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„Warum ich fühle, was du fühlst“

Und warum Fremdlinge den Einheimischen fremd bleiben und zu Ghettoisierung neigen

Naturwissenschaft und Psychologie können heute dazu erhellende Auskunft geben. So veröffentlichte der Internist, Psychiater und Facharzt für Psychotherapeutische Medizin, Freiburg,

Joachim Bauer

sein Buch „Warum ich fühle, was du fühlst“ 2005 bei Hoffmann und Campe.

Er beschreibt darin den

Vorgang der Spiegelung seelischer Vorgänge

des einen Menschen beim anderen, wie ihn die Naturwissenschaft heute auf Grund der Genforschungsergebnisse erklären kann.

Dabei zeigt sich:

  • Wir sind nicht Sklaven unseres Genoms.

  • Unsere Gene können durch verschiedene Faktoren angeregt oder in Ruhestellung gehalten werden.

  • Die stärksten Ursachen zur Gen-Regulation sind seelische Erlebnisse.

  • Dabei bewertet die Seele die über die Sinne eingegangenen Reize und aktiviert ihrer Bewertung entsprechend eine Sammlung, ein „Orchester“ von Genen.

  • Das „Gen-Orchester“, das auf Reize antwortet, die als angenehm bewertet wurden, ist ein andersgeartetes als ein „Gen-Orchester“, das auf Reize antwortet, die als Gefahr eingeschätzt wurden.

Bei der Bewertung „Gefahr“ werden die Gene der Alarmzentren (hauptsächlich im Hirnstamm sowie im Hypothalamus) aktiviert, deren Proteine die Bereitstellung von Alarmbotenstoffen bewirken, die nun ihrerseits im ganzen Körper Veränderungen einschließlich der Aktivierung weiterer Gene hervorrufen.

Diese Dominokette reicht bis hin zur Ausschüttung des Streßhormons Cortisol durch die Nebenniere und braucht zu ihrem Aufbau nur wenige Minuten.

Dagegen aktivieren angenehme, anregende Umweltbedingungen – wie gegenseitiges Verstehen in Gesprächen mit anderen Menschen, Lob, Anerkennung, reizvolle Aufgabenstellung – Gene im Gehirn, deren Proteine die Funktion von Nervenzellen steigern und die Zahl ihrer Verknüpfungen erhöhen.

Allerneueste Untersuchungen ergaben sogar Hinweise dafür, daß sich unter dem Einfluß positiver Umweltsituationen und aufgrund der dadurch gesteigerten Produktion von Nervenwachs­tumsfaktoren auch die Zahl der Nervenzellen vermehren kann (was die bisherige Lehrmeinung, daß sich Nervenzellen nicht vermehren können, in Frage stellt).

Positive Umweltreize haben sich für Nervenzellen als ein Überlebensfaktor herausgestellt, da sie zur Aktivierung zahlreicher Gene führen, welche die Nervenzellfunktionen verbessern.

Wir sehen:

Gene, Seele und Umwelt wirken zusammen. Daraus gestaltet sich die Persönlichkeit.

Die Spiegelneuronen

Der Entdecker der Spiegelneuronen ist Giacomo Rizzolatti, Chef des Physiologischen Instituts der Universität Parma. In Tierversuchen mittelst bildgebender Technik offenbarte sich ihm, wie bestimmte Nervenzellen in bestimmten Bereichen der Hirnrinde „feuern“, sobald das Tier eine Handlung plant.

Beispiel: „Ein Affe greift nach einer Nuß, die auf einem Tablett liegt“

Hier zeigte sich, wie die dafür zuständige Nervenzelle feuerte, und zwar auch dann, wenn der Affe in völligem Dunkel saß und nach der Nuß griff, die ihm vorher bei Licht gezeigt worden war.

Ja, sie feuerte sogar, wenn der Affe die gleiche Handlung bei seinem Gegenüber nur beobachtete.

