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Israels Exodus gab es nicht

Uri Avnery, der mutige jüdische Oppositionelle in Israel,

schreibt in seinem neuesten Beitrag auf seiner Netzseite „Frieden für Israel und Palästina“:

Seit hundert Jahren hat jüdische Archäologie vergeblich die Existenz des davidischen Königreiches zu beweisen gesucht, um ein für alle Mal unser historisches Recht auf diese Stadt festzulegen.

Nicht eine Scherbe wurde als Beweis gefunden, daß König David je existiert hat, geschweige denn ein riesiges Reich, das sich von Ägypten bis Hamat in Syrien erstreckte.

Es gibt keinen Beweis für einen Exodus aus Ägypten, die Eroberung von Kanaan, von David und seinem Sohn Salomo. Im Gegenteil: Es gibt nicht unwichtige Anzeichen insbesondere in den alten ägyptischen Berichten, die zu beweisen scheinen, daß sich all das nie ereignete.

Das hat vor Jahren auch der Ägyptologe Jan Assmann herausgefunden (siehe hier):

Israels “Exodus”, der Auszug der Kinder Israels aus Ägypten, sei geschichtlich nicht nachweisbar und daher nur als Symbol zu werten, sei der Ausdruck seiner Unterscheidung von den Anderen, erklärt Assmann. Israel als das Eine nahm Abstand vom Andern, und “Ägypten” galt ihm fortan als Name für das Andere, das Ausgegrenzte, Verworfene, Kranke, religiös Unwahre und wurde ihm zum Inbegriff des “Heidnischen”.

Der angebliche Exodus ist also lediglich Sinnbild der Abgrenzung von den „Andern“, mehr nicht, aber auch nicht weniger! Bis heute ist

dieser jüdische Rassismus

Israels großes Problem und das aller derer, die damit in Berührung kommen. So kann Uri Avnery nur traurig feststellen:

Für diese verzweifelte Nachforschung sind bei Ausgrabungen die obersten Erdschichten der letzten 2000 Jahre entfernt worden: die Periode des byzantinischen Reiches, der islamischen Eroberung, der Mamelukken und der Ottomanen.

Die Nachforschung hat  einen eindeutigen politischen Zweck, und die meisten israelischen Archäologen betrachten sich als Soldaten im Dienste des nationalen Kampfes.

Ada Yonath, Weizmann-Institut der Wissenschaft

Ada Yonath, Weizmann-Institut der Wissenschaft, aus: http://de.wikipedia.org/wiki/Ada_Yonath

Das ist äußerst peinlich für jeden ehrlichen Wissenschaftler, von denen es – Avnery zufolge – in Israel „noch einige“ gibt. Neuestes Beipiel ist die israelische Nobelpreisträgerin Ada Yonath. Avnery:

Der Skandal, der sich jetzt am Fuße der Al-Aqsa abspielt, ist ein Teil dieser Geschichte. Etwas Unerhörtes geschieht dort: die Grabung in ‚Davids Stadt’ (natürlich eine Propagandabezeichnung) ist derselben ultra-nationalistischen religiösen Gesellschaft Ateret Cohanim

– unter der Führung von Rabbi Shlomo Chaim haKohen Aviner –

übergeben worden, die die provokativen jüdischen Stadtteile in und um Jerusalem baut. Die israelische Regierung hat diese wissenschaftliche Arbeit ganz offiziell dieser politischen Gruppe anvertraut – die  nicht nur irgendeine politische Gruppe ist, sondern eine ultra-radikale. Die Grabung selbst wird von Archäologen durchgeführt, die aber die Weisungen der Gesellschaft entgegen nehmen.

Glücklicherweise kann Avnery von Protesten berichten von

Israelischen Archäologen, die auf die Integrität ihres Berufes achten (es gibt noch einige) …

Die Wissenschaftler protestierten

in dieser Woche, daß die Grabung in völlig unsachgemäßer Weise geschieht: unwissenschaftlich und in großer Eile, gefundene Artefakte werden nicht genau und systematisch untersucht. Das einzige Ziel ist, so schnell wie möglich Beweise zu finden, die den jüdischen Anspruch auf den Tempelberg unterstützen.

Die zweckgerichtete Verlogenheit scheint keine Grenzen zu kennen. Viele Araber jedenfalls

glauben, das Ziel sei noch bösartiger: nämlich unter der al-Aqsa-Moschee zu graben, um sie zum Einsturz zu bringen. Diese Befürchtungen wurden diese Woche durch eine Mitteilung in Haaretz verstärkt, daß die Grabung unter arabischen Häusern durchgeführt wird und diese vom Einsturz bedroht seien.

Ganz unbegründet scheinen also die arabischen Befürchtungen nicht zu sein. Denn nicht nur im Westjordanland schießen die jüdischen Siedlungen wie Pilze aus dem Boden und zersiedeln das arabische Heimatland, sondern im palästinensischen Ost-Jerusalem geschieht das Gleiche, um diesen Teil der Stadt zu judaisieren.

