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Franz Schubert (4)

„Der Wanderer“ und der „Schobert“

Doch zurück in das Jahr 1818! Von Zselesz wieder in Wien eingetroffen, bleibt Schubert seines Vaters Schule einfach fern, was erneuten Bruch mit dem Vater bedeutet, und unbehaust und mittellos, wie er nun ist, zieht er viel um und wohnt bei Freunden in möblierten Zimmern, sehr häufig und zusammengenommen 7 Jahre bei Schober. Die Freunde nennen beide in einem Wort „Schobert“.

… nur Dich lieber Schober, Dich werd ich nie vergessen, denn was Du mir warst, kann mir leider niemand anderer seyn,

schreibt Schubert am 30. November 1823.

Und nun lebe recht wohl, und vergesse nicht Deines Dich ewig liebenden Freundes Franz Schubert.

Ehe wir irgendwelche Schlüsse ziehen, müssen wir bedenken, daß in damaliger Zeit das Wort Liebe noch nicht den heutigen Anstrich des Sexuellen hatte, sondern wirklich das seelische Gefühl bezeichnete.

Zwar ist zwischen den Freunden auch die Rede von gleichgeschlechtlichen Neigungen, für Schubert aber sind sie nicht nachweisbar. Das Wort Liebe bekam in solchen Fällen ein Adjektiv hinzugefügt. Solche Leidenschaften heißen dann „griechische Liebe“, „attische Liebe“ oder „platonische Liebe“, weil ja im Freundeskreis um Platon auch die erotischen Beziehungen zwischen Männern üblich und hochangesehen waren. Die Jünglinge um Schubert waren ja auch große Verehrer der Griechen, deren Geist sie in ihrem deutschen Vaterland zum Tragen bringen wollten.

Vom Elternhaus und von Therese Grob getrennt, ist Schubert nun tatsächlich der unstete Wanderer, den er in vielen Liedern besingt. So schrieb er mit 19 Jahren z. B. auch das ergreifende Lied  „Der Wanderer“, als er bei der Familie Schober wohnte!

Die nächste Station nach seiner Rückkehr aus Zselesz ist ein Zimmer in der Wipplinger Straße, das er gemeinsam mit seinem schwermütigen Dichterfreund Mayrhofer bewohnt.

Haus und Zimmer haben die Macht der Zeit gefühlt: die Decke ziemlich gesenkt, das Licht von einem großen gegenüberstehenden Gebäude beschränkt, ein überspieltes Klavier, eine schmale Bücherstelle …

So beschreibt Mayrhofer diese Behausung. Schubert hat etliche Gedichte Mayrhofers vertont. Nach 2 Jahren kommt es zwischen beiden zur Entfremdung, und Schubert zieht wieder aus. Später, 1835, also nach Schuberts Tod, wird sich der unglückliche Mayrhofer das Leben nehmen.

Vogl mit Schubert auf Konzertreise (Karikatur von Schober, Bild: Wikipedia)

Im Sommer 1819 reist Schubert mit Vogl nach Kremsmünster, Steyr und Linz.

Die Gegend um Steyr ist über allen Begriff schön,

schreibt er seinem Bruder Ferdinand. Aus Linz berichtet er Mayrhofer:

In Steyr hab ich mich und werd’ mich noch sehr gut unterhalten. Die Gegend ist himmlisch, auch bey Linz ist es sehr schön. Wir, d.h. Vogl und ich, werden nächster Tage nach Salzburg reisen. Wie freu ich mich …

Auf dieser Reise wird er durch Vogl weiteren Kreisen und neuen Freunden bekannt.

