Robert Schumann (4)
Dienstag, 27. April 2010 von Adelinde
Die Schumannsche Künstlerehe
Mit Hilfe des Appellationsgerichtes setzten sie es gegen den erbitterten Widerstand Friedrich Wiecks durch: Am 12. September 1840 feierten die Schumanns Hochzeit in kleinem Kreis und in der Stille.
Nichts störte uns an diesem Tag,
setzte Clara ihrem Mädchen-Tagebuch den Schlußpunkt,
und so sei er denn auch in diesem Buche als der schönste und wichtigste meines Lebens aufgezeichnet. Eine Periode meines Lebens ist nun beschlossen; erfuhr ich gleich viel Trübes in meinen jungen Jahren schon, so doch auch manches Freudige, das ich nie vergessen will. Jetzt geht ein neues Leben an, ein schönes Leben, das Leben in dem, den man über Alles und sich selbst liebt, aber schwere Pflichten ruhen auch auf mir, und der Himmel verleihe mir Kraft, sie getreulich wie ein gutes Weib zu erfüllen …
Kraft würde sie brauchen, die junge Ehefrau, übermenschliche Kraft. Daß sie über solche Kräfte verfügte, das hatte sie in ihrem jungen Dasein voller härtester Anforderungen bereits bewiesen.
Doch nun warteten 14 Jahre auf sie, in denen sie Robert, der beim Komponieren absolute Ruhe brauchte, nicht mit ihrem Klavierspiel stören wollte und in der steten Furcht lebte, an eigenen Fähigkeiten einzubüßen, weil es ihr an Übungszeit fehlte, Jahre, in denen sie 10 Mal schwanger wurde und 7 heranwachsende Kinder zu versorgen hatte, in denen sie die unzähligen Gäste, die bei Schumanns ein- und ausgingen, empfing und bewirtete, und in denen sie Roberts seelische Labilität, durch seine Krankheit, aber auch durch seine Minderwertigkeitskomplexe angesichts Claras künstlerischer Erfolge bedingt, zu ertragen hatte.
Robert hatte schon vor der Ehe festgelegt – und Clara hatte ihm darin zugestimmt!:
Das erste Jahr unsrer Ehe sollst Du die Künstlerin vergessen, sollst nichts als Dir u. Deinem Haus und Deinem Mann leben … das Weib steht doch noch höher als die Künstlerin, und erreiche ich nur das, das Du gar nichts mehr mit der Öffentlichkeit zu thun hättest, so wäre mein innigster Wunsch erreicht. Deshalb bleibst Du doch immer die Künstlerin, die Du bist. Das bischen Ruhm auf dem Lumpenpapier, was Dein Vater als höchstes Glück auf der Welt betrachtet, verachte ich …
– jedenfalls wenn es die Frau betraf.
Dabei war Clara das – jetzt so oft verwehrte – Klavierspiel Lebenselixier:
Wenn ich so recht regelmäßig studieren kann, fühle ich mich doch eigentlich erst wieder so ganz in meinem Elemente; es ist, als ob eine ganz andre Stimmung über mich käme, viel leichter und freier, und alles erscheint mir heiterer und erfreulicher. Die Musik ist doch ein gutes Stück von meinem Leben, fehlt sie mir, so ist es, als wäre alle körperliche und geistige Elastizität von mir gewichen.
Sie gab dennoch Konzerte und machte mit ihrem Spiel die neuesten Werke von Schumann, Mendelssohn, Chopin, später Brahms bekannt. Sie alle haben Clara Schumann einen großen Teil ihrer Bekanntheit und ihres Ruhmes zu verdanken. Denn Musik lebt von der Interpretation.
Clara Schumanns Spiel muß von außergewöhnlichem Glanz und Tiefgang gewesen sein, wie Zeitgenossen übereinstimmend zu beschreiben versuchen. Am Anfang ihrer Künstler-Ehe war Clara berühmt, Robert noch weitgehend unbekannt.
