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Lovis Corinth

Lovis Corinth, Selbstportrait mit Glas. 1907, Öl auf Leinwand. Prag, Nationalgalerie (aus: Zimmermann, Lovis Corinth)

Lovis Corinth, Selbstportrait mit Glas. 1907, Öl auf Leinwand. Prag, Nationalgalerie (aus: Zimmermann, Lovis Corinth)

Wie ein Feingeist sieht er nicht aus auf vielen seiner Selbstporträts. Eher kommen einem Bezeichnungen wie Kraftmeier, Trinker in den Sinn, vielleicht der Beruf des Schlachters. Maler zu werden lag ihm als Jüngling fern. Er dachte an Soldat, Matrose, Bauer, an Berufe, die Kraft erfordern, Mut, Einsatz im Diesseits. Und doch konnte er 2008 zu seinem 150. Geburtstag als bedeutender deutscher Maler Lovis Corinth gefeiert werden.

Kindheit und Jugendzeit in Ostpreußen

Ausschnitt aus der Karte von Ostpreußen (Dr. Heinrich Berghaus, gezeichnet von Theodor Schilling, Verlag Justus Perthes, Gotha 1855 (aus: Kropmanns, Lovis Corinth)

Ausschnitt aus der Karte von Ostpreußen (Dr. Heinrich Berghaus, gezeichnet von Theodor Schilling, Verlag Justus Perthes, Gotha 1855 (aus: Kropmanns, Lovis Corinth)

Lovis Corinth ist ein Kind Ostpreußens. In der Kleinstadt Tapiau – am Zusammenfluß von Deime und Pregel rund 35 Kilometer Luftlinie östlich von Königsberg gelegen – kommt er am 21. Juli 1858 als Franz Heinrich Louis Corinth zur Welt. Seine Mutter, Tochter eines Schuhmachermeisters, Witwe eines Gerbermeisters, hatte in die Ehe mit dem Gerbermeister Franz Heinrich Corinth neben ihrer Gerberei ihre fünf Kinder mitgebracht. Louis – so sein Rufname – ist das einzige gemeinsame Kind des Paares.

Foto Tapiau

Das niedrige Haus der Corinths in Tapiau, historische Aufnahme (Kropmanns)

In ihrem landwirtschaftlichen Betrieb und der Gerberei beschäftigen die Eheleute eine Anzahl Arbeiter und Tagelöhner. Sie zählen zu den Gutsituierten der Stadt und sind angesehen. Louis verbringt seine Kindheit zwischen Viehställen der Bauernwirtschaft und den Loh-, Kalk- und Sumpfgruben der Gerberei sowie der Deime, wo er den Schiffern zusehen kann, wie sie ihre Lastkähne mit langen Stangen zum Kurischen Haff staken. Im Winter ist die Deime zugefroren. Dann sind Pferdewagen und ­Schlitten die einzigen Verkehrsmittel über Eis und Schnee.

Von Kunst ist wohl kaum die Rede in dieser Umgebung. Doch die Aufseherin in der nahe gelegenen „Ostpreußischen Landes-Besserungs-Anstalt“, die in der Dachwohnung der Corinths zur Miete wohnt, hat eine Abbildung Friedrich Wilhelms III. hoch zu Roß in der Stube hängen. In Königsberg, so erfährt er, solle es sogar ein Reiterstandbild des Königs geben. Das macht Louis „ganz sehnsüchtig“ danach. Weitere erste Eindrücke von der bildenden Kunst erhält er von den Deckengemälden in der Tapiauer Kirche und beim Gänsehüten, als er den Maler Knorr beim Malen entdeckt.

Er bastelt gern, schneidet aus Papier Figuren aus, kann mit fünf Jahren lesen und schreiben, hat aber für Zahlen und fürs Rechnen keinen Sinn. Der Vater möchte, daß er später einmal ein „Studierter“ wird. Er achtet darauf, daß der Junge außer Plattdeutsch auch Hochdeutsch spricht.

Königsberg

Königsberg, historische Aufnahme (Kropmanns)

Da heißt es dann eines Tages für den Achtjährigen Abschied nehmen vom Elternhaus und vom Landleben, um nach Königsberg überzusiedeln und dort das Gymnasium zu besuchen. Untergebracht ist er bei einer Tante. Bis zu seinem 16. Lebensjahr wird er dort bleiben. Er hat Heimweh und fiebert jedesmal dem Beginn der Ferien entgegen, wenn er den Dampfer besteigen darf, der ihn flußauf in seine Heimatstadt Tapiau zurückbringt.

