„Humor, so heißt die Latsche schlicht, gleich Göttern hochgeboren …“ – Carl Spitzweg
Mittwoch, 10. Februar 2010 von Adelinde
Vor 202 Jahren wurde Carl Spitzweg geboren
Von Udo Salzbrenner
Eigentlich hätte er Apotheker werden sollen, wenn es nach dem Willen des Vaters gegangen wäre. Und tatsächlich richtete sich der am 5. Februar 1808 in München geborene Carl Spitzweg zunächst nach den väterlichen Vorstellungen. Nach dem Besuch des Wilhelmgymnasiums seiner Vaterstadt, aus dem er zuletzt freiwillig austrat, erlernte er seit 1825 den Beruf eines Apothekers, und zwar in der „Königlich-Bayerischen Hof- und Leibapotheke“ des Dr. Franz Xaver Pettenkofer, und studierte ab 1828 Pharmazie und anderes an der Münchner Universität.
Der Apotheker
Zwischendurch hatte er bereits als Provisor, also als leitender Apotheker ohne eigenes Unternehmen, in Straubing und später in München gearbeitet und dabei Berufserfahrungen sammeln können.
Schon in der Straubinger Zeit (1829) wirkte Spitzweg, der seit jeher Freude am Theater hatte, in einem Liebhabertheater bisweilen als Schauspieler in kleineren Rollen mit und übernahm auch die Regie von kleinen Theaterstücken und Singspielen. Auch als flotter Tänzer tat er sich hervor. Von Witz und frischem Temperament scheint das Wesen des geselligen, musisch begabten, welt- und sprachgewandten jungen Mannes geprägt gewesen zu sein, keineswegs von spießbürgerlicher Verklemmtheit.
Nach seinem mit Auszeichnung bestandenen Universitätsexamen 1832 verwarf Spitzweg endgültig den Berufsweg des Apothekers. Im Alter von erst 25 Jahren beschloß er Maler zu werden, ohne je zuvor eine entsprechende Ausbildung genossen zu haben, eine Entscheidung, die freilich durch ein beträchtliches väterliches Erbe erleichtert wurde, das ihn finanziell unabhängig machte.
Der Maler
Bis zu seinem Tode am 23. September 1885 blieb Spitzweg – zeitlebens unvermählt – in stiller Zurückgezogenheit in München ansässig. Hier schuf er – mit seiner Vorliebe für das humoristische Genre – sein gewaltiges Lebenswerk, um die 1500 Gemälde.
Gelegentlich unternahm er Reisen nach Italien etwa, nach Österreich und Frankreich, nach Prag und London.
Zunehmend erfuhr Spitzweg in den letzten Lebensjahren bedeutende Ehrungen: Im Jahre 1865 erhielt er den bayerischen Michaelsorden. Auf der Pariser Weltausstellung des Jahres 1867 war Spitzweg mit vier Bildern vertreten, die dort internationale Anerkennung fanden. Diese Ehrung setzte sich auch in deutschen Landen fort, 1868 wurde er Ehrenmitglied der Akademie der Künste in München.
Vor allem im deutschen Kleinbürgertum, das sich in der scheinbaren Harmlosigkeit der Werke spiegelte und gern den bitteren Hintersinn der Bilder ebenso übersah wie den geistvollen Umgang mit der Farbe, die Nähe auch zur internationalen Freilichtmalerei, erlangte Spitzweg große Popularität und wurde zum Inbegriff humorvoller Liebenswürdigkeit. Immer wieder ist er als typisch deutscher Volkskünstler betrachtet worden. Die weitverbreitete nivellierend-sentimentalisierende Betrachtungsweise barg allerdings die Gefahr in sich, Spitzwegs Werk allzu vorschnell mit dem Etikett des naiv-harmlosen Biedermeiers, ja des Kitsches zu versehen.