Das Deutsch-Werk-Verzeichnis weist inzwischen 678 Werke des knapp 22 Jahre alten Schubert auf. Dennoch gerät Schubert in diesem Jahr 1819 zusehends in eine persönliche Krise. Schubert setzt vor allem auf dem Gebiet der Instrumentalmusik zu immer neuen Werken an, die er aber vielfach unvollendet liegen läßt. Viel versucht er sich jetzt und in den folgenden Jahren mit der Oper, hat damit aber keinen Erfolg. Er schreibt Spaun aus Wien Ende 1822:

Mir ging es sonst ziemlich gut, wenn mich nicht die schändliche Geschichte mit der Oper so kränkte,

die hier im Kärntnertor-Theater aufgeführt worden war. Den Text zu der mißglückten Oper „Alfonso und Estrella“ hatte Schober verfaßt. Vogl war wegen des ganzen Unternehmens nicht nur gegen Schober, sondern auch gegen Schubert verstimmt.

Als Vogl im Sommer 1822 ohne Schubert in Steyr ankam, mußte er sich den Fragen der Freunde stellen. Joseph Spaun gibt wieder, was Vogl erklärt hatte:

Zu mir ist Vogl äußerst freundlich. Er erzählte mir seine ganze Beziehung zu Schubert mit der größten Freimütigkeit, und leider bin ich ganz unfähig, den Letzteren zu entschuldigen. Vogl ist gegen Schober sehr erbittert, um dessentwillen sich Schubert sehr undankbar zu Vogl benahm und der Schubert mißbrauchte, um selbst aus Geldschwierigkeiten herauszukommen und die Kosten zu bezahlen, die bereits den größten Teil des Vermögens seiner Mutter erschöpft haben. Ich wünsche sehr, daß jemand hier wäre, der Schubert verteidigen würde, zumindest in den durchscheinendsten Vorwürfen. Auch sagt Vogl, daß Schobers Oper schlecht und ein vollständiger Fehlgriff sei und daß Schubert überhaupt auf falschem Wege sei.

Schober war ein Lebemann, dem die Freunde eindeutige Liebesbriefe schrieben. Im Laufe der Jahre aber verwandelte sich die Liebe der meisten in Haß. Als einer der wenigen hielt Schubert treu zu dem „göttlichen Kerl“. Vermutungen, Schubert habe sich – durch Schober verführt – eine schwere Geschlechtskrankheit zugezogen, sind nicht belegt.

Caroline Esterhazy, Aquarell von Anton Hähnisch, 1837 (aus: Widl, Franz Schuberts Liebe)

In Zselesz war Schuberts Liebe zur Komteß Caroline Esterházy aufgekeimt, eine Liebe so hoffnungslos wie Beethovens zu seiner „Unsterblichen Geliebten“ Josephine von Brunswick, die wie Caroline dem Hochadel angehörte bzw. nahestand und damit für einen „Musikanten“ aus dem Kleinbürgerstand unerreichbar war.

In seiner Not und Todesahnung stellt sich bei Schubert ein rastloses Schaffen ein. Noch im Krankenhaus – seine Haare sind wegen der Hautausschläge geschoren, er trägt eine Perücke – schreibt er eine Reihe der Lieder zu seinem Liederzyklus „Die schöne Müllerin“, gedichtet von Wilhelm Müller.

Wie es um ihn steht, wird klar, wenn wir sein Gedicht lesen, das er am 8. Mai 1823 geschrieben hat:

Mein Gebet

Tiefer Sehnsucht heil’ges Bangen
Will in schön’re Welten langen;
Möchte füllen dunklen Raum
Mit allmächt’gem Liebestraum.

Großer Vater! reich’ dem Sohne,
Tiefer Schmerzen nun zum Lohne,
Endlich als Erlösungsmahl
Deiner Liebe ew’gen Strahl.

Sieh, vernichtet liegt im Staube,
Unerhörtem Gram zum Raube,
Meines Lebens Martergang
Nahend ew’gem Untergang.

Tödt’ es und mich selber tödte,
Stürz’ nun Alles in die Lethe,
Und ein reines kräft’ges Sein
Laß’, o Großer, dann gedeih’n.

Franz Schubert

Schubert erholt sich zunächst. Doch die Zusammenkünfte der Freunde gestalten sich nicht mehr so erfreulich wie früher.

