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Welche Macht hat doch eine so etablierte Einrichtung wie die Papst-Kirche!

Papst Benedikt XVI. alias Joseph Ratzinger (Wikipedia)

Davon können Normalsterbliche nur träumen: vor einer politischen Einrichtung wie dem deutschen Bundestag auftreten und seine Denkungsart zur Geltung bringen! Und das, obwohl zu einer aufgeklärten, freiheitlich-rechtstaatlichen Grundordnung, zu der wir Deutsche uns doch bekennen, gehört, daß die Politik Religionen gegenüber neutral bleibt.

Jetzt durfte der Vertreter des katholischen Christentums vor dem Deutschen Bundestag sprechen. Schon wird die Forderung laut, daß nun auch der Dalai Lama eingeladen werden müsse. Wann darf der Oberrabiner als Vertreter des Judentums, wann ein Hauptprediger des Islam im Deutschen Bundestag auftreten?!

Waren wir uns nicht darin einig, daß in Europa Religion Privatsache sei?

Nun zum Inhalt der Papstrede vor dem Deutschen Bundestag! Ratzinger sprach über die

Grundbegriffe Natur und Gewissen

– sehr klug – in einer Weise, die wohl jeden selbständig Denkenden anspricht, gleich welcher Denk- oder Glaubensrichtung er zugehört. Besonders gut gefällt mir sein Hinweis auf Hans Kelsens Worte, die das heute in der Wissenschaft weitgehend verfochtene Naturverständnis kennzeichnen, nämlich als

ein Aggregat von als Ursache und Wirkung miteinander verbundenen Seinstatsachen.

Aus dieser rein materialistischen, d. h. von außen herangehenden Sicht auf die Natur kann in der Tat keine Weisheit erwachsen.

Die Natur ist kein mechanistisches Räderwerk. Sie birgt so viel Willenskraft, Schönheitssinn, Harmoniestreben, soviel Weisheit, daß der Erkennende nur voller Ehrfurcht ihr gegenüber stehen oder – noch besser – sich mit ihr verbunden und eins fühlen kann. Nur im Einklang mit diesem ihr innewohnenden Wesen entstehen die großen Kulturwerke der Menschheit. Alles andere landet auf dem Müllhaufen der Geschichte.

Daher wies der Papst mit Recht diese materialistische Sichtweise zurück:

Ein positivistischer Naturbegriff, der die Natur rein funktional versteht, so wie die Naturwissenschaft sie erklärt, kann keine Brücke zu Ethos und Recht herstellen, sondern wiederum nur funktionale Antworten hervorrufen. Das gleiche gilt aber auch für die Vernunft in einem positivistischen, weithin als allein wissenschaftlich angesehenen Verständnis. Was nicht verifizierbar oder falsifizierbar ist, gehört danach nicht in den Bereich der Vernunft im strengen Sinn.

Damit spricht der Papst den Krebsschaden unserer heutigen Welt an: das Machertum, das Vernutzen der Natur, der Mutter Erde, die Irrwege der Medizin, der Weltmacht-Politik, alles angetrieben von der grenzenlosen Habgier des Menschen.

Sehr gut finde ich auch, daß Ratzinger die positiven Seiten, die das Vernunftdenken an sich ja auch hat, hervorhebt:

Das positivistische Konzept von Natur und Vernunft, die positivistische Weltsicht als Ganzes ist ein großartiger Teil menschlichen Erkennens und menschlichen Könnens, auf die wir keinesfalls verzichten dürfen. Aber es ist nicht selbst als Ganzes eine dem Menschsein in seiner Weite entsprechende und genügende  Kultur.

Und sehr mit Recht betont er das Entscheidende:

Wo die positivistische Vernunft sich allein als die genügende Kultur ansieht und alle anderen kulturellen Realitäten in den Status der Subkultur verbannt, da verkleinert sie den Menschen, ja sie bedroht seine Menschlichkeit.

Wohin hat uns der Materialismus bereits geführt?

