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Von Historiker Gerhard Bracke

In seinem bereits 1943 erschienenen Buch „Amerika im Kampf der Kontinente“ gab der bekannte schwedische

Asienforscher Sven Hedin (1865 – 1952)

der Überzeugung Ausdruck, der Zweite Weltkrieg werde

in die Geschichte eingehen als der Krieg des Präsidenten Roosevelt.1

Mit „gespanntester Aufmerksamkeit“ studierte der prominente Schwede „die Entwicklung der Kriegspolitik der USA unter Roosevelt“, wie er im Vorwort Mai 1942 vermerkt: Es hätten

alle erschreckenden Bilder der Vergangenheit (nicht verhindern können), noch einmal einen Krieg heraufzubeschwören, der den ganzen Erdball umfaßt.

Veröffentlicht hat das Buch der F.A. Brockhaus Verlag in Leipzig, doch in der Brockhaus Enzyklopädie2 heißt es über Sven Hedin:

Dem deutschen Volk seit seinem Studium zugetan, ließ er sich von den Nationalsozialisten als Werbeträger benutzen.

Einfache Erklärungen stellen sich nicht nur dann ein, wenn, wie in diesem Falle, lexikalische Verkürzungen vor gedanklichen Auseinandersetzungen mit historischen Tatsachen zu schützen scheinen.

Eben um diese bemüht sich als hervorragender Sachkenner der promovierte

Historiker Dirk Bavendamm

auf nahezu 500 Seiten in seinem sorgfältig recherchierten, quellenmäßig überaus reichhaltigen Buch mit dem vielsagenden Titel

Roosevelts Krieg – Amerikanische Politik und Strategie 1937 – 1945 (Herbig Verlag, 2. vollständig überarbeitete Auflage 1998).

Auf geschichtlich weniger Informierte mag ein solcher Buchtitel eher provozierend wirken, gilt der Zweite Weltkrieg gewöhnlich doch entschieden als „Hitlers Krieg“, obwohl der, streng historisch betrachtet, eigentlich nur drei Tage gedauert hat, nämlich vom 1. bis 3. September 1939. Denn am Tage der britisch-französischen Kriegserklärung wegen des deutschen Angriffs auf Polen beanspruchte der Erste Seelord Winston Churchill den an jenem 3. September begonnenen europäischen Krieg, der noch kein allgemeiner Weltkrieg war, ausdrücklich für sein Land mit den bekannten Worten:

Dieser Krieg ist ein englischer Krieg, und sein Ziel ist die Vernichtung Deutschlands.

Dabei gilt es, zwei Umstände gebührend zu berücksichtigen:

  1. die britisch-französische Garantieerklärung für Polen vom 31. März 1939 als Blankovollmacht (auch für den Fall eines polnischen Angriffs auf Deutschland), die wesentlich zur Verschärfung der Krise beitrug,
  2. die von Stalin geschickt genutzte Situation, mit Hitler am 23. August 1939 einen Nichtangriffspakt zu schließen, dessen geheimes Zusatzprotokoll mit der von der Sowjetunion angeregten Aufteilung Osteuropas und Südosteuropas in „Interessensphären“.

Von diesem Geheimdokument erhielt die Roosevelt-Administration durch die Mitteilsamkeit eines Vertreters der deutschen Botschaft in Moskau umgehend Kenntnis, ohne daß der amerikanische Präsident sich genötigt sah, die polnische Regierung zu warnen.

Es bleibt zunächst einmal festzuhalten,

daß die beiden aus dem Weltkrieg als Supermächte hervorgegangenen Staaten ein gemeinsames Interesse daran hatten, daß nach dem Scheitern der Verständigungsbemühungen im deutsch-polnischen Konflikt Deutschland den (auch polnischen Absichten nicht ungelegenen und mit hohen Erwartungen verbundenen) Krieg begann.

Die Ursachen sind ohne Kenntnis der Bestimmungen und Folgen des Versailler Friedensdiktats nicht zu verstehen, auch wenn das Jahr 1933 eine besondere Wegmarke darstellt. Damals wurde Hitler zum deutschen Reichskanzler ernannt, der durch das Ermächtigungsgesetz seine Diktatur alsbald auszubauen begann, in Amerika wurde Franklin Delano Roosevelt zum Präsidenten gewählt.

Während Hitler sich außenpolitisch mit der Revision des Versailler Vertrages auf gefährliche Risiken einließ, dann aber im Münchner Abkommen mit den Westmächten zu einer friedlichen Einigung fand, strebte Roosevelt

seit 1938/39 nach militärischer Macht, um erst Deutschland, dann Japan in den Abgrund einer fast totalen Vernichtung zu stürzen. So träumte der amerikanische Präsident schon am 18. September 1938 davon, Hitler durch einen strategischen Luftkrieg – verbunden mit einer Seeblockade der angelsächsischen Mächte – in die Knie zu zwingen. England, Frankreich und Rußland, so der Plan, den er auf dem Höhepunkt der Tschechoslowakei-Krise entwickelte, sollten den Willen der deutschen Führung brechen, indem sie ‚aus der Luft auf Deutschland einhämmern.‘ 3

Daß die USA bereits Mitte der dreißiger Jahre die Entwicklung eines strategischen Langstreckenbombers, der B-17 („Flying Fortress“), vorantrieben, war deutliches Zeichen einer weitgesteckten Zielsetzung. Im Vergleich: die seit 1935 im Aufbau befindliche deutsche Luftwaffe verfügte nur über taktisch zur Unterstützung von Landkämpfen einsetzbare Mittelstreckenbomber.

Ab Mai 1941, vor dem offiziellen Kriegseintritt der USA, baute Roosevelt die amerikanische Luftwaffe zu einer strategischen Waffe von interkontinentaler Reichweite und ungeheurer Zerstörungskraft aus, auch wenn sie hauptsächlich für Präzisionsangriffe ausgerüstet war.

Während der Ardennen-Offensive im Dezember 1944, mit der der amerikanische Vormarsch auf das Reich zum letzten Mal aufgehalten werden konnte, erwog Roosevelt ernsthaft, die erste Atombombe über Deutschland abwerfen zu lassen.