Wie für Wilhelm Busch ist auch für Spitzweg
die humoristische Darstellung bürgerlicher Rückzugswelten Selbstdarstellung und Selbstkritik zugleich. (Locher)
Mit feinem Spott und Mitleid, auch subtiler Ironie, die jedoch nie verletzend wirken, übt er Kritik an den menschlichen Schwächen und Unzulänglichkeiten seiner Zeitgenossen. Mit einiger Vorliebe nimmt er sich der Sonderlinge an, der Kakteenfreunde, Bücherwürmer, Dichter, Amtsschreiber, Mönche, Eremiten und Klausner, zumeist natürlich Junggesellen wie der Maler selbst.
Der Dichter
Was Spitzweg unter Humor verstand, hat er, der ums geschliffene Wort nie verlegen war und übrigens auch zahlreiche Gelegenheitsgedichte ohne jeglichen literarischen Ehrgeiz zumeist für Freunde und Bekannte verfaßte, einmal folgendermaßen ausgedrückt:
Lebens-Alpenfahrt
Stets wandeln wir dem Abgrund dicht,
Wo Tief und Dunkel schrecken,
Aus dem ein Tod und letzt‘ Gericht
Die Drachenhälse recken!
Wir wandeln, ahnen nicht Gefahr,
So sorglos hin wie Kinder.
Da strauchelst du und gleitest gar
Und gleitest ab geschwinder!
Jetzt gilt‘s! Ist keine Latsche da,
An der du dich kannst halten?
Umfassen nicht, dem Sturze nah,
Dich rettende Gestalten?
Humor, so heißt die Latsche schlicht,
Gleich Göttern hochgeboren –
Erhaschst du sie im Gleiten nicht,
Dann, Freund, bist du verloren!
Humor bedeutet hier jene lächelnde Gelassenheit, jenen stoischen Gleichmut und jene heitere Schicksalsergebenheit, die das Überleben in einer schwer erträglichen Welt ermöglichen. Manch andere Gedichte Spitzwegs wirken geradezu wie in gebundene Sprache übertragene Fassungen seiner gemalten Idyllen. Zwei weitere Beispiele seien hier, da sie recht unbekannt geblieben, mitgeteilt:
Berg und Tal
Erst auf den höchsten Zinnen,
Die mühsam du erklommst,
Wird‘s hell in deinen Sinnen,
Dem Himmel näher kommst!
Willst du ein Weilchen selig sein,
So leg dich auf den Bauch
Dort in die nächste Wiese ‘nein,
Inmitt‘ der Blumen Hauch!
So bist der Gottheit näher,
Das Herz, es schlägt dir froh:
Nur meide nahe Späher,
Die finden so was roh!
Ständchen
Dir, Holde, tief im Schlummer,
Dir sei mein Sang geweiht!
Doch nicht soll er dich wecken
Aus Traumes Seligkeit.
Die Töne, leise schwebend
Ums Atmen deiner Brust,
Sie sollen nur geleiten
Des Schlummers süße Lust!
Stille – Stille –
Sanft träume – sanft erwache,
Und wenn dein Aug erhellt,
So finde sonnig strahlend
Noch schöner diese Welt.
Stille – Stille –
Und ist der Sang verklungen,
Verhallet Ton und Wort,
Dann zieht in aller Stille
Der Sänger wieder fort.
Er küßt nur noch die Blumen,
Die an den Fenstern blühn,
Und nimmt mit heim im Busen
Noch heißres Liebesglühn!
Stille – Stille –
In seinen Bildern ist Spitzweg ein Geschichtenerzähler.
Geradezu etwas Theatralisches, etwas von einer Filmszene, hat das von merkwürdig intensivem Licht durchleuchtete Bild „Der Schmetterlingsfänger“ (oder: Der Naturforscher, um 1840) an sich. Im größten Augenblick seines Lebens steht völlig erstarrt ein Schmetterlingsfänger in phantastisch-tropischer Landschaft geblendet da, unfähig, sein Glück, in diesem Fall zwei riesenhafte Insekten, mittels seiner alltäglichen und unzureichenden Ausrüstung zu erhaschen.