Dort taucht er wieder ganz ins Landleben ein. Er hilft bei der Ernte, im damaligen Ostpreußen eine Gemeinschaftsarbeit vieler zupackender Hände und eine gemeinsam erlebte stolze Genugtuung, wenn das Getreide vor drohendem Gewitter trocken in die Scheune geschafft ist.

Mit den fünf älteren Halbgeschwistern aber gibt es allmählich Ärger. Sie sind neidisch auf seine Bevorzugung.

Meine Stiefschwester erzählte mir oft, daß sie mich vor dem Messer des ältesten Stiefbruders gerettet hätte und geflüchtet ist mit mir. So war es in unserem Hause nicht schön! Dazu alle älter als ich! Es waren Barbaren in des Wortes richtiger Bedeutung. Eine gute Kinderstube im heutigen Sinne gab es nicht.

So berichtet Corinth in seiner Selbstbiographie, räumt aber an anderer Stelle ein:

Dennoch muß ich sagen, daß manchesmal bei den Stiefbrüdern ein Funken von Liebe gegen mich auftauchte, gerade wenn ich zu den Ferien nach Hause kam.

Bei der Tante, die ihm von Anfang an innerlich fremd ist, fühlt er sich zunehmend unwohl. Sie versucht mit drastischen Strafen, bei ihm zu erreichen, was sie unter gutem Benehmen versteht. Dabei sind ihre Haushaltung und der Umgang der Eheleute miteinander alles andere als vorbildlich. Dennoch schafft Louis, ohne sitzenzubleiben, das „Einjährige“, wonach er die Schule verläßt. Mit einem Universitätsstudium wird es also nichts.

Der Kunststudent

Lovis Corinth als Konfirmand

Lovis Corinth als Konfirmand (Kropmanns)

Unvergessen bleibt ihm, wie sein Musiklehrer ihn gegen Ende der Schulzeit dabei erwischt, während einer Gesangsstunde eine Karikatur zu verstecken, die er gerade gezeichnet hat. Es setzt Ohrfeigen und unmittelbar anschließend die Worte:

„Corinth, was wollen Sie denn einmal werden?“ „Soldat!“

Der Lehrer steckt das Zeichenblatt in die Westentasche und sinniert:

Junge, werde doch Porträtmaler!

Das bestärkt ihn, die Kunst-Akademie in Königsberg zu besuchen. Sein Vater hat nach dem Tod der Mutter die Gerberei in Tapiau verkauft, in Königsberg einige Immobilien erworben und ist nach dort umgezogen. Louis wohnt bei ihm, und der Vater unterstützt ihn in seinen künstlerischen Bestrebungen. Er zeigt auch Verständnis für die Lebensart, der sich der Sohn nun hingibt, weil sie für einen angehenden „richtigen Mann“ als angemessen gilt:

Kein Student und kein Soldat konnte in den Augen seiner Mitmenschen für tüchtig gelten, wenn er nicht auch ein berüchtigter Trinker war. Diese Trunksucht wurde bald von uns zu großer Meisterschaft gebracht.

Und dementsprechend wurde man dem weiblichen Geschlecht gegenüber zudringlich. Er zieht mit den Kumpanen durch Kneipen, wird in Krawalle verwickelt und einmal sogar wegen aufmüpfigen Verhaltens gegen die Ordnungsmacht ins Gefängnis geworfen. Jetzt ist nicht nur für Vater Corinth die Grenze des Zumutbaren überschritten, sondern auch für die Professoren der Akademie. Die Saufkumpane müssen sich bei der Polizei entschuldigen und Strafe zahlen.

Eine Reise 1876 mit einem Kommilitonen nach Berlin – im Zug IV. Klasse fahren sie über Bromberg 23 Stunden bis zur Reichshauptstadt – bringt die jungen Männer dem Ernst des Lebens ein wenig näher:

Die Museen zeigen uns zuerst die Bilder der Alten Meister; der Zoologische Garten nimmt uns ganz gefangen …

Zurück in der Königsberger Akademie widmet sich Corinth der konservativen, auf Historienmalerei ausgerichteten Ausbildung, die seinen Neigungen entgegenkommt. Eine erneute Reise nach Berlin und weiter nach Weimar vermitteln ihm weitere prägende Eindrücke. Auf den Rat seines Königsberger Akademie-Professors Günther wechselt er zur Münchner Akademie.

