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Jetzt hat es sich ereignet, das Konzert in der

Gartower Barock-Kirche:

Hochkarätig! Chöre, Instrumentalisten, Solisten erweckten das lebensvolle Werk des Thomaskantors, die Johannes-Passion, mit ganzer Seele und ausgefeiltem Ausdruck zu neuem Leben. Wer es nicht miterlebt hat, dem sagt auch eine Beschreibung nicht viel. Hier nur ein paar persönliche Eindrücke und Gedanken von mir nebenbei:

  • Welch einen kulturellen Reichtum zeigt ein Land, in dem in der bis zum letzten Platz gefüllten, wunderschönen Kirche eines kleinen Marktfleckens ein solch großes Werk aufgeführt werden kann! (Bild der Kirche von innen)
  • Welch tiefe Gefühle für einen Menschen wie den legendären Jesus in seinem ungeheuren Leiden kann ein Musiker wie Bach und können das die nachschaffenden Künstlerinnen und Künstler ergreifend zum Ausdruck bringen!

Dann aber für mich als Heidin das Unfaßliche: Texte, die – im Angesichte des grauenvollen Leidens Jesu –

die Selbstsucht der Menschen

ganz unverblümt darbieten wie z. B.:

Mich von allen Lasterbeulen
Völlig zu heilen,
Läßt er sich verwunden.

Oder nach dem mit Recht zum Ausdruck gebrachten Entsetzen über die  Schwäche des Petrus, aus Angst vor Verfolgung seinen „Herrn“ zu verleugnen, von dem auch auf diese Weise zusätzlich seelisch gequälten Jesus noch obendrein zu verlangen:

Jesu, blicke mich auch an,
Wenn ich nicht will büßen;
Wenn ich Böses hab getan,
Rühre mein Gewissen!

Ein Mensch ohne eigene Willensbildung? Alles Seelenheil kommt von außen, kann nicht selbst bewirkt werden? Und trotzdem soll der arme Jesus im Himmel „richten die Toten und die Lebendigen“? Wie paßt denn das zusammen?

Zynisch finde ich diesen Choral-Text – verstanden habe ich den Zusammenhang von Jesu Leiden und der Welt Erlösung bis heute ohnehin nicht:

Durch dein Gefängnis, Gottes Sohn,
Muß uns die Freiheit kommen;
Dein Kerker ist der Gnadenthron,
Die Freistatt aller Frommen;
Denn gingst du nicht die Knechtschaft ein,
Müßt unsre Knechtshaft ewig sein.

Kopfschütteln verursacht mir der Text der Aria für Baß und Chor:

Eilt, ihr angefochtnen Seelen,
Geht aus euren Marterhöhlen,
Eilt – Wohin? – nach Golgatha!
Nehmet an des Glaubens Flügel,
Flieht – Wohin? – zum Kreuzeshügel,
Eure Wohlfahrt blüht allda!

Ich als Heidin empfinde äußerstes Mitleid mit dem Märthyrer. Der Gedanke, aus diesem furchtbaren Leiden selbst Vorteile ziehen zu können, läge mir völlig fern, ja, empfände ich als niedrige, gottfernste „Sünde“. Ganz das Gegenteil der Choraltext:

In meines Herzens Grunde
Dein Nam und Kreuz allein
Funkelt all Zeit und Stunde,
Drauf kann ich fröhlich sein…

Und immer wieder im Angesichte des grausamen Kreuzestodes:

Mein teurer Heiland, laß dich fragen,
Jesu, der du warest tot,
Da du nunmehr ans Kreuz geschlagen
Und selbst gesagt: Es ist vollbacht,
Lebest nun ohn Ende,
Bin ich vom Sterben frei gemacht?
… Kann ich durch deine Pein und Sterben
Das Himmelreich ererben?
… Du kannst vor Schmerzen zwar nichts sagen …

Ich – ich! Zum Schluß singt der Chor den wunderschönen Choral mit den unfaßlichen Worten:

Ruht wohl, ihr heiligen Gebeine,
Die ich nun weiter nicht beweine,

Das Grab, so euch bestimmet ist …
Macht mir den Himmel auf und schließt die Hölle zu.

Die Chormitglieder sangen voller Hingabe, Gläubigkeit in ihren frommen Gesichtern ausdrückend. Ebenso lebten sie ohne Hemmungen den

„Antijudaismus“

aus, wenn Bach mit seinen furiosen Chor-Fugen das Gezeter der „Jüden“ abbildet. Erst

sprachen die Jüden zu ihm:
Wir dürfen niemand töten,

um dann umso lauter zu schreien:

Kreuzige, kreuzige!

Genauso heuchlerisch erklären sie – und man hat die heutigen Orthodoxen vor Augen:

Wir haben ein Gesetz, und nach dem Gesetz soll er sterben; denn er hat sich selbst zu Gottes Sohn gemacht.

Es stehet geschrieben, das „Gesetz“! Nicht die eigene Seele weiß, was recht ist, sondern „was geschrieben stehet“ gilt.

