bargmann begrüßt.

Die BZ schreibt:

In lockerer Gesprächsrunde erinnerten sich die damaligen „Kontrahenten“ Herman Engel und Joachim Grauenhorst gestern an die Ereignisse. Beim Treffen der noch vier in den USA von Bracke angetroffenen Besatzungsmitglieder in Dayton … konnte Grauenhorst nicht teilnehmen. Um so größer war die Freude über das Wiedersehen in Soltau.

v.l.: Joachim Grauenhorst, Nancy Engel, Bürgermeister Wolfgang Bargmann, Herman Engel, Gerhard Bracke

v.l.: Joachim Grauenhorst, Nancy Engel, Bürgermeister Wolfgang Bargmann, Herman Engel, Gerhard Bracke

Bürgermeister Bargmann erinnerte an die inzwischen 700 Partnerschaften zwischen amerikanischen und deutschen Städten.

2001 wurde Ehepaar Bracke zu Jones nach Florida eingeladen.  Dort gab es eine Party mit Nachbarn und Freunden – und selbst die örtliche Presse war eingeladen. Ihnen allen erläuterte Jones die wundersame deutsch-amerikanische Feind-Freund-Geschichte – auch anhand des Gastgeschenkes, des Modell-Flugzeugs B24, das Gerhard gebastelt hatte.

Staunend hörten die Gäste zu, und Bracke resümierte:

War not only makes enemies, it also can make friends.

Gerhard Bracke und Paul Jones mit Modell der B24

Gerhard Bracke und Paul Jones mit dem Modell der B24

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archelys
archelys
12 Jahre zuvor

Lieber Herr Bracke,

ich wünsche mir sehr, dass wir uns nie wieder in einen Krieg hetzen lassen. Dafür müssen wir aber auch etwas tun und aktuell sehr aufmerksam sein.

Ihnen, Ihren aufrichtigen amerikanischen Freunden und uns allen gilt die moderne Gretchenfrage:
„Wie hältst Du’s mit Nineeleven ?“ /
„What’s your stance on Nineeleven ?“

Darüberhinaus könnte uns eventuell eine Bitte helfen:
Hand, die liebend nimmer läßt,
halte uns in Liebe fest.
Laß uns Böses überwinden
und die Seeleneinheit finden.

Gene Bitner
12 Jahre zuvor

Would it be possible to exchange e-mail with Gerhard Bracke?

Thank you,
Gene

Edward Danecki Jr
Edward Danecki Jr
11 Jahre zuvor

My father, Edward Danecki, was the tailgunner aboard Do Bunny. He is pictured in the crew photo above standing in the back-row second from right. Unfortunately, he died March 1995, but I would like to communicate directly with Gerhard Bracke via email noted above or telephone in the USA at 414-687-8140. My father was POW7929 at Stalag Luft I. Father never wanted to discuss anything about combat or life as a POW. He simply wanted to vacate his mind of any related memories; he NEVER initiated discussion about those topics. Father was awarded the Purple Heart for shrapnel injuries to his face from the 20mm cannon hit to his tail-turrent. He was forever thankful the German surgeon helped versus mutilated him. He knew all too well the only rule of war: „It’s you or me.“ During January 2011, I last spoke to Charles Blaney, but extended, fruitful conversations were held with Paul Jones, Jim Mucha, Herman Engel, and Charles Blaney during both June and July 2005.

John Rowan
John Rowan
8 Jahre zuvor

I have a friend who’s father (Henry Mazer) was a gunner on the Do-Bunny. He was not on the airplane and I believe this crew had replaced the previous crew which mazer was on. Is there any members of the crew of the DO-Bunny still alive that I could talk to?

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