Das Telegramm des amerikanischen Präsidenten

Wie sehr Hitler die Gefährlichkeit dieses amerikanischen Präsidenten unterschätzt hat, zeigt deutlich die Art seiner Reaktion auf das Telegramm Roosevelts vom 15. April 1939 – nach der Errichtung des „Protektorats Böhmen und Mähren“ und der vertraglich ermöglichten Rückgewinnung des Memellandes.

Roosevelt forderte den deutschen Diktator auf, für eine Reihe von Staaten, darunter Syrien, Palästina, Ägypten und Iran, Zusicherungen abzugeben, daß deutsche Streitkräfte sie nicht angreifen würden.

Der Präsident der Vereinigten Staaten gab durch diese und andere Ungeschicklichkeiten der Formulierung Hitler die Gelegenheit, ihn in seiner Reichstagsrede vom 28. April 1939, die über alle Sender übertragen wurde, rhetorisch geschickt vor der ganzen Welt bloßzustellen:

Ich habe mir zunächst die Mühe genommen, bei den angeführten Staaten festzustellen, erstens, ob sie sich bedroht fühlen und zweitens, ob vor allem diese Anfrage Herrn Roosevelts an uns durch eine Anregung ihrerseits oder wenigstens mit ihrem Einverständnis erfolgt sei.

Die Beantwortung war eine durchgehend negative, zum Teil schroff ablehnende. Allerdings konnte einigen der angeführten Staaten und Nationen diese Rückfrage von mir nicht zugeleitet werden, weil sie sich – wie zum Beispiel Syrien – zur Zeit nicht im Besitz ihrer Freiheit befinden, sondern von den militärischen Kräften demokratischer Staaten besetzt gehalten und damit rechtlos gemacht sind.4

Der Diktator führte in seiner Rede weiter aus:

Ich darf noch einmal feststellen, daß ich erstens keinen Krieg geführt habe, daß ich zweitens seit Jahren meinem Abscheu vor einer Kriegshetze Ausdruck verleihe, und daß ich drittens nicht wüßte, für welchen Zweck ich überhaupt einen Krieg führen sollte. Ich wäre Herrn Roosevelt dankbar, wenn er mir darüber Aufklärung geben wollte. (ebd., S. 45)

Unter Hinweis auf die Größe der Vereinigten Staaten von Amerika sprach Hitler damals den Präsidenten am Schluß direkt an:

Sie, Herr Präsident, haben es demgegenüber unendlich leichter. Sie sind, als ich 1933 Reichskanzler wurde, Präsident der amerikanischen Union geworden, Sie sind damit im ersten Augenblick an die Spitze eines der größten und reichsten Staaten der Welt getreten. [….]

Sie können daher Zeit und Muße finden, bestimmt durch die Größe Ihrer ganzen Verhältnisse, sich mit universalen Problemen zu beschäftigen. Für Sie ist daher sicherlich auch deshalb die Welt so klein, daß Sie glauben mögen, überall mit Nutzen eingreifen und wirken zu können.

In diesem Sinne können daher Ihre Besorgnisse und Anregungen einen viel größeren und weiteren Raum umspannen als die meinen. Denn meine Welt, Herr Präsident Roosevelt, ist die, in die mich die Vorsehung gesetzt hat, und für die ich daher zu arbeiten verpflichtet bin. Sie ist räumlich viel enger. Sie umfaßt nur mein Volk.

Allein, ich glaube, dadurch noch am ehesten dem zu nützen, was uns allen am Herzen liegt: der Gerechtigkeit, der Wohlfahrt, dem Fortschritt und dem Frieden der ganzen menschlichen Gemeinschaft! (ebd., S. 61 f.)

Warum sollte sich nicht auch Präsident Roosevelt dies alles ehrlich auf seine Fahnen geschrieben haben? Allerdings unter einer Voraussetzung: daß kein Staat auch nur den Anschein erweckt, Amerika auf dem Wege zur globalen Welt- und Supermacht hinderlich sein zu wollen.

Denn Politik und Strategie Roosevelts nahmen von ganz anderen Voraussetzungen und Planungen ihren Ausgang, von denen der Führer des Deutschen Reiches eben keine Ahnung hatte. Geschickt beschwor der Präsident der USA immer wieder Ängste, die in Wahrheit nichts anderes waren als

Projektion eigener Supermachtambitionen auf Länder wie Deutschland, Italien und Japan. 5

Deshalb entwickelte die amerikanische Führung auf Geheiß Roosevelts ab 1937 eine neue Weltkriegsführungs-Konzeption.6

Aber es ist eine heute kaum noch bekannte bzw. in ihrer Bedeutung verkannte Tatsache,

daß Präsident Roosevelt bereits ab 1937 einen globalen Interventionskrieg gegen die Achsenmächte (benannt nach der „Achse Berlin – Rom“ Br.) vorbereitet hat.7

Mit Vorbedacht setzte Roosevelt zwei Waffen gegen mißliebige Staaten in einem „unerklärten Krieg“ von 1937 bis 1941 ein: die wirtschaftliche und politische „Quarantäne“ sowie die überlegenen Produktionskapazitäten der USA.

Zur Bedeutung der sog. „Quarantäne-Rede“

Zum historischen Hintergrund sei daran erinnert, daß aufgrund eines Zwischenfalls auf der Marco-Polo-Brücke Anfang Juli 1937 der japanisch-chinesische Krieg ausbrach, der sich später mit dem Zweiten Weltkrieg direkt verband.

Während die Sowjetunion, vertreten durch Außenminister Litwinow, die Verwicklung japanischer Streitkräfte in einen Krieg mit ungewissem Ausgang durchaus begrüßte, hielt sich der amerikanische Außenminister Cordell Hull hinsichtlich eines von Marschall Chiang-Kai-Shek ausgesprochenen Vermittlungsersuchens zurück, weil die Regierung Roosevelt die Opposition der isolationistischen Kräfte in den USA fürchtete.

