Zum Reformationstag
Freitag, 31. Oktober 2008 von Adelinde
Deutschland, das Land der Reformation,
gedenkt am 31. Oktober noch immer des Tages, an dem vor 491 Jahren Martin Luther seine 95 Thesen gegen den Ablaßhandel an die Schloßkirche zu Wittenberg geschlagen haben soll, womit die Reformation und damit die Spaltung der christlichen Kirche eingeleitet wurde.
Doch zumindest im Vatikan scheint sich nicht viel geändert zu haben. (mehr) Immer noch geht es der Priesterschaft um Weltmacht und viel Geld, immer noch paßt auf sie das Schillerlied:
Die Falschheit herrschet, die Hinterlist, es gibt nur noch Herren und Knechte.
Papst Benedikt XVI.
Seine prunkvollen Papst-Gewänder decken nur dürftig den darin steckenden ehemaligen “Großinquisitor” Joseph Ratzinger. Wenn er die so fischkalt wirkenden Finger seiner Hände zum “Segenspenden” in die Luft streckt, ist sich nicht jede/r sicher, ob diesem Mann das wahre tiefe Gefühl der Menschenliebe wirklich zuzutrauen ist, das er der Welt glauben machen will mit seiner Enzyklika
Deus caritas est (Gott ist die Liebe).
Hubertus Mynarek – ehemaliger katholischer Universitätsprofessor für Theologie, 1972 aus der katholischen Kirche ausgetreten und seitdem unerschrockener Aufklärer über vatikanische Verhältnisse – zeigt in seinem Buch Papstentzauberung, einer wahren Fundgrube von bezeichnenden Zitaten, welcher Mensch hinter der päpstlichen Inszenierung steckt:
Der Mann ist unter dem Mantel einer demutsvollen Bescheidenheit außerordentlich ehrgeizig und nach Anerkennung strebend, zugleich äußerst empfindlich. Jahrelang litt er darunter, daß ihn die kritischere Presse nur als ultrakonservativ und erzreaktionär, als Großinquisitor und gestrengen Glaubenskontrolleur, als Bestrafer abweichlerischer Theologen und Verfasser vatikanischer Schreiben gegen die Befreiungstheologie, gegen die Gleichberechtigung der Frauen, gegen die Kirchenvolksbegehren etc. pp. einstufte.
Seit Amtsantritt als “Heiliger Vater” jedoch scheint er die Presse von Bild bis FAZ auf seiner Seite zu haben. Die Kritik ist plötzlich umgeschlagen in allgemeines Lob. Ausnahme: die TAZ, in der am 26.1.2006 W. Droste der “Liebe” Benedikts XVI. die Glaubwürdigkeit abspricht:
Leider aber ist der Papst, und das macht ihn als Denker sehr dürftig, kein Suchender. Die Ergebnisse seiner Forschungen stehen im Gegenteil immer schon vorher fest. Das ist so langweilig wie unseriös … Ausgerechnet die schmallippige Herzjesuküsserei … als allein Seligkeit offerierenden Weg zu Liebe, Glück und Göttlichkeit festzuschreiben, ist eine armselige Romanze in oll: Der Papst, mag er noch so auf poppig machen, hat am Ende doch immer nur die alte katholisch-dogmatische Drangsal auf der Pfanne. Es gibt nichts Schöneres und Größeres als die Liebe. Was sie ist und wie man sie lebt, davon weiß der Papst wenig, spielt sich aber als Kenner auf, bietet einen einzigen, als trostfern verläßlich diskreditierten Weg an und erklärt alles andere für minderwertig. Das mag zu seinen Pflichten als katholischer Vorstandsvorsitzender gehören, hilfreich ist es nicht … der Papst ist nur ein Freibeuter, der Reisende in die Falle lockt, um sie anschließend auszuplündern.
Denn: Wo ist die Liebe des Papstes, wenn er
- sie statt aus eigenem Erleben nur – brottrocken und unlebendig – aus vorgegebenen Bibeltexten abzuleiten weiß,
- zur lateinischen – und damit fürs Kirchenvolk unverstehbaren – Liturgie zurückkehren will,
- seiner Priesterschaft weiterhin das seelenzerstörerische Zölibat zumutet, daneben aber die Ehe zwischen Mann und Frau als einzige Lebensform preist, in der der Mensch “ganz” werden könne,
- gläubige, aber geschiedene Wiederverheiratete von kirchlichen Riten ausschließt,
- von Woytila, den er als Kardinal Ratzinger beriet und führte, aus dem Amt gejagte ökumenisch denkende und handelnde Priester nicht in ihr Amt zurückholt,
- der evangelischen Kirche das Kirche-Sein abspricht,
- die Gemeinschaften Homosexueller anprangert (obwohl Homosexualität gerade unter katholischen Priestern weit verbreitet sein soll),
- Abtreibungen verteufelt, aber Empfängnisverhütung verbietet,
- kein gutes Wort für Frauen übrig hat außer für die “reine Jungfrau” Maria, die “Dienerin des HErrn”,
- den Frauen das Priesteramt und jede andere leitende Funktion in seiner Kirche verweigert, ja Zuwiderhandelnde exkommuniziert,
- den Tieren weiterhin die Anerkennung als beseelte Wesen versagt und ihre Leiden keines erbarmenden Wortes würdigt?