Stundenlang hört man … nichts anderes als ewig von Reiten und Fechten, von Pferden und Hunden reden. Wenn es so fort geht, so werd’ ich’s vermutlich nicht lange unter ihnen aushalten,

äußert Schubert Schober gegenüber, und Schwind fügt hinzu:

Das Leben ist so übertäubt von Kassageschäfte und Schwänke, daß einem nicht einmal ein ungestörtes Beisammensein möglich ist … wir müßten uns wahrlich dieser Kompagnie schämen.

Auch in Schuberts Tagebuch ist unter dem 27. März 1824 zu lesen:

Keiner, der den Schmerz des Andern, und Keiner, der die Freude des Andern versteht! Man glaubt immer, zueinander zu gehen, und man geht immer nur nebeneinander. O Qual für den, der dies erkennt! Meine Erzeugnisse sind durch den Verstand für Musik und durch meinen Schmerz vorhanden; jene, welche der Schmerz allein erzeugt hat, scheinen am wenigsten die Welt zu erfreuen.

Und wehmütig erinnert er Schober an die Zeiten,

wo wir traulich beieinander saßen u. jeder seine Kunstkinder den andern mit mütterlicher Scheu aufdeckte.

Der Tod wird Schuberts Thema

Er fürchtet ihn nicht. In einem Gedicht von Stolberg, das Schubert vertont, heißt es:

Uns sammelt alle, klein und groß,
die Mutter Erd’ in ihren Schoß;
o, säh’n wir ihr ins Angesicht,
wir scheuten ihren Busen nicht!

Des Lebens Tag ist schwer und schwül,
des Todes Atem leicht und kühl,
er wehet freundlich uns hinab,
wie welkes Laub ins stille Grab.

An Kupelwieser schreibt er am 31. März 1824:

Mit einem Wort, ich fühle mich als den unglücklichsten, elendsten Menschen auf der Welt. Denk Dir einen Menschen, dessen Gesundheit nie mehr richtig werden will, und der aus Verzweiflung darüber die Sache immer schlechter statt besser macht, dessen glänzendste Hoffnungen zu Nichts geworden sind, dem das Glück der Liebe und Freundschaft nichts bieten als höchstens Schmerz, dem Begeisterung … für das Schöne zu schwinden droht, und frage Dich, ob das nicht ein elender, unglücklicher Mensch ist?

… jede Nacht, wenn ich schlafen geh, hoff ich nicht mehr zu erwachen, u. jeder Morgen kündet mir nur den gestrigen Gram. So Freude- und Freundelos, verbringe ich meine Tage, wenn nicht manchmal Schwind mich besuchte und mir einen Strahl jener vergangenen, süßen Tage zuwendete. Unsere Lesegesellschaft hat sich wegen Verstärkung des rohen Chores in Biertrinken und Würstelessen, den Tod gegeben.

Über seine Liebesbeziehung zu Caroline Esterházy erfahren wir wenig.

Auffallend aber ist der reiche Quell seiner Schöpfungen in der Zeit seiner Lehrtätigkeit bei Familie Esterházy. Ab dem 25. Mai 1824 ist er wieder mit ihnen auf Schloß Zselesz in Ungarn. Hier erholt er sich sichtlich. Nach halbjährlichem Aufenthalt dort scheint seine Krankheit ausgeheilt zu sein.

Eine weitere Parallele zu Beethovens Liebe ist, daß auch Schubert außer einem Werk, der Fantasie für Klavier zu 4 Händen, kein anderes Werk seiner Geliebten widmet.

Ihnen gehört doch sowieso alles,

sagt er im Beisein des Schubert-Sängers Baron Schönstein zu Caroline. Auch ihre Liebe wird wie die Beethovens zu Josephine Bruns­wick streng geheimgehalten. Dennoch ist sie von mehreren Freunden bezeugt.