Hermann Hirschbach berichtete einmal brieflich, jemand habe in gesellschaftlicher Runde gesagt, Clara
habe sehr viel dazu beigetragen, ihm (Schumann) den Weg als Tonsetzer zu erleichtern und seinen Werken Eingang ins Publikum zu verschaffen,
worauf Schumann aufgesprungen sei und „höchst beleidigt“ das Lokal verlassen habe.[8] Es hatte sein Gefühl der Unterlegenheit und wohl auch seinen Stolz wie den Nagel auf den Kopf getroffen.
Gleich zu Anfang legte Schumann das
„Ehetagebuch“
an und bestimmte als Ehe-Herr, was dem Tagebuch anvertraut werden sollte. Darunter sollte eine
… Zierde unseres Tagebüchelchens … die Kritik unserer künstlerischen Leistungen werden; z.B. kömmt genau hinein, was Du vorzüglich studirt, was Du componirt, was Du Neues kennen gelernt hast und was Du davon denkst; dasselbe findet bei mir Statt. Eine andere Hauptzierde des Buches bilden: Charakterschilderungen z. B. bedeutender Künstler, die wir in der Nähe gesehen …
So sind die 3 Bände „Ehetagebuch“ der Schumanns – wenn auch leider nur die ersten dreieinhalb Ehejahre hindurch geführt – eine Fundgrube für die Musikwissenschaft geworden. Schumanns waren gesuchte Kapazitäten für Musiker und Literaten, und das Ehetagebuch gibt Auskunft darüber, wie die auf sie gewirkt haben.
Unter allen wird immer wieder voll Liebe und Verehrung Felix Mendelssohn hervorgehoben, der wie sie selbst in Leipzig lebte und wirkte. Ihrem jüngsten Kind – erst nach Roberts Einlieferung in die „Irrenanstalt“ geboren – gab Clara den Namen Felix.
Im Februar 1841 schrieb Clara ins Ehetagebuch:
Wir genießen ein Glück, das ich früher nie gekannt, ein sogenanntes häusliches Glück verspottete mein Vater allezeit.
Robert schrieb, beflügelt vom Ehefrühling, seine Frühlingssinfonie, die am 31. März 1841 unter Leitung Mendelssohns im Leipziger Gewandhaus aufgeführt und vom Publikum mit überwältigendem Beifall angenommen wurde. In diesem Konzert trat auch Clara auf – nun erstmals unter neuem Namen. Robert hielt im Ehetagebuch fest:
Meine Klara spielte Alles wie eine Meisterin, und in erhöhter Stimmung, dass alle Welt entzückt war. Auch in meinem Künstlerleben ist der Tag einer der wichtigsten. Das sah auch meine Frau ein, und freute sich über den Erfolg der Symphonie fast mehr, als über sich selbst … Es sieht ja jetzt so heiter in meinem Gemüthe [aus], dass ich noch Manches an den Tag zu fördern gedenke, das die Herzen erfreuen soll.
Clara aber hatte noch im Januar 1841, mit ihrem ersten Kind schwanger, notiert:
Zum Spielen komme ich jetzt gar nicht; theils hält mich mein Unwohlseyn, theils Robert’s Componieren ab. Wäre es doch nur möglich dem Übel mit den leichten Wänden abzuhelfen, ich verlerne Alles, und werde noch ganz melancholisch darüber.
