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Leiden unerfüllter Sehnsucht: Louise Labé

Fanny Giannatasio hat es 1816 ihrem Tagebuch anvertraut: Sie habe ein Gespräch ihres Vaters mit Beethoven mitgehört und erfahren:

… er liebe unglücklich! … er (habe) eine Person kennengelernt, mit welcher sich näher zu verbinden er für das höchste Glück seines Lebens gehalten hätte. Es sei nicht daran zu denken, fast eine Unmöglichkeit, eine Chimäre.

Wörtlich gibt sie Beethovens weitere Äußerung wieder:

Dennoch ist es jetzt wie am ersten Tag. Ich hab’s noch nicht aus dem Gemüth bringen können.

Seinerzeit schon mindestens 12 lange Jahre nicht, und so sollte es bis zu seinem Tode bleiben. Und wie er an der Unerreichbarkeit seiner “Unsterblichen Geliebten” litt, so ist es das Schicksal der zutiefst, jedoch unglücklich Liebenden aller Zeiten.

Den Schöpferischen ist es gegeben, ihren Leiden in ihrer Kunst Ausdruck zu geben und sie damit in einen höheren Sinnzusammenhang zu erheben – so Beethoven in seiner Musik und so 270 Jahre vor ihm Louise Labé in ihrer Dichtung.

Wer ist Louise Labé?

Louise Labé wurde etwa 1524 in Lyon geboren. Ihre Mutter Etiennette war die 2. Ehefrau des Seilermeisters Pierre Charley-Labé, der in seiner beruflichen Stellung zur angesehenen Schicht der Lyoneser Patrizier gehörte.

Lyon, am Zusammenfluß von Rhône und Saône auf halbem Wege zwischen Paris und Rom gelegen,

war in der ersten Hälfte des sechzehnten Jahrhunderts einer der größten internationalen Stapelplätze und Finanzzentren und wetteiferte an Glanz und Reichtum mit Paris,

hebt Anton Pariser im Vorwort des vom Lynx-Verlag neu herausgegebenen Bändchens “Louise Labé, Elegien und Sonette” die damalige Bedeutung der Stadt hervor. Er begründet die Tatsache, daß

Lyon das Tor (war), durch das Humanismus und Renaissance in Frankreich einzogen,

damit, daß die Stadt

… im Schnittpunkte verschiedener Kulturkreise (lag), denn sowohl die Grenze des Herzogtums Savoyen als jene der Eidgenossenschaft und der Freigrafschaft Burgund führten nahe bei Lyon vorbei, das damals – trotz Paris – als das kulturelle Zentrum Frankreichs galt und mit Genua und Venedig, mit Florenz und Mailand, mit Antwerpen und Nürnberg in regen geschäftlichen und kulturellen Wechselbeziehungen stand.

Mit Recht betont Pariser:

Fast zwei Menschenalter schon währte der Zustrom von Architekten, Bildhauern, Malern, Töpfern, von Bankiers und Buchdruckern in die schon zu jener Zeit durch ihre Seidenwebereien berühmte Stadt …

So kam die Stadt zu ihrer Blüte, doch ihr Reichtum verteilte sich ungleich auf die Bewohner. Eine kleine abgehobene Gesellschaftsschicht, in die einzudringen Nichtdazugehörigen fast unmöglich geworden war, teilte sich den Löwenanteil und konnte Kultur entwickeln und genießen.

Louise Labé wurde als Fünfzehnjährige in sie eingeführt und muß – nach Berichten von Zeitzeugen – eine überaus anziehende Persönlichkeit gewesen sein, die

durch ihre Anmut, ihren Geist, ihren scharfen Verstand, ihr Temperament, ihr freimütiges, sicheres Auftreten, ihre glänzende Konversationsgabe und ihre ausgezeichnete Bildung

Mittelpunkt der Gesellschaft war. In ihrem eigenen Salon versammelte sie die Lyoneser Kunstliebenden, Künstlerinnen und Künstler und Gelehrten. Sie spielte die Laute, sprach mehrere Sprachen und begann zu schreiben.