Ende 1824 wird Schubert von Seiten der Esterházys gekündigt, eine Tragödie, die abzusehen war. Caroline läßt sich erst 1844, also 16 Jahre nach Schuberts Tod, auf eine Ehe mit einem Grafen ein, die sie aber sofort wieder löst. Sie stirbt 1851. Welche Leiden verbergen sich hinter diesen nüchternen Angaben!

Schubert ist wieder heimatlos in die Welt geworfen,

auf ruheloser Wanderschaft von einer Unterkunft zur nächsten. 1825 geht er mit Vogl wieder auf Reisen, diesmal bis nach Gmunden am Traunsee. Die Menschen, die dem Musizieren der beiden beiwohnen, sind hingerissen. Eine junge Frau schwärmt:

Es ist ein göttlicher Genuß, Vogl singen und Schubert spielen zu hören.

Und Eduard Traweger berichtet:

Zu den Genüssen waren mehrfach Verwandte und Bekannte geladen. Solche Kompositionen, so vorgetragen, mußten die Empfindungen zum Ausdruck bringen, und war das Lied zu Ende, so geschah es nicht selten, daß die Herren sich in die Arme stürzten und das Übermaß des Gefühls in Tränen sich Bahn brach.

Oder in einem Brief an Spaun heißt es:

Liebster, wir wünschten Dir jedesmal, daß Du es hörtest! Könnten wir doch die Weisen in Deine Träume bringen, wie sie uns bis in die sinkende Nacht umklingen!

Über das Absichtslose wahrhaften Schöpfertums

schreibt Schubert seinem Vater von dieser Reise:

Auch wundert man sich sehr über meine Frömmigkeit, die ich in einer Hymne an die Hlg. Jungfrau ausgedrückt habe [dem Ave Maria], und wie es scheint, alle Gemüther ergreift und zur Andacht stimmt. Ich glaube, das kommt daher, weil ich mich zur Andacht nie forciere, und, außer wenn ich von ihr unwillkürlich übermannt werde, nie dergleichen Hymnen oder Gebete komponiere, dann aber ist sie auch gewöhnlich die rechte und wahre Andacht.

Er ruft die Phantasie an:

O, bleibe noch bey uns, wenn auch von Wenigen nur anerkannt und verehrt, um uns von jener Aufklärung, jenem Gerippe ohne Fleisch und Blut, zu bewahren.

Es wird die kalte Nüchternheit der Vernunft sein, die mit Beginn der „industriellen Revolution“ die Menschen in den Materialismus zu drängen sucht, was Schubert so abstößt. Und so erhalten wir denn von dieser Reise Berichte wie diesen von Marie Pachler, der hochbegabten Schülerin Beethovens und nun Förderin Beethovens und Schuberts:

Schubert war so freundlich, so mitteilend … wie er von der Kunst sprach, von Poesie, von seiner Jugend, von Freunden und anderen bedeutenden Menschen, vom Verhältnis des Ideals zum Leben … Ich mußte immer mehr erstaunen über diesen Geist, dem man nachsagte, seine Kunstleistung sei so unbewußt, ihm selbst oft kaum offenbar und verständlich und so weiter. Und wie einfach das alles …

Und der geistvolle und sozial tatkräftige katholische Geistliche Johann Ladislaus Pyrker, der noch bis zum Erzbischof aufsteigen sollte und von dem Schubert auch zwei Gedichte vertont hat, schrieb Schubert:

Ich bin stolz darauf, mit Ihnen ein und demselben Vaterland anzugehören!

Vaterlandsliebe, Freiheit und Freundesliebe waren ja auch die Werte, die Schubert gemeinsam mit seinen Freunden hochhielt.

