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Seid umschlungen, Millionen

Das Fest der Deutschen – ein Fest der Welt

Die Welt schaute auf Deutschland, auf Berlin, aufs Brandenburger Tor – sie feierte am 20. Jahrestag des Mauerfalls, am Abend des 9. November 2009, mit den Deutschen

  • deren friedliche und erfolgreiche Revolution
  • die Kraft eines Volkes, sein Schicksal selbst in die Hand zu nehmen
  • die Überwindung nicht nur der Spaltung Deutschlands, sondern der Welt

In vielen Ländern wurde „die Mauer“ sinnbildhaft errichtet und niedergerissen. Die Welt vereint in der Freude über den Fall der Berliner Mauer!

Freude, schöner Götterfunken …
Deine Zauber binden wieder,
was die Mode streng geteilt.
Alle Menschen werden Brüder,
wo dein sanfter Flügel weilt.

Friedrich Schiller, Friedrich Georg Weitsch 1804

Friedrich Schiller, Friedrich Georg Weitsch 1804

Zwar war Schiller von seiner Ode an die Freude später selbst nicht begeistert. Am 21. Oktober 1800 schrieb er an Körner:

Deine Neigung zu diesem Gedicht mag sich auf die Epoche seiner Entstehung gründen: aber dies gibt ihm auch den einzigen Wert, den es hat, und auch nur für uns und nicht für die Welt, noch für die Dichtkunst.

Dennoch hat die Ode ihren Siegeszug um die Welt angetreten, machtvoll gefördert durch die Vertonung in Beethovens 9. Symphonie. Am 9. November 1989 beim Mauerfall und am 9. November 2009 beim Erinnerungsfest verwirklichten sich ihre Worte.

Freude … alle Menschen werden Brüder …

Viele schöne Worte wurden gesprochen. Die Geschichte des Mauerfalls wurde anschaulich erzählt mit den daran Beteiligten, angefangen mit Lech Walesa, der – entsprechend seiner mutigen Tatkraft auf der Danziger Werft und in der Solidarnosz, mit der er den Freiheitskampf der europäischen Völker in Gang gesetzt hatte – nun den ersten Dominostein anstoßen durfte, mit dem der „Mauerfall“ dann mit dem Fall der folgenden Dominosteine sinnbildhaft in Gang gesetzt wurde.

Schön auch das Symbol, das darin lag, daß die 15 000 Dominosteine von hauptsächlich jugendlichen Menschen der ganzen Welt ausgestaltet worden waren – hingeschickt in fernste Länder und pünktlich zum Fest wieder eingetroffen!

Welche Solidarität, welche Mitfreude, welch Vertrauen zueinander! Könnte es doch währen, hier, heute und in Zukunft, weltweit!

Ein Kleinod  des Vertrauens

fand ich heute abend in meinem Nachbarort am Rande der Dorfstraße

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Ich trat näher, und was sah ich?

Quittengelee

Quittengelee, hübsch verpackt, auf dem sauberem Tablett daneben das offene Glas mit dem Geld – ein einziges Zeichen des Vertrauens: Wenn du dich bedienst, wirst du – den kleinen Preis von 1,50 €! – auch bezahlen, niemand wird das Geld stehlen. Und tatsächlich: Das Vertrauen wird erfüllt!

Wie schön, wenn es überall auf der Welt so ehrlich und vertrauensvoll zuginge!

Aber leider ist diese Welt nicht wirklich vereint und ungeteilt: Noch ist Korea gespalten, und eine neue Mauer gibt es um das Westjordanland herum, die Menschen einsperrt und ihnen das Leben schwer macht!

Welche Hoffnungen lagen auf Barack Obama, der den Muslimen in aller Welt die Hand ausgestreckt hatte – jedenfalls mit Worten. Und welche Ernüchterung und bittere Enttäuschung nun auf Seiten der Palästinenser, nachdem Barack Obama nicht fähig ist, die israelische Regierungsriege zum Stop des Siedlungsbaus im Westjordanland zu bewegen:

Uri Avnery:

Mahmoud Abbas hat die Nase gestrichen voll. Vorgestern verkündete er, daß er seine Kandidatur bei den kommenden Präsidentschaftswahlen zurückziehen werde.

Ich verstehe ihn. Er fühlt sich betrogen. Und der Betrüger ist Barack Obama.

Hat man solche Töne gegenüber dem Schwarm von Millionen schon irgendwo gehört? Uri Avnery aber fühlt sich in seinen Friedensbemühungen in Israel so betrogen wie die Palästinenser und begründet das:

Als Obama vor einem Jahr gewählt wurde, weckte er große Hoffnungen in der muslimischen Welt, beim palästinensischen Volk wie auch im israelischen Friedenslager.

Endlich ein amerikanischer Präsident, der versteht, daß er den israelisch-palästinensischen Konflikt beenden muß, nicht nur um der beiden Völker willen, sondern vor allem aufgrund der nationalen Interessen der USA. Dieser Konflikt ist größtenteils verantwortlich für die Welle anti-amerikanischen Hasses, die die muslimischen Massen von Ozean zu Ozean überrollt.

Jeder glaubte, eine neue Ära hätte begonnen.

Stimmt. Obama wurde ja weltweit wie der neue Heiland gefeiert. Seine Worte, die er in so bewegender Weise immer wieder für Gerechtigkeit zwischen Menschen und Völkern sprach, schienen die Menschen Lügen zu strafen, die aus den Erfahrungen mit dem US-Imperialismus an einen grundsätzlichen Wandel der US-Politik auch unter Obama nicht mehr zu glauben vermochten. Uri Avnery aber war bereit gewesen, an Obama zu glauben:

Anstelle eines Kampfes der Kulturen, der Achse des Bösen und all den anderen idiotischen, aber verhängnisvollen Slogans aus der Bush-Ära endlich ein neuer Weg der Verständigung und Versöhnung, gegenseitigen Respekts und praktischer Lösungen.

