Franz Schubert (3)
Donnerstag, 10. Juni 2010 von Adelinde
Erste Liebe
Die Erwählte ist Therese Grob. Es wird vermutet, daß Schubert für Therese seine F-Dur-Messe D105 mit dem Sopran-Solo geschrieben habe. Im selben Jahr wird die Messe zur Hundertjahrfeier der Pfarrkirche zu Lichtental uraufgeführt. Franz dirigiert, Ferdinand spielt die Orgel, Therese singt das Sopran-Solo, und Salieri sitzt unter den Zuhörern. Dies war 1814 Schuberts erster Auftritt mit einem eigenen Werk in der Öffentlichkeit. „Kein kleines Aufsehen“ habe er mit seiner Messe hervorgerufen, heißt es in einem zeitgenössischen Bericht.
Über Therese Grob äußert Schubert 1821 Anselm Hüttenbrenner gegenüber:
Eine habe ich recht innig geliebt und sie mich auch. Sie war etwas jünger als ich und sang in einer Messe, die ich setzte, die Sopransoli wunderschön und mit tiefer Empfindung. Sie war eben nicht hübsch, hatte Platternarben im Gesicht, aber gut war sie, herzensgut. Drei Jahre hoffte sie, daß ich sie ehelichen werde; ich konnte jedoch keine Anstellung finden, wodurch wir beide versorgt gewesen wären. Sie heiratete dann nach dem Wunsche ihrer Eltern einen anderen, was mich sehr schmerzte …
Bemerkenswert ist, daß Schubert wie in allen seinen Messen auch schon in seiner ersten die Worte übergeht:
Credo in unam sanctam ecclesiam catholicam et apostolicam (Ich glaube an die eine heilige katholische und apostolische Kirche).
Später, 1827, schickt ihm ein Freund eine Einladung mit Noten zu den Worten:
Credo in unum Deum (Ich glaube an den einen Gott)
und fügt den Satz an:
Du nicht, das weiß ich wohl …
„Le lied“
In der Zeit seiner Jugendliebe ist seine
Schaffenslust unbändig, die Leichtigkeit und Sicherheit des Niederschreibens ist beispiellos,
schreibt Fischer-Dieskau. Ende des Jahres 1814 hatte Schubert mit 17 Jahren bereits 126 Werke geschaffen, darunter 2 Symphonien und eine große Anzahl von Liedern, mit denen er bereits damals zum „Schöpfer des deutschen Liedes“ geworden ist, des Liedes, das so unverwechselbar deutsch ist, daß der Begriff „Lied“ in andere Sprachen nicht übersetzbar ist und daher dort als Fremdwort besteht für eine ganz bestimmte Musikgattung. „Le lied“ sagen sogar die sprachbewußten Franzosen, Mehrzahl „les lieder“.
1815 komponiert Schubert sage und schreibe 145 Lieder.
Wenn ich eins fertig habe, schreibe ich das nächste.
Einmal an einem Tage 9! Und von Spaun hören wir:
Statt durch die ungeheure Verschwendung der herrlichsten Melodien ärmer zu werden, schien er nur neue, größere Reichtümer zu enthüllen, und die Quelle zauberischer Töne sprudelte immer lebendiger.
Besonders viele Gedichte, etwa 70, vertonte er von Goethe. Ihm sandte Spaun 1816 eine Sammlung Goethe-Lieder von Schubert, nicht ahnend, daß Goethe in seinen Auffassungen vom Lied noch so in alten Vorstellungen befangen – „konservativ“ – war, daß er mit Schuberts Vertonungen nichts anzufangen wußte. Sie waren oft durchkomponiert, die Musik paßte sich Strophe für Strophe der inhaltlichen Aussage des Gedichtes an, so daß die Strophen unterschiedlich erklangen. Und die Klavierbegleitung war bei Schuberts Liedern nicht mehr nur akkordische Unterstützung der Gesangsmelodie, sondern hatte ihr eigenes, gleichwertiges Gewicht.
Die Lieder-Sendung kam daher auch kommentarlos von Goethe zurück. Ebenso erging es der zweiten Sendung 1825. Schubert blieb wieder ohne Antwort.
Auch für Schiller, den schon damals beliebtesten deutschen Freiheitsdichter, begeisterte sich Schubert und vertonte besonders zur Zeit der Befreiungskriege etliche Gedichte von ihm, nur konnte Schiller sich nicht mehr bedanken. Er war schon 1805 gestorben.
1814 vertonte Schubert das Goethe-Gedicht „Gretchen am Spinnrade“! Zu diesem Lied des 17-Jährigen sagt Dietrich Fischer-Dieskau:
Derartiges hatte es in der Musik noch nicht gegeben. Die monotone Figur in der Klavierbegleitung, die das sich drehende Spinnrad versinnbildlicht, hält auf dem Höhepunkt des Liedes an und macht auf klagende Weise deutlich, wie Verzweiflung die körperliche Bewegung erlahmen läßt. Dann wird die Figur schluchzend und mühsam wieder aufgenommen. Wir erleben schmerzhaft die Wiederkehr sinnlicher Wahrnehmung. Solcherlei erschütternde Details hindern eine formale Geschlossenheit keineswegs. Die drei Teile enden jeweils mit dem Ausruf Gretchens „Meine Ruh‘ ist hin“, eine durchaus nicht von Goethe stammende Einschnittverteilung.