In München gab es nicht nur die meisten Maler, sondern auch die besten. Die Akademie war nächst Paris die berühmteste in der ganzen Welt. (Corinth)

Abb. 2 Othello

Lovis Corinth, Ein Othello,1884, Neue Galerie der Stadt Linz (Zimmermann)

Er arbeitet nun fleißig. Bald hat er den Wunsch, sein Können in Paris, der damaligen Welt-Kunsthauptstadt, weiter zu vervollkommnen, nimmt aber wegen des Hasses der Franzosen auf die Deutschen davon Abstand und geht statt dessen nach Antwerpen. Dort entsteht u. a. das ausdrucksstarke Bild des „Othello“. Er fühlt sich aber in Antwerpen unwohl:

… der echte Ostpreuße kann sich eben nicht mit Fremden zusammentun,

meint er rückblickend. Und bald wagt er, seinen Traum von Paris doch noch wahr zu machen:

1884 ging ich nach Antwerpen, weil ich glaubte, als Preuße in Paris nicht gut leben zu können. Da war es aber so langweilig, daß ich nach 6 Monaten lieber mich in Paris allen Gefahren aussetzen wollte als dort zu versauern. In Paris blieb ich dann 3 Jahre. Ich hatte dort ein Atelier und malte auch Bilder aber hauptsächlich war ich in der bekannten Akademie Julian und nun kommt das Wunderbarste: als Schüler Bouguereau’s. Ich kann wohl sagen, daß er mich sehr gern gehabt hat; er hat den Anderen gegenüber immer viel Gutes von dem ,gros Allemand‘ gesprochen; auch korrigierte er mich an meinen Bildern, die sind aber nicht geworden. Jedenfalls konnte man von ihm in bezug auf Zeichnung viel lernen.

Sein „Erstlingsbild“ „Ein Komplott“ erhält er aus London mit der Bronze-Medaille ausgezeichnet zurück. Das gibt Auftrieb. Das Werk wird sogar im Pariser Salon ausgestellt. Weitere Werke, die er einreicht, werden jedoch zurückgewiesen. Das und das Kränkeln des Vaters veranlassen ihn, nach Königsberg zurückzukehren.
Über seine Pariser Zeit erfahren wir auch durch seinen Schweizer Kollegen Emil Beurmann:

Wir, die wir ein ziemlich dürftiges Bohèmeleben führten und gezwungenermaßen mit jedem Rappen rechnen mußten, beneideten ihn ein bißchen, denn er besaß eine Rente, von der er sorglos und angenehm leben konnte; er wohnte in einem kleinen Atelier, trank täglich ein Münchner Bier in der Brasserie Müller … und rauchte seine Demis-Londrés, ohne … sein Budget zu sehr zu belasten …

In künstlerischer Hinsicht hätte man allerdings schon damals die Klaue des Löwen erkennen können … Corinth war eine künstlerische Kraftnatur, ein Draufgänger. Selten sah man ihn zeichnen, auf einer großen Leinwand begann er sofort mit frischen kräftigen Pinselhieben einen Akt hinzuhauen; wobei dann in der Form oft manches schief herauskam, die Farbe aber den geborenen Koloristen nie verleugnete.

Auch die Schilderung seiner Wohnung paßt zum Bild dieses Künstlers. Seinen Besuch warnte er vor Eintritt in sein Studio, nicht zu erschrecken. Der Besuch erzählt:

Was einem zuerst auffiel, war ein mächtiger Kohlehaufen, der wie ein düsteres Gebirge … im Atelier sich auftürmte … zu dem in einer Ecke stehenden Ofen … In einem Winkel des Ateliers war in zwei Metern Höhe eine kleine Bühne (Hängeboden) aufgebaut, zu der man auf einer Treppe emporstieg und die als Schlafzimmer diente …

Die Möblierung des Raumes war sehr einfach: Drei Holzstühle …, ein Koffer, der als Kleiderschrank diente, und ein kleiner Tisch, auf welchem ein Zylinderhut und ein … Hemdkragen sich zu einem friedlichen Stilleben gruppiert hatten … Hinter dem Kohlehaufen stand eine Staffelei mit der angefangenen Nymphe.