Doch wer hat sich wieder durchgesetzt? Und damit Obama als israelische Marionette vorgeführt? Netanyahu, der den illegalen Siedlungsbau der Israelis im Westjordanland fortsetzen will. Avnery:

Aber das Einfrieren des Siedlungsbaus ist bedeutsam und dies weit über die damit zusammenhängenden praktischen Konsequenzen hinaus. Ich möchte noch einmal auf die Metapher des palästinensischen Anwalts zurückkommen: „Wir verhandeln über die Teilung einer Pizza, und unterdessen ißt Israel die Pizza auf.“

Um der Beleidigung noch eine Kränkung hinzuzufügen, machte sich Hillary Clinton persönlich nach Jerusalem auf, um Netanyahu mit salbungsvollen Schmeicheleien zu überschütten. Es sei noch nie vorher solch ein Opfer für den Frieden gebracht worden, katzbuckelte sie.

Auch von ihr hätte die Welt also keinen Politik-Wandel erlebt, hätte sie die Wahlen gewonnen und wäre heute Präsidentin der USA. Ihr Buckeln vor Netanyahu – so Avnery –

… war sogar für Abbas zu viel, dessen Geduld und Selbstbeherrschung legendär sind. Er zog die Konsequenzen.

„Change – Yes we can“

Barack Obama

Barack Obama

hatte Obama in seinem Wahlfeldzug mit den Massen skandiert. Deshalb zeiht Avnery Obama jetzt des doppelten Verrats:

Obama hat nicht nur seinen Anspruch eines vollkommenen Wandels der US-Politik aufgegeben; er setzt tatsächlich die Politik von Bush fort. Und da Obama vorgibt, das Gegenteil von Bush zu sein, ist dies doppelter Verrat.

Abbas reagierte mit der einzigen Waffe, die ihm noch zur Verfügung steht: der Ankündigung, er wolle die politische Bühne verlassen …

Ich denke, daß seine Absicht, die Bühne zu verlassen, ernst ist. Ich glaube, seine Beteuerung ist kein Verhandlungstrick. Er könnte seine Entscheidung ändern, aber nur, wenn er davon überzeugt ist, daß die Regeln des Spieles sich verändert haben.

Eine Konsequenz, wie Abbas sie angekündigt hat, hält Avnery für außergewöhnlich im modernen Polit-Theater:

Obama war vollkommen überrascht. So etwas war noch nie geschehen: Ein amerikanischer Kunde, der total abhängig von Washington ist, rebelliert plötzlich und stellt Bedingungen. Es ist genau das, was Abbas jetzt getan hat, nachdem er erkannt hat, daß Obama nicht in der Lage ist, die wichtigste Grundbedingung zu erfüllen: das Einfrieren des Siedlungsbaus.

Ohne Abbas fällt das ganze amerikanische Rezept unter den Tisch.

Dann hätte die Welt das „Change – Yes we can“ – allerdings nicht aus freien Stücken von Seiten der US-Regierung, sondern erzwungen von anderer Seite. Abbas – nun deutlich einer aus dem Volk der Palästinenser und nicht die Puppe Amerikas! Uri Avnery fährt fort:

Auch Netanyahu war äußerst überrascht. Er benötigt inhaltslose, vorgetäuschte Verhandlungen als Tarnung für die Verschärfung der Besatzung und zur Vergrößerung der Siedlungen. Ein „Friedensprozeß“ als Ersatz für Frieden. Mit wem soll er „verhandeln“, wenn es keinen anerkannten palästinensischen Führer gibt?

Avnery scheint anzunehmen, daß die israelische Polit-Führung sich einen standfesten Gegenspieler nicht vorstellen kann:

In Jerusalem gibt es noch Hoffnung, daß Abbas’ Ankündigung nur ein Trick sei, und daß es genügen würde, ihm ein paar Brosamen hinzuwerfen, um seine Meinung zu verändern.

Solcher Gesinnung hält Avnery entgegen:

Anscheinend kennen sie den Mann nicht richtig. Seine Selbstachtung wird ihm nicht erlauben, den Schritt rückgängig zu machen, wenn Obama ihm nicht ein ernsthaftes politisches Angebot macht.

Gush shalom, Friede für Israel und nieder mit der spaltenden Mauer in Nahost!

Auf der Grundlage von Verdrängungs- und Vernichtungspolitik, von Käuflichkeit und Verrat können Mauern zwischen Völkern nicht überwunden werden.

Die israelische Friedensbewegung Gush shalom strebt Gerechtigkeit und Ausgleich mit den Palästinensern an. In ihrer Ehrlichkeit und ihrem Rechtsdenken verdient sie das Vertrauen von uns allen!

Warum solidarisieren sich zwar die Völker mit ihr, nicht aber die entscheidenden Politiker ? Was sind ihre schönen Worte in Berlin wert, wenn sie das schreiende Unrecht gegenüber dem palästinensischen Volk zulassen, ja sogar noch unterstützen?

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Hans
Hans
3 Jahre zuvor

Zuerst dichtete Schiller ja: „Bettler werden Fürstenbrüder.“ Vielleicht änderte er den Vers ab, weil ihm ein gutes Verhältnis zwischen ihm und seinem Fürsten Carl August wichtig war. Aus meiner Sicht bezieht er sich mit dem neuen Vers auf die verbindende Wirkung der Freude, z. B. beim Singen eines Liedes. Der Weltfriede lag ihm am Herzen. Ein Aufgehen des deutschen Volkes in einem Völkergemisch war nicht in seinem Sinne.

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