Ein deutsches U-Boot und „der ewige Nazi“
Sonntag, 16. September 2018 von Adelinde
„Wir kämpfen nicht gegen Hitler, sondern
gegen den Geist Schillers,
damit dieser Geist nie wieder hochkommen möge.“
„Sie müssen verstehen, daß dieser Krieg
nicht gegen den Nationalsozialismus
geführt wird, sondern
gegen die Stärke des Deutschen Volkes,
welche ein für alle Mal zerstört werden muß,
unabhängig davon, in wessen Hand es sich befindet,
in den Händen von Hitler
oder in denen eines Heiligen
oder eines Jesuiten.“
Winston Churchill
(beide Zitate bei Prof. Anrej Fursow)
Der Historiker Gerhard Bracke
hat in der Zeitschrift Mensch & Maß 8/18
eine geschichtskritisch aufklärende Betrachtung
veröffentlicht, die einerseits die Krankheit unserer Zeit und andererseits geschichtlich Entscheidendes zeigt, das helfen könnte, jener Krankheit zur Heilung zu verhelfen.
Das Geschichts„wissen“ der jungen und mittleren Generation des Deutschen Volkes ist allgemein auf das beschränkt, was die 12 Hitler-Jahre und ihre „politisch korrekte“ Ausdeutung betrifft.
So sehen wir junge Deutsche im Lager der Linken den in sie gelegten Selbsthaß – im Gefühl moralischer Überlegenheit – zelebrieren.
Traurig genug, aber noch trauriger ist mitanzusehen, wie sie bei Interviews im Auftrag von Medienkonzernen versuchen, Deutsche mit gezielten Fragen zu Antworten zu bewegen, die ihnen eine Gefängnisstrafe einbrächte.
Deutsche legen Deutsche aufs Kreuz – das alte, beschämende, tausendjährige Lied!
Hier wieder so ein Beispiel, von Gerhard Bracke berichtet:
„Der ewige Nazi“ ist ein Kapitel in „Finis Germania“ von Rolf Peter Sieferle überschrieben.
Darin heißt es: „Es gibt noch Mythen, und es gibt noch Tabus …
Der Nationalsozialismus, genauer Auschwitz, ist zum letzten Mythos einer durch und durch rationalisierten Welt geworden.
Ein Mythos ist eine Wahrheit, die jenseits der Diskussion steht.
Er braucht sich nicht zu rechtfertigen, im Gegenteil:
Bereits die Spur des Zweifels, die in der Relativierung liegt, bedeutet einen ernsten Verstoß gegen das ihn schützende Tabu.“1
Als unlängst vor der norwegischen Küste das Wrack eines gesunkenen deutschen U-Bootes aus dem Zweiten Weltkrieg entdeckt worden war, titelte die BRAUNSCHWEIGER ZEITUNG vom 14. April 2018:
„Wrack von Nazi-U-Boot gefunden“.
Eine solche Meldung an sich löst häufig bei Journalisten ähnliche Reflexe aus wie bei den Pawlowschen Hunden, denn der von Prof. Sieferle gekennzeichnete Mythos ist allgegenwärtig.
Ein Überrest der ehemaligen deutschen Kriegsmarine wird im Zuge simplifizierten Geschichtsdenkens sogleich nazifiziert.
„An diesem Bericht“, schrieb ein Leser, „stört mich in besonderem Maße die Überschrift. Ich finde die Herabwürdigung dieser ehemaligen Seeleute schäbig. Alle diese Menschen haben im guten Glauben in der deutschen Kriegsmarine ihren Dienst getan, nicht als Nazi-Matrosen, sondern als deutsche U-Boot-Soldaten.
Können je die Menschen heute ermessen, welches Leid die Soldaten in den engen Stahlröhren erlebten, bis sie der grausame Tod erlöste? Die Bezeichnung des Boots als ‚Nazi-U-Boot‘ schließt die Besatzung als Nazi-Matrosen ein.