In seinen Reisebeschreibungen, die er von dieser Fahrt an seinen Bruder Ferdinand richtet, lernen wir ein weiteres Mal den

Dichter des Wortes

Schubert kennen. Hier nur eine Kostprobe daraus:

Wir fuhren also weiter über Golling, wo sich schon die ersten, hohen, unübersteigbaren Berge zeigten, durch deren fürchterliche Schluchten der Paß führt. Nachdem wir dann über einen großen Berg langsam hinaufkrallten, vor unserer Nase, sowie zu den beiden Seiten schreckliche Berge, so daß man glauben könnte, die Welt sei hier mit Brettern vernagelt, so sieht man plötzlich, indem der höchste Punct des Berges erreicht ist, in eine entsetzliche Schlucht hinab, und es droht einem im ersten Augenblicke einigermaßen das Herz zu schüttern. Nachdem man sich etwas von dem ersten Schreck erholt hat, sieht man diese rasend hohen Felswände, die sich in einiger Entfernung zu schließen scheinen, wie eine Sackgasse, und man studirt umsonst, wo hier der Ausgang sei.

In dieser schreckenvollen Natur hat auch der Mensch seine noch schreckenvollere Bestialität zu verewigen gesucht. Denn hier war es, wo auf der einen Seite die Baiern, und die Tyroler auf der anderen Seite der Salzach, die sich tief, tief unten brausend den Weg bahnt, jenes grauenvolle Morden vollbrachten, indem die Tyroler, in den Felsenhöhlen verborgen, auf die Baiern, welche den Paß gewinnen wollten, mit höllischem Lustgeschrei herabfeuerten, welche getroffen in die Tiefe herabstürzten, ohne je sehen zu können, woher die Schüsse kamen.

Dieses höchst schändliche Beginnen, welches mehrere Tage und Wochen fortgesetzt wurde, suchte man durch eine Capelle auf der Baiern Seite und durch ein rothes Kreuz auf der Tyroler Seite zum Theil zu bezeichnen und zum Theil durch solche heil’gen Zeichen zu sühnen. Du herrlicher Christus, zu wieviel Schandthaten mußt du dein Bild herleihen, Du selbst das gräßlichste Denkmal der menschlichen Verworfenheit, da stellen sie dein Bild auf, als wollten sie sagen: Seht! Die vollendetste Schöpfung des großen Gottes haben wir mit frechen Füßen zertreten, sollte es uns etwa Mühe kosten, das übrige Ungeziefer, genannt Menschen, mit leichtem Herzen zu vernichten?

Nach Wien zurückgekehrt, schlägt Schubert das Anerbieten der Freunde Schwind und Bauernfeld aus, zu ihnen zu ziehen.

Schubert ist, was äußerliche Habe betrifft anspruchslos, was seine Freiheit betrifft, aber unbeirrbar.

Er bleibt zunächst in seinem Zimmer Auf der Wieden und lebt nach dem Motto seines Liedes von „Des Sängers Habe“ (von Schlechta gedichtet):

Schlagt mein ganzes Glück in Splitter,
nehmt mir alle Habe gleich,
lasset mir nur meine Zither,
und ich bleibe froh und reich…

Nach seiner Reise aber verfügt er nun über einen zufriedenstellenden Erlös einiger seiner Lieder. Wie sorglos aber hätte er sein können, wenn er nur einen geringen Bruchteil dessen erhalten hätte, was andere, in der Mit-, aber vor allem in der Nachwelt, mit seinen Werken an Geld für sich herausschlagen! Von Schubert aber meldet einer seiner Freunde:

Natürlich, daß Schubert unter uns die Rolle des Krösus spielte und ab und zu in Silber schwamm, wenn er etwa ein paar Lieder an den Mann gebracht hatte oder gar einen Zyklus … Die erste Zeit wurde flott gelebt … und nach rechts und links gespendet – dann war wieder Schmalhans Küchenmeister!