Seine Heimfahrt nach Ostpreußen führt über Berlin. Dort verweilt er, genießt das Leben der zur Weltstadt sich mausernden deutschen Hauptstadt, trifft interessante Menschen, stellt unter ihnen aber fest, daß er ziemlich schüchtern ist und einen „komplizierten Charakter“ hat, der ihn aber „vor den Gefahren des schnellen Verdienenwollens“ bewahre. Hier wandelt er seinen Namen Louis in seinen Künstlernamen Lovis um.

Abb. 3 Vater

Lovis Corinth, Franz Heinrich Corinth. Der Vater des Künstlers, 1888, Art Museum Saint Louis (Zimmermann)

Ostern 1888 trifft er seinen Vater dann in Königsberg gesundheitlich angeschlagen an. Er bleibt bei ihm und malt unter anderen Bildern ein meisterhaftes Porträt von ihm. 1889 stirbt der Vater. Lovis Corinth bleibt zunächst in Königsberg, mietet sich dort ein Atelier. Dort entsteht auch eine „Pietà“ (1945 zerstört), die er nach Paris schickt. Von dort erhält er die langersehnte Anerkennung.

Er findet seinen Stil

Die Zeitungen beginnen, sich für ihn zu interessieren und ihn in „Kunstrichtungen“ einzuordnen: „Realismus“, „naturalistischer Kolorismus“, „Impressionismus“. Die Königsberger Presse anerkennt besonders seinen Erfolg im Pariser Salon:

Wenn man weiß, wie schwierig die Aufnahme in den „Salon“ bei dem ungeheuren Andrange der französischen Künstler und der Beschränktheit des zur Verfügung stehendes Raumes … zumal für einen Ausländer ist …, so hat der junge Künstler wahrlich Grund genug, sich dieses neuen Erfolgs zu erfreuen.

1890 tritt er der Königsberger Loge Immanuel bei. Sein Bild zeigt, welchen Geist er dort antrifft.

Außer seinem frühen Meisterwerk „Susanna im Bade“ malt er in Königsberg verschiedene Bilder mit Bezug auf seine ostpreußische Heimat. Seine Bilder werden in Königsberg ausgestellt, die Presse berichtet darüber. Doch Lovis Corinth zieht nach München.

Er malt Porträts, Aktstudien, Landschaften, Stilleben, biblische und mythologische Szenen. Hierbei fällt seine drastische Gestaltung auf. Im Gegensatz zu den Symbolisten, die den Symbolgehalt der dargestellten Gestalten und Geschehnisse verdeutlichen wollen,

schwelt dem Betrachter aus manchem Corinthschen Bilde (das physische Vermögen) wie tierische Brunst entgegen,

schreibt sein Bewunderer Julius Meyer-Graefe. Corinths Historiengemälde quellen über von nackten Gestalten in Aktion, die sich ungeschönt und unvermittelt den Betrachtenden darbieten.

Abb. 4 Innocantia

Lovis Corinth, Innocentia, 1890, Städtische Galerie im Lenbachhaus München (Zimmermann)

In seinem Aufsatz „Der Akt in der bildenden Kunst“ setzt er sich klar von Künstlern ab, die äußerliche Schönheit „mathematisch“ idealisiert darstellen. So bezeichnet er Raffael als

den größten Streber aller Kunstepochen … Das ganze Erdenwallen des Urbinaten war darauf gerichtet, individuelle Eigentümlichkeiten seiner Vorgänger und Zeitgenossen, von Masaccio und Lionardo angefangen bis zu Perugino und Michelangelo, zu verflachen und seinem Geschmack, der sich glücklich mit dem seines raffinierten geistlich-aristokratischen Publikums deckte, anzupassen.

Dagegen stellt er seine Vorbilder vor:

Mit welcher Inbrunst hat Donatello seine Figuren geschaffen, Botticelli seine antikisierten und doch lebensvollen heiligen und heidnischen Frauen. Michelangelo dichtet in Formen ein Hohes Lied der Nacktheit … Correggio und die Venezianer ergehen sich vor allem in Darstellungen des nackten Weibes, dessen sinnliche Schönheit die Begehrlichkeit der Männer zu den größten Taten begeistert hat … Welche Gewalt bezwingt uns in Anschauung der Leiche Christi von Holbein …

Doch bei all diesen Künstlern habe die Farbe nur die vorher sorgfältig gezeichneten Umrisse ausgefüllt.