… Es können sich nicht mehr viele Überlebende der Kriegsgeneration gegen solche Pauschalierungen wie ,Nazi-Matrosen‘ oder ,Nazi-Flieger‘ wehren, denn es sind nur noch Reste der Teilnehmenden dieses furchtbaren Krieges am Leben. Wir Reste aber sollten uns gegen diese Diffamierung durch die heutige Generation wehren.“2
Es folgten prompt weitere Leserbriefe, die in neurotischer Verspanntheit und in „aufgeklärter“ Gutmenschenmanier nur bestrebt waren, den „ewigen Nazi“ am U-Boot-Wrack zu bestätigen. Aber damit war die Diskussion keineswegs beendet …
Wir ersparen uns hier die weiteren Leserbriefe. Abschließend hatte einer der Verteidiger der Bezeichnung „Nazi-U-Boot“ gemeint:
„Einen moralischen Geschmack hat eine solche Formulierung natürlich immer, das räume ich ein. Aber ist derlei denn wirklich so furchtbar ungerecht?“
Bracke knüpft daran an und fährt fort:
Als Historiker ist man geneigt, darauf mit einem Zitat aus Goethes „Faust“-Dichtung zu erwidern:
„Mein guter Herr, Ihr seht die Sachen,
Wie man die Sachen eben sieht …“Denn die hier vorgetragene Argumentation, die „Nazis“ hätten das U-Boot in den Krieg geschickt und die deutsche Wehrmacht „im Namen des Nationalsozialismus die Welt mit Krieg überzogen“, entspricht zwar der zeitgeistig korrekten, üblicherweise monokausalen wie Hitler- oder NS-zentrierten Betrachtungsweise, scheint aber auf elementare, kontextbezogene Grundkenntnisse über Ursachen, Anlaß und Verlauf des Zweiten Weltkrieges „in der gebotenen Kürze und Würze“ jederzeit verzichten zu können.
… Es erscheint geboten, an einige der meist in Vergessenheit geratenen oder bewußt ignorierten Grundtatsachen zu erinnern. Erst dadurch wird deutlich, daß die heute Allgemeingut gewordenen Simplifizierungen nicht im entferntesten der geschichtlichen Komplexität des 20. Jahrhunderts gerecht werden.
Von zentraler Bedeutung ist die Feststellung, die Generalmajor a.D. Gerd Schultze-Rhonhof in seiner auf reicher Quellenbasis beruhenden Untersuchung treffend formuliert hat:
„Daß aus dem Polenkrieg dann doch ein Weltkrieg wurde, verdankt die Welt in erster Linie England.
Als Deutschland England 1939/40 mehrmals vorgeschlagen hatte, den Krieg mit einem Frieden zu beenden, bei dem Deutschland Polen freigeben und nur das ohnehin deutsche Danzig und den weitgehend deutschbewohnten Korridor behalten wollte, hat England auf der Fortsetzung des Krieges bestanden.“4
Diese Haltung entsprach ganz der von Winston Churchill am Tage der englischen Kriegserklärung an Deutschland, am 3. September 1939, über den britischen Rundfunk abgegebenen Erklärung: „Dies ist ein englischer Krieg, und sein Ziel ist die Vernichtung Deutschlands.“ (siehe auch Churchill-Zitate oben)
Ohne Wissen um diese Zusammenhänge lassen sich die hohe Einsatzbereitschaft und Kampfmoral aller Wehrmachtsteile, einschließlich der aufgrund ihres konservativen Traditionsverständnisses am wenigsten NS-affinen Kriegsmarine, kaum erklären.
Der deutsche Soldat kämpfte nicht, wie oft unterstellt, um der „Eroberung und Vernichtung“ willen, nicht für den Nationalsozialismus und dessen verhängnisvollen Rassenwahn, sondern für sein Land und das Lebensrecht des deutschen Volkes.
In dem Zusammenhang sollte nicht unerwähnt bleiben, daß sich die U-Boot-Besatzungen fast ausschließlich und in erster Linie aus Freiwilligenmeldungen zusammensetzten.