Doch am 1. Januar 1826 notiert Bauernfeld:

Silvester bei Schober ohne Schubert, der krank war …

Er leidet unter heftigen Kopfschmerzen. Am 10. Juli 1826 schreibt Schubert:

Lieber Bauernfeld! Ich kann unmöglich nach Gmunden oder irgend woanders hinkommen, ich habe gar kein Geld, und es geht mir überhaupt sehr schlecht. Ich mache mir jedoch nichts daraus und bin lustig …

Am 26. März 1827 stirbt

Beethoven, das große, zutiefst verehrte Vorbild

Schuberts. Schon früh hatte Schubert gesagt:

Ich glaube auch schon, es könnte etwas aus mir werden; aber wer vermag nach Beethoven noch etwas zu machen?

Schüchtern, wie er war, hat er nur einen einzigen Versuch unternommen, Beethoven zu besuchen. Er traf ihn nicht an und hinterließ ihm ein Beethoven gewidmetes Variationswerk für Klavier zu 4 Händen. Beethoven soll es häufig mit seinem Neffen gespielt haben. In einem der Konversationshefte Beethovens ist die Eintragung des Neffen zu lesen:

Man lobt den Schubert sehr … sagt aber, er soll sich verstecken.

Auf seinem Sterbebett bekam Beethoven schließlich noch einige Lieder Schuberts zu Gesicht und soll begeistert gewesen sein:

Wahrlich, in diesem Schubert wohnt der göttliche Funke!

Nun ist Schubert einer der 38 Fackelträger, die Beethovens Sarg begleiten, und muß sich bei der Ansprache Grillparzers anhören:

Noch lebt zwar – und möge er lange leben! – der Held des Sangs in deutscher Sprache und Zunge (gemeint ist Goethe). Aber der letzte Meister des tönenden Liedes, der Tonkunst holder Mund … hat ausgelebt.

„Der letzte Meister des tönenden Liedes“ – Grillparzers große Verehrung für seinen Freund Beethoven ließ ihn den bescheidenen Schubert übersehen!

Mit Beethoven teilte Schubert das Schicksal,

viele seiner Instrumentalwerke nie selbst gehört

zu haben, nicht weil auch er taub geworden wäre, sondern weil sie zu seinen Lebzeiten nicht aufgeführt wurden, woran er selbst aber wohl nicht unschuldig war.

Sein erstes und einziges eigenes Konzert fand am 1. Todestag Beethovens, dem 26. März 1828 statt, im Sterbejahr Schuberts. Die Freunde, die schon immer für Schubert gesorgt hatten, waren auch hierzu die treibenden Kräfte:

So nimm Dir einen Anlauf, bezwinge Deine Trägheit, gib ein Konzert, nur von Deinen Sachen natürlich,

dringt Bauernfeld in ihn.

Wenn ich die Kerls nur nicht bitten müßte!,

nämlich um die Bereitstellung des Saales der Gesellschaft der Musik­freunde, graust es den scheuen Schubert. Das Konzert findet statt. Bauernfeld trägt in sein Tagebuch ein:

Am 26. war Schuberts Konzert. Ungeheurer Beifall. Der Saal war vollgepfropft, jedes Stück wurde mit Beifall überschüttet, der Kompositeur unzählige Male hervorgerufen. Das Konzert warf einen Reinertrag von beinahe 800 Gulden ab.

Übereinstimmend damit steht in Franz von Hartmanns Tagebuch zu lesen:

Mit Louis und Enk in Schuberts Konzert. Wie herrlich das war, werde ich nie vergessen…

Doch die Wiener Presse schweigt. Ebenso hilfreich wie sie benehmen sich die Verleger. Ihrer Gerissenheit und Geschäftstüchtigkeit ist der weltfremde Schubert nicht gewachsen.

Mir kommt’s manchmal vor, als gehöre ich gar nicht in diese Welt,

sagt er einmal zu dem Schauspieler Anschütz.