Ganz anders verfuhren die drei Großen: Velasquez, Rubens und Rembrandt. Sie sahen die Figuren vom Licht beschienen und umflossen, während die Umgebung einen nicht mindern Einfluß als Widerspiegelung auf die Tonwerte ausübte … du glaubst das Fleisch mit dem Finger eindrücken zu können und das Blut unter der Haut pulsieren zu sehen.

In dieser Reihe der Gestalter lebensvoller Kunst steht Lovis Corinth. Naß in Naß bringt er seine Farben unmittelbar auf die Leinwand.

Sein Jugendwerk sei ein „Fest des Fleisches“ gewesen, hebt Corinth in seiner Autobiographie hervor. So mag ihm Rembrandts „Geschlachteter Ochse“ (1655, Louvre Paris) Vorbild gewesen sein, als er 1893 ebenfalls einen geschlachteten Ochsen „Im Schlachthaus“ malt (Staatsgalerie Stuttgart). 1908 folgt das Bild mit gleichem Motiv „Geschlachteter Ochse“ (Kunstforum Ostdeutsche Galerie Regensburg). Dabei trifft er die Farbabstufungen im Fleisch und Blut wirklichkeitsnah, hatte er doch schon als Kind – durch Vermittlung eines Verwandten, eines Fleischermeisters – ein Schlachthaus von innen gesehen und miterlebt, wie ein Ochse geschlachtet wurde. Und mit dem Blick des Augenmenschen beschreibt er den Vorgang in allen Einzelheiten.

1897 entsteht das Bildnis eines Metzgereiverkäufers „Schlächterladen in Schäftlarn an der Isar“ (Kunsthalle Bremen). Seine Akte und Ansammlungen nackter, in drastischer Interaktion begriffener Menschen auf seinen Bildern bestätigen, daß Fleisch zu malen lange Zeit sein Hauptanliegen ist.

Doch schon 1890 gelingt ihm das bezaubernde Bildnis einer jungen Frau, „Innocentia“, und 1900 sein international berühmtes Bild „Salome. II. Fassung“. Jede der historischen Figuren, die Corinth auf dieses Bild bannt, sind bei ihm Menschen, wie sie uns hier und jetzt begegnen können, ausdrucksstark und lebensecht, auch und gerade in ihrer unverhohlenen Verworfenheit. Nein, um Idealisierung geht es Corinth nicht, ihm geht es um die Wahrheit menschlichen Seins, auch in dessen Abgründen.

Abb. 5 Salome. II

Lovis Corinth, Salome. II. Fassung, 1900, Museum der bildenden Künste Leipzig (Zimmermann)

Die „Corinther“

1901 nimmt Corinth endgültig seinen Wohnsitz in Berlin. Denn mit der Ausstellung seines Bildes „Salome. II. Fassung“ in der Berliner Secession ist er Gegenstand des Stadtgesprächs:

Ich wurde für Berlin eine „Kapazität“.

Er gründet eine „Malschule für Akt und Portrait“, eine „Malschule für Weiber“, wie er sich schon seit längerem vorgenommen hat. Seine erste Schülerin ist Charlotte Berend, eine junge Frau aus jüdischer Familie. Sie heiraten 1904 – nur standesamtlich, als Charlotte von ihm schwanger geworden ist. Ihr erstes Kind ist Thomas Ernst Franz. 5 Jahre später kommt Wilhelmine Charlotte zur Welt.

Charlotte Berend, selbst künstlerisch hochbegabt, steckt eigenes Schaffen angesichts der Bedürfnisse der „Corinther“ zurück, wie das Ehepaar scherzhaft die eigene Familie nennt. Besonders auf den um 20 Jahre älteren Ehemann und Künstler stellt sich Charlotte ein. Sie wird Hauptmodell vieler seiner Bilder.

Abb. 6 Selbstbildnis mit Charlotte Berend

Lovis Corinth, Selbstbildnis mit Charlotte Berend und Rotweinglas, 1902, Privatsammlung (Zimmermann)

Während sie also nur eingeschränkt eigenem Schaffen nachgeht, baut Lovis Corinth, seelisch gestärkt und beflügelt, seine Künstlerlaufbahn aus. Doch immer wieder – wohl besonders dann, wenn er infolge einer Reise von Charlotte räumlich getrennt ist – trinkt er zuviel Alkohol. Er gesteht es ihr, und sie mahnt:

Sei brav und laß das Saufen.

