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Elke Reisenbichler

berichtet erfreut:

Heute abend habe ich etwas Mutmachendes bezüglich des Erhaltes unserer deutschen Sprache und Kultur in einer kleinen Würdigungsstunde erlebt. Die Heilbronner Stimme hatte im Vorfeld darauf hingewiesen:

Das Heilbronner Robert-Mayer-Gymnasium (der Heilbronner Robert Mayer entdeckte das Gesetz von der Erhaltung der Energie) hat zum zweiten Mal die Gelegenheit wahrgenommen, als einzige in Baden-Württemberg im Rahmen einer AG seinen Schülern und Schülerinnen (11. Klasse) einen vertieften Einblick in die deutsche Sprache und Literatur zu gewähren.

Die AG wurde geleitet von einer Germanistin der in Mainz ansässigen Dr.-Ing.-Hans-Joachim-Lenz-Stiftung. Das Projekt hieß diesmal:

Das vergessene Wort

17 Schüler stellten sich ein halbes Jahr lang einmal die Woche und darüber hinaus in ihrer Freizeit die Aufgabe, in deutscher Literatur vom Barock bis zur Gegenwart heute ungebräuchliche, vergessene, unbekannte Wörter einerseits und schöne sprachliche Wendungen andererseits herauszusuchen.

Die Schüler stellten je zwei Textstellen aus dem von ihnen gelesenen und untersuchten Werk vor.

Erfreulich reif zeigten sich drei junge Leute. Erstaunlich, daß die junge Dame ein Huldigungsgedicht an die deutsche Sprache von Friedrich Rückert sprach. Sie hatte es selber ausgesucht:

Die Sprache und ihre Lehrer

Die Sprache ging durch Busch und Gehege,
Sie bahnte sich ihre eigenen Wege.
Und wenn sie einmal verirrt im Wald,
Doch fand sie zurecht sich wieder bald.
Sie ging einmal den gebahnten Steg,
Da trat ein Mann ihr in den Weg.
Die Sprache sprach: Wer bist du, Dreister?
Er sprach: Dein Lehrer und dein Meister.
Die Sprache dacht‘ in ihrem Sinn:
Bin ich nicht selber die Meisterin?
Aber sie ließ es sich gefallen,
Ein Streckchen mit ihrem Meister zu wallen.
Der Meister sprach in einem fort,
Er ließ die Sprache nicht kommen zum Wort.
Er hatt‘ an ihr gar manches zu tadeln,
Sie sollte doch ihren Ausdruck adeln.
Die Sprache lächelte lang‘ in Huld,
Endlich kam ihr die Ungeduld.
Da fing sie an, daß es ihn erschreckte,
Zu sprechen in einem Volksdialekte.
Und endlich sprach sie gar in Zungen,
Wie sie vor tausend Jahren gesungen.
Sie konnt‘ es ihm am Maul ansehn,
Daß er nicht mocht‘ ein Wort verstehn.
Sie sprach: Wie du mich siehst vor dir,
Gehört‘ das alles doch auch zu mir;
Das solltest du doch erst lernen fein,
Eh‘ du wolltest mein Lehrer sein.
Drauf gingen sie noch ein Weilchen fort,
Und der Meister führte wieder das Wort.
Da kamen sie, wo sich die Wege teilten,
Nach jeder Seit‘ auseinander eilten.
Die Sprache sprach: Was rätst nun du?
Der Meister sprach: Nur gerade zu!
Nicht rechts, und links nicht ausgeschritten;
Immer so fort in der rechten Mitten!
Die Sprache wollt‘ einen Haken schlagen,
Der Meister packte sie beim Kragen:
Du rennst mein ganz System übern Haufen.
Wenn du so willst in die Irre laufen.
Die Sprache sprach: Mein guter Mann,
Was geht denn dein System mich an?
Du deutest den Weg mir mit der Hand,
Ich richte mich nach der Sonne Stand;
Und wenn die Stern‘ am Himmel stehn,
So lassen auch die mich nicht irre gehn.
Macht ihr nur keinen Dunst mir vor,
Daß ich sehn kann den ewigen Chor.
Doch daß ich jetzo mich links will schlagen,
Davon kann ich den Grund dir sagen:
Ich war heut‘ früh rechts ausgewichen,
Und so wird’s wieder ausgeglichen.

Friedrich Rückert (1788 – 1866), alias Freimund Raimar, deutscher Dichter, Lyriker und Übersetzer arabischer, hebräischer, indischer und chinesischer Dichtung

Ein anderer beschäftigte sich mit Johann Gottfried Seume (1763-1810). Ein dritter (Selim!) ist durch die AG zum „Schiller-Experten“ geworden, hieß es.

Ein junger Mann hatte den Mut festzustellen, daß

Thomas Mann

die deutsche Sprache nicht beherrscht habe.

Er brachte Textpassagen –

  • da verstand man wirklich nicht, worum´s ging.
  • Es war ein einziger Wortschwall, was Mann da geschrieben hatte,
  • eine wülstige Reihung von vielfach sich Widersprechendem. (Und so was ist oft Pflichtlektüre zum Abitur! Vom Inhalt mal ganz abgesehen.)
  • Daß er häufig unsinnige Doppelungen verwendet habe, wovon die wichtigste Mann’sche Doppelung für ihn, den Schüler, das „göttlich unsinnig“ des Thomas Mann sei, denn das bezeichne genau den Tod in Venedig.
  • Im gleichen Sinne lese er jetzt den Zauberberg von ihm.
  • Er brandmarkte die „triviale Stümperhaftigkeit des völlig zu Unrecht Hochgelobten.“ (Erfrischende jugendliche Rigorosität!)