Immer noch finden die unvermindert beliebten Schubertiaden statt, denen aber Schubert in letzter Zeit fernbleibt. Schubert ist mit dem neuen Lieder-Zyklus „Winterreise“ von Wilhelm Müller beschäftigt. Spaun schreibt:

Schubert wurde durch einige Zeit düster gestimmt und schien angegriffen. Auf meine Frage, was in ihm vorgehe, sagte er mir: „Nun, Ihr werdet es bald hören und begreifen.“ Eines Tages sagte er zu mir: „Komme heute zu Schober. Ich bin begierig zu sehen, was Ihr dazu sagt. Sie haben mich mehr angegriffen, als dieses je bei anderen Liedern der Fall war.“ Er sang uns nun mit bewegter Stimme die ganze Winterreise durch. Wir waren über die düstere Stimmung dieser Lieder ganz verblüfft …

Wilhelm Müller. Bleistiftzeichnung von Wilhelm Hensel (aus: Hilmar, Schubert)

Wilhelm Müller starb in dem Jahr, als Schubert Müllers 24 Gedichte vertonte, 1827, im Alter von nur 33 Jahren. Er hatte einmal gesagt:

… in der Tat führen meine Lieder nur ein halbes Leben, ein Papierleben, schwarz auf weiß … bis die Musik ihnen den Lebensodem einhaucht, oder ihn, wenn er darin schlummert, herausruft und weckt.

Von Schuberts Vertonungen kann er nichts mehr erfahren haben. Beide aber bezeugen in dem Liederzyklus ergreifend das unerfüllte Sehnen ihrer unglücklichen Liebe.

Bei seinem Bruder Ferdinand hat Schubert Zuflucht gefunden. Von dort schreibt er am 12. November 1828:

Lieber Schober! Ich bin krank. Ich habe schon 11 Tage nichts gegessen u. nichts getrunken, u. wandle matt u. schwankend von Sessel zu Bett u. zurück … Wenn ich auch was genieße, so muß ich es gleich wieder von mir geben …

Eine Woche später, am 19. November 1828, stirbt er. Als Todesursache wird Typhus angegeben. Ohne Zusammenhang damit und ohne Kommentar berichten die Biografen daneben von einem Ereignis, das zumindest stark aufhorchen läßt:

Am 31. Oktober sitzt Schubert abends mit seiner Familie im Gasthaus „Zum roten Kreuz“, wo der Wirt den Wein zu verfälschen pflegt, was dann Kopfschmerzen verursacht, so daß Schubert schon längere Zeit dieses Gasthaus gemieden hat. Ferdinand berichtet:

Da er nun … einen Fisch speisen wollte, warf er, nachdem er das erste Stückchen gegessen, plötzlich Messer und Gabel auf den Teller und gab vor, es ekle ihn gewaltig vor dieser Speise, und es sei ihm gerade, als hätte er Gift genommen. Von diesem Augenblick an hat Franz fast nichts mehr gegessen und getrunken, und bloß Arzneien eingenommen. Auch suchte er durch Bewegung in freier Luft sich zu helfen, und machte daher noch einige Spaziergänge.

Schädelkult

Ob sein Leichnam seinem Wunsch gemäß in der Nähe Beethovens auf dem Währinger Friedhof begraben worden ist, muß leider bezweifelt werden. Der erste Biograf Schuberts, Dr. Heinrich Kreißle von Hellborn, schreibt:

Als nach der am 13. Oktober 1863 vorgenommenen Ausgrabung der irdischen Reste von Beethoven und Schubert des Letzteren wohlerhaltener Schädel der Reinigung und Waschung unterzogen wurde, vermochten die dabei anwesenden Ärzte und der die Waschung vollziehende Spitalsdiener sich des Erstaunens über die zarte, fast weibliche Organisation desselben nicht zu erwehren.

Wie auch bei Beethovens angeblichem Schädel fehlen die Überaugenwülste, die männlichen Schädeln allgemein eigen sind, Schuberts und Beethovens aber insbesondere kennzeichneten. Schindler, Beethovens Helfer, berichtet am 4. April 1827, also kurz nach Beethovens Tod, Ignaz Moscheles:

Noch muß ich Ihnen melden, daß der Totengräber von Währing, wo er begraben liegt, gestern bei uns war und meldete, daß man ihm mittels eines Billets, welches er zeigte, 1000 Gulden Konven­tionsmünze anbot, wenn er den Kopf von Beethoven an einem bestimmten Ort deponierte. Die Polizei ist dieserhalb schon mit der Ausforschung beschäftigt.