Am 1. September 1841 brachte sie
ihr erstes Kind, Marie,
zur Welt. Wenige Tage vor ihrem ersten Gebär-Examen, dessen Ausgang ihr ganz ungewiß war, galt ihre erste Sorge Robert:
Meine innigste Bitte zu Gott ist die, daß er mich nur jetzt noch nicht von Robert nehme – das wäre das Traurigste, was ich mir denken kann! – Ich brauche noch viele, viele Zeit, um meinem Robert all die Liebe zu erweisen, die ich für ihn hege – sie ist ja ganz unendlich! –
Sie konnte noch so schwer belastet sein – Robert ging ihr in allem vor. Und so lesen wir weiter – eine Woche vor der Niederkunft:
Mit dem Arbeiten geht’s bei mir nicht flott, um so mehr bei’m Robert. Er hat seine Fantasie nun ganz in Ordnung gebracht, hie und da noch ein Horn oder ein Fagott weggenommen, und jetzt während ich dieß schreibe, arbeitet er an seiner Ouvertüre, Scherzo und Finale, um auch mit diesem bald im Reinen zu sein. Die Stunden mit der Rieffel hält er regelmäßig, wie ein ordentlicher Schulmeister. Ich möchte mich wohl auch bei ihm als Schülerin melden, ich hätte dann öfter das Glück ihm vorspielen zu dürfen, worum ich die Rieffel beneiden möchte! …
Weiblicher Altruismus pur,
welche Zumutung und welch verhaltenes Leid! Darüber plagte – hin und wieder – Robert das schlechte Gewissen, das er an einigen Stellen des Ehetagebuches kundtut:
Ein kleiner Cyklus Kerner’scher Gedichte ist fertig; Kläre hat Freude daran gehabt, auch Schmerzen; denn sie muß meine Lieder so oft durch Stillschweigen und Unsichtbarkeit erkaufen. So geht es nun in Künstlerehen, und wenn man sich liebt, immer noch gut genug. (November 1840)
Klara ist wohl und lieb, die alte – am Clavier finde ich sie oft wie täglich; aber sie hat Recht, es ist das wenigste, was sie spielen darf, um nicht gerade zu an Fertigkeit zu verlieren. Wir müssen uns später anders einrichten, daß Klara spielen kann, so oft sie Lust hat. (Dezember 1840)
… Aber jene mechanische Sicherheit zur Unfehlbarkeit gleichsam zu erhöhen, dazu fehlt es ihr jetzt manchmals an Zeit, und daran bin ich Schuld und kann es doch nicht ändern. Klara sieht doch auch ein, daß ich ein Talent zu pflegen habe, und daß ich jetzt in der schönsten Kraft bin und die Jugend noch nützen muß. Nur so geht es in Künstlerehen; es kann nicht Alles beieinander sein, und die Hauptsache ist doch immer das übrige Glück und recht glücklich sind wir gewiß, daß wir uns besitzen, und verstehen, so gut verstehen und lieben von ganzem Herzen. (Oktober 1842)
Klara hat eine Reihe von kleineren Stücken geschrieben, in der Erfindung so zart und musikreich, wie’s ihr früher noch nicht gelungen. Aber Kinder haben und einen immer phantasirenden Mann, und componiren geht nicht zusammen. Es fehlt ihr die anhaltende Übung, und dies rührt mich oft, da so macher innige Gedanke verloren geht, den sie nicht auszuführen vermag. Klara kennt aber selbst ihren Hauptberuf als Mutter, daß ich glaube, sie ist glücklich in den Verhältnissen, wie sie sich nun einmal nicht ändern lassen. (Februar 1843)
Jetzt ist Klara am Ordnen ihrer Lieder und mehreren Claviercompositionen. Sie will immer vorwärts; aber rechts hängt ihr Marie am Kleid, Elise macht auch zu schaffen, und der Mann sitzt in Perigedanken vertieft. (28. Juni 1843, als auch das 2. Töchterlein, Elise, geboren war)
Die Ungerechtigkeit dem weiblichen Schaffen gegenüber scheint ihm angesichts eigener männlicher Wichtigkeit nicht wirklich vor Augen gestanden haben. Die Einsicht, Clara sei durch ihre Mutter- und Hausfrauenpflichten überlastet, hinderte ihn allerdings nicht, ihr den Klavierauszug von seinem Werk „Das Paradies und die Peri“ aufzubürden. Das Ehetagebuch hält seine Worte vom 21. November 1843 fest:
Klara ist noch in Dresden, wo sie gestern Abend Concert gegeben; es sieht so still und ausgestorben im Hause aus, wenn sie nicht da ist …
Sonst drehte sich in den letzten Monaten fast alles um die Peri und meine Klara hat mich gewiß manchesmal für einen Egoisten gehalten, wenn ich nur davon sprach …
Klara hat mit großer Aufopferung und Liebe den Clavierauszug der Peri gemacht und ich hab’ es ihr äußerlich nur wenig gedankt; aber ich weiß ihre Mühe und Liebe zu schätzen und hab’ mich oft gerührt abgewandt, wenn ich sie so eifrig am Clavier arbeiten sah.
