Geschichtsstunde 1: Zur Frage der Kriegsschuld 1939
Freitag, 12. März 2010 von Adelinde
Wenig bekannte Dokumente und Tatsachen, die dem
Münchner Abkommen von 1938
vorausgingen, werden hier aufgeführt
von Adelinde-Autor Werner Schümann
- Der englische Historiker Keith Feiling zitiert Neville Chamberlain, der am 20. März 1938 notiert hat:
… Deswegen konnten wir der Tschechoswlowakei nicht helfen – sie wollte einfach der Vorwand sein, gegen Deutschland in den Krieg zu ziehen. Dies konnten wir nicht denken, es sei denn, wir hätten eine vernünftige Aussicht so stark zu werden, um sie in vernünftiger Zeit in die Knie zu zwingen …” (The Life of Neville Chamberlain, S. 348)
- Der schottische Pfarrer Peter H. Nicol schreibt unter Bezugnahme auf J.W. Wheeler-Bennett, daß die höchsten deutschen Generäle im Sommer 1938 in der Angst schwebten, Hitler könne mit Krieg drohen, und deswegen nach London die Botschaft schickten, daß sie Hitler und das NS-Regime beseitigen würden, falls Hitler sich zu einer Kriegsdrohung entschließen sollte. (Englands Krieg gegen Deutschland, S. 53)
- Aber die Angst der Generäle war unbegründet, denn Hitler schickte Mitte Juli 1938 ohne Wissen des Auswärtigen Amtes einen Sonderbotschafter nach London, der – dazu autorisiert – sich bei dem englischen Außenminister Lord Halifax dafür verbürgte, daß deutsche Truppen nicht in die Tschechoslowakei einmarschieren würden. (Feiling a. a. O., S. 356)
- Feiling formuliert den bemerkenswerten Satz:
Die Deutschen hatten eine Waffe von hinterlistiger Kraft: die angelsächsische Formel von der Selbstbestimmung.
- Und er zitiert aus einem Artikel der Londoner Times:
Wenn Tschechen und Deutsche nicht zusammen leben können, warum werden die Grenzen nicht berichtigt?
- Schlußpunkt in diesem Sinne war die Konferenz von München am 29. September 1938 zwischen Deutschland, dem Vereinigten Königreich, Frankreich und Italien. Was die Tschechen betrifft, schreibt Winston Churchill (Der zweite Weltkrieg, Band 1, S. 386):
Den Tschechen wurde eine Teilnahme nicht gestattet.
- Der Grund dafür steht in der Präambel des Vertrages:
… unter Berücksichtigung des Abkommens, das hinsichtlich der Abtretung des sudetendeutschen Gebiets bereits grundsätzlich erzielt wurde …
Damit wird diplomatisch umschrieben, daß England und Frankreich die Tschechoslowakei zur Abtretung gedrängt haben, ohne eine Diskussion mit ihnen zuzulassen. Man wollte sie kurzweg vor den Entscheid ihrer “Beschützer”stellen. (s. Churchill, a. a. O. S. 368)
Adelinde: Schöne Demokraten, unsere so edlen “Befreier”!
Zu diesem Thema kann ich die gründlich recherchierte Arbeit von Gerd Schultze-Rhonhof empfehlen: “Das tschechisch-deutsche Drama 1918-1939. Errichtung und Zusammenbruch eines Vielvölkerstaates als Vorspiel zum Zweiten Weltkrieg”
Olzog Verlag München 2008, über 400 Seiten
Sehr geehrter Herr Bracke,
das von Ihnen genannte Buch kenne ich. Es steht in meinem Bücherregal. Mit Ihrer Beurteilung stimme ich überein.
Mich irritierte aber, daß Schultze-Rhonhof das Hosbach-Protokoll und eine angebliche Weisung für den “Fall Grün” anführt. Deswegen habe ich den englischen Historiker Feiling zitiert, dessen Nachforschungen ergeben haben, daß Hitler das Gegenteil von dem tat, was er den Generälen – angeblich wortgewaltig – vorgetragen haben soll.
Auch die von J. W. Wheeler-Bennett aufgefundene Botschaft der deutschen höchsten Generäle, daß sie Hitler und sein Regime beseitigen würden, falls Hitler mit Krieg drohen sollte, ergibt vor der behaupteten Weisung für den “Fall Grün” keinen Sinn.
Schultze-Rhonhof hat eine Doppel-DVD mit dem Titel “Der zweite dreißigjährige Krieg” herausgebracht. Auf deren Umschlag steht:
“Wenige Monate nach Ende des ersten Weltkriegs findet sich in der angesehenen britischen Tageszeitung ,Times’ folgende, verblüffend ehrliche Notiz: ,Wenn Deutschland in den nächsten 50 Jahren wieder Handel zu treiben beginnt, ist dieser Krieg umsonst geführt worden.'”
Da stimme ich Ihnen zu, auch sehe ich das sog. “Hoßbach-Protokoll” kritischer und berufe mich dabei auf Dankwart Kluges gründliche Untersuchung “Das Hoßbach-‘Protokoll’. Die Zerstörung einer Legende” (Druffel Verlag 1980).
Ich werde Herrn General Schultze-Rhonhof in meinem nächten Brief darauf ansprechen.