Doch Roosevelt testete, wie groß der innenpolitische Widerstand gegen eine Wende zu einer interventionistischen Außenpolitik nun wirklich sei. Aus dem Grunde hielt er am 5. Oktober 1937 in Chicago seine berühmt-berüchtigte „Quarantäne“-Rede.8

Darin erklärte er zur internationalen Lage, die Herrschaft des Terrors und der internationalen Rechtlosigkeit habe einen Grad erreicht, der die Grundlagen der zivilisierten Staaten ernsthaft bedrohe. Wenn eine Welt, in der die Völker ohne Furcht leben können, gerettet werden solle, müßten die friedliebenden Nationen gemeinsam vorgehen und die Aggressoren unter Quarantäne stellen.

Roosevelt betonte, die USA seien entschlossen, sich nicht in einen Krieg hineinziehen zu lassen, aber sie könnten in einer Welt der Unordnung niemals vollkommene Sicherheit erlangen.

Die Reaktion der amerikanischen Presse fiel unterschiedlich aus, die Mehrheit der meinungsbildenden Blätter reagierte ablehnend.

Viele der Kritiker sahen voraus, daß die von Roosevelt propagierte neue Außenpolitik die Vereinigten Staaten über kurz oder lang in einen Krieg verwickeln würde.9

Der deutsche Botschafter in Washington berichtete an das Auswärtige Amt,

daß der Ausbruch des Präsidenten in Chicago überwiegend, wenn nicht ausschließlich gegen Japan gerichtet war …10

Man muß die Rede im Zusammenhang mit dem Anstoß sehen, den Admiral E. Yarnell, Befehlshaber der Asiatischen Flotte, seinem Präsidenten gab. Jener wies in seinem Schreiben, das der Chef der Seekriegsleitung im November 1937 Roosevelt vorlegte, auf die Tatsache hin, daß die USA bei einem Krieg im pazifisch-asiatischen Raum mit ziemlicher Sicherheit auf den aktiven oder passiven Beistand Großbritanniens, Frankreichs, Rußlands und der Niederlande rechnen könnten.

Denn diese Mächte verfolgten eigene Interessen im Fernen Osten, die sie nur mit Hilfe der USA zu verteidigen in der Lage wären.

Mit unseren Alliierten würden wir ungefähr neunzig Prozent der Weltreserven an Eisen, Kohle und Öl ebenso wie einen Großteil anderer Rohstoffe kontrollieren.

Auf diese Weise, so die Schlußfolgerung, könnten Amerika und England selbst mit Hilfe leichterer Flotteneinheiten

einige Nationen … zu Tode strangulieren.11

Mit der Quarantäne-Rede lieferte Roosevelt offenkundig den Beweis für seine Entschlossenheit, nach der Produktionswaffe auch die Quarantäne-Waffe nicht nur gegen Japan, sondern auch gegen das mächtig aufstrebende Deutschland und sogar gegen Italien zum Einsatz zu bringen. Bavendamm urteilt:

Sie markiert eine qualitativ neue Stufe der amerikanischen Kriegsplanung – weg vom Ein-Fronten-Krieg in Gestalt des schieren Flottenkampfes, hin zum Mehr-Fronten-Krieg und zum kombinierten Einsatz von nicht-militärischen und militärischen Mitteln in kriegsmäßig gesteigerter Form, nämlich in Gestalt einer Fernblockade, aus der sich bei passender Gelegenheit ein regelrechter Schießkrieg entwickeln mochte.

Roosevelt bestätigte den Gedankengang seines Admirals, indem er Leahy mitteilte: ‚Was Yarnell sagt, macht sehr viel Sinn … es deckt sich mit dem Wort ‚Quarantäne‘, das ich im vorigen Monat in meiner Chicagoer Rede benutzte.’“12

Neu war auch die Einbeziehung europäischer Mächte in Roosevelts Kriegsführungskonzept, insbesondere Großbritanniens.

Der am 25. November 1937 zwischen Deutschland und Japan abgeschlossene Anti-Kominternpakt, dem Italien später beitrat, dürfte hierbei eine Rolle gespielt haben, obwohl ihm jede militärische Komponente fehlte, es sich um kein Verteidigungsbündnis handelte. Aber mit Beginn amerikanisch-britischer Flottengespräche rückte für Roosevelt die Möglichkeit eines Krieges gegen die europäischen Achsenmächte näher.

Im Dezember 1937 schickte der amerikanische Präsident den Chef der Kriegsplanungsabteilung in der US-Seekriegsleitung, Kapitän Royal E. Ingersoll, nach London, um damit die neue Strategie der Flottenkooperation der beiden angelsächsischen Seemächte einzuleiten. Ingersoll hatte den Auftrag, in London ein mehr oder weniger ungeschriebenes Militärbündnis zu schließen, was letzten Endes auf eine kooperative Kriegsplanung hinauslief.

Historiker Bavendamm wertet diesen Schritt eindeutig:

Vom Kongreß nicht wirksam daran gehindert, begann Roosevelt die amerikanische Nation gegen ihren Willen ab 1937/38 Schritt für Schritt in den Krieg zu führen, und zwar erst auf dem Papier, später in Wirklichkeit.

Die Ingersoll-Mission hatte der Präsident mit einem dichten Schleier der Geheimhaltung umgeben, indem er seinen Emissär auf strengstes Stillschweigen verpflichtete. Roosevelt gab Ingersoll weder präzise Instruktionen mit auf den Weg nach London, noch hat Roosevelt nach der Rückkehr seines Emissärs – im Gegensatz zu Premierminister Chamberlain – jemals das mit der britischen Admiralität abgestimmte Ergebnisprotokoll unterzeichnet. Niemand und nichts sollte Roosevelts Weg in den Krieg verraten.13

Bei der in keinem deutschen Schulgeschichtsbuch erwähnten Ingersoll-Mission handelte es sich um nichts Geringeres als

um den ersten Akt eines von langer Hand eingefädelten Koalitionskrieges der beiden angelsächsischen Seemächte gegen die Achsenmächte im Weltmaßstab.14

Dagegen wird für 1937 stets auf die quellenkritisch fragwürdige sog. „Hoßbach-Niederschrift“ verwiesen.15

Die entscheidende Planungsphase trat im April 1939 ein, nachdem Roosevelts Quarantäne-Politik und Hitlers Besetzung der Rest-Tschechei die Appeasement-Politik Chamberlains endgültig zum Scheitern brachte und sich die europäischen Fronten verhärteten.