Als Siebzehnjährige – sie hatte gemeinsam mit ihren Brüdern Reiten, Fechten und Lanzenstechen gelernt – eilte sie “im Männerharnisch” zur belagerten Pyrenäenstadt Perpignan. Von religiösen Bindungen ist in den Überlieferungen ihrer Lebensgeschichte nicht die Rede. Im Zeitalter der brennenden Scheiterhaufen erlaubte sich Louise Labé, sich emanzipiert zu geben.

Und sie war es ganz bewußt. An Clemence de Bourges (übertragen von Franz von Rexroth) schreibt sie 1555 diesbezüglich:

Da die Zeit gekommen ist, Madamoiselle, in der die strengen Gesetze der Männer die Frauen nicht mehr daran hindern, sich den Wissenschaften und Disziplinen zu widmen, scheint es mir, es sollten jene, die hierzu gute Gelegenheit haben, diese ehrenhafte Freiheit benutzen, die unser Geschlecht einstmals so sehr für ebendieselben erwünscht hat, jene zu erlernen und damit den Männern das Unrecht vor Augen zu führen, das sie uns angetan haben, indem sie uns von der Wohltat und der Ehre ferngehalten haben, die hieraus entspringen können!

Sie will die Frauen, die neuerdings durch Bildung die Möglichkeit erlangt haben, geistig tätig zu werden, ermahnen, es

sorgfältig zu tun.

Sie meint, daß,

wenn wir auch nicht zum Befehlen geboren sind, wir doch nicht verachtet werden dürfen als Genossinnen in häuslichen wie öffentlichen Angelegenheiten derer, die herrschen und sich Gehorsam verschaffen.

Sie macht sich darüber hinaus die Hoffnung, daß der

Ruf, den unser Geschlecht in der Öffentlichkeit erwirbt, dazu beitragen (wird), daß die Männer sich mit mehr Mühe und Sorgfalt den tugendkräftigen Wissenschaften widmeten in der Befürchtung, daß sie zu ihrer Schande von denen überflügelt würden, denen sie, wie sie behauptet haben, sozusagen in allem überlegen wären.

Sie hatte 1550 Ennemond Perrin geheiratet. Er war 20 Jahre älter als sie und scheint ihr wohl nicht nur materiell nicht ganz ebenbürtig gewesen zu sein, denn er soll sich zur alleinigen Aufgabe gemacht haben, das von ihr in die Ehe gebrachte Vermögen zu mehren.

Sie hingegen war vielbewundert, vielbegehrt, und so konnte es wohl nicht ausbleiben, daß eines Tages “Amors Pfeile” sie im tiefsten Herzen trafen. Wir können uns in die Atmosphäre hineinversetzten, in der Olivier de Magny,

im Schmucke seines jungen Ruhmes, seiner blonden Locken und seiner zwanzig Jahre einer illustren Runde von Dichtern und Dichterinnen zur Laute eine Ode vorträgt, die er der Frau des Hauses gewidmet hat … (Pariser)

Buchtitel für MuMHat er mit ihren Gefühlen nur gespielt? Jedenfalls erfahren wir

aus den ergreifenden Sonetten

Louise Labés, wie er ihre Liebe in ihrer Tiefe wohl nicht erwidert, lange Zeit unerreichbar ist und länger als versprochen fernbleibt. Sie aber bleibt mit ihren Qualen der Sehnsucht unerlöst.

In ungewöhnlicher Offenheit bekennt sie ihre Leidenschaft in den 3 Elegien, ganz besonders eindrucksvoll jedoch – lebensecht und -frisch bis auf den heutigen Tag – in den 24 Sonetten.

Mehrere Dichter von Rang wie Rainer Maria Rilke, Karl Kraus u. a. haben die Sonette ins Deutsche übertragen. Der vorliegende Band bringt den französischen Text und daneben für die Elegien die deutsche Übersetzung von Franz von Rexroth sowie neben den Sonetten die Übersetzung von Rilke und Pariser.