Aber noch 1905 schildert er Charlotte, die im Harz weilt:

Bin ich fidel, dann bin ich eingeladen und schöpp mir die Stiebel voll … Mir sind die Glieder noch ganz schwer von gestern Abend …

Später berichtet er:

…wenn ich besoffen nach Hause wollte, stand hier immer ein Schutzmann. Er kannte mich schon, hob nur den Arm und deutete nach Nordwesten … ich bin manche Nacht ein halbdutzendmal wie in einem Karussell um den Platz gelaufen, ehe ich endlich die richtige Kurve fand.

Corinth schreibt in jener Zeit Artikel über Kunst und Künstler für Zeitungen und Zeitschriften, und er arbeitet an seinen Lebenserinnerungen, an denen er 25 Jahre hindurch immer wieder schreiben wird. Sein Einkommen steigt mit dem Wachsen seines Bekanntheitsgrades. Die Malschule tut ihr übriges, so daß Corinth seiner Frau schreiben kann:

Na, nun können wir wohl sagen, „was kost’t die Welt?“

Ja, er kann, weil Dienstboten eingestellt werden können, hinzufügen:

… denn Du malst doch nun auch auf Bestellung.

Im Gegensatz zu den meisten seiner Werke harren ihre aber bis heute der Wiederentdeckung.

In das für Sohn Thomas angelegte Kindertagebuch schreibt Charlotte 1906:

Wir sind jetzt enorm viel eingeladen, zu sehr eleganten Festlichkeiten, bei den größten Finanzleuten von Berlin – ein jeder spricht bewundernd von Deinem Papa, meinem geliebten Luke.

So nennt Charlotte ihren Lovis.

Ende 1911 erleidet Lovis Corinth einen Schlaganfall. Er fühlt sich dem Tode nahe. Da gelobt er sich,

von nun aber auch ganz bestimmt einen anderen Menschen anzuziehen. Die Einschränkung des Alkohols auf das mindeste Maß und welche Dinge noch mehr sind. Das ganze Leben strich an mir vorbei, ein Leben, welches wertvoller erschien jetzt im alleinigen Ringen, als in Jugend und Kraft. Es zwang mir Rechenschaft ab.

Corinth erholt sich, behält aber ein Zittern der Malhand zurück, das er nur mit äußerster Willenskraft einigermaßen meistern kann, und ein Auge weicht nach außen ab. Corinth bleibt trotzdem äußerst produktiv. In den Jahren 1913 bis 1922 schafft er jährlich etwa 50 Gemälde.

Bis zum Lebensende bleibt Lovis Corinth bewußt Ostpreuße und Deutscher. Das Kriegsgeschehen 1914/18 verfolgt er mit lebhaftem inneren Anteil, wirbt für die Kriegsanleihen und schreibt wenige Tage nach dem Zusammenbruch des deutschen Reiches am 9. November 1918:

… es war mir sehr mieß. Als wenn ich den Todeskampf eines geliebten Wesens mitmachte, nun ist das alte – geliebte – Deutschland tot, und man muß umlernen, da man nicht ewig trauern muß.

Er denkt freiheitlich, will „allerhöchste Geistesfreiheit“ verwirklicht sehen für Männer und Frauen.

Abb. 7 Walchensee

Lovis Corinth, Walchensee. Mondnacht, 1920, Pfalzgalerie Kaiserslautern (Zimmermann)

Ab 1918 ist Urfeld am Walchensee zweite Heimat der „Corinther“. Die dortige Landschaft gefällt ihnen ausnehmend gut, sie erwerben dort ein Grundstück, Charlotte läßt ein Ferienhaus darauf bauen, und 16 mal bis zum Tode Lovis Corinths reist die Familie dorthin. Lovis Corinth malt den Walchensee insgesamt 58 mal. Die zeitgenössische Kritik sieht diese Bilder als den Höhepunkt seines Schaffens an, und

nicht nur ganz Berlin reißt ihm die Bilder aus der Hand. (Peter Kropmanns)

Die Walchensee-Bilder werden zu seinem Markenzeichen. Unverblümt verbietet er daher Charlotte, ebenfalls den Walchensee zu malen.