Hatte aber
Luther
bei seinem Werk der Reformation diese ganze konstant, fast ausnahmslos seit Jahrhunderten praktizierte Lieblosigkeit und Heuchelei des Vatikans im Blick? War er selbst ein Liebender?
Er brachte es, geführt von seiner späteren Frau, der ehemaligen, aus dem Kloster geflohenen Nonne Katharina von Bora, immerhin soweit, sich über das Zölibat hinwegzusetzen und zu heiraten. Aber was für dogmatisch geprägte Lebensansichten waren ihm verblieben! In einer seiner Tischreden bekennt er:
Prediger sind die allergrößten Totschläger. Denn sie ermahnen die Obrigkeit, daß sie entschlossen ihres Amtes walte und die Schädlinge bestrafe. Ich habe im Aufruhr alle Bauern erschlagen; all ihr Blut ist auf meinem Hals. Aber ich schiebe es auf unseren Herrgott; der hat mir befohlen, solches zu reden.
Grauenhaft! Während er die Vernunft als “Hure” verunglimpft, hetzt er wie gegen die Bauern so gegen Hexen, Ketzer, Juden und Philosophen:
Ich jedenfalls glaube, Gott diesen Gehorsam zu schulden, gegen die Philosophie wüten … zu müssen.
Wie bekannt sind uns solche Töne aus allen Lagern der abrahamitischen und anderer Weltreligionen! Mynarek zitiert
Karl Jaspers
aus dessen Werk Der philosophische Glaube:
Zu den Schmerzen meines um Wahrheit bemühten Lebens
gehört, daß in der Diskussion mit Theologen es an entscheidenden Punkten aufhört, sie verstummen, sprechen einen unverständlichen Satz, reden von etwas anderem, behaupten etwas bedingungslos, reden freundlich und gut zu, ohne wirklich vergegenwärtigt zu haben, was man vorher gesagt hat, – und haben wohl am Ende kein eigentliches Interesse. Denn einerseits fühlen sie sich in ihrer Wahrheit gewiß, erschreckend gewiß, andererseits scheint es sich für sie nicht zu lohnen um uns ihnen verstockt scheinende Menschen.
Kurz, diese Dogmatiker führen ein Leben aus zweiter Hand und sind deshalb nicht zu wirklichen Gesprächen bereit und fähig, zu Gesprächen, in denen die Partner innerlich zueinander finden und im schöpferischen Geben und Nehmen dem Leben Tiefe und Sinn ablauschen.
Einen ganz anderen
Pastor Gottfried Mahlke
jedoch hörte ich vor kurzem in seiner Totenfeier für einen Naturschützer (mehr) und gestern erneut in seinem Vortrag über Seelsorge bei Sterbenden. Er bekennt freimütig, das Theologie-Studium befasse sich mit Gewesenem, mit “toten Männern”, und man habe als angehender Theologe zunächst “drei tote Sprachen” zu lernen. Das Lebendige aber werde nicht vermittelt.
Doch vom Lebendigen hat Mahlke sich nie abbringen lassen, im Gegenteil. Uns tritt ein völlig undogmatischer Selbstdenker entgegen, der seine Erkenntnisse unmittelbar aus dem selbst erlebten Leben schöpft.
Nach 16 Jahren Tätigkeit als Pastor in Gartow ist er nun seit 20 Jahren Seelsorger in der Medizinischen Hochschule Hannover. Dort leitet er die Kurse für Klinische Seelsorge-Ausbildung und ist Lehrsupervisor der Deutschen Gesellschaft für Pastoralpsychologie. (mehr)
Seelsorge bei Sterbenden – so Mahlke – erfordert das echte Gespräch, das Mitschwingen, das Beim-Andern-Sein.
Du begleitest. Der Patient führt,
ist einer seiner “Merksätze”, die er zusammenfassend am Schluß seines Vortrages anführte. Nicht die schnelle Antwort, das Sprüche-Klopfen, das Abfertigen ist gefragt, sondern Zuhören, der Gewinn auch für “mich”.
Nicht so viel wollen – neugierig sein: was heißt das vom Andern Gesagte für mich – was mir im Gespräch einfällt, heiße ich willkommen – was sich vom Gespräch bei mir “festhakt”, bleibt mir – das Gesagte in seiner Fülle aufnehmen, ja erweitern, nicht zur nüchternen Information herabmindern – die “Sache” ist relativ unwichtig, wichtig sind die Gefühle, da passiert Verstehen …
Sterbende äußern sich über ihr Todesahnen oft in Symbolen, von ihnen selbst unbewußt:
- Zählen Sie mal mein Geld, ob es noch bis Donnerstag reicht (Donnerstag starb dann die Patientin!).