Somit müssen wir in Erwägung ziehen, daß Beethovens Schädel das gleiche Schicksal erlitten hat wie Haydns, und Schuberts Todes-Schicksal gar dem Mozarts, Schillers und Lessings gleicht.

Nach der Ausgrabung 1863 werden die Skelette, in Zinksärgen verschlossen, in ausgemauerte Grüfte gelegt. 1888 werden beide Leichname wieder aus der Erde geholt und auf den Wiener Zentralfriedhof verlegt, weil der Währinger Friedhof aufgelöst wird.

Schubert Totenmaske (Bild: docplayer.org)

So muten die Worte Grillparzers auf Schuberts Grabstein leider in mehr als einer Hinsicht fragwürdig an, obwohl sie von Grillparzer sicher gutgemeint waren:

Die Tonkunst begrub hier einen reichen Besitz,
aber noch viel schönere Hoffnungen.

Doch abgesehen von diesem makabren Umgang mit seinen sterblichen Überresten bleibt Franz Schubert in seinem wundervollen Werk voller Gemütstiefe und Schönheit der Nachwelt unsterblicher Besitz.

Schrifttum:

  1. Braungart, Georg, und Dürr, Walther, Über Schubert – Von Musikern, Dichtern und Liebhabern, Philipp Reclam jun. Stuttgart 1996
  2. Dürhammer, Ilija, Schuberts literarische Heimat, Dissertation, Böhlau Wien 1999
  3. Fischer-Dieskau, Dietrich, Auf den Spuren der Schubert-Lieder, Werden-Wesen-Wirkung, Brockhaus Wiesbaden 1971
  4. Gülke, Peter, Franz Schubert und seine Zeit, Laaber-Verlag Regensburg 1996
  5. Hilmar, Ernst, Schubert, Akademische Druck- u. Verlagsanstalt Graz 1996
  6. Kerner, Dieter, Krankheiten großer Musiker, Schattauer Stuttgart-New York 1986
  7. Lühning, Helga, und Brandenburg, Sieghard, Beethoven zwischen Revolution und Restauration, Bonn 1989
  8. Schneider, Marcel, Franz Schubert in Selbstzeugnissen und Bilddokumenten, Rowohlt 1958
  9. Valentin, Erich, Franz Schubert – Briefe, Tagebuchnotizen, Gedichte, Diogenes Zürich 1997
  10. Widl, Robert, Franz Schuberts Liebe, eine Entdeckung, Stieglitz 1990
  11. Ziese, Elly, Schuberts Tod und Begräbnis in der ältesten Darstellung, Gotland Verlag Großdeuben (Sachsen), o.J.
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Erwin
Erwin
14 Jahre zuvor

Danke für die spannende und einfühlsame Schubertbiographie!

fritzen
14 Jahre zuvor

Ach, liebe Frau Beißwenger! Ob wohl „Muse“ von „Muße“ kommt? Und nur in solchen Zeiten küssen kann? Ich werde mir die Schubert-Lektüre für eben solche „Mußenzeit“ aufheben. Zur Zeit bin ich total mit unliebsamen Tätigkeiten beschäftigt. Der Untersuchungsausschuss des Bundes zu Gorleben schluckt Stunden und Nerven.
Aber es kann nur besser werden, da ich auch älter werde, und vielleicht, endlich gelassener.
Ihre M.Fritzen

Erwin
Erwin
14 Jahre zuvor

Danke für die sehr einfühlsame und spannende Schubert Biografie!

Uwe
Uwe
14 Jahre zuvor

Der Beitrag ist sehr aufschlussreich – vieles war für mich neu
danke – für den schönen Beitrag.
Liebe Grüße aus Dresden

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