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Auszug aus einer zeitnahen Studie
von Fritz Köhncke

Das Regietheater als politisches Instrument

Regietheater und Uralt-Marxismus sind eng miteinander verbunden,

steht bei Walter Marinovic, und er fährt fort:

Die Klassiker gelten offenbar als faschistoid.

Er zitiert den Regisseur und Schauspieler Oskar Werner aus dem Jahre 1982:

Es gibt kein Theater mehr, an dem ich spielen möchte. Denn was vom Burgtheater bis zur deutschen Bühne gegenwärtig passiert an Klassikerschändungen, das ist eine Infamie.15)

Und er weiß, was er sagt, denn sein Repertoire reicht von Shakespeare über Goethe, Schiller, Kleist, Grillparzer u. a. bis zu zeitgenössischen Stücken, in denen er gespielt oder Regie geführt hat.

Er war mit Altmeistern wie  Werner Krauß und Alma Seidler befreundet, stand in der Tradition überkommenen Kulturgutes, und dennoch kann man ihn nicht als faschistoid bezeichnen, wie aus seinem Lebenslauf und seiner künstlerischen Tätigkeit eindeutig hervorgeht.

Ganz entgegengesetzt, der linken Szene zugehörig, erdreistet sich der Regisseur Martin Kusej, der an allen großen Bühnen in Deutschland und Österreich tätig ist, zu sagen:

Es geht nicht darum, Texte zu inszenieren, sondern sie zu benützen.

Marinovic folgt daraus:

Damit ist der Mißbrauch der Dichtung durch das Regietheater offen eingestanden.

Und er fährt fort:

Natürlich ist nicht zu bestreiten, daß Regie auch schöpferisch sein und unserer Zeit ein Werk der Vergangenheit nahebringen soll …

Die Inszenierung hat dem Werk zu dienen und nicht der Selbstgefälligkeit eines Theatermachers.

Die Aussage soll begründet und vertieft, aber nicht verdreht werden. Höher als der Regisseur steht der Dichter.16)

Als erschütterndes Beispiel für die ungehemmte Maßlosigkeit der Regie durch Martin Kusej steht die Aufführung von Schillers Kabale und Liebe im Klagenfurter Stadttheater von 1993:

  • Die Bühne ist ein abschüssig schräges Parkett,
  • auf dem die Darsteller hocken, um mit Küchenmessern unter ohrenbetäubendem Hard Rock einen mörderischen Takt zu klopfen.
  • Lady Milford muß sogar die Beherrschung ihrer Schließmuskeln verlieren und die Bühne eklig beschmutzen.
  • Über den Kammerdiener, der vom Verkauf der Menschen berichtet, macht sie sich lustig, statt, wie Schiller es wollte, erschüttert zu sein.
  • Wenn sie den Hof des Lasters verläßt und ihre Habe an die Diener verteilt, ist das für Kusej kein Zeichen von Erkenntnis und Wandlung, sondern ein jäher Anfall von Irrsinn.
  • Nicht das Menschliche siegt, sondern das Gemeine.17)

Peymann (Bildausschnitt: Geldanlage Schweiz 8%)

Als der politisch links orientierte Claus Peymann 1986 das Wiener Burgtheater als Direktor übernimmt, läßt er u.a. Die Hermannsschlacht von Kleist aufführen, und zwar im Sinne des überzogenen Regietheaters, wie er es bereits 1982 in Bochum verwirklicht hat.

Mit einem erlegten, stark blutenden Auerochsen begann die Vorstellung,

während am Ende der Römer Varus abgestochen wurde wie ein Schwein.

Aber es geht weniger um diese unappetitlichen Geschmacklosigkeiten als darum, daß der Regisseur die Aussage des Dichters frech auf den Kopf gestellt hat.