Die zu damaliger Zeit anscheinend
ehern feststehende Rollenverteilung zwischen Mann und Frau
sicherte Robert Schumann das eigene Schaffen. Wie diese Rollenverteilung ihn in seiner Künstlerehe aber auch plagte, zeigt sein Tagebuch-Eintrag anläßlich Claras erster Konzertreise in ihrer jungen Ehe, als Clara von Hamburg aus weiter nach Kopenhagen reisen und Robert nach Hause wollte:
Die Trennung hat mir meine sonderbare, schwierige Stellung wieder recht fühlbar gemacht. Soll ich denn mein Talent vernachlässigen, um Dir als Begleiter auf der Reise zu dienen? Hast Du, sollst Du deshalb Dein Talent ungenützt lassen, weil ich nun einmal an Zeitung und Klavier gefesselt bin? … Wir haben den Ausweg getroffen. Du nahmst Dir eine Begleiterin, ich kehrte zum Kind zurück und zu meiner Arbeit. Aber was wird die Welt sagen?
Doch was sagten die „Welt“ und Robert eigentlich zu Claras Arbeitspensum?
Nachdem sich jährlich ein neues Kind einstellte und Clara die Hauptlast der Erziehungs-, Haushalts- und Künstlerprobleme aufgeladen war, sie zudem Roberts zahlreiche gesundheitliche Zusammenbrüche aufzufangen hatte, die Familie nach Dresden übergesiedelt war und Robert dort mit seiner Musik wenig Anklang gefunden hatte, schrieb einmal Claras russische Schülerin Marfa Sabinina aus den letzten Dresdner Tagen:
Solche rege Tätigkeit erschöpfte sie, was sich öfters an ihrem blassen Gesicht, müdem Aussehen, ihrer Magerkeit und ihrem nervösen Spiel bemerkbar machte. Auf alle Ermahnungen, sich zu schonen, erwiderte sie immer: „Kann ich denn anders leben?“ Sie litt sehr unter den düsteren Seelenstimmungen ihres Mannes, doch liebte sie ihn trotzdem unbegrenzt, und sie lebten sehr glücklich zusammen.
Wie sehr dieses „Glück“ das Werk Claras war, muß auch Robert immer deutlicher geworden sein. Er gab jedoch – nicht nur krankheitsbedingt – die falsche Antwort. Er wurde immer schweigsamer, in sich gekehrt, depressiv.
Auf der Rußlandreise 1844 feierte Clara Triumphe, machte Robert Schumann in Rußland überhaupt erst zum Begriff – er aber saß abseits, brütete vor sich hin und verewigte seinen Ärger im Ehetagebuch in einer Bemerkung, die Clara erst viel später fand und sich nicht erklären konnte:
Kränkungen kaum zu ertragen und Claras Benehmen dabei.
Schleppte er immer noch seine Überzeugung mit sich herum, die er vor der Ehe in einem Brief geäußert hatte, daß
nun einmal die Männer über den Frauen stehen?
So kam es, daß er Claras Spiel immer heftiger kritisierte, so daß Clara ihrem eigenen Tagebuch ihre Resignation anvertraute:
Müßte ich nicht mein Spiel benutzen, um auch etwas zu verdienen, ich spielte wahrhaftig keinen Ton mehr öffentlich; denn was hilft mir der Beifall der Leute, wenn ich Ihn nicht befriedigen kann.