Am 11. Mai 1939 wurden vom „Joint Board“ in Washington die Direktiven zur Ausarbeitung der Kriegspläne erlassen. London und Paris hatten sieben Tage zuvor Polen in die Kriegsplanung gegen Deutschland einbezogen.

Roosevelt vermied es wiederum, die Weisungen des Joint Board förmlich zu autorisieren, doch ist kaum vorstellbar, daß er sie nicht gesehen hat, bevor sie von den Stäben in konkrete Planungen umgesetzt wurden. In diesen fünf Direktiven, die Bavendamm ausführlich wiedergibt als

Rainbow 1 bis 5, die dreieinhalb Monate vor Hitlers Angriff auf Polen die Zustimmung Roosevelts fanden, (war) schon jenes komplexe Kriegsführungs-Konzept angelegt, dem die See-, Luft- und Landstreitkräfte der Vereinigten Staaten von Amerika unter dem Oberbefehl des Präsidenten von 1939 bis 1945 folgen sollten. […]

Wenn man einmal … alles andere wegstreicht, was dieser Präsident politisch und wirtschaftlich zur Entstehung des Zweiten Weltkrieges beigetragen hat, dann könnten wir unsere Aussage, daß dieser Krieg konzeptionell vor allem sein Krieg gewesen ist, allein schon auf diese RAINBOW- Direktiven stützen.16

Die amerikanischen Planungen, die in den folgenden Monaten und Jahren umgesetzt wurden, bestechen mit ihrer Dynamik, Reichweite und Komplexität in einem Maße, daß sich die beiden Weisungen, die Hitler im Mai und August 1939 für seine Kriegführung in Polen erließ,

fast schon kläglich ausnahmen,

urteilt der Verfasser. (ebd.) Während Hitler darin seine Vision der Eröffnungsschlachten an Weichsel und Rhein niederlegte,

hatte sein mächtigster und gefährlichster Gegner auf einen Schlag bereits den ganzen Krieg entworfen, ein visionärer Vorsprung, den der deutsche Diktator nie wieder einholen sollte. (ebd.)

Ohne Frage haben Roosevelts Kriegsplanungen die allgemeine Kriegsbereitschaft kaum gedämpft, eher geschürt, – in England, in Frankreich und vor allem in Polen. In London beklagte sich nach Kriegsausbruch Chamberlain gegenüber dem amerikanischen Botschafter Joseph P. Kennedy mit der von Unterstaatssekretär Forrestal später verbürgten und in seinen Memoiren veröffentlichten Aussage:

Amerika und das … haben England in den Krieg gezwungen.

Jedenfalls plante Roosevelt, gestützt auf die immer enger werdende Flottenkooperation mit Großbritannien im Weltmaßstab, basierend auf der britisch-französischen Flottenzusammenarbeit im Ostatlantik und Mittelmeer,

seit dem Frühsommer 1939 einen defensiv-offensiven Interventionskrieg gegen die drei Achsenmächte, in den gegebenenfalls amerikanische See-, Luft- und Landstreitkräfte von erheblichem Umfang eingreifen sollten. Damit war vier Monate, bevor in Europa der erste Schuß fiel, die grundsätzliche Entscheidung für einen möglichen Kriegseintritt der Vereinigten Staaten von Amerika gefallen.17

Das nach dem Polenfeldzug am 6. Oktober 1939 von Hitler in der Reichstagsrede verkündete Friedensangebot an die Westmächte wurde von diesen schroff zurückgewiesen, von der sowjetischen Presse wie von Außenminister Molotow jedoch heuchlerisch unterstützt. Die „Iswestija“ bezichtigte England und Frankreich offen der Kriegstreiberei.

Es dürfte außer Frage stehen, daß die Weigerungshaltung der Westmächte ganz der Erwartung des amerikanischen Präsidenten entsprach. Weder der sowjetische Einmarsch in Ostpolen am 17. September 1939 noch der mit der Bombardierung Helsinkis am 30. November begonnene Eroberungskrieg Stalins gegen Finnland konnten Roosevelts Hoffnung auf den künftigen Bundesgenossen einer Anti-Hitler-Koalition trüben.

Wenngleich die Zeit für die Alliierten arbeitete, entsprach die Passivität an der Scheinkrieg-Westfront im sog. drole de guerre keineswegs den Vorstellungen des amerikanischen Präsidenten.

Nach dem Kriegsausbruch in Europa begann Roosevelt mit der Lockerung der Neutralitätsgesetze, auch am Kongreß vorbei, regelte das von ihm eingeführte „Lend and Lease“-System die militärische Unterstützung der Westmächte, von der später auch Stalin profitierte.

Zunächst bot sich der russisch-finnische Winterkrieg als willkommene Möglichkeit an, mit Hilfsangeboten für das bedrängte Finnland die militärischen Anstrengungen nach Nordeuropa auszudehnen.

Die Europa-Mission des amerikanischen Unterstaatssekretärs Sumner Welles

Als eine der seltsamsten Episoden der jüngeren Diplomatiegeschichte bezeichnet Dirk Bavendamm die Welles-Mission im Frühjahr 1940. Einerseits versuchte Roosevelt zu Beginn des Wahljahres sich das Image eines „Friedenspräsidenten“ zu geben, andererseits wollte er England und Frankreich zu einer energischeren Kriegführung antreiben. Aber auch die Allianz der Diktatoren Hitler und Stalin zog Roosevelt damals für die Errichtung einer neuen Weltordnung ins Kalkül, um auf diese Weise Druck auf die Westmächte auszuüben.

So reiste Unterstaatssekretär und stellvertretender Außenminister Sumner Welles, der zum engsten Beraterkreis des Präsidenten gehörte, in besonderer Mission nach Europa, was Roosevelt selbst am 9. Februar 1940 bekanntgab, als wäre die Entsendung von vornherein seine eigene Idee gewesen.