Weiter unten drohen die Jüden dann:

Lässest du diesen los, so bist du des Kaisers Freund nicht; denn wer sich zum Könige machet, der ist wider den Kaiser.

Und schon „schrieen“ sie „aber“ in spitzem „Durcheinander“ des Chors:

Weg, weg mit dem, kreuzige ihn!

Schon damals verheimlichte man besser seine Zugehörigkeit zu jemandem

aus Furcht vor den Jüden,

und das, obwohl es noch keinen „Zentralrat“ und keine „Staatsraison“ gab, die den „Jüden“ einen Blankoscheck ausstellte! 2000 Jahre – und da glauben welche an einen geistig-moralischen Fortschritt der Menschheit?

So gern ich immer gesungen habe und noch singen würde, vor allem so ein großes Wunderwerk wie die Johannes-Passion von Johann Sebastian Bach – die besagten Textstellen brächte ich nicht über die Lippen.

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Mithus
Mithus
14 Jahre zuvor

Glücklicherweise kann auch hier – wie bei der Matthäus-Passion – der alte christozentrisch-trinitarische Text der Traditionslehre der Musik keinen Schaden zufügen. Nicht der Text erschüttert die Seelen, sondern die Musik! Und die bildet die weitaus bessere Sprache aus, Sprache der Verkündigung der frohen Botschaft (=Evangelium).

Entschuldigen kann man das historisch, denn z. Zt. Bachs konnten die Ergebnisse der wissenschaftlich-kritisch-historischen Bibelforschung noch nicht vorliegen. Ich zitiere den Dogmatikprofessor H. M. Kuiter aus seinem Buch „Kein zweiter Gott“:

„Jahrhundertelang war die kirchliche Lehre über Jesus unantastbar: Jesus Christus ist Gottes Sohn, Gott von Gott, wahrer Gott und wahrer Mensch. Diese Einheit ist auch innerhalb der Kirchen verloren gegangen, die Mehrheit der Gläubigen orientierungslos. Die kirchliche Christologie, die klassische Lehre von den zwei Naturen, hat ihre Zeit gehabt.“

Ähnliches findet sich bei den Theologie-Professoren Klaus Peter Jörns und James M. Robinson, die ebenfalls den notwendigen Abschied von unzumutbaren Mythen und archaischen Mustern nehmen.

Heutige Reformbestrebungen zielen dahin, das Evangelium des Jesus v. Nazareth, seinen Geist und seine befreiende Botschaft von der Liebe Gottes als d a s Heilsgeschehen in den Vordergrund zu stellen und nicht seine Person, seinen Leib in Zusammenhang mit der unsäglichen Erbsünden-Idee zu bringen. Jesus ging aus dieser Sicht freiwillig zur Rettung seiner Authentizität und Überzeugungskraft in Kenntnis der staatlichen Sanktionen in den Tod. Ein Opfer des Geistes also und kein Schlacht- und Blutopfer zur Selbstbesänftigung Gottes.

Leider steht von seiner frohen Botschaft nichts im Credo! Dies ist ein offenkundiger Hinweis auf ein falsches Verständnis von Jesus. Das führt dann zwangsläufig zum falschen Bekenntnis, der Grund, weshalb ich mich von der Kirche, nicht vom Glauben abgewandt habe. Der Ap. Paulus hat das Konzept Jesu – soweit es nicht „nur“ ethisch-moralisch, sondern als Gottesbotschaft an die Lebenden verstanden werden will (=hervorgehoben durch die Diesbezüglichkeit; Gegensatz: Jenseitsvertröstung) überhaupt nicht verstanden. Jesus als strenger Jude und Ausschließlichkeitsmissionar seiner Glaubensbrüder konnte und durfte sich auch nicht als Messias verstehen. Er hat es auch nicht! Das wäre nach jüdischem Glauben pure Gotteslästerung gewesen, worauf die Todesstrafe stand.

Weil aber das Festhalten an überholten, traditionellen Mythen heute mehr und mehr auch von den Laien erkannt wird, ohne dass man sie lieblos der „Beliebigkeit“ bezichtigen dürfte, leeren sich die Kirchen zusehends. Das ist umso bedauerlicher, weil die Kirchen Kulturträger ersten Ranges waren. Werden die Kirchen insoweit ihrer geistigen Verantwortung noch gerecht?

Christlicher Glaube sollte nicht länger durch die Kirche ex cathedra diktiert und formuliert werden, sondern die Menschen sollten durch die Kirche befähigt werden, aus eigener Fähigkeit zur Reflektion, mitunter erweitert durch mystische Erfahrung und Empfindsamskeits-Begabung, den geistig-redlichen Weg zu Gott – oder zu dem, was Jesus als „Reich Gottes“ auf Erden nennt – in den Grenzen der Vernunft einerseits, aber auch in der Vertrauensbereitschaft eines Kindes andererseits zu finden. Das dürfte seit Kant keine Streifrage mehr sein. Die Vernunft zu leugnen kennzeichnet den Christen nicht, sondern sie zu nutzen, so weit sie reicht, also begrenzt ist und dann alles Weitere, das höher als alle Vernunft ist, in Gottes Hand zu legen oder zu lassen.

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