Seine Begründung, warum er sich neuerlich an die Übersetzung der Sonette gewagt hat, hat Pariser geschickt in eine mit Lob ummantelte Kritik an seinen Vorgängern gefaßt:

… daß jene Sprachgewaltigen doch wohl zu groß waren, um mit voller Selbstentäußerung sich ganz an das fremde Werk verlieren zu können. Was sie schufen, scheint uns in höherem Maße den Stempel ihrer eigenen als jenen der Persönlichkeit Louise Labés zu tragen, gerade ihre schönsten Zeilen entfernen sich am weitesten von der Weise der Lyoneser Lyrikerin.

In Anton Parisers Übertragung hier nun drei der Sonette. Todesmattigkeit bezeugt das dritte:

III

O langgehegtes Wünschen, eitles Wähnen,
Trauriges Seufzen, Zähren über Zähren,
Hervorgeströmt, als sollt’ es ewig währen,
Aus meiner Augen quellenden Fontänen!

O welche Härte, welche Grausamkeit,
Die teuren Züge zeigen nur Beschwer.
Mein Herz ist kummersatt, es kann nicht mehr:
Wie wüchs’ aus altem Dulden neues Leid?

Magst neu den Bogen, Gott, an mir erproben,
Magst neue Pfeile schleudern, neue Brände,
Magst mir das Schlimmste tun, magst wüten, toben –

Was ficht’s mich an, da doch für neue Wunden
Kein heiles Plätzchen würd’ an mir gefunden.
Bin ganz zerrissen, ganz und gar am Ende.

Aus dem zwölften Sonett erfahren wir von der Spontaneität des Gefühls und seines Ausdrucks in Musik, dem bewußtes Wollen nicht beikommen kann, und bedauern, daß diese Musik nicht festgehalten und auf uns gekommen ist:

XII

Laute, Gefährtin du in meiner Pein,
Du warst dabei, wenn meine Seufzer riefen,
Du warfst das Lot in meines Kummers Tiefen,
In meinen Jammer stimmtest oft du ein.

Mein kläglich Weinen hat dich so bedrückt,
Daß aus so manchen fröhlichen Akkorden
Ohne mein Zutun trübe sind geworden,
Weil du den Klang von Dur nach Moll gerückt.

Und will ich mit Gewalt zurück ihn wenden,
Wird schlaff die Spannung, bringt mich so zum Schweigen.
Doch wenn dann rührend meine Seufzer steigen,

Läßt hold mein traurig Lied du wiederklingen,
Mitten im Schmerz die Freude mich durchdringen
Und Hoffnung süß, den Kummer süß zu enden.

Aus dem siebzehnten Sonett hier noch die Zeilen der Ausweglosigkeit:

XVII

Ich flieh’ die Stadt, ich flieh’ von den Altären,
Es leidet mich an keinem Ort der Welt.

Nichts mehr von Spiel, Turnier und Maskenzügen!
– Was reizte mich, und du bist nicht dabei? –
Drum, zu ersticken meiner Sehnsucht Schrei,
Mit neuen Bildern meinen Sinn zu trügen,

Vom Deingedenken ganz mich abzuziehn,
Such ich des Waldes einsamstes Revier.
Allein was frommt es? Wandr’ ich noch so weit,

Von dir werd’ nun und nimmer ich befreit,
Ich müßte denn aus meinem Selbst entfliehn.
Sei noch so fern, du bist doch stets in mir.

Nur etwa 42 Jahre alt, stirbt Louise Labé am 25. April 1566 in Parcieux-en-Dombes bei Lyon.

Auch Beethovens Unsterbliche Geliebte Josephine Brunswick starb mit 42 Jahren. Ihrem Arzt – wohl weil er nicht zu helfen wußte – hatte sie geschrieben:

Der Körper nämlich ist nur mitleidend. Die Seele leidet unerträglichen Schmerz …

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