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Robert Enke 2008 vor einem Spiel (Wikipedia)

Robert Enke 2008 vor einem Spiel (Wikipedia)

Robert Enke

mußte die Bälle halten, die auf sein Tor geschossen wurden. Das Spiel war kein Spiel. Es war bitterer Ernst – zumindest für ihn.

Denn er stand in der millionenäugigen Öffentlichkeit, die für die Herausragenden erbarmungslos nur eins zu kennen scheint:

Hosiannah oder Kreuziget ihn!
Ruhm oder Vernichtung!

Wer von den Zuschauern macht sich den Druck klar, unter dem die Akteure der “Spiele” stehen, unter den sie sich selbst stellen!

Solche “Lektionen des Lebens” beschreibt auch die berühmte französische Pianistin

Hélène Grimaud

in ihrem gleichnamigen “Reisetagebuch”. Sie ging auf die Reise, um dem Druck der Mühlsteine zu entkommen, zwischen denen sie sich als Herausragende der Konzertsäle befand:

Symptome …, die mir seit Wochen zu schaffen machten: Mattigkeit, Abgespanntheit, Schlappheit, Erschlaffung, Schwäche, Müdigkeit, Verminderung, Abbau. Ich hatte zugelassen, daß die Routine mich auslaugte.

Buchtigel GrimaudZwischen Konzertsaal und Flughafen kommt sie nicht mehr zu Atem. Eine unerklärliche Traurigkeit überkommt die Gefeierte:

Ich hasse Traurigkeit, diesen Schleier, der sich zwischen dich und die Dinge legt, die Farben abstumpft, die Klänge dämpft und den Wein sauer macht. Ich war selbst in meinem Schwung abgebremst. Ich fühlte mich am Fuß einer Felswand, die unablässig in die Höhe wuchs.

Das sind Worte, die sicher auch auf die Depressionen eines Robert Enke passen würden. Doch Hélène Grimaud sackt zum Glück nicht in die bodenlose Tiefe. Sie reißt sich selbst davor zurück. Sie geht auf Reisen.

Ich würde … mir einen Weg bahnen im Netz der Zeit … ich hatte mir schon so lange kein richtiges Ausbrechen mehr gegönnt. Ich würde die Zeit verlangsamen, aus der Routine ausbrechen.

Vor allem würde ich mich sammeln, mich auf mich selbst besinnen.

In Geburtsländern europäischer Musik-Hochkultur wie Italien und Deutschland trifft sie tiefgründig Denkende, und im Gespräch mit ihnen findet sie zu dem, was sie gesucht hatte: zum Sinn ihres Musizierens, zum Sinn des Lebens.

In den Worten des Rabbi Zousya von Hanipol bezüglich des “Jüngsten Gerichtes” findet sie ihr Erkennen am schönsten zum Ausdruck gebracht: Die Frage werde nicht lauten:

“Warum bist du nicht Moses gewesen?” Nein. Die Frage, die man mir stellen wird, lautet: “Warum bist du nicht Zousya gewesen?”

Sich selbst finden und entfalten! Am Ende ihrer Reise kann sie sagen:

Ich war durch die Welt gereist, um zu entdecken, daß der Schatz sich bei mir, in mir befand.

Und sie sinniert über

den trostlosen Anblick der Menschheit … in ihrem schrecklichen Egoismus … diese verbissene Maulwurfsmentalität, nur für seinen eigenen Wohlstand zu graben, um immer noch mehr persönliche Reichtümer anzuhäufen und immer noch vergnügungssüchtiger zu sein in einer beispiellosen geistigen Armut, die das Herz zutiefst verletzten mußte, so tief, daß man nur noch einen Wunsch hatte: zu fliehen …

Vielleicht war das ja die wahre Hölle: ein Gedränge von seelenlosen Körpern, die bis zum Rand mit Lebensmitteln vollgestopfte Einkaufswagen vor sich herschieben, verzweifelt und bereit zu allen Ablehnungen, vorausgesetzt, daß nichts ihr phantastisches Shopping stört …

Nicht als Dienerin dieser Konsumenten, aber dennoch könne die Musik, so sinnt sie weiter,

an der Schwelle dieser Apokalypse, die uns droht, … noch immer, … erneut den Geist begeistern, vorausgesetzt natürlich, sie ist etwas anderes als eine mehr oder weniger gelungene Musik, eine Ablenkung, ein Kunststück, eine Masche; vorausgesetzt sie wird als ein essenzielles Werk geschenkt und gespielt, als bedingungsloses Geschenk seiner selbst.

Ihr wird klar:

Meine Traurigkeit, meine tiefe Traurigkeit rührte von einer Routine her, die mich vom Himmel und von mir selbst isoliert hatte.

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[…] Eine weitere Gefahr steckt im Minderwertigkeitskomplex bzw. in übergroßer Anforderung an sich selbst, was zur Selbstausgrenzung und deren schlimmen Folgen führen kann – siehe den Adelinde-Beitrag “Von der tiefen Traurigkeit der Herausragenden”. […]

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