War er nicht dabei, seine Frau mit in seinen seelischen Abgrund zu reißen, wenn er sie nach jedem ihrer Konzerte niederkritisierte und sie z. B. nach einer Soirée am 9. November 1850 in Düsseldorf, wohin Robert einen Ruf erhalten hatte, dem er nicht gewachsen war, ins Tagebuch schrieb:
Ich weiß kaum mehr, wie ich noch spielen soll; während ich mich bemühe, den Sänger möglichst zart und nachgebend zu begleiten, spricht Robert, meine Begleitung ist ihm schrecklich.
Schon in Leipzig hatte man sich über
Schumanns Orchesterleitung
lustig gemacht, die – namentlich im Vergleich zu der Mendelssohns – enttäuschte. Schumann war stark kurzsichtig, konnte ohne Brille weder die auf dem Notenpult zu entfernt liegenden Noten, geschweige denn die Musiker erkennen. Eine Brille mochte er jedoch nicht aufsetzen.
So hob er immer wieder das Lorgnette, mit dem er dirigierte!, an die Augen oder, wenn er seine Anweisungen flüsterte und nuschelte, an den Mund! Selbst der schumanntreue Konzertmeister Ferdinand David konnte nicht umhin, die unmöglichen Proben mit den „paradiesischen Taktarten“ zu schildern,
die ich mir nicht ins Irdische übersetzen konnte … Schumann hat vier Orchesterproben von der Peri gemacht, und er hätte ebensogut noch zehn machen können, ohne daß es besser geworden wäre. Der einzige Mensch, der etwas von seinen Bemerkungen verstand, war sein Taktstock, den er beim Sprechen immer vor den Mund hielt, alle übrigen hörten nichts, und so musste denn allen Leipzigern guter Wille vorhanden sein, damit es am Abend erträglich ginge.[9]
Auch Chöre zu leiten lag ihm nicht. Clara war es wieder, die ihn vor ausbrechendem Chaos bewahrte, indem sie seine Chorproben mit ihrem Klavierspiel unterstützte. Mendelssohn war das Jahr zuvor nach Berlin umgezogen und kam nur noch sporadisch nach Leipzig, um zu konzertieren. Ein zweiter Gewandhausdirigent wurde gebraucht. Die Leipziger wählten Niels Gade, nicht Schumann. Da brach Schumann am 24. August 1844 zusammen.
Schumanns zogen auf ärztlichen Rat nach
Dresden.
In den beiden ersten Jahren dort trat in Roberts Befinden keine Besserung ein. Er klagte über Abspannung, Nervenschwäche, Angstzustände, Schwindelanfälle, Schwermut.
Die dritte Tochter, Julie, wurde 1845 in Dresden geboren, der 1. Sohn, Emil, der nur 1 Jahr leben würde, kam dort 1846 zur Welt. Auf Norderney verlor Clara durch Fehlgeburt ihr 5. Kind. Ludwig erblickte 1848 in Dresden das Licht der Welt, ebenso wie Ferdinand 1849.
Schumanns erlebten die Schrecken der Dresdner Maiaufstände 1849. In Claras Tagebuch lesen wir:
… überall herrschte die größte Gesetzlosigkeit … auf dem Rathaus saßen die Demokraten beisammen und wählten eine provisorische Regierung (da der König des Nachts auf den Königstein geflohen war) … Auf unserer Promenade durch die Stadt wurde uns auch der schreckliche Anblick von 14 Toten.
Sonnabend, den 5. Schrecklicher Vormittag! Es bildete sich auf unserer Straße eine Sicherheitswache, und man wollte Robert dazu haben; nachdem ich ihn zweimal verleugnet, die Leute aber drohten, ihn suchen zu wollen, flüchteten wir mit Marien zur Gartentür hinaus …
Die Schumanns kamen zu Freunden in Maxen. Clara war es wieder, die – mit Ferdinand hochschwanger – den Mut und die Tatkraft aufbrachte, am nächsten Tag zurückzukommen, um ihre übrigen drei kleinen Kinder zu holen. In Kreischa, einem kleinen Dorf, in dem sie nun wohnten, konnten sie den Rauch über Dresden aufsteigen sehen und die Greuelgeschichten und -gerüchte hören.