Ratzinger findet klare Worte dazu:

Ich sage das gerade im Hinblick auf Europa, in dem weite Kreise versuchen, nur den Positivismus als gemeinsame Kultur und als gemeinsame Grundlage für die Rechtsbildung anzuerkennen, alle übrigen Einsichten und Werte unserer Kultur in den Status einer Subkultur verwiesen und damit Europa gegenüber den anderen Kulturen der Welt in einen Status der Kulturlosigkeit gerückt und zugleich extremistische und radikale Strömungen herausgefordert werden.

Die sich exklusiv gebende positivistische Vernunft, die über das Funktionieren hinaus nichts wahrnehmen kann, gleicht den Betonbauten ohne Fenster, in denen wir uns Klima und Licht selber geben, beides nicht mehr aus der weiten Welt Gottes beziehen wollen. Und dabei können wir uns doch nicht verbergen, daß wir in dieser selbstgemachten Welt im stillen doch aus den Vorräten Gottes schöpfen, die wir zu unseren Produkten umgestalten.

Die Fenster müssen wieder aufgerissen werden, wir müssen wieder die Weite der Welt, den Himmel und die Erde sehen und all dies recht zu gebrauchen lernen.

Wer wollte ihm hier wiedersprechen! Doch

bei seiner Suche nach dem Weg in die „Weite der Welt“ kommt der christliche Dogmatiker in ihm zum Zuge:

Aber wie geht das? Wie finden wir in die Weite, ins Ganze? Wie kann die Vernunft wieder ihre Größe finden, ohne ins Irrationale abzugleiten? Wie kann die Natur wieder in ihrer wahren Tiefe, in ihrem Anspruch und mit ihrer Weisung erscheinen?

Kehren wir zurück zu den Grundbegriffen Natur und Vernunft, von denen wir ausgegangen waren. Der große Theoretiker des Rechtspositivismus, Kelsen, hat im Alter von 84 Jahren – 1965 – den Dualismus von Sein und Sollen aufgegeben. Er hatte gesagt, daß Normen nur aus dem Willen kommen können.

Soweit so gut. Doch nun folgt er Kelsen offensichtlich nur zu gern weiter, der aus seiner biblischen Vorstellung von einem „Schöpfergott“ als Macher nicht loskommt:

Die Natur könnte folglich Normen nur enthalten, wenn ein Wille diese Normen in sie hineingelegt (Hvh. Adelinde) hat. Dies wiederum würde einen Schöpfergott voraussetzen, dessen Wille in die Natur miteingegangen ist. „Über die Wahrheit dieses Glaubens zu diskutieren, ist völlig aussichtslos“, bemerkt er dazu.

Der Papst fragt:

Wirklich? – möchte ich fragen. Ist es wirklich sinnlos zu bedenken, ob die objektive Vernunft, die sich in der Natur zeigt, nicht eine schöpferische Vernunft, einen Creator Spiritus voraussetzt?

Und nun kommt die übliche, immer wiederholte Behauptung, womit sich die Kirche selbst bestätigen und ihre Daseinsberechtigung unterstreichen möchte:

Von der Überzeugung eines Schöpfergottes her ist die Idee der Menschenrechte, die Idee der Gleichheit aller Menschen vor dem Recht, die Erkenntnis der Unantastbarkeit der Menschenwürde in jedem einzelnen Menschen und das Wissen um die Verantwortung der Menschen für ihr Handeln entwickelt worden.

Der Papst geht auch hier vom Machen, dem vernunftmäßigen „Entwickeln“ aus. Er merkt nicht, wie seine Religion selbst die Vorgaben für das Machertum liefert. Der – vernunftmäßig – außerhalb der Welt gedachte „Gott“ macht die Welt. Den Menschen Adam formt er aus Lehm, und diesem fertigen Erzeugnis „haucht er seinen Atem ein“.

Das ist eine kindliche Sandkasten-Vorstellung, die das Wesen des Schöpferischen nicht erkennt. Die Schaffung der Welt geschah von innen heraus, so wie auch ein wahrhaft schöpferisches Kunstwerk sein eigenes Wesen atmet, aus dem es geworden ist. Dazu im Gegensatz steht das Machwerk, das ein solches Wesen niemals atmen kann. Als gewolltes „Kunst“-Werk erscheint es uns schal,  falsch und abstoßend. Allein als technisch funktionierendes Erzeugnis hat es seine Berechtigung.