  • Peymanns Hermann war ein verklemmter Neurotiker,
  • Thusnelda eine abgetakelte Kokotte,
  • die Germanen blutbeschmierte Barbaren.
  • Den Aufruf Kleists zum Freiheitskampf gegen Napoleon fälschte Peymann in das schmutzige Bild vom häßlichen Deutschen um, der die ganze Welt in Scherben schlägt.18)

Petras (Bildausschnitt: Geldanlage Schweiz 8%)

Kleists Dramen sind in der Aufführungspraxis von Claus Peymann bis hin zu Armin Petras, dem Intendanten des Maxim Gorki Theaters in Berlin, durch den bewußt gestalteten Entfremdungsprozeß als modernes Theater geprägt, und man muß an manchen Stellen schon die Fähigkeit eines Psychoanalytikers besitzen, um den Schöpfer der Werke hinter dem Theaterspiel aufzuspüren.

Wie anders als sozialistisches Antikriegsstück soll man die 2010 in München in den Kammerspielen von Armin Petras inszenierte Aufführung der Hermannsschlacht verstehen, wenn man im Internet liest:

Am Ende, nach dem Sieg, wird im Text viel „Heil“ gerufen.

  • In den Kammerspielen wird kein „Heil“ gerufen,
  • da kommen die Siegreichen in Unterhosen hinter dem Schaumstoff (der den Teutoburger Wald versinnbildlicht) hervor,
  • die Männer tragen Perücken, sehen wild aus damit.
  • Sie stecken ihre langen Schwerter Hermann hinten in die Hose, so kann er sich fürs Schlußbild nur schwer von der Bühne schleppen.
  • Der Pathosverdacht ist weitläufig ausgeräumt.
  • Diese Helden sind albern,
  • ihr Streben ist leer,
  • sie kämpfen bis aufs Blut um das Grau und die Belanglosigkeit ihres Daseins.
  • Ganz ungefährlich sind sie trotzdem nicht. Zuerst wußten sie ja nicht, daß sie zusammengehören, erst der gemeinsame Feind hat sie zusammengeschweißt.

Und dann heißt es :

Die Gemeinschaft braucht ein Initiationserlebnis, das aus einer kollektiven Vergewaltigung besteht.

Auf der Bühne sieht das so aus,

  • daß sich drei Herren nackt auf das ebenfalls nackte Ensemble-Neumitglied Katharina Hackhausen legen;
  • die Herren dürfen aufstehen und sich anziehen,
  • die Frau muß liegen bleiben,
  • sie wird echt, nicht im Spiel, bespuckt, beim Aufstehen sieht man den Speichel auf ihrem Rücken glänzen – jetzt ist sie auch dabei –

jetzt war sie mal nackt vor Publikum und hat Unangenehmes mit sich anstellen lassen.

Im darauffolgenden Jahr, während des Kleistfestivals, wird diese Inszenierung dann in Berlin im Maxim Gorki Theater gegeben. Da zieht sich doch von Claus Peymann (1982/86) bis hin zu Armin Petras (2010/11) ein roter Negativfaden, der auf einer gesellschaftspolitischen Ebene , wie sie u.a. unsere Zeit zu bieten hat, einer Verhöhnung des Dichters Heinrich von Kleist gleichkommt.

In diesem Zusammenhang sei erinnert an das Buch Diktatur des Häßlichen – Kulturpolitik heute von Walter Marinovic, in dem er besonders auf den Seiten 42ff. auf das Wirken Peymanns am Wiener Burgtheater eingeht und zu der Aussage kommt:

Anstelle von Leistung setzt Peymann nach bewährtem Muster die in die Jahre gekommene Altachtundsechziger  Provokation.

Daß diese Provokation heute noch Schule macht, liegt nach einer Reihe von gegenwärtigen Inszenierungen klar auf der Hand.

Stefan Bachmann (Bild: Wikipedia)

Erwähnt seien in diesem Zusammenhang die abstrusen Shakespeare-Inszenierungen von Stefan Bachmann.

Im Hamlet sollte die Ophelia von einer Behinderten mit Down-Syndrom gespielt werden. Wolfgang Bethge schreibt:

Drei Schauspielern unter Bachmann wurde eine lallende und über die Bühne tapsende Ophelia schließlich aber doch zu bunt, und sie traten von ihren Rollen zurück, so daß die Premiere abgesagt werden mußte.

Das war jedenfalls 2002 und sollte im Königlichen Theater in Kopenhagen stattfinden.19)

Mit anderen Shakespeare-Aufführungen in der Manier des Regietheaters hat Bachmann mehr Erfolg, so im Jahre 2014 mit dem Kaufmann von Venedig in Köln.