1815 komponierte er nicht nur mehr als 150 Werke für Gesang, sondern u. a. auch bereits seine Symphonien 3, 4 und 5.
Unerschöpflicher Quell
Und obwohl ihm die Schulkinder fürchterlich auf die Nerven gehen, bewirbt er sich 1816 um die Musiklehrer-Stelle an der deutschen Normalhauptschule in Laibach. Man nimmt an, daß Schubert einerseits wegen seiner Liebe zu Therese Grob eine gesicherte Stellung nachweisen und andererseits der väterlichen Aufsicht entfliehen wollte. Seine Bewerbung wird indes abgelehnt.
Nun war aber der Musizierkreis in seinem Elternhause zu Orchestergröße angewachsen und mußte seinen Standort nach außerhalb in den sog. Schottenhof verlegen. Seine Freunde aus dem Musizierkreis, allen voran Schober, bestärkten Schubert, sich vom Elternhaus zu lösen.
Schober nahm Schubert in der eigenen Wohnung in der Inneren Stadt auf. Damit war ein Schritt getan, der Franz Schubert, ohne Anstellung und ohne einen Mäzen im Rücken zum ersten freischaffenden Komponisten der Musikgeschichte machte, der heute Weltruhm besitzt. Das bedeutete aber für ihn zu seiner Lebenszeit, als er noch unbekannt war, den Mut zu Armut und Ehelosigkeit zu haben.
Das Deutsch-Werk-Verzeichnis weist bis zum Jahr 1816 – Schubert ist knapp 20 Jahre alt – 504 Werke aus! Unvorstellbar!
Vogl führt Schubert in die „Welt“ ein
1817 nun vollzieht sich in Schuberts Künstlerdasein eine entscheidende Wende. Auf Schobers Vermittlung tritt der berühmte Hofopernsänger Johann Michael Vogl in sein Leben.
Vogl erkennt das Genie Schuberts, und obwohl er sich aus Altersgründen vom Gesang schon hatte verabschieden wollen, nimmt er sich der Liedkunst Schuberts an. Er sagt zu Schubert:
Es steckt etwas in Ihnen, aber Sie sind zu wenig Komödiant, zu wenig Scharlatan. Sie verschwenden Ihre schönen Gedanken, ohne sie breitzuschlagen.
Vogl gelingt es, Schubert den Weg in die Öffentlichkeit zu ebnen. Und Schubert ist von ihm begeistert:
Die Art und Weise, wie Vogl singt und ich accompagnire, wie wir in einem solchen Augenblicke Eins zu werden scheinen, ist … etwas ganz Neues, Unerhörtes.
Die Wiedergabe der neuartigen Lieder Schuberts erfordert ein ganz anderes künstlerisches Können als bisher üblich. Vogl schreibt in sein Tagebuch:
Nichts hat den Mangel einer brauchbaren Singschule so offen gezeigt, als Schuberts Lieder. Was müßten sonst diese wahrhaft göttlichen Eingebungen, die Hervorbringungen einer musikalischen clairvoyance (Hellsichtigkeit) in aller Welt, die der deutschen Sprache mächtig ist, für allgemein ungeheure Wirkung machen. Wie viele hatten vielleicht zum erstenmal begriffen, was er sagen will: Sprache, Dichtung in Tönen, Worte in Harmonien, in Musik gekleidete Gedanken.
Joseph von Spaun war am 16. November 1815 Augenzeuge der Entstehung des Erlkönig gewesen und überliefert uns sein unglaubliches Erlebnis:
Wir fanden Schubert ganz glühend, den Erlkönig aus einem Buch laut lesend. Er ging mehrmals mit dem Buch auf und ab, plötzlich setzte er sich, und in kürzester Zeit stand die herrliche Ballade nun auf dem Papier. Wir liefen damit … in das Konvikt, und dort wurde der Erlkönig noch denselben Abend gesungen und mit Begeisterung aufgenommen. Der alte Ruziczka (der Orchester-Dirigent) spielte ihn dann selbst, ohne Gesang, in allen Teilen aufmerksam durch und war tiefbewegt über die Komposition…
Von Goethe erfahren wir, daß er viel später den „Erlkönig“ von der berühmten Sängerin Wilhelmine Schröder-Devrient gesungen hörte und nun sagte:
Ich habe die Komposition früher einmal gehört, wo sie mir gar nicht zusagen wollte, aber so vorgetragen gestaltet sich das Ganze zu einem sichtbaren Bilde.
Nebenbei bemerkt: Carl Maria v. Weber bewunderte die Schröder-Devrient als Agathe, Wagner als Norma, und Beethoven war von ihr als Darstellerin seines Fidelio so hingerissen, daß er ihr eine neue Opernrolle zu komponieren versprach. Solche Gesangs-Hochkultur war es nun, die allein den Schubert-Liedern angemessen war.