Diese Entdeckung ist deshalb eine Sensation, weil wir jetzt zu wissen beginnen, wie das intuitive Erfassen der Seele des Andern biologisch abläuft:

  • Spiegelneurone in unserm eigenen Gehirn werden beim Miterleben der Handlungen eines Gegenübers in derselben Weise aktiviert, wie sie aktiviert werden würden, wenn wir jene Handlungen selbst ausführten.

  • Die Spiegelung geschieht nicht nur gleichartig und -zeitig, sondern auch unwillkürlich und ohne jedes Nachdenken.

Beim Menschen genügt es zu hören, wie von einer Handlung gesprochen wird, um die Spiegelneurone in Resonanz treten zu lassen …

Beim Menschen funken die handlungssteuernden Nervenzellen schon bei bloßen Vorstellungen. Sie liegen bezeichnenderweise in einem Hirnbereich, das auch Sprache steuert.

Allein schon durch Sprache können wir einander Handlungen vorstellbar machen.

Die Bedeutung der Spiegelung

Die Spiegelneurone ermöglichen uns somit, unsere Umwelt, vor allem Menschen, zu verstehen, und zwar gerade in ihren verborgenen Feinheiten.

Wir haben z. B. in Gegenwart eines Menschen ein „ungutes Gefühl“, wir ahnen intuitiv, ohne es beweisen zu können, was von diesem Menschen ausgeht.

Mit einem geliebten, mit uns innigst verbundenen Menschen spiegeln wir uns derart, daß unsere Gedanken jeweils vom anderen bereits mitgedacht werden, ehe wir sie aussprechen.

Das ist in des Wortes wahrster Bedeutung der Gleichklang der Seelen, denn wie bei einem Musikinstrument schwingende Saiten andere Saiten zum Mitschwingen bringen, so daß der Klang der tatsächlich angeschlagenen Saiten voller ertönt, so regt das Denken des einen das des andern an.

Schon der 24-jährige Schiller weiß von der Anregung zu berichten, die ein Geist dem andern sein kann:

Mühsam und wirklich oft wider allen Dank muß ich eine Laune, eine dichterische Stimmung hervorarbeiten, die mich in zehn Minuten bei einem guten denkenden Freunde sonst anwandelt; oft auch bei einem vortrefflichen Buch oder im offenen Himmel.

Es scheint, Gedanken lassen sich nur durch Gedanken locken …

„Schillers Selbstcharakteristik“, herausgegeben von Hugo von Hofmannsthal, insel 2005, S. 26

Gute Gespräche ermöglichen ausgiebige Spiegelung, reiche Intuition.

Von unseren Altvorderen heißt es, sie hätten solche Gespräche als „Gott-Mehren“ bezeichnet.

Andererseits:

Dauerhafte Dysbalancen … sind ein häufiger Ausgangspunkt für seelische Störungen und begünstigen körperliche Erkrankungen.

Absichtlicher Entzug von Spiegelung wird modern als „mobbing“ bezeichnet. Eine solche soziale Isolierung bedeutet für den Betroffenen Lebensgefahr.

Nicht nur wird die Ausschüttung lebenswichtiger Botenstoffe (Hormone) stark vermindert, darunter die köpereigenen Opioide Dopamin und Oxytocin, sondern der Ausgegrenzte gerät in Angst und Streß.

Damit ist die Dominokette in Gang gesetzt, die bis zur Überflutung des Blutes mit Cortisol führt.

Bei bestimmten Naturvölkern kennt man den sogenannten Voodoo-Tod. Hat ein Stammesmitglied ein heiliges Verbot (Tabu) übertreten, wird es vollständig aus der Gemeinschaft ausgeschlossen, keines Blickes mehr gewürdigt. Es stirbt daran innerhalb kurzer Zeit.