Sowohl diese Schüler lassen hoffen, als auch diese große blonde, sympathische, Geist, Gemüt und hohes Kulturbewußtsein ausstrahlende Projektleiterin der Stiftung, welche u.a. sagte:

Sprache erst adelt uns. – Erst durch Sprache kann Kultur entstehen

und weitere wohltuende Überzeugungen aussprach.

Sie ermunterte die Schüler, sich weiterhin der deutschen Sprache zu widmen, gerade in einer Zeit, wo durch die technischen Medien unsre Sprache sehr verarme.

Gerade der Selim fragte uns Gäste, was denn „Lenz“ und dann der Plural „Lenze“ eigentlich bedeuten, und stellte weitere alte Wörter wie „Mär“ und „verwesen“ (wie z. B. Reichsverweser) vor.

Alle Arbeiten der Schüler während des halben Jahres der Projektdauer sind in einem Buch zusammengefaßt worden:

  • Listen von vergessenenen Wörtern,
  • eigene Gedichte und Briefe,
  • Bewertungen über Sprache an sich
  • und die gelesenen Bücher.

Diese Dokumentation füllt den 41. Band. Das bedeutet, daß die Dr.-Lenz-Stiftung ein solches Halbjahresprojekt an einer deutschen Schule bereits zum 41. Mal finanziert hat.

Bei Books on Demand sind diese Bände unter dem Titel Das vergessene Wort. Vom Reichtum der deutschen Sprache (z.B. ISBN 13-978-3-938088-44-9 für die Heilbronner Ausgabe von Band 41, 2016) für jeweils zwischen 9 und 20 € zu haben, je nach Umfang.

Es sind Schülerarbeiten, die anderen Schulen zur Nachahmung dienen können. Der 90-jährige Stifter Dr. Ing. Lenz hat den Umschlag gestaltet.

Ein vorbildhafter Beitrag zum Erhalt unserer Kultur!

 

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H. Ohlsen
H. Ohlsen
8 Jahre zuvor

Ein sehr schöner Beitrag, der einmal mehr Mut macht, im Kampf um Sprache, Kultur, Bildung und Menschentum nicht nachzulassen.

Ich erinnere mich, vor Jahren einmal gehört oder gelesen zu haben, daß Oberstufenschüler nach einer besonders gemütvollen und sprachlich gelungenen Theateraufführung – ich glaube, es wurde Schiller oder Goethe gegeben – sagten, sie hätten überhaupt nicht gewußt, daß die deutsche Kultur solche Kleinode bereithielte und Sprache so ein mächtiger Mittler sein könne; und sie fühlten sich betrogen, das nicht eher und viel mehr während ihrer Schulzeit kennengelernt zu haben (sinngemäß aus dem Gedächtnis).

Man kann getrost davon ausgehen, daß sich junge Menschen auch heute noch nach dem Guten, Wahren und Schönen sehnen, idealistisch und begeisterungsfähig sind. Aller Smartphoneverblödung und geistig-seelischen Abrichtung und Aushungerung zum Trotz.

Friedrich Bode
Friedrich Bode
8 Jahre zuvor

Die schöpferische Vielfalt – erlebt und in Sprache, Musik und Malerei nachempfunden – ist der sprechendste Hinweis auf eine unfaßbare uns erfassende und so überall daseinende Schöpferkraft.

Sprache trägt in der gekonnten Beschreibung und im Erfassen des Augenblicks in sich, dem Hörenden und Sprechenden das Gefühl, Mitschöpfer zu sein im Trost, in der Vernichtung, im räumlichen Erschließen des Horizonts bis hin zur Unendlichkeit.

Sie übertrifft so alles technische Erfassen durch ihr Hervorrufen des unmittalbaren Nacherlebens, daß das Aha im Sinne: Ich bin es also, der bewirkt, ich bin es, der hier lebt und webt. „Am Anfang war das Wort…“. Die vom Schöpfer so kulturell in den Raum der Geschichte gestellt gilt es daher zu bewahren und in ihrem Wesensgehalt zu entwicklen und zu erweitern und nicht ideologischen Verballhornungen zu unterwerfen.

Friedrich Bode, Pastor i. R.

Dieter Ehlermann
Dieter Ehlermann
8 Jahre zuvor

Lieber Pastor Bode,
es ist ein Kernpunkt von Sprache, das Johannes-Evangelium in Griechisch niedergeschrieben, und von Luther entschuldbar falsch übersetzt: es war nicht das ‚WORT‘, dem Gott hat ja auch damals niemand zugehört! Es war ‚ho logos‘, in meinem Schullexion zwei Seiten von Erklärungen der vielfältigen Bedeutungen. Es ist sicher besonders schwierig, diesen Text in die heutige Sprache zu übersetzen. Vielleicht, ‚es war die Idee‘. Und genau dies ist das Wesentliche an Sprache! Bedeutung, ständig wechselnd, der Kontext. Mit DUMMdeutsch und Denglish wird diese Vielfalt nur (unzulässig) verengt.

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