In der Tat sind die an Jochberg, Herzogstand und vor der Kulisse des Sees und des Karwendelgebirges entstehenden Gemälde und Aquarelle Corinths von größter Leuchtkraft und Intensität und vor allem reine, pure, zur Meisterschaft geführte Malerei – ungekünstelt, ursprünglich, in die Materie der Farbe verliebt, sich abgerungen und letztlich lebensbejahend … Er revolutioniert dabei nicht nur sein eigenes Werk, sondern das der Epoche, in der er lebt. (Kropmanns)

Er selbst beschreibt seine innere Gestimmtheit in seiner Selbstbiographie, die er jetzt wieder fortsetzt, als durchweg niedergeschlagen:

Da die Menschen blindlings hinnehmen, was ihnen geboten wird, so dachte man, ich wäre vergnügt und ein lachender Philosoph. Und doch bin ich im Leben stets unglücklich gewesen … Dieses greuliche Weiterarbeiten ist mir zum Kotzen.

Am Spätnachmittag des 17. Juli 1925 stirbt Lovis Corinth im Beisein Charlottes und seiner Kinder in einem Hotel von Zandvoort/Holland mit Blick auf die Nordsee an den Folgen einer Lungenentzündung.

Der umstrittene Künstler

1926 wurde Corinth in der Berliner Nationalgalerie eine Retrospektive gewidmet. Im Katalog hob der Direktor Ludwig Justi neben der „vital kämpferischen Natur“ des Künstlers auch dessen „nordisch gotische Innerlichkeit“ hervor. Scheffler erinnerte sich später an die Schau, die „so pomphaft mit brennenden Fackeln und Freitreppenfeierlichkeit inszeniert“ wurde, „daß die deutlich werdende kunstpolitische Absicht ärgerte.“

Auf Corinths Inthronisierung in der Weimarer Republik folgte die Verfemung unter den Nazis. Als Ehemann einer jüdischen Frau und Freund der Cassirers und Liebermanns wurde er ebenso schändlich verfolgt wie seine Freunde. (Michael F. Zimmermann)

Die Nationalsozialisten rechneten seine Werke, besonders die nach dem Schlaganfall entstandenen, der „entarteten Kunst“ zu. Die von ihnen attestierte „Entartung“ führten sie denn auch auf den Schlaganfall zurück und dichteten gleich noch einen zweiten hinzu. Alfred Rosenberg erwähnt Corinth in seinem „Mythos des 20. Jahrhunderts“:

Eine gewisse Robustheit zeigte Lovis Corinth, doch zerging auch dieser Schlächtermeister des Pinsels im lehmig-leichenfarbigen Bastardtume des syrisch gewordenen Berlin.

Charlotte Berend sieht die Gefahr für sich als Jüdin rechtzeitig. Schon vor Hitlers Machtergreifung wandert sie 1932 aus Deutschland aus, zunächst nach Italien und in die Schweiz, schließlich 1939 nach Amerika. Sie ist in der Folgezeit maßgeblich daran beteiligt, die Kunst Lovis Corinths dem Vergessen zu entreißen, so daß er ab

Mitte der fünfziger Jahre wieder zu einer zentralen Figur der deutschen Kunstgeschichte wird. (Zimmermann)

Im Gegensatz zu den Nationalsozialisten beurteilen Andere gerade die nach dem Schlaganfall entstandenen Spätwerke besonders positiv als die Werke, die die wirkliche Bedeutung des Malers Lovis Corinth ausmachten. Besonders begeistert die Befürworter der Moderne, daß er

eine Steigerung des Ausdrucks durch eine expressionistisch-abstrahierende schnelle Faktur (erreiche). (Kropmanns).

Hugo Freiherr von Habermann ist sicher rechtzugeben, wenn er sagt:

Nicht gegen eine Richtung oder die Nationalität des Urhebers muß agitiert werden, sondern dagegen, daß minderwertige Werke irgend einer Richtung und irgend einer Herkunft, höherwertigen irgend einer Richtung und irgend einer Herkunft gleichgestellt oder vorgezogen werden, nur deshalb, weil sie eben einer bestimmten Richtung angehören.

Corinth selber lehnt gewisse Kunstrichtungen und die

fortwährende Koketterie der deutschen Künstler mit den ausländischen Moderichtungen

in deutlichen Worten ab. Er geißelt die deutsche Sucht,

blindlings und urteillos alles nachzuahmen, was von Frankreich geboten wird,

wobei er gleichzeitig klarmacht, was er an Cézanne oder Manet bewundert.

Im Wettstreit mit guten Kunstwerken kann die eigne Kunst nur gestählt werden. (Er möchte) den deutschen Künstler von der degradierenden Abhängigkeit des Auslandes

befreien und empfiehlt den Wahlspruch:

Arbeiten und besser machen!