Umgeben von der Liebe solcher aufgeschlossener, treuer Freunde und Förderer, gelangte Schubert bald auch in private Musikkreise, an denen das damalige Wien reich war. In diesen Kreisen hatte sich nun Schuberts Name allmählich herumgesprochen, und es gab dort zu der Zeit bereits eine rege Nachfrage nach seinen Werken, u.a. auch bei der gräflichen Familie Esterházy de Galantha.
Auf dem Landgut Zselesz
Im Sommer 1818 wurde Schubert auf deren Landgut Zselesz eingeladen. Dort sollte er die beiden Töchter Marie und Caroline unterrichten.
Unser Schloß ist keines von den größten, aber sehr niedlich gebaut … Ich wohne im Inspectorat. Es ist ziemlich ruhig, bis auf einige 40 Gänse, die manchmal so zusammenschnattern, daß man sein eigenes Wort nicht hören kann,
berichtet Schubert von seinem 1. Aufenthalt dort. An seine Freunde Spaun, Schober und Mayrhofer richtet er am 3. August 1818 aus Zselesz einem Brief die Worte:
Liebste, theuerste Freunde! Wie könnte ich euch vergessen, die ihr mir alles seid! … wie geht es Euch, lebt ihr wohl? Ich befinde mich recht wohl. Ich lebe und componire wie ein Gott, als wenn es so seyn müßte … Jetzt lebe ich einmal, Gott sei Dank, es war Zeit, sonst wär noch ein verdorbener Musikant aus mir geworden.
Er wird gut bezahlt, erhält regelmäßige Mahlzeiten und hat reichlich Zeit zum Komponieren. An seinen Bruder Ferdinand schreibt er 3 Wochen später:
So wohl es mir geht, so gesund als ich bin, so gute Menschen als es hier gibt, so freue ich mich doch unendlich wieder auf den Augenblick, wo es heißen wird: Nach Wien, nach Wien! Ja, geliebtes Wien, Du schließest das Theuerste, das Liebste, in Deinen engen Raum, und nur Wiedersehen, himmlisches Wiedersehen wird dieses Sehnen stillen.
Zselesz ist der östlichste Teil von dem engen Feld, in dem sich Schubert auf unserer Erde bewegt hat, nach Westen reicht er bis nach Salzburg und Gastein.
Ich bin für nichts als das Komponieren auf die Welt gekommen,
erkennt er sich selbst, lebt seiner Musik und versteht von den Dingen der Erscheinungswelt wenig, von Vorteilsnahme nichts. Anselm Hüttenbrenner erzählt:
Schubert war
auf seine zahlreichen Manuskripte wenig achtsam.
Kamen gute Freunde zu ihm, denen er neue Lieder vortrug, so nahmen sie die Hefte mit sich und versprachen, sie bald wiederzubringen, was aber selten geschah. Oft wußte Schubert nicht, wer dieses oder jenes Lied vorgetragen hatte. Da entschloß sich mein Bruder Josef, der mit ihm in seinem Haus wohnte, alle die zerstreuten Lämmer zu sammeln, was ihm auch nach vielen Nachforschungen so ziemlich gelang.
Ich überzeugte mich eines Tages selbst, daß mein Bruder über 100 Lieder von Schubert in einer Schublade gut aufbewahrt und wohlgeordnet liegen hatte. Dies freute auch unsern Freund Schubert, der dann alle nachfolgenden Werke meinem Bruder zur Aufbewahrung übergab, solange sie unter einem Dach wohnten.
Es sind ja mehrere Werke Schuberts verschollen, darunter etliche Lieder, Streich-Quartette und sogar eine ganze Symphonie, die Gasteiner! Viel haben Unachtsamkeit und Habgier mancher seiner angeblichen Freunde dazu beigetragen. Nach langen Jahren des Verschollenseins fand sich z.B. die weltberühmte h-moll-Symphonie, die sog. Unvollendete, bei eben dem Hüttenbrenner, von dem wir eben hörten.
Hüttenbrenner hatte die Symphonie schon in ein Klavierwerk umgearbeitet, um sie auf diese Weise als sein Werk zu veröffentlichen. Aber auch Ferdinand Schubert hatte stapelweise Notenhandschriften seines Bruders bei sich gelagert, ehe 1838 glücklicherweise Robert Schumann darüber zukam und zu seiner großen Begeisterung u. a. die C-Dur-Symphonie D944 von Franz Schubert entdeckte!
Forsetzung folgt
Dieser Goethe, hier einmal als Banause ohne musikalisches Verständnis. Vielleicht aber hat ihm nur niemand die Vertonungen vorgetragen. Bei einigermaßen bestehender Empfindsamkeit für die nicht zu überbietende Ausdrucksform Schubert’scher Lieder, bis hinein in die Begleitnotation, hätte es auch einem Geheimrat auffallen müssen, dass hier jemand auf Augenhöhe mit ihm in Erscheinung tritt. Wenn man Goethe auch hin und wieder ein Plagiat nachweisen kann, bei Schubert ist das nicht der Fall. Goethe geht m. E. beschädgit von der Zeitbühne.