Gleichzeitig veröffentlichte der Präsident seinen Plan für eine neue Weltordnung, in der keiner der vorhandenen Machtblöcke die Oberhand bekommen sollte.

Die seltsame Europa-Reise, die Welles im Februar und März 1940 unternahm, entsprang eher einer Kabale innerhalb der amerikanischen Regierung, mit der sich das Außenministerium gegen die „persönliche Diplomatie“ des Präsidenten wehrte. Jedoch baute Roosevelt die Mission so geschickt in seine Aktivitäten ein, daß diese einen ausgesprochen doppelstrategischen Charakter erhielten.

Keineswegs war geplant, den europäischen Konflikt als „ehrlicher Makler“ zu schlichten.18

Welles erhielt vielmehr die delikate Doppelaufgabe, einerseits die beiden westeuropäischen Demokratien zu einer energischeren Kriegführung anzuhalten, andererseits aber für den Fall, daß dies nicht beizeiten gelang, die geplante Friedenskonferenz auf diplomatischem Wege voranzutreiben.19

Da man Hitlers Offensive im Westen erwartete, kam es darauf an, wie schnell sich die Ausweitung des Krieges durch die geplante Landung der Westmächte in Norwegen realisieren ließe. In dieser Situation verfolgte Roosevelt eine Doppelstrategie, indem er durch Welles die britische und französische Regierung zur entschlossenen Aktion drängte und zugleich auf die Einberufung einer Weltfriedenskonferenz aller am europäischen Konflikt beteiligten Mächte, einschließlich Deutschlands, Rußlands und der USA, vorbereitete.

Gegenüber Kennedy bekannte er allerdings offen, die von den Medien zur „Friedensmission“ hochstilisierte „fact finding mission“ seines Unterstaatssekretärs sei bloße „Augenwischerei“.20

Ihm kam es einzig darauf an, sich für die Wahl im November 1940 als „Friedenspräsident“ zu empfehlen. Mit der „Drohung des Friedens den Krieg zu intensivieren“, war das „fast schon perverse Doppelspiel der Welles-Mission“, urteilt Bavendamm (ebd.).

Welles besuchte nicht nur London und Paris, sondern auch Berlin und Rom, wo er sogar zweimal erschien.

Bei der prinzipiellen Abneigung , die der Präsident bisher gegen Friedensverhandlungen mit Hitler bewiesen hatte, ist Welles‘ Besuch in Berlin der Beweis dafür, daß der Präsident nur an die Fortsetzung des Krieges dachte. Denn der amerikanische Unterstaatssekretär hat dem deutschen Diktator kein Friedensangebot unterbreitet.21

Am 28. März 1940 beschloß das Supreme War Council der Westalliierten in Paris die Verminung der norwegischen Küste, und am gleichen Tag verpflichteten sich England und Frankreich durch ein Regierungsabkommen, mit Deutschland bis zur siegreichen Beendigung des Krieges nicht mehr über einen Waffenstillstand oder Separatfrieden zu verhandeln.

Damit hatte Roosevelt sein Ziel erreicht, das 1943 auf der Konferenz in Casablanca in der Forderung nach „bedingungsloser Kapitulation“ gipfelte.

In einem Gespräch des Unterstaatssekretärs mit Reynaud am 19. März 1940 kam man überein, es ließe sich nur ein Krieg bis zum Ende denken, „egal ob daraus Chaos und Zerstörung der schlimmsten Art resultieren würden oder nicht.“22

Der Amerikaner sprach mit seinen Partnern sogar schon über eine Aufteilung Deutschlands. Auch Roosevelt erklärte in einer Radioansprache jener Tage, er wolle keinen „Appeasementfrieden“, sondern einen „Frieden“, der die totale Niederlage der Achsenmächte zur Voraussetzung hat.

Die Wirkungslosigkeit von Hitlers „letztem Appell an die Vernunft“ in seinem Friedensangebot vom 19. Juli 1940, nach dem Sieg über Frankreich und nachdem Churchill in Großbritannien Premierminister Chamberlain längst abgelöst hatte, war somit entschieden vorprogrammiert.

Mit großer Erleichterung reagierte Roosevelt auf den lange erwarteten Angriff Hitlers auf die Sowjetunion am 22. Juni 1941. Der Angriffstermin war ebenfalls in Washington vorher bekannt, so daß Stalin von hier aus gewarnt werden konnte vor dem „Überfall“, der ohnehin keiner war.23

Unverzüglich schickte Roosevelt seinen engsten Vertrauten Harry Hopkins nach Moskau, um auch dem sowjetischen Diktator im Kampf gegen Hitler aus dem unerschöpflichen amerikanischen Waffenarsenal Unterstützung anzubieten.

Sonderkonditionen aus dem Pacht- und Leihgesetz wurden dem neuen Alliierten ebenfalls eingeräumt.

Bereits am 16. Juni 1941 befahl Roosevelt die Besetzung Islands, die am 7. Juli durchgeführt wurde im Zuge der strategischen Defensive. An den von dort nach Rußland (Murmansk und Archangelsk) verkehrenden Geleitzügen mit Kriegsmaterial aller Art beteiligten sich bald auch amerikanische Kriegsschiffe. Zwischenfälle mit deutschen Seestreitkräften, vor allem U-Booten, wurden bewußt einkalkuliert, um aus dem Zustand des „undeclared war“ zum tatsächlichen Kriegseintritt der USA zu gelangen und dabei der Zustimmung von Kongreß und Öffentlichkeit sicher zu sein.

Doch im Verlauf des Kriegsjahres 1941 kam es mehrfach zu schweren Zwischenfällen bis hin zur Beschießung deutscher Kriegsschiffe durch US-Zerstörer, abgesehen von der mit der Neutralität unvereinbaren „Zusammenarbeit“ anglo-amerikanischer Seestreitkräfte, indem Standorte deutscher Einheiten per Funk weitergemeldet wurden, abgesehen auch von der ständigen Ausdehnung der im Atlantik beanspruchten „Hemisphären-Verteidigung“.