Noch viel schlimmer wirkt sich

mangelnde Spiegelung beim Säugling

aus. Der Säugling kommt mit einer Grundausstattung von Nervenzellen und schon einigen Vernetzungen auf die Welt und ist dringend darauf angewiesen zu spiegeln.

Wird ihm das durch abweisende, sich abwendende, in ihrer Mimik unlebendige Erwachsene verweigert, kommt es bei ihm nicht zur Bildung von Nervenzell-Netzen, die ihrerseits spiegeln könnten.

So ist erklärlich, weshalb aus einer liebearmen Familie Kinder hervorgehen, die selbst zu Hinwendung und Liebe, zu Spiegelung des andern nicht fähig sind.

Die dazu notwendigen Netze sind nicht entstanden, die Nerven abgestorben. „Use it or loose it“,

heißt es in der Neurologie, d. h. entweder du nutzt deine Gehirnzellen, oder du verlierst sie.

Spiegelaktionen entwickeln sich nicht von allein, sie brauchen immer den Partner,

und zwar beim Kind den lebendigen Partner, nicht den Bildschirm. Dieser kann mit dem Kind keine Spiegelungen austauschen.

Aus der Fähigkeit, Gedanken und Verhaltensweisen zu spiegeln, ergibt sich andererseits auch die Erscheinung der

Massenpsychosen.

Hier ist Eigenständigkeit im Denken und Wollen gefragt und Mut, sich verderblichen Strömungen entgegenzustemmen. Bauer schreibt:

Die Paradoxie liegt darin, daß eines der Grundphänomene des Menschseins und der Menschlichkeit, nämlich die Fähigkeit zur Resonanz, zugleich zur Entwicklung von Massenphänomenen führen kann, welche die Zerstörung der Menschlichkeit zur Folge haben.

Davon abgesehen fand schon Ludwig Börne:

Vieles kann der Mensch entbehren, nur den Menschen nicht.

Aber Menschen, mit denen Spiegelung in allen Bereichen gelingen soll, müssen schon von gleicher Art und von gleichem Geiste beseelt sein.

Daher sind die Ghettos und Parallelgesellschaften von Fremdlingen in einem Land verständlich. Sie können sich nur bei Ihresgleichen wirklich spiegeln. Bei den Einheimischen aber stellt sich Streß ein.

Cicero:

Gibt es etwas Beglückenderes, als Menschen zu kennen, mit denen man sprechen kann wie mit sich selbst?

_____________________________________

Alle Zitate, deren Verfasser nicht ausdrücklich genannt sind, stammen von Joachim Bauer.

 

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Leon
Admin
6 Jahre zuvor

Der Artikel hat mich “elektrisiert”, in mehrfacher Hinsicht:
– Damit die beschriebenen Funktionen entwickelt werden, ist es ja so wichtig, das Mutter-Kind-Verhältnis auszubauen, zu leben.
– Erich Ludendorff hatte/hat Recht: “Machet des Volkes Seele stark!”
– Eine jüngste Studie geht in die gleiche Richtung: Wer viel denkt, ist weniger glücklich. – Das heißt nicht, man soll nicht denken; sondern daß man zwischen diesen “Polen” einen Augleich, Balance braucht.
– Ich selbst bin auf dieses Phänomen gestoßen, ohne daß ich dafür eine so fundierte Begründung gefunden habe: Habitus, also vor allem die Züge im Gesicht, und die Haltung, die diese fremden Menschen kennzeichnen/einnehmen, entsprechen nicht unserem inneren Bild. Sie wirken zum Geringsten fremd, bis hin zum Ängstlich-Werden.

Was mir nicht gefallen hat, das ist die Übergangslosigkeit zu einem völlig anderem Thema. Das verwässert das Eigentliche dieses so wichtigen Themas.

Leon
Admin
6 Jahre zuvor

Meines Erachtens gehört jedes Wort des Eintrags zum Thema. Wo fängt denn Deiner Meinung nach das neue Thema an?

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