Es ist schrecklich, solche Dinge erleben zu müssen! So müssen sich die Menschen das bißchen Freiheit erkämpfen! Wann wird einmal die Zeit kommen, wo die Menschen alle gleiche Rechte haben werden? Wie ist es möglich, daß der Glaube unter den Adligen, als seien sie andere Menschen als wir Bürgerlichen, so eingewurzelt durch so lange Zeiten hindurch sein konnte!
fragt sich Clara in ihrem Tagebuch. Von ihrem Eindruck, den sie bei ihrem Besuch Dresdens am 10. Mai von der Stadt bekamen, berichtet Clara:
Es ist kaum möglich, ein Bild zu geben von dieser Verwüstung. Tausende von Löchern von den Kugeln sieht man an den Häusern, ganze Stücke Wand herausgebrochen, das alte Opernhaus total niedergebrannt … Wie viele unschuldige Opfer sind gefallen, in ihren Zimmern von Kugeln getroffen worden … Kapellmeister Wagner soll auch eine Rolle bei den Republikanern gespielt haben.
Nach Kreischa zurückgekehrt beschäftigten sich die Schumanns mit Roberts Musik, Clara mit dem Liederalbum für die Jugend, einer Sammlung von 29 Liedern, die Robert noch im April fertiggestellt hatte.
Merkwürdig scheint mir, wie die Schrecknisse von außen seine inneren poetischen Gefühle in so ganz entgegengesetzter Weise erweckt. Über den Liedern schwebt ein Hauch höchster Friedlichkeit,
wundert sie sich im Tagebuch. Robert konnte seinem Verleger Whistling jedoch auch andere Kompositionen aus dieser Zeit zusenden mit den Worten:
Sie erhalten hier ein paar „Märsche“ – aber keine alten Dessauer – sondern eher republikanische. Ich wußte meiner Aufregung nicht besser Luft zu machen – sie sind im wahrsten Feuereifer geschrieben.
Ein Jahr später erhielt Schumann den Ruf nach
Düsseldorf.
Dort sollte er das Amt des Städtischen Musikdirektors übernehmen:
10 Konzerte und 4 Kirchenmusiken im Jahr, wöchentlich eine Singübung mit einem aus 130 Mitgliedern bestehenden Verein. Die Wahl der Stücke hängt lediglich vom Dirigenten ab. Das Gehalt ist 700 Taler,
lautete das Angebot. Was ihm Leipzig und Dresden verwehrt hatten, eine Festanstellung, verlockte nun nach Düsseldorf. So zogen die Schumanns im September 1850 an den Rhein.
In Düsseldorf wurde Schumann ein herzlicher Empfang bereitet. Der Chor hatte Stücke von ihm einstudiert und begrüßte ihn mit einem Ständchen, und am nächsten Tag gab es sogar einen offiziellen Festakt, um ihn willkommen zu heißen.
Nach der geringen Aufmerksamkeit, die Schumann in seiner Heimat Sachsen erlebt hatte, machte ihn dieses herzliche Willkommen der Rheinländer geradezu euphorisch. Schon im Oktober schuf er sein Cellokonzert in a-Moll op. 129, und ab dem 7. November begann er die Arbeit an seiner dritten Sinfonie. Der zu seiner Zeit noch unvollendete Kölner Dom habe ihn dazu inspiriert, äußerte er einmal. In einem wahren Schaffensrausch entstand nun innerhalb eines Monats, sogar noch unterbrochen von der Vorbereitung eines Abonnementskonzertes, die Rheinische Symphonie.
Doch bald kippte die Stimmung. Wie sich schon in Sachsen erwiesen hatte, lagen Robert Schumann die von ihm erwarteten Tätigkeiten eines Orchester- und Chorleiters nicht. Zudem stellte sich heraus, daß die beiden stillen, ernst in sich gekehrten Sachsen mit ihrer hohen Kunstauffassung wenig zur derb-fröhlichen Lebensart der Rheinländer paßten.