Mit herabsetzenden Worten greift er die

kindischen Stammeleien der Naturvölker

an, denen sich europäische Künstler zuwenden:

Die jetzigen Bilder der Neger und Malaien, die Malereien auf indianischen Zeltdächern wurden das Ideal in Form und Farbe für diese Modernsten. In allen Arbeiten von Matisse und seinen Nächsten tritt dieses Quellmotiv deutlich zutage. Wie es nun immer ist, werden die Nachkommen noch wilder in ihren Annahmen, was modernste Kunst verlangt, und kommen scheinbar ganz auf die Naturvölker zurück; außerdem haben sie für ihre Rätselkunst, die nichts mehr mit der freien edeln Kunst gemein hat, Lehren aufgestellt, die der Geometrie entnommen scheinen … Jede Einzwängung der Kunst in steinerne Lehren ist ein unwürdiges Unterfangen, und wir … müssen derartiges zu den „Manieren“, zur „Rezeptmalerei“ zählen …

Er verurteilt den „Negerstil“ von Matisse und den „Cubismus“ von Picasso ebenso wie den Futurismus und den Neoimpressionismus. Diese sich auf Theorien und Ideologien stützenden Moderichtungen hält er nicht für wirklich modern. Für ihn ist richtig, was
„Muther, einen Satz Burgkhards variierend“ sagt: Rembrandt – in dessen Nachfolge Corinth sich sieht –

Rembrandt war der erste moderne Mensch an der Staffelei.

1908 veröffentlicht er sein „Handbuch“ „Das Erlernen der Malerei“. Darin betont er, daß

„Zeichnen“ lediglich die richtige Wiedergabe des Vorbildes bedeutet (wie auch später das Malen), gleichviel durch welche Behandlung des Materials, womit gearbeitet wird.

Er vertritt die Ansicht, die Aussagen eines Werkes der bildenden Kunst hätten ohne weitere Erklärung ersichtlich zu sein. Der Künstler solle das Neue nicht suchen, er finde es

in sich selbst, in seiner Individualität.

Nachdem das Pariser Musée d’Orsay mit seiner Ausstellung – der ersten für den deutschen Künstler Lovis Corinth in Frankreich – vom 1.4. bis zum 9.6.2008 mit 86 Gemälden und 30 Arbeiten auf Papier vorangegangen ist, folgten Ausstellungen in Deutschland: im Leipziger Museum der bildenden Künste vom 11.7. bis zum 19.10.2008 und im Regensburger Kunstforum Ostdeutsche Galerie vom 9.11.2008 bis zum 15.2.2009. Diese drei hochrangigen Museen in Frankreich und Deutschland haben sich zusammengetan, um das Jubiläum des 150. Geburtstages Lovis Corinths „mit einer großen Retrospektive zu feiern“, heißt es in einer Presseinformation des Leipziger Museums der bildenden Künste, worin weiter berichtet wird:

Unter der Schirmherrschaft von Bundeskanzlerin Angela Merkel und des französischen Präsidenten Nicolas Sarkozy sei die Retrospektive in Paris eröffnet worden.

Der ostpreußische „Maler-Abenteurer“ stellt sich dem französischen Publikum als ein Grenzgänger zwischen Impressionismus und Expressionismus, Tradition und Avantgarde vor. Die deutschen Kooperationspartner Leipzig und Regensburg – beide Museen beherbergen große Corinth-Sammlungen – … werden auch in Deutschland zu einer Wiederentdeckung des großen Meisters der figurativen Moderne beitragen.

Ein schönes Ergebnis deutsch-französischer Zusammenarbeit, die niemanden mehr gefreut hätte als Lovis Corinth!

Abb. 8 Selbstporträt mit Panamahut

Lovis Corinth, Selbstporträt mit Panamahut, 1912, Öl auf Leinwand, Kunstmuseum Luzern (Zimmermann)

Schrifttum:

1. Norbert Eisold, Lovis Corinth, Fridericus Rex, Ein lithographischer Zyklus, Monumente Publikationen der Deutschen Stiftung Denkmalschutz

2. Peter Kropmanns, Lovis Corinth. Ein Künstlerleben, Hatje Cantz Verlag Ostfildern, 2008

3. Michael F. Zimmermann, Lovis Corinth, Verlag C. H. Beck oHG, München 2008

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