Modetorheiten wie die Damenhüte, von denen einer auf dem Gemälde „Der Sonntagsspaziergang“ (1841) sogar den Kopf des Kleinkindes verbirgt, werden sichtlich ausgekostet.
Drastischer als durch diese Scheuklappen konnte er die Unfähigkeit der Spießbürger, Schönheiten der Natur zu erleben, nicht zum Ausdruck bringen. Das Familienoberhaupt, das seinen dicken, schwitzenden Körper ohne Rücksicht auf Ästhetik Luft verschafft hat, tut ein übriges, den Eindruck von unfreiwilliger Komik zu verbreiten. (Schirmer)
Nachhaltigen Erfolg brachten Spitzweg auch seine Kleinstadtidyllen ein, jene Bildanekdoten wie „Der ewige Hochzeiter“ (1855/60). Befühlt von den mißgünstig-neidischen Blicken seiner Mitwelt, etwa der Adele Schalusy im Modeatelier im zweiten Stock des Hauses oder des Herrn Neiderl Kleider Macher Meister im Stockwerk darunter, überreicht hier – etwas linkisch und in vermutlich unpassendstem Augenblick – ein adrett, etwas stutzerhaft angezogener und keck frisierter junger Mann in einer engen Kleinstadtgasse seiner Auserwählten einen Blumenstrauß.
Carl Spitzweg steht durch die besondere Art, in der er ausgedachte Szenen mit Selbstgesehenem verband, in der Kunstgeschichte des 19. Jahrhunderts vielleicht ohne Vergleich da,
so urteilt Lisa Schirmer und fährt fort:
Die Suggestion des Tatsächlichen ist in seinen Bildern ebenso stark wie die Offensichtlichkeit der Erfindung, und doch kommt der Betrachter nicht auf den Gedanken, das eine vom anderen zu trennen. Deutlich zutage liegt in seinen Bildern das Komische, das sowohl aus der Beobachtung seiner Mitmenschen als auch aus Selbstironie hervorging.
Doch die Faszination seiner Bildwelt besteht vor allem darin, daß die Komik immer unfreiwillig wirkt. Die agierenden Gestalten posieren nicht vor dem Betrachter, sie erscheinen selbstvergessen und unbewußt. Völlig “unbeobachtet” bewegen sie sich innerhalb der bühnenartigen Kompositionen, so als hätten sie uneingeschränkte Handlungsfreiheit gegenüber dem großen Regisseur, der sie doch in Wirklichkeit an wohlbedachter Stelle und mit gezielter Absicht zum Leben erweckte.
Dies “unbewußte” Element ist wohl für die außerordentliche Wirkung von Spitzwegs Kunst entscheidend, und es verrät, über kritische Beobachtung und Selbstironie hinaus, etwas von seinen stillen Idealen, von seinem Verlangen nach unverstellter Menschlichkeit.
Gar so manches Mal kann man den Eindruck gewinnen, als ob unserer hektisch-betriebsamen Zeit der Humor und das Lächeln eines Carl Spitzweg, seine Sehnsucht nach „unverstellter Menschlichkeit“ abhanden gekommen seien. Lernen wir ihn doch wieder schätzen und sein Werk lieben.
Literatur:
- Carl Spitzweg: Und abends tu ich dichten. Gedichte und Zeichnungen, hrsg. von Eckhard Grunewald, Deutscher Taschenbuch Verlag, München, 8. Aufl. 2003.
- Lisa Schirmer: Carl Spitzweg, E. A. Seemann Verlag, Leipzig, 3. Aufl. 2007.
- Hubert Locher: Deutsche Malerei im 19. Jahrhundert, Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 2005.
Der Beitrag ueber Spitzweg hat mir grosse Freude bereitet. Er hat suesse und bittere Erinnerungen in mir geweckt. Denn ich bin in Straubing aufgewachsen und habe als Kind oft mit Spielkameraden in diesen verwinkelten Gassen gespielt, von denen eine der “Spitzwegwinkel” heisst.