Deshalb kann Benedikt XVI. auch nur mit der immer wiederholten, begrifflich schwammigen Schlußfolgerung kommen:

Die Kultur Europas ist aus der Begegnung von Jerusalem, Athen und Rom – aus der Begegnung zwischen dem Gottesglauben Israels, der philosophischen Vernunft der Griechen und dem Rechtsdenken Roms entstanden.

Was versteht Ratzinger hier unter Kultur?

  • Gehören dazu die entsetzlichen Greuel der katholischen Inquisition, des Glaubensterrors, des Denkverbotes, der Verfolgung und grauenhaften Folterungen und Hinrichtungen von Millionen Frauen und Männern?
  • Gehören dazu die völkerzerstörenden “Heiden”-Missionen der christlichen Glaubensfanatiker?
  • Karikatur von Haizinger (Elbe-Jeetzel-Zeitung v. 24.9.2011)

  • Gehört dazu die Verführung eines Volkes zum Auserwähltheitsdünkel mit allen seinen Folgen für die Welt?
  • Gehört dazu der Dualismus der Vernunft-Philosophen seit Sokrates, der die Natur aufgespalten sieht in Materie und Geist, statt sie als Einheit zu erkennen wie Giordano Bruno, den die Heilige Inquisition der Papstkirche nach 7 Kerkerjahren in der Engelsburg von Rom mitsamt seinem Schrifttum bei lebendigem Leib als Ketzer auf dem Scheiterhaufen verbrannte?

Das Rechtsdenken, das die Würde und Freiheit des Menschen erkennt und gewahrt wissen will,  liegt tief in jeder Menschenseele, die es nur ans Licht zu heben braucht. Es ist ansprechbar und entflammbar, aber nicht aufsetzbar, lehrbar. Zwar können vorgegebene Sätze auswendig gelernt werden. Aber Nachplappern ohne eigenes seelisches Erleben und Erkennen ist wie das „tönend Erz“ und die „klingende Schelle“, von denen im Korinther-Brief die Rede ist.

Ratzinger fährt im selben Gedanken fort:

Diese dreifache Begegnung bildet die innere Identität Europas.

Wie immer in solchen Wiederholungen dieses Dogmas, das der Kirche so wohltut, werden die freiheitlichen Heiden des germanischen Nordens Europas unterschlagen. Ihr wacher Geist der Freiheit war und ist es, der die Menschenrechte einfordert. Ratzinger aber glaubt, es sei das

… Bewußtsein der Verantwortung des Menschen vor Gott

gewesen. Der Mensch wieder einmal gedacht als „vor Gott“ stehend, im Gegenüber also, nicht als Einheit mit dem Göttlichen, das sein ganzes Sein durchdringt, erhält, entfaltet und ausmacht. Keine Körperzelle kann ohne es leben. Erlischt das göttliche Leben in ihr, stirbt sie.

Somit war die Papstrede für mich teils erfreulich freidenkerisch und weise, teils aber wieder – wie nicht anders von einem Kirchenoberhaupt zu erwarten – an überholten Gottes-Vorstellungen der Bibel anhaftend.

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Stefan Wehmeier
12 Jahre zuvor

Wer Menschenrechte verwirklichen will, muss zuerst wissen, was Nächstenliebe ist:

http://www.deweles.de/globalisierung/die-3-gebote.html

Gerhard Bracke
Gerhard Bracke
12 Jahre zuvor

Die kritische Würdigung der Papstrede im Bundestag deckt den inneren Widerspruch klar auf: Sobald von Natur, Vernunft und Menschwürde die Rede ist, kann kein Vernünftiger seine Zustimmung verweigern. Doch diese Werte sind eben nicht eine Errungenschaft des Christentums, dessen Kriminalgeschichte nach Karlheinz Deschner bereits in neun umfangreichen Bänden dokumentiert wurde. Daran erinnert auch Goethes Faust-Dichtung:
“Natur und Geist,
so spricht man nicht zu Christen,
dafür verbrennt man Atheisten.”
Es war eine kluge Entscheidung des Papstes, sich vor dem Bundestag auf einen philosophischen Oberseminar-Vortrag einzulassen, wenn es soviel zu verbergen gilt

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