Selbst Churchill würdigt in seinen Memoiren das Scapa-Flow-Unternehmen Günther Priens mit U-47 vom Oktober 1939 als „hervorragende Waffentat des deutschen (!) U-Boot-Kommandanten“.
Von besonderem Stellenwert dürfte das Urteil des israelischen Militärhistorikers Prof. Martin van Creveld sein, wenn er schreibt:
„Die deutsche Armee war eine vorzügliche Kampforganisation. Im Hinblick auf Moral, Elan, Truppenzusammenhalt und Zähigkeit war ihr unter den Armeen des 20. Jahrhunderts wahrscheinlich keine ebenbürtig.“5
Die siegreich durchgeführten Feldzüge in der Anfangsphase des sog. „Blitzkrieges“ können nicht darüber hinwegtäuschen, daß sich Deutschland im Grunde seit dem 3. September 1939, dem Tag der britisch-französischen Kriegserklärung an das Deutsche Reich, aber spätestens seit der englischen Kriegsausweitungsstrategie in Nordeuropa im Frühjahr 1940 in einem Abwehrkampf befand, gleichermaßen bedingt durch des Achsenpartners Mussolini ehrgeizige Kriegsabenteuer und deren Mißerfolge.
Doch dann gibt es da noch die griffig-verlogene Formel vom „Überfall auf Polen“, die in keiner Darstellung zur „Entfesselung des Zweiten Weltkrieges“ fehlen darf.
Das Wort „Überfall“ assoziiert den Begriff der Ahnungslosigkeit, der Überraschung und der völligen Arglosigkeit.
Wie sich das mit der polnischen Teilmobilmachung vom März 1939 in Einklang bringen läßt, ist ebensowenig nachvollziehbar wie das Erscheinen von martialischen Plakaten in den Straßen Warschaus im Sommer 1939, auf denen ein das Bajonett auf den Betrachter richtender polnischer Soldat den Ruf verbreitet „Auf nach Berlin!“
Überfall?
Der Oberbefehlshaber der polnischen Armee, Marschall Rydz-Smigly, erklärte im Juni 1939 vor polnischen Offizieren:
„Polen will den Krieg mit Deutschland, und Deutschland wird ihn nicht verhindern können, selbst wenn es das wollte.“
England hatte mit seiner Garantieerklärung für Polen am 30. März 1939 die provozierende Haltung der polnischen Regierung wesentlich verstärkt und damit zur Steigerung der Spannungen mit dem Deutschen Reich beigetragen.
Neben der Danzig-Frage ging es vor allem um die rücksichtslose polnische Minderheitenpolitik, unter der nicht nur die deutsche Bevölkerung, sondern ebenso Ungarn, Rumänen, Ukrainer und Weißrussen zu leiden hatten.
Als im August 1939 im „Zollinspektorenstreit“ zwischen der Freien Stadt Danzig und Polen fast schon ein von Polen begonnener Krieg drohte, drängte Hitler den Senatspräsidenten von Danzig, für Entspannung zu sorgen.
Schultze-Rhonhof bemerkt dazu:
„Hätte Hitler so kurz vor dem dann doch später tatsächlich ausgebrochenen Krieg den Konflikt mit Polen haben wollen, hätte er den Danziger Zollinspektorenstreit nur schmoren lassen müssen. Polen hätte den Krieg dann wohl selbst, wie angedroht, eröffnet.“6
Der Historiker Stefan Scheil weist auf ein besonderes Phänomen hin:
„Wohl nie gab es aber einen Konflikt von solchem Ausmaß, dessen Eigendynamik in den westlichen Hauptstädten und später auch von der auf den Westen orientierten Geschichtsschreibung so gründlich übersehen wurde, deren Arbeiten regelmäßig mit dem Jahr 1939 beginnen und die Vorgeschichte des deutsch-polnischen Kriegs konsequent ausblenden.“7
Man begann in Polen umgehend, den Konflikt mit Deutschland vorzubereiten.
So wurden bereits im Frühjahr Lager eingerichtet, in denen die Deutschen konzentriert werden sollten.