Avnery:

… es ist kein Geheimnis, daß in den Augen vieler national-religiöser Fanantiker die pure Existenz der beiden Moscheen – der al-Aqsa und des Felsendoms – ein abscheuliches Unding ist. Vor Jahren planten Mitglieder einer jüdischen Untergrundgruppe, den Felsendom zu sprengen; dies wurde aber noch rechtzeitig aufgedeckt und die Betroffenen ins Gefängnis gesteckt. Vor kurzem konnte man auf einer religiösen Website lesen:

„Heute steht dort ein übles Ding, ein großes Hexenwerk, das verschwinden muss. Der Tempel wird anstelle dieses Furunkels stehen, der mit gelbem Eiter bedeckt ist und jeder weiß, was mit einem Furunkel geschehen muss, man muss seinen Eiter entfernen. Das ist unser Ziel, und mit Gottes Hilfe werden wir es tun.“ Mit dem Eiter ist die goldene Kuppel des Domes gemeint …

Man kann über diese Ergüsse lachen und behaupten, daß diese wie immer vom wahnsinnigen Rand der Gesellschaft kommen. Das sagte man auch vor und nach dem Mord an Yitzhak Rabin. Aber für die Araber, die mit eigenen Augen die täglichen Bemühungen sehen, die Oststadt zu judaisieren und die einheimische Bevölkerung zu vertreiben, ist es kein Scherz. Ihre Ängste sind echt.

Für Uri Avnery – über die Perfidie extremistischer Ideologen in Regierung und religiös-nationalistischer Lobby verzweifelt – waren da

die Nachrichten über Adas Auszeichnung … wie eine Oase in der Wüste.

Daß gerade eine

Frau in Israel

mit dem Nobelpreis ausgezeichnet wurde, steht im Gegensatz zu der archaisch-rassistischen Ansicht, daß Frauen unrein seien. Für strenggläubige Männer sind sie Unberührbare. Darin sind sich Mullahs und Rabbiner einig. Noch heute geben orthodoxe Männer beider Religionen einer Frau nicht die Hand, um nicht durch die Berührung ebenfalls unrein zu werden. Uri Avnery erwähnt eine solche Begegnung:

Da die Millionen Bewohner der Westbank und des Gazastreifens keinen Zugang zum Tempelberg haben – im Gegensatz zu allem Gerede über ‚religiöse Freiheit’ – hat die islamische Bewegung im eigentlichen Israel den Schutz der beiden Heiligtümer übernommen. In dieser Woche gab es einen Aufruf, diese Bewegung zu verbieten und ihren Führer Sheikh Raed Salah ins Gefängnis zu werfen.

Sheikh Ra’ed ist ein charismatischer Führer. Ich traf ihn vor 16 Jahren, als wir beide 45 Tage und Nächte lang in einem Protestzelt gegenüber dem Amtssitz des Ministerpräsidenten lebten, nachdem Rabin 415 islamische Aktivisten über die libanesische Grenze deportiert hatte. Der Sheikh war damals eine freundliche und liebenswürdige Person, voller Humor, die auch Rachel mit größter Freundlichkeit behandelte (ohne ihr die Hand zu geben, wie auch unsere orthodoxen Rabbiner).

Besonders anschaulich schildert Elga Sorge ein ebensolches Erlebnis in der Jerusalemer Thora-Schule im Stadtviertel Mea-Shearim:

Elga Sorge

Elga Sorge

Unsere Kleingruppe von sechs Frauen und zwei Männern wurde von einem jungen Rabbi empfangen, der nur zweimal mit Händeschütteln „Guten Tag“ sagte und uns dann in eine der Schulklassen führte.

Nachdem wir uns in die engen Schulbänke gezwängt hatten, fragte er: „Haben die Herren irgendwelche Fragen?“ Da wurde mir klar, daß dieser Rabbi mit voller Absicht nur die beiden Männer unserer Gruppe begrüßt und angeredet hatte. Die sechs Frauen waren Luft für ihn, einfach: nichtexistent.

Am Ende des Besuchs, nachdem wir das öde, kasernenartige Schulgebäude besichtigt und die stets in Reih und Glied sitzenden, stehenden oder laufenden Schüler gesehen hatten …, gab der Rabbi zum Abschied wieder zweimal den beiden Herren unserer Gruppe die Hand. In einem Anfall von Tollkühnheit streckte ich dem Rabbi daraufhin meinerseits die Hand entgegen, was ihn veranlaßte, in wilder Panik seine Hände zum Himmel zu strecken und zwar nicht „Hilfe“, aber mehrmals aufgeregt „Shalom, Shalom“ zu rufen und eilends davonzulaufen.

Welch ein Land! Wer wünscht sich nicht mit den jüdischen Oppositionellen das „andere Israel“:

Etwas Symbolisches liegt in der Zeitnähe der beiden Ereignisse: der Verleihung des Nobelpreises und den Vorfällen auf dem Tempelberg. Beide Ereignisse stellen die beiden Optionen dar, denen Israel gegenüber steht.

Wir müssen uns entscheiden, was wir sind: das Israel von Ada Yonath oder das Israel von Ateret Cohanim. Ein Israel, das seine Kultur, die Wissenschaften, die High-tech, Literatur, Medizin und Landwirtschaft hegt und pflegt, das in der ersten Reihe der fortschrittlichen menschlichen Gesellschaft auf eine bessere Zukunft zugeht, oder ein Israel der Kriege, der Besatzung und Siedlungen, ein fundamentalistischer Staat, der in die Vergangenheit zurückschaut.

Israels Exodus gab es nicht. Juden und ihre Rabbiner dürfen Menschen unter Menschen sein. Doch wer von ihnen will diese frohe Botschaft hören?

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