Hitler wies die deutsche Kriegsmarine immer wieder an, sich von amerikanischen Kriegsschiffen nicht provozieren zu lassen und keinesfalls zurückzuschießen, denn noch hoffte er, den amerikanischen Kriegseintritt vermeiden zu können.

Trotz seiner „Germany first“-Strategie richtete Roosevelt deshalb sein Augenmerk auf die Möglichkeit, durch die „Hintertür“ im pazifischen Raum schließlich auch im Atlantik zum Ziel zu kommen.

„Backdoor to War“

„Die Hintertür zum Kriege – Das Drama der internationalen Diplomatie von Versailles bis Pearl Harbor“ lautet der Titel des bereits in den 50er Jahren auch in Deutschland veröffentlichten Buches von Charles Callan Tansill, Professor für Geschichte der amerikanischen Diplomatie an der Georgetown University in Washington.

Das Buch eines hervorragenden Kenners der Diplomatiegeschichte übt scharfe Kritik an der Missions- und Kreuzzugspolitik Amerikas. Der Titel zielt auf den eigentlichen Beginn des Zweiten Weltkrieges am 7. Dezember 1941, als japanische Trägerflugzeuge die im Hafen von Pearl Harbor wie auf dem Präsentierteller liegende amerikanischen Pazifik-Flotte überraschend angriffen, was den offziellen Kriegseintritt der USA auslöste.

Im Gegensatz zum deutschen „Blitzkrieg“ 1939/40 war Roosevelts Krieg in seinen Anfängen so unauffällig, daß man ihn in den Geschichtsbüchern vergeblich sucht. Dieser Krieg hat aber im Grunde nicht erst im Dezember 1941 als Reaktion auf den japanischen Angriff begonnen, auch nicht im Juni 1940 als Reaktion auf den deutschen Blitzsieg in Frankreich oder im September 1939 als Reaktion auf den Polenfeldzug, sondern bereits acht Monate vorher, nämlich

am 4. Januar 1939!

An diesem Tage setzte Roosevelt die gesamte amerikanische Flotte von der kalifornischen Küste Richtung Panama-Kanal in Bewegung.

Der 4. Januar war nicht zufällig der Tag vor Hitlers letztem Versuch, sich mit dem polnischen Außenminister Beck friedlich zu einigen. Es war die erste rein militärische Operation der Vereinigten Staaten vor Beginn des Zweiten Weltkrieges, die nachweisbar ist, Roosevelts zeitlich genau auf die europäische Krise abgestimmter Eröffnungszug.24

Es schlossen sich mit den neu in Dienst gestellten Flugzeugträgern und Schlachtschiffen die amerikanischen Flottenmanöver des Jahres 1939 in der Karibik an, als machtvolle Demonstration ihrer Beweglichkeit und Schlagkraft. Roosevelt präsentierte demonstrativ sein zukunftweisendes Konzept der Seekriegsführung.

Ab Januar 1939 wuchs das Kraftfeld Amerikas immer weiter in den Atlantischen und den Pazifischen Ozean hinein.

Inzwischen gelang den Amerikanern, den diplomatischen Purpur-Code der Japaner zu knacken. Der Präsident der Vereinigten Staaten konnte somit anhand der MAGIC-Transkripte den Schriftverkehr zwischen der Regierung in Tokio und den diplomatischen Vertretungen in aller Welt mitlesen.

Von nun an wechselte Amerika seine Beziehungen zu Japan zwischen Scheinverhandlungen, etwa in der China-Frage, und Exportbeschränkungen für bestimmte Güter.

  • Am 27. Mai 1941 rief der Präsident den nationalen Notstand aus und gab
  • am 9. Juli die Weisung für die Erarbeitung des Victory-Programms.
  • Am 24. Juli ließ er die japanischen Guthaben in den USA einfrieren, und damit eröffnete sich gleichzeitig „im Pazifik eine Hintertür, durch die er doch noch in den Krieg schlüpfen konnte.“25

Auch Kriegsminister Henry Stimson und Finanzminister Morgenthau drängten den Präsidenten zum Krieg.

Durch das rein amerikanische Konvoi-System gelang eine dramatische Verstärkung der Flottenpräsenz im Atlantik, die nach den Worten des Generalstabschefs der US-Navy, Admiral Starks,

uns fast sicher in den Krieg verwickeln würde.

Auf der Atlantik-Konferenz im August 1941 mit dem Ergebnis der „Atlantik-Charta“

versprach der amerikanische Präsident dem britischen Premierminister Churchill, selbst dann demnächst in den Krieg (aktiv) einzutreten, wenn Japan die USA nicht angreifen würde.26

Es kam jetzt nur noch darauf an, Japan zum Angriff zu provozieren. Deshalb suchte Präsident Roosevelt in der zweiten Hälfte des Jahres 1941 nach Mitteln und Wegen für den offenen, uneingeschränkten und vor der Nation gerechtfertigten Kriegseintritt.

Immerhin hatte er sich zwei Jahre lang vergeblich bemüht, Deutschland durch eine militärische Eskalation zum Angriff auf die USA zu provozieren. Seit dem Krieg zwischen Deutschland und der Sowjetunion erkannte Roosevelt in der Bündnisverpflichtung des Drei-Mächte-Paktes Ende 1941 zumindest theoretisch eine Chance, Deutschland auf dem Umweg über Japan in einen offenen Krieg gegen die USA hineinzuziehen.

Auch in dem unerklärten Krieg gegen Japan leitete Roosevelt in den Septembertagen 1941 seine aggressive und offensive Phase dadurch ein, daß die ersten B-17-Bomber zur Verteidigung heimlich auf die Philippinen verbracht wurden, um in Wirklichkeit die Luftherrschaft über dem Südchinesischen Meer erringen und Japans Städte angreifen zu können.

Beide Häuser des Kongresses revidierten jedenfalls am 7. und 13. November 1941 auf Antrag des Präsidenten die Neutralitätsgesetze, womit die USA auch formal auf einen Kriegseintritt vorbereitet wurden.