Hier werden die Kernaussagen des Stückes mit Anspielungen auf den Rassismus und Antisemitismus der Gegenwart sowie auf die NS-Vergangenheit gespickt.

Schiller, Schlager und Irak-Krieg ist eine Rezension vom 2. November2015 im Flensburger Tageblatt über die Aufführung des Dramas Die Jungfrau von Orleans im Hamburger Schauspielhaus überschrieben.

  • Auszüge aus Reden von George W. Bush werden in das Stück eingeblendet, während die Politiker den bevorstehenden Krieg zu rechtfertigen versuchen,
  • Johannas Vater trägt ein Schild mit dem Aufruf „Für unsere Enkel“ und wendet sich gegen die Lügenpresse.

Spätestens jetzt ist klar, Tilmann Köhler will in seiner Inszenierung … den Bezug zu heute, und zwar mit aller Gewalt. Dafür ist ihm kein Klischee zu platt:

  • Die ersten Siege feiern die Regierenden mit Schampus und Zigarren,
  • am Ende intonieren sie von „Ein bisschen Frieden“ bis „We are the world“ einen Schlager nach dem anderen.

Es mag genug sein zu dieser Aufführung, die als Regietheater Schillers Drama entkernt und die Tragödie schal und nichtssagend enden läßt.

Kaum erfreulicher sieht ein in Angriff genommenes Projekt für die Freilichtbühne in Kiel aus.

Für die Kieler Sommeroper 2016 vertonen Rock-Musiker einer 2001 in Hamburg gegründeten Band Schillers Schauspiel Die Räuber. Im Flensburger Tageblatt vom 12. Januar des Jahres steht:

Clou des Spektakels auf dem Kieler Seefischmarkt : Die Vertonung des klassischen Literatur – Dramas aus der Sturm – und Drang – Zeit übernehmen Marcus Wiebusch und Reimer Bustorff – beide sind bekannte Songwriter der deutschen Band Kettcar.

Die Inszenierung der Räuber liegt in den Händen von Generalintendant Daniel Karasek und Dramaturg Jens Paulsen

Die Musiker sind sich darüber im Klaren,  daß sie … „in großen Schuhen unterwegs“ sind, wenn es gilt, einen Monolog auf zweieinhalb Minuten Musik herunterzubrechen, ohne in Kitsch zu verfallen.

Schillers revolutionäres Erstlingswerk wird hier aus seinem historischen Kontext herausgeschält, um es mit den Mitteln heutiger amerikanischer Musikströmungen, die Europa überfluten, als Spektakel einer breiten Gesellschaftsschicht schmackhaft zu machen.

Daniel Karasek liegt hier total auf der Linie eines um sich greifenden Mainstreams, indem er nach eigenem Gutdünken den Text verändert und damit nicht mehr dem klassischen Stück und seinem Dichter dient sondern einem Ungeist, der die Pflege unserer Kultur auf den Bühnen seit der Mitte des 20. Jahrhunderts leichtfertig vernachlässigt.

August Wilhelm Schlegel hat durch seine kongeniale Übersetzung  der Dramen Shakespeares diesen bis zu einem gewissen Grade dem deutschen Kulturgut hinzugefügt.

Darum trifft auch den großen Weltdichter der Briten die entwürdigende, unsachgemäße, enthistorisierende Behandlung seiner Theaterstücke – wie weiter oben gezeigt – genauso wie die deutsche Dichtung.

Auch Peter Tschaikowsky, dem großen abendländischen Komponisten der Romantik, widerfährt bei der Interpretation seines einzigartigen Balletts „Schwanensee“ eine das musikalische Tanzspiel frisierende, dem modernen Zeitgeschmack huldigende Veränderung, der man im höchsten Grade skeptisch gegenüberstehen kann.

Athletische Fähigkeiten, Akrobatik werden von den Darstellern gefordert, wenn sie sich im Streetdance, der afro-amerikanische Wurzeln hat, nach den Rhythmen des enthemmenden Elektro–Beats bewegen.