1851 brachte Clara ein weiteres Kind zur Welt, Eugenie. Der Haushalt mit der vielköpfigen Schar von Kleinkindern und mit unzuverlässigen Dienstboten wurde zu einer schier unerträglichen Belastung für Clara, dazu kamen die zunehmenden Krankheitsanfälle Roberts.
Die Hauptsorge (jedoch war ihr, daß) Robert durch das fortwährende Geräusch auf der Straße, Leierkästen, schreiende Buben, Wagen usw. in eine höchst nervöse, gereizte, aufgeregte Stimmung geriet, die von Tag zu Tag zunahm; arbeiten konnte er fast gar nichts und das wenige mit doppelter Anstrengung.
In den Kreisen hervorragender Künstlerpersönlichkeiten jedoch, die im Hause der Schumanns verkehrten, fanden sie Anerkennung, Liebe und Verehrung. Aus der ganzen Umgebung fanden sich Schülerinnen bei Clara zum Klavierunterricht ein. Nachdem sie in eine geräumige Wohnung umgezogen waren, weihten sie am 6. Juli 1851 den darin gelegenen großen Musiksalon mit Roberts Der Rose Pilgerfahrt ein. Beide Schumanns gönnten sich eine Rheinfahrt.
Schon in Bonn, als wir aufs Schiff kamen, dort, wo es von lustigen Studenten wimmelte, der Himmel so freundlich aussah, der Rhein so schön grün, dabei lustige Musik, da wurde auch er heiter und blieb es,
ist in Claras Tagebuch zu lesen.
Nach schweren Auseinandersetzungen mit dem Düsseldorfer Musikdirektorium gingen beide Schumanns auf
Konzertreise nach Holland.
Hier im Ausland erlebte Schumann, wie sein Name über Deutschlands Grenzen hinaus bereits Gewicht hatte. Jubel und Begeisterung erlebte hier nicht nur Clara mit ihrem Spiel, sondern auch Robert mit seinen Werken. In Den Haag wurde ihm nach der Aufführung von Der Rose Pilgerfahrt sogar ein Kranz aufgesetzt.
Er bemerkte es gar nicht, wohl aber wir andern, und ich dachte für mich: so muß es sein! (Clara)
In Rotterdam gab es sogar einen Fackelzug, Chorgesang mit Orchesterbegleitung vor ihrem Hotel, und das bei eisiger Winterkälte. Dies alles entschädigte für das erlittene Ungemach in Düsseldorf.
Im September
1853 erschien der junge Brahms bei den Schumanns
und versetzte sie in Erstaunen mit dem, was er ihnen an eigenen Werken vorlegte. Robert schrieb die berühmte Lobeshymne über den Neuankömmling in der Welt großer Musik mit dem Titel „Neue Bahnen“ in der Neuen Zeitschrift für Musik. Und:
Das ist der, der kommen mußte,
schrieb er an Joseph Joachim.
Nach gemeinsamen heiteren Tagen mit Brahms und Joachim brach dann plötzlich
das Verhängnis
über das Leben der Schumanns vollends herein: In der Nacht zum 1. Februar brachen unerträgliche Gehörstäuschungen aus, Geistervorstellungen beherrschten Robert.
Von dem Glauben an die Geister brachte ich ihn keinen Augenblick ab, im Gegenteil, sagte er mir mehrmals mit wehmütiger Stimme, Du wirst mir doch glauben, liebe Clara, daß ich Dir keine Unwahrheiten sage … Oft klagte er, daß es in seinem Gehirn herumwühle, und dann behauptete er, es sei in kurzer Zeit aus mit ihm, nahm dann Abschied von mir, traf allerlei Anordnungen über sein Geld und Kompositionen …
Am 26. Februar 1854 stürzte er sich von der Alten Rheinbrücke in den Fluß. Er wurde gerettet und wünschte daraufhin selbst, in eine „Irrenanstalt“ verbracht zu werden. Am 4. März 1854 wurde er in eine solche in Endenich bei Bonn eingeliefert. Erst zweieinhalb Jahre später, 2 Tage vor seinem Tod, durfte Clara ihren Mann wiedersehen, so die Entscheidung des leitenden Arztes Dr. Richarz. Welch ein Martyrium für eine liebende Frau wie Clara Schumann!