Es kam immer häufiger zu Ausschreitungen gegen deutsche Personen, Firmen und Einrichtungen, was schließlich zu einer Flüchtlingswelle von 70 000 Personen führte, die nach Deutschland abwanderten.
Über den Sommer 1939 hinweg häuften sich die bewaffneten Zwischenfälle an der polnisch-deutschen Grenze.8
Nur absolute Geschichtsvergessenheit in Verbindung mit Schuldverlangen konnte auf den Mythos vom „Überfall auf Polen“ verfallen. Er gehört nunmehr zum Kernbestand bundesrepublikanischer Geschichtspolitik.
Wer da glaubt, ohne die Einbeziehung der internationalen Interdependenzen in der europäischen wie in der Weltpolitik, ohne das Studium diplomatischer Akten und kritisch geprüfter Quellen schon hinreichend informiert zu sein, wer meint, sich allein auf die immer wieder zitierten sog. „Schlüsseldokumente“ von Nürnberg verlassen zu können, kennt die Hintergründe der Katastrophen des 20. Jahrhunderts noch lange nicht.
Der begreift ebensowenig, daß mit dem Hinweis auf den 30. Januar 1933 noch nicht die Entstehung der Hitler-Diktatur zu erklären ist, weil die NS-Diktatur erst möglich wurde durch die Selbstausschaltung des Reichstages, indem alle demokratischen Parteien – mit Ausnahme der SPD – dem „Ermächtigungsgesetz“ zustimmten.
Dafür wurde der katholischen Zentrumspartei das bis heute gültige Reichskonkordat vom 20. Juli 1933 in Aussicht gestellt, durch die das Dritte Reich international hoffähig werden konnte.
Entscheidend für den kriegerischen Ausbruch des deutsch-polnischen Konfliktes wurde neben Englands Haltung die Rolle des sowjetischen Diktators J. Stalin, der die Chance für gekommen hielt,
im Sinne der Leninschen Weltrevolutionsvorstellung zwischen dem kapitalistischen und dem faschistischen Block einen langen Krieg auszulösen.
Das hat er am 19. August 1939 vor dem Politbüro offen ausgesprochen.
Zu einem weiteren angeblichen deutschen „Überfall“ auf ein „friedliebendes“ Land in der
Fortsetzung in Teil 2!
______________________________
Anmerkungen
1Rolf Peter Sieferle: Finis Germania, Schnellroda, 3. Aufl. 2017, S. 63 f.
2Gerhard Wollny, Wolfsburg, Leserbrief in der BZ vom 19. April 2018
4Gerd Schultze-Rhonhof: 1939 Der Krieg, der viele Väter hatte. Der lange Anlauf zum Zweiten Weltkrieg. 7. erweiterte und überarbeitete Auflage, München 2012, S. 612
5Martin van Creveld: Kampfkraft Militärische Organisation und Leistung der deutschen und amerikanischen Armee 1939-1945 Ares Verlag, erw. Neuauflage 2005
6Gerd Schultze-Rhonhof, a.a.O., S. 610
7Stefan Scheil: Polen 1939 Kriegskalkül, Vorbereitung, Vollzug, Schnellroda 2013, S. 55
8Ebd, S. 67
Zum Thema ‚Polens Umgang mit Minderheiten‘ noch folgende Anmerkung:
Es mag heutzutage absurd erscheinen, aber während der späteren 1930iger Jahre haben tausende Juden Polen verlassen und Schutz in Deutschland gesucht, da ihnen dies sicherer erschien für Leib und Leben. Es gibt darüber Publikationen und wohl auch belastbares Zahlenmaterial von offiziellen Stellen.
Danke für Ihre Ausführungen. Ich beschäftige mich schon länger mit den Ursachen und bin dabei auf anglo-amerikanische Historiker gestoßen, die Ähnliches sagen. Schade, daß es nur wenige Menschen wissen wollen. Grade heutezutage ist es hilfreich, seine Vergangenheit zu kennen. Man hat dann weniger Angst vor der Zukunft. So geht es mir jedenfalls.
Herzliche Grüße
H. Hadenfeldt