Im Theater am Hamburger Großmarkt wird „Swan Lake Reloaded“ des schwedischen Choreographen Frederik Rydmann, eine auf den Stand unserer Zeit gebrachte Neufassung von Tschaikowskys „Schwanensee“, von ihm selbst inszeniert, in diesem Jahr gespielt.

Die Story … gleicht dem Klassiker, und doch ist hier nichts klassisch. Frederik Rydmanns Schwanensee-Ballett ist eine Neuinterpretation des 1895 uraufgeführten Werkes – eine moderne Version, anders, hart,

so steht es im Flensburger Tageblatt vom 11.O2.2016. Und weiter heißt es:

  • … doch ohne Spitzenschuh und Tütü.
  • Frederik Rydmann verfrachtet die Geschichte um Prinz Siegfried und die schöne Odette ins Rotlichtmilieu – mit Schwänen als heroinabhängige Prostituierte in weißem Pelz und einem
  • Zauberer Rotbart als Zuhälter und Drogendealer, der sich die Nase vollkokst.
  • Zentrales Thema ist die Gier nach Drogen und Liebe.
  • … Die leicht bekleideten Frauen tragen mächtige Bilderrahmen, die ihre Köpfe in ein Quadrat fassen,
  • während Lampenschirme als Kopf- und messingartige Kerzenhalter als Büstenhalter herhalten.

Im Klartext heißt das doch:

Aus dem klassischen Ballett, das ein altes europäisches Märchen um Liebe und Leid zum Inhalt hat, das sich in Bewegung und ausdrucksvollem Tanz zu den Klängen der bezaubernden Komposition des russischen Romantikers dem Zuschauer und Zuhörer zeigt, wird eine Show, die in gesellschaftliche Abgründe unserer Zeit verweist,

ohne Aufblick, ohne Hoffnung auf Veränderung verworfener Zustände.

Es ist schlicht und einfach nur noch der Weg ins Chaos einer sich auslebenden Gesellschaft, und die Aufführung kommt dem modernen sensationslüsternen Publikum entgegen, so daß keine Sorge um leerbleibende Stuhlreihen entstehen muß.

Es handelt sich eben um ein Showgeschäft, das mehr zieht als die in Musik und Tanz gesetzte Besinnung auf ein altes Märchen aus dem 19. Jahrhundert.

Der Niedergang deutscher Kultur bezieht sich nicht nur auf die Entstellung deutschen Dramenschaffens sondern auch auf die gewissenlose Behandlung anderer europäischer Dichtung auf der Bühne, wie im Falle Shakespeares oder Tschaikowskys.

Angefügt sei als weiteres Beispiel der italienische Komponist Gioachimo Rossini, dessen letzte Oper inhaltlich z. T. auf Schillers „Wilhelm Tell“ beruht.

Veränderung und Verzerrung bis zur niveaulosen Wiedergeburt im zeitgenössischen Gewande im März 2016 an der Hamburger Staatsoper erfährt die Freiheitsoper „Guillaume Tell“.

Aus der Hochzeitsfeier im Kanton Uri zu Beginn der Oper wird eine Farce,

  • indem die Hochzeitsgäste betrunken über die Bühne torkeln.
  • Der ehrwürdige an die Pflichten gegenüber dem Vaterlande mahnende alte Melchthal wird grotesk und altersschwach mit einem Atemgerät versehen,
  • die Soldaten des tyrannischen Landvogts Gessler sind mit Maschinenpistolen bewaffnet.

Im Flensburger Tageblatt vom 6. März 2016 steht:

Zu Rossinis hymnischem Finale werden die siegreichen Schweizer  gar als geifernde Mordbande gezeigt, quasi als „Restauratoren“ der Schreckensherrschaft. Das klang wie Hohn.

Was soll der aufgeweckte Bürger unseres Staates dazu noch sagen?

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Fortsetzung in Teil 3

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Anmerkungen

15)Walter Marinovic, Diktatur des Häßlichen – Kulturpolitik heute, Graz – Stuttgart 2/1996, S. 26
16)Ebenda, S. 27
17)Ebenda, S. 26
18)Ebenda, S. 43f.
19)Wolfgang Bethge, Kunst und Unkunst, Tübingen 2015, S. 188f.

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