Die wirtschaftliche Quarantäne ließ Japan bis Ende September noch einige Schlupflöcher, doch ließ Roosevelt durch entsprechende Abmachungen mit britischen und niederländischen Stellen den Ölhahn so endgültig zudrehen,

daß sich Japan von nun an in einem tödlichen Würgegriff befand.27

Bis November versuchte Amerika die Japaner noch von aggressiven Aktionen mit Scheinverhandlungen abzulenken, aber für Roosevelt lautete die entscheidende Frage auch Ende November noch,

wie wir sie (die Japaner) in eine Position manövrieren können, in der sie den ersten Schuß abfeuern, ohne daß dies mit allzu großen Gefahren für uns verbunden ist.28

Vor seinem engsten Führungskreis äußerte sich Roosevelt mit aller Deutlichkeit am 25. November:

Wenn man weiß, daß der Feind im Begriff ist zuzuschlagen, dann ist es im allgemeinen nicht gerade klug zu warten, bis er einen überraschend anspringt. Wenn wir es aber trotz des darin liegenden Risikos den Japanern überlassen würden, den ersten Schuß abzufeuern, dann würden wir das tun, um der vollen  Unterstützung des amerikanischen Volkes sicher zu sein.

Aus diesem Grunde wäre es ratsam, sicherzustellen, daß es die Japaner waren, die den Anfang machten, so daß es für niemand einen Zweifel geben kann, wer der Angreifer gewesen ist. 28

Vorsorglich hatte der Präsident bereits im April 1940 seine Pazifik-Flotte nach Hawaii vorgeschoben und gegen den verzweifelten Widerstand seiner Admiräle im Hafen von Pearl Habor versammeln lassen. Er war schließlich zu der Überzeugung gekommen, nur ein erfolgreicher Angriff der Japaner auf Pearl Harbor werde die Amerikaner, denen er auf Wahlveranstaltungen wiederholt feierlich versprochen hatte, ihr Land nicht in den Krieg hineinzuziehen, zu einem einhelligen Sturm der Entrüstung bringen und kriegsbereit machen.

Der damalige Befehlshaber der Pazifik-Flotte, Admiral James O. Richardson, protestierte energisch

in der Erkenntnis, daß die Marinebasis auf der Insel Oahu noch nicht vorbereitet war, eine so große Flotte für längere Zeit aufzunehmen. Richardson mußte gehen.

Auch sein Nachfolger, Admiral Husband E. Kimmel, machte Roosevelt gegenüber im Juni 1941 dieselben Bedenken geltend: Die Pazifik-Flotte sei in dieser exponierten Lage und unter den gegebenen Umständen bei feindlichen Angriffen aus der Luft und unter Wasser wehrlos.

In der Tat schien das Ganze einer stillschweigenden Einladung an die Japaner gleichzukommen, bei passender Gelegenheit einen vernichtenden Schlag durchzuführen.

Nicht weniger als acht Untersuchungsausschüsse haben sich später in Washington bemüht, das Geschehen um den japanischen Angriff auf Pearl Harbor in seinen Hintergründen aufzuklären.

Immerhin waren große Teile der Pazifik-Flotte vernichtet oder beschädigt worden, fanden insgesamt 2326 amerikanische Offiziere und Matrosen den Tod. Um nur einiges zu nennen:

  • Zu den zweifelsfreien Tatbeständen gehört, daß Roosevelt auf der Konferenz der Alliierten in Teheran 1943 zu Stalin gesagt hat:

Ohne Pearl Harbor wäre es ihm unmöglich gewesen, in diesem Krieg amerikanische Truppen nach Europa zu schicken. Er hat damit zugegeben, daß es des japanischen Angriffs bedurfte, um den Sieg über Hitler herbeizuführen. Er hat also den inneren Zusammenhang zwischen seinen beiden Teilkriegen im Pazifik und Atlantik selbst bestätigt.29

  • Tatsache ist außerdem, daß der Befehlshaber der Marinestation Hawaii, Admiral Kimmel, und der Befehlshaber des Armeeaußenkommandos Hawaii, General Walter C. Short, dem japanischen Überraschungsangriff völlig wehrlos ausgesetzt waren, denn ihre Vorgesetzten bis hinauf zum Präsidenten hatten es „versäumt“, sie rechtzeitig und umfassend zu warnen. Auch verfügten sie nicht über die erforderlichen Abwehrmittel.
  • Aber noch nie in der Geschichte war ein Oberbefehlshaber so vollkommen über die Absichten seines nächsten Kriegsgegners unterrichtet wie Roosevelt, dank der seit 1940 gelungenen Entschlüsselung des diplomatischen Funkverkehrs derJapaner.
  • Von den verfügbaren Entschlüsselungsmaschinen, die den japanischen Purpur-Code lesen konnten, stand wohl den Befehlshabern der amerikanischen Marine und der Armee auf den Philippinen ein Gerät zur Verfügung, nicht hingegen Admiral Kimmel und General Short auf Hawaii. Diese konnten sich von der sich zuspitzenden Krise in den amerikanisch-japanischen Beziehungen kein Bild machen.
  • Kimmel, der bis August aus Washington gelegentlich MAGIC-Meldungen erhalten hatte, wurde just zu dem Zeitpunkt von diesem entscheidenden Informationsfluß abgeschnitten, als das Ölembargo der USA zu wirken begann.30

Konteradmiral a.D. Husband E. Kimmel schrieb dazu im Dezember 1953:

Die Befehlshaber in Pearl Harbor erhielten niemals Kenntnis vom Wortlaut oder auch nur eine summarische Wiedergbe der amerikanischen Note, die dem japanischen Botschafter am 26. November 1941 übergeben wurde, dieser Note, die allen weiteren Verhandlungen ein Ende machte, so daß der Krieg im Pazifik unvermeidlich wurde. […]

Während der letzten drei Monate vor dem Angriff wurden mir verschiedene Abhörberichte nebensächlicher japanischer Sendungen zugeleitet, aber eine große Zahl lebenswichtiger Nachrichten, die Klarheit über die japanischen Absichten brachten, wurden den kommandierenden Offizieren in Pearl Harbor vorenthalten, im besonderen … (es folgen Einzelheiten).31

Das 1981 erschienene Buch „Pearl Harbor“ von Peter Herde gilt heute noch als internationales Standardwerk, durch das die Meinung weit verbreitet ist, Roosevelt habe vorher von dem japanischen Angriff doch nichts gewußt. Der Verfasser muß jedoch zugeben, den Eindruck gewonnen zu haben, daß einige mit Pearl Harbor befaßten Offiziere vor den späteren Untersuchungen „unter Druck gesetzt“ worden seien, nicht die volle Wahrheit zu sagen.