Sie war bei Roberts endgültigem Abschied von zu Haus im 8. Monat schwanger mit ihrem jüngsten Kind Felix. Ihre Seelengröße, die sie auch im Unglück dieser 2 ½ Leidenjahre als Mutter von 7 Kindern und als Künstlerin bewies, die unermüdlich auf Konzertreisen das Nötigste für ihre Familie zu verdienen trachtete, ist einzigartig und verdient tiefste Bewunderung und Hochachtung.
Robert Schumanns Musik
fand – nicht zuletzt durch Claras Einsatz – in ganz Europa höchste Anerkennung. Musiker wie in
- Skandinavien Gade und Grieg,
- in Böhmen Smetana, Dvořák, Janáček,
- in Frankreich Franck, Fauré, Ravel, Debussy knüpften im eignen Musik-Schaffen an Schumann an.
- In Rußland versammelten sich junge Musiker im russischen „Davidsbund“.
- In Frankreich gab es einen regelrechten „culte schumannien“, wie Edler[10] erwähnt.
In Schumanns Klaviermusik und Liedern fand man einen Charakter „tout impressioniste“ vor, wie ihn keiner der Zeitgenossen, auch nicht Chopin oder Schubert, aufzuweisen habe … „Le lied modern“ sei auf Schumanns Boden gewachsen.
Tschaikowsky sagte voraus, die erste Hälfte des 19. Jahrhunderts werde als „die Schumannsche Periode“ in die Kunstgeschichte eingehen; in Schumanns Musik sei
jener Zweifel, Depressionen und Aufblicke zum Ideal, die das Herz des heutigen Menschen bewegen“, wahrnehmbar.[11]
Vor allem in Deutschland fiel – trotz der verquasten Herabsetzungen und falschen Voraussagen Wagners und Nietzsches – die Poesie, Gemütstiefe und Schönheit der Musik Schumanns auf den fruchtbaren Boden verwandter Seelen. Bis heute gehören die Schumannschen Kompositionen in unserem Land zu den kostbarsten Kulturschätzen, die die Menschheit hervorgebracht hat.
Fortsetzung folgt.
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[8] zit. bei Edler, a. a. O., S. 306
[9] zit. bei Edler, a. a. O., S. 319
[10] a. a. O., S. 344
[11] Edler, a. a. O., S. 343
Schrifttum siehe Teil 1
Ja, „wer ein solches Weib errungen“, möchte man mit Beethoven singen! Aber es geht ja nur am Rande um diese geniale, unendliche Liebe und Zuwendung schenkende Frau. Wahre Größe!
Ich bin jedesmal gerührt, wozu Liebe fähig ist. Denn: so sehr ich die Musik von R. Schumann auch schätze, es geht mir bei ihm oft wie mit R. Wagner (dessen Musik ich nicht mag): ein Egoist macht in einer Weise Karriere auf dem Gebiet der Kunst, die doch eigentlich nach der blauen Blume suchen wollte, die aber zu viel an Opfer verlangt. So scheint mir seine romantische Ader nicht immer fern von Eitelkeit und Rücksichtslosigkeit.
Also eitel war Schumann m. E. sicher nicht. Und der Egoismus gehört zum Künstlertum. Gerade an Clara wird ja deutlich, wie ihr Althruismus sie an der Vollentfaltung aller ihrer genialen Begabungen gehindert hat.
Schumanns Egoismus galt als männliches Vorrecht einst – heute ja total überwunden, das gibt es ja gaaaar nicht mehr – als selbstverständlich, und die Frauen haben das ja auch zum großen Teil als gottgegeben hingenommen und mitgemacht.
So hielten sie den schaffenden Männern den Rücken frei, die das mit größter Selbstverständlichkeit in Anspruch nahmen.