Mein engster Jugendfreund stammte aus der Familie, die die Loewenapotheke in Besitz hatte. Dort hat Spitzweg gearbeitet, als er in Straubing als Apotheker taetig war. An diesem wunderbar renouvierten Patrizierhaus, das im Zentrum des Straubinger Stadtplatzes steht, ist eine Marmortafel angebracht, auf der zu lesen ist:
“Erbaut im Jahre 1492”, das Jahr, in dem Amerika von Christopher Columbus entdeckt wurde. Das erzaehle ich hier manchmal meinen amerikanischen Bekannten, um ihnen einen Begriff zu vermitteln, was wir Europaeer mit der Kultur von “Old Europe” meinen.
Das Bittere? Mein Jugendfreund, der ganz ungewoenhlich begabt war, in Dichtung und Musik und Mathematik, entwickelte ziemlich ploetzlich im Alter von 25 oder 26 Jahren schizophrene Tendenzen, die sich zusehends verschlimmerten. Er starb im Jahre 1984, im Alter von 46 Jahren, im Irrenhaus Haar bei Muenchen waehrend einer Nierenoperation.
Natuerlich bin ich ein grosser Spitzwegverehrer geblieben.
ach ja, der Spitzweg! Mein Lieblingsbild von ihm ist und bleibt “Der arme Poet”! So ähnlich könnte ich mir Joachim Fritzen vorstellen, als es im zerbombten Berlin des Winters 1945 so gut wie nichts gab. Gänsefeder in der Hand (mit der er übrigens lange noch schrieb!) in einer unausgebauten Mansarde unter den Dachziegeln, die mit Reif behangen waren. Allerdings besass er ein Bett und einen Spiegelschrank, die nicht der Brandbombe zum Opfer fielen.
In dieser Mansarde, ebenfalls bei Minustemperaturen, schliefen später noch wir und unser erstes Kind, mit Wollmützchen und Wollhandschuhen, fertig für “den Nordpol”. Es ist ihm hervorragend bekommen. Frische Bäckchen am Morgen, keine Erkältungen!! Und wir waren glücklich !
Ja, so genügsam und in jeder Hinsicht “abgehärtet” waren wir einmal. Im Vergleich dazu ist das, was heute bei uns “Armut” genannt wird, Reichtum. Es kommt eben auch immer auf den gesellschaftlichen Kontext an: Sind alle arm, ist die eigene Armut leichter zu ertragen.
Wir waren damals froh, das Inferno des Krieges gegen unsere wehrlose Zivilbevölkerung überlebt zu haben.
Und Sie haben sogar gute Erinnerungen an Ihre damalige Spitzweg-Situation. Wie schön!
Ganz herzlichen Dank für diese liebenswürdige Erinnerung an einen typisch deutschen Maler mit seinem einmaligen Stil.
Man wird sich wieder der Schätze bewusst, die im Stillen gedeihen voller Herzenswärme. Und wie der Autor zeigt, ist Spitzweg durchaus wert, auch im 21. Jahrhundert betrachtet zu werden: Sein Humor, auch in den Gedichten, enthält Bleibendes:
“Humor, so heißt die Latsche schlicht, … ershaschst Du sie im Gleiten nicht, dann Freund, bist Du verloren!” Wie köstlich und wie wahr. Auch heutige schwer erträgliche Zeiten lassen sich am besten mit einer Portion Humor ertragen.
Frage an den Autor zur Identität von Spitzwegs Lehrherrn, dem Apotheker Pettenkofer: Ist bekannt, ob er mit dem Chemiker und Hygieniker Max von Pettenkofer, geb. am 03.12.1818, verwandt ist? Max von Pettenkofer war der, der die Ursachen von Cholera erforschte und 1855 in seinen Studien belegen konnte, dass die Cholera eine Folge der Grundwasservergiftung war, hervorgerufen durch die Praxis, alle Abfälle tierischer und menschlicher Natur einfach ungeklärt in Gruben zu kippen.
Franz Xaver Pettenkofer, der königlich bayerische Hof- und Leibapotheker, war der Onkel von Max von Pettenkofer.