Offenbar wurden wichtige Dokumente vernichtet oder sie werden, wie andere Autoren erfahren haben, bis heute der Forschung vorenthalten. Dirk Bavendamm stellt klar, daß er Herdes Auffasung von Roosevelts Ahnungslosigkeit nicht teilt:

Im Gegenteil, durch die hier zum ersten Mal geschilderte Krise seiner globalen Strategie sind wir zu der Überzeugung gelangt: In der schier ausweglosen Situation des zweiten Halbjahres 1941 hat Präsident Roosevelt den Einstieg in den Krieg bewußt über Pearl Harbor gesucht – es war der einzige Weg, auf dem er glaubte, die Selbstlähmung der angelsächsischen Seemächte überwinden, Rußland vor der Niederlage bewahren und die amerikanische Nation von der Notwendigkeit des Kriegseintritts überzeugen zu können.32

Auch wenn letzte Beweise nicht zu erbringen sein dürften, faßt Bavendamm zusammen,

spricht doch eine überwältigende Evidenz dafür, daß er einen Teil seiner Pazifik-Flotte kaltblütig, das heißt im vollen Bewußtsein der Folgen geopfert hat, nur um endlich mit voller Wucht weltweit gegen Deutschland, Italien und Japan Krieg führen zu können. Dafür sprechen auch seine ersten Reaktionen auf das Desaster, das für ihn offenbar gar kein Desaster war, sondern vielleicht sogar eine Erlösung.33

Am 8. Dezember 1941 unterschrieb der amerikanische Präsident die Kriegserklärung an Japan.

Und obwohl die Beistandsklausel des Dreimächtepaktes Deutschland in diesem Falle nicht ausdrücklich dazu verpflichtete, erklärte Hitler ebenfalls am 8. Dezember vor dem Reichstag in der Berliner Krolloper den USA den Krieg. Erneut war das Deutsche Reich in einen Weltkrieg verwickelt, der, wie Gerd Schultze-Rhonhoff mit Recht betont, „viele Väter hatte“.

Deutschland war seit dem 3. September 1939 in eine Lage geraten, vor der General Erich Ludendorff zwei Jahre zuvor Hitler dringend gewarnt hatte, ausdrücklich mit dem Hinweis auf die Rolle der Vereinigten Staaten, die sich in einem neuen Krieg noch viel verheerender auswirken würde als im Ersten Weltkrieg.

__________________________

1 Sven Hedin: Amerika im Kampf der Kontinente, S. 202
2 Brockhaus Enzyklopädie, 19. Aufl.. 1989 Bd. 9, S. 585
3 Dirk Bavendamm: Roosevelts Krieg Amerikanische Politik und Strategie 1937-1945, München 2. Aufl. 1998, S.223 Zu Roosevelt und die Atombombe S. 235 Anm. 13
4 „Der Führer antwortet Roosevelt“ Reichstagsrede vom 28. April 1939, München 1939, S. 52
5 Bavendamm, a.a.O., S. 120
6 Bavendamm, a.a.O., S. 305
7 Bavendamm, a.a.O., S. 297
8 Walter Post: Die Ursachen des Zweiten Weltkrieges, Tübingen 2003, S. 200
9 Walter Post, ebd.; Charles Callan Tansill: Die Hintertür zum Kriege, S. 381 ff.
10 ADAP D I Dok., Nr. 413
11 Bavendamm, a.a.O., S. 306
12 Bavendamm, ebd.; Admiral William D. Leahy gehörte zur Führungspitze, ab 1942 persönlicher Stabschef des Präsidenten
13 Bavendamm, a.a.O., S. 309
14 a.a.O., S. 310
15 Dazu Dankwart Kluge: Das Hoßbach-“Protokoll“ Die Zerstörung einer Legende Leoni, 1980
16 Bavendamm, a.a.O., S. 312
17 Bavendamm, a.a.O., S. 314
18 Bernd Martin: Friedensinitiativen und Machtpolitik im Zweiten Weltkrieg 1939-1942 Düsseldorf 1974, S. 151: „…. sondern seine eigentliche Absicht bestand darin, die Wirtschaftskraft Europas, vor allem die des autarken Deutschen Reiches, zu schwächen, um die Vereinigten Staaten zur wirtschaftspolitischen Führungsmacht zu erheben“.
19 Bavendamm, a.a.O., S. 138
20 Bavendamm, a.a.O., S. 139
21 Bavendamm, ebd.
22 Bavendamm, a.a.O., S. 142
23 Walter Post : Unternehmen Barbarossa. Deutsche und sowjetische Angriffspläne 1940/41 Hamburg, Berlin, Bonn
2. Aufl. 1996
24 Bavendamm, a.a.O., S. 375
25 Ders., a.a.O., S. 397
26 Ders., a.a.O., S. 398 Anm. 8
27 Ders., a.a.O., S. 405
28 Stimson Tagebuch 25.11.1941, Bavendamm, a.a.O., S. 406
29 Bavendamm, a.a.O., S. 409
30 Ders., a.a.O., S. 410
31 Admiral Kimmels Vorwort zu „Das letzte Geheimnis von Pearl Harbor“ von Konteradmiral a.D. Robert A. Theobald, „The Final Secret of Pearl Harbor“, New York 1963 (deutsche Übersetzung), S. 7
32 Bavendamm, a.a.O., S. 420
33 Ders., a.a.O., S. 423 George Morgenstern: Pearl Harbor 1941 Eine amerikanische Katastrophe, hrsg. und ins Deutsche übertragen von Walter Post München 1998 Titel der Originalausgabe: Pearl Harbor The Story of the Secret War (1947)

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