Eine Zeitzeugin: Worte der Bildhauerin und Dichterin Elfriede Luise Vogel
Freitag, 22. April 2011 von Adelinde
So sahen wir aus damals, bei Kriegsende.
Die Väter waren noch nicht wieder heimgekehrt. Mein Vater blieb in Rußland vermißt bis heute.
Unsere deutschen Städte waren zerbombt, ungezählte Ausgebombte und 15 Millionen Ostflüchtlinge und -vertriebene mußten im verbliebenen Wohnraum untergebracht werden. Es war eng. Wir waren arm.
Dennoch schafften es unsere Mütter, uns in ordentlichem Zustand und als gesittete Kinder auf den Schulweg zu schicken.
Wir beiden Freundinnen kannten uns damals noch nicht. Deshalb zeigt das Bild auch nicht uns, sondern Mädchen wie wir.
Heute sind wir in den 70en, und haben ein spätes Lebensglück gefunden, das uns wie ein „Geschenk des Himmels“ in den Schoß fiel: Freundschaft, wie wir sie uns in ihrem Gleichklang und ihrer Innigkeit nicht hätten träumen lassen.
Eine Bildhauerin und Dichterin unserer Erlebnisgeneration,
Elfriede Luise Vogel,
– am 12. April 1921 in Marburg geboren – wird Ähnliches erlebt haben und – wie ich ihr von Herzen wünsche – immer noch erleben. Wie hätten ihr sonst Worte in die Feder fließen können, wie sie lebensweiser und wahrheitsgetreuer nicht hätten ausfallen können wie diese:
Freundschaft –
wenn die Sommerfülle
eines Lebens fast vergangen,
wenn des Herbstes Nebelstille
unser weißes Haupt umfangen,
wenn der Jugend helle Träume
allem Sein den Grund gegeben,
der Erinnerung weite Räume
angefüllt mit Tod und Leben –
kostbar ist dann Menschennähe
vertrautes Reden oder Schweigen,
aus der Jahre Wohl und Wehe
wissend zueinander neigen.
Doch –
noch immer Segel hissen,
immer noch die Ausfahrt wagen,
von des Lebens Gnade wissen
und Dankesglanz im Herzen tragen.
Elfriede Vogel hat sich durch die Nachkriegspropaganda bzw. das mediengesteuerte Beschweigen der Kriegsgreuel und -verbrechen gegen uns Deutsche nicht dazu bringen lassen, die Wahrheit zu verdrängen. Aus ihrem Buch
gebe ich hier einen Erlebnisbericht wieder, der mich stumm machte vor Betroffenheit:
Der flammende Horizont
Ich bin im Rothaargebirge zu Hause. Mein Elternhaus steht am Südhang des Hornberges, im Talgrund unter uns scharen sich die Schieferdächer des Dorfes um die alte Kirche. Weit geht der Blick über die Lahnwiesen, die Felderbreiten und die dunklen Tannenberge ringsum.
Es war im letzten Weltkriegsjahr. Am Himmel zogen die Ströme der feindlichen Bomberflotten Tag für Tag und Nacht für Nacht auch über diese friedliche Landschaft, aber ihre Bomben hatten vorerst größere Ziele. Später würde eine Phosphorspur quer über unser 1750-Seelen-Dorf eine Feuerbahn ziehen, Häuser würden brennen wie in einem Nachbarort, der das Pech hatte, ein kleiner Eisenbahnkreuzungspunkt zu sein und durch die geschlossene Wolkendecke mit größten Luftminen und einer unwahrscheinlichen Menge von Spreng- und Brandbomben überschüttet zu werden. Die Fachwerkhäuser brannten wie Zunder, und viele Menschen starben. Später hörten wir, der Ort wäre in den Karten der Bomberbesatzungen mit 20 000, statt mit 2000 Einwohnern angegeben gewesen.
Die Bombenflüchtlinge aus dem Ruhrgebiet, die in unserem Haus Zuflucht gefunden hatten, verfolgten angstvoll im Rundfunk die Luftwarnungen, in der die Anflugrichtungen der Flugzeuge und die bedrohten Städte durchgegeben wurden, immer wieder und immer mehr.