- Bitte sorgen Sie dafür, daß mein Sparbuch jetzt gesperrt wird.
- Dieses Zimmer ist zu teuer.
In Krisenlagen spiele Geld eine zentrale Rolle, erklärt Mahlke. Es ist Symbol für das pulsierende Leben. Doch noch andere Symbole für ihren nahe bevorstehenden Tod habe er von Sterbenden – oft erst hinterher – als solche verstanden:
- Haben wir noch genug Brennmaterial in der Scheune? (Ohne Wärme kein Leben)
- Zieh mir bitte die Schuhe an! (Das wünscht der sterbende Vater, obwohl er nicht wirklich gehen kann, aber nun in übertragenem Sinne – aus dem Leben – gehen wird).
- Nehmen Sie mir die Uhr ab. (Dabei hält der Patient dem Seelsorger sein Handgelenkt hin, an dem sich gar keine Uhr befindet. Seine Lebensuhr aber ist abgelaufen.)
- Es ist heute so neblig.
- Alte Männer erzählen Kriegserlebnisse. Mahlke erkennt darin “Hoffnungsgeschichten”: Das Leben im Schützengraben stand auf Messers Schneide, und ich hab überlebt. Auf die augenblickliche Lage übertragen, bedeute das Hoffnung, auch diesmal wieder davonzukommen.
- Ich möchte verreisen. (Eine Patientin schaut sich mit dem Seelsorger Reiseprospekte an. Unversehens liegt sie da: atmet nicht mehr, ist tot.)
Mahlke ist dieses Verstehen im Theologie-Studium nicht beigebracht worden.
Als Seelsorger muß ich die Befindlichkeitsseite für mich entdecken.
Denn, so erklärt er
Sprache hat mindestens 3 Seiten:
Der reine “Befund” reicht nicht, um zu verstehen. Zwar sei sowohl der Mediziner wie auch der Theologe von seiner Ausbildung her allein auf die “Befund-Seite” ausgerichtet. Die aber kann auch der Computer übernehmen, der reine, “digitale”, d. h. poesie- und gefühllose Information verarbeiten kann. Jedoch erst
in der Ganzheit aller drei Seiten findet Verständigung statt,
so Mahlke, wenn der Angesprochene – hier der Seelsorger – den Appell an ihn empfindet mitzuschwingen und sein Mitschwingen die Befindlichkeit des Andern erkennt und darauf wiederum wirklich einzugehen versteht.
Das sollte aber m. E. allgemein gelten im Miteinander der Menschen, nicht nur zwischen Sterbendem und Seelsorger. Unsere Vorfahren in vorchristlicher Zeit sollen vom
Gottmehren
gesprochen haben, wenn echte Gespräche stattfanden. Wohl uns, wenn wir Menschen begegnen, die zu solchen wirklichen Gesprächen fähig sind!
Danke, Gottfried Mahlke, für die tiefen und schönen Einblicke in die Menschenseele!
Anna schrieb per Mail:
das ist ein herrlicher Beitrag im doppelten Sinne – über Herren in verschiedensten Ausprägungen. Bei Mahlke möchte ich auch mal dabei sein.
Mithus schrieb per Mail:
vielen Dank für Deine Buchhinweise zum Papst und zu Pastor Mahlke.
Sehr interessant war für mich die Aussage von Jaspers, der meine Beobachtungen teilt.
Im Übrigen fand ich über die angesprochene Tagung in Loccum einen breiteren Artikel in Politik-Forum, kann aber im Nachhinein nicht sagen, dass mir da etwas Bleibendes haften blieb. Anders sieht es bei Herrn Mahlke aus. Das ist Reich-Gottes-Erfahrung im Leben und trifft auf die jesuanische Aussage, dass wir das Reich hier auf Erden zu suchen haben. Ganz interessanter Mann.
Pastor Mahlke schrieb per Mail:
da finde ich mich ja in einer ungewöhnlichen Gesellschaft wieder, mit Ratzinger, Luther und Jaspers. Ich finde, Sie haben sehr genau zugehört, ich fühle mich gut verstanden durch Ihre Zusammenfassung.
Es besteht Anlaß auf die Zitatstelle bei Amos 5, 21-24 hinzuweisen. Dies hat die Schriftstellerin und Dichterin Carola Moosbach unter der Überschrift “Unerhörte Gottesworte” getan:
“Ich verabscheue eure Heiligen Kriege
eure Kreuzzüge ekeln mich an
tut bloß nicht so als tötet ihr mir zuliebe
als wolle ich Vergewaltigung und Mord
Ich hasse es wie ihr das Geld anbetet
euren Fortschrittswahn kann ich nicht ausstehen
tut bloß nicht so als gäbe es keine Opfer
auf euren Altären von Börse und Autobahn
Ich lache über euer frommes Getue
eure leeren Worte will ich nicht hören
tut bloß nicht so als gehöre ich euch
sorgt lieber dafür dass meine Liebe strömen kann
zu jedem Punkt der Erde
(Frau Mossbach verzichtet auf Interpunktion).
Mithus