An den Abenden sahen wir, in der Dunkelheit immer deutlicher, den Horizont glühen, von riesigen, flackernden Feuern erhellt. Über der Anhöhe des Hardchens brannte in fast 50 km Entfernung die Stadt Siegen, über dem breitgestreckten Sasselberg erglühte der Himmel weithin von den brennenden Städten an Rhein und Ruhr, über dem Einschnitt des Ilsetales brütete ein dumpfes, aufbrechendes Schimmern, in das langsam helle Sterne niedersanken. Es waren „Christbäume“, von den Bombern als Markierung über Frankfurt am Main abgeworfen, noch zu sehen in über 100 km Entfernung. Hinter uns aber, den dunklen Berg wie eine Gloriole umflammend, brannte die Stadt Kassel hoch in den Himmel hinauf!
Nein, nein! – Wir hörten nicht die Schreie der Verschütteten, das Wimmern der Brennenden, das Stöhnen unschuldiger Menschen im „Höllenfeuer aus Menschenhand“, festgebannt in brennendem Asphalt. Das Grauen dieses Wissens, das namenlose Entsetzen, der ohnmächtige Zorn ist mir tief eingeprägt. Wie muß es erst bei den Überlebenden des Feuersturms sein, die ihre Liebsten verbrennen sahen? So abgrundtiefe Erschütterung läßt Menschen verstummen, ist für die Schuldlosen nur im Schweigen zu ertragen, inmitten einer gleichgültigen Umgebung. Einmal aber löste sich bei einer einsamen, alten Frau die Kruste des Schweigens beim Anblick eines spielenden Kindes:
„So eines hatte ich auch einmal. Damals.“
Liebe Adelinde,
ach, wie schön, dass Du gerade zum Osterfest über Marie Luise Vogel geschrieben hast. Ich hatte das Glück in meinem Leben, diese Künstlerin persönlich kennengelernt zu haben.
Sie ist eine Frau, die an Vergangenem, Freud wie Leid, gewachsen ist und den Glauben an das Wunder des Lebens wie einen Edelstein in sich trägt.
Wenn wir wahre Vorbilder suchen, brauchen wir nicht in ferne Länder auszuschwärmen, sie leben unter uns!
Eine Empfehlung zum Frühlingsfest!!!
Liebe Mary,
meinst Du die Geschichte vom wiederauferstandenen „Heiland“ aus dem Morgenland, wenn Du vom Ausschwärmen in ferne Länder sprichst, um dort nach dem großen Vorbild zu suchen?
In der Tat, so denke ich auch: Große Vorbilder haben wir auch hierzulande bei uns. Sie aber wurden zum Glück nicht „vergöttlicht“, d. h. unerreichbar.
Feier unser Frühlingsfest Ostern froh und naturverbunden!
Deine Adelinde
Als Ergänzung zu Frau Vogels Schilderung vom Krieg mein Gedicht „KRIEG“:
Mutter, bau mir einen ganz großen Turm.
Ja, Kind. Doch wenn kommt ein tödlicher Sturm?
Mutter, dann baun wir ihn doppelt dick fest,
dass ihn kein Sturm je einstürzen lässt.
Mutter, was sinnst du? Mutter, was ist?
Kind, ach, und wenn mich der Sensenmann frisst?
Mutter, ach schau nur! So hoch ist er schon. –
Mutter, was ist das für schrecklicher Ton?
Kind, das sind Bomben. Sie sind wohl noch fern.
Mutter, ach Mutter, ich hab dich so gern!
Sei wieder lustig. Lache doch auch!
Kind, ach, seit wann hast du nichts mehr im Bauch?
Krachend zerbirst das friedliche Land,
Schläge auf Schläge, Sirenen und Brand.
Kind, ich will schnell noch nach oben gehn. –
Das Kind seine Mutter hat nie mehr gesehn.
Mutter, ach Mutter – wo bleibst du so lang?
Mutter, mir wird es im Herzen so bang.
Mein Turm ist gestürzt, so stark er auch war;
bau einen neuen mir, fester gar!
Wo bleibst du, Mutter? Ich bin so allein.
Da draußen, da heult es und Menschen schrein.
Mich hungert und friert, bald komm ich um.
Warum kommst du nicht mehr? sag doch, warum?
Elke Reisenbichler