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Gorleben-Archiv eröffnet

Die Bürgerinitiative Umweltschutz Lüchow-Dannenberg lebt

Das beweist einmal wieder eine Einrichtung, die am 3. Juni 2011 eröffnet wurde: das Gorleben-Archiv.

Es mutet an wie ein Wunder:

  • sowohl das Archiv, dessen umfangreicher Inhalt in ehrenamtlicher Sisyphus-Arbeit von freiwilligen Helferinnen und Helfern professionell geordnet, zusammengestellt und zugänglich gemacht worden ist,
  • wie auch die lange Lebensdauer der hier dokumentierten Bürgerbewegung. Denn ihre Zeugung und Geburt erlebte sie bereits im Jahre 1973.

38 Jahre Widerstand gegen eine mächtige Atom-Industrie, die tagtäglich riesige Gewinne einfährt und mit ihrem Geld die Politik bestimmt; Widerstand – geleistet von Bürgerinnen und Bürgern, denen eben jenes Geld und jene Macht fehlen, denen lediglich die Macht ihrer Überzeugung, die Macht ihres Willens, den Atomwahn zu stoppen, die Macht ihres Wortes und Ihres Einfallsreichtums zur Verfügung stehen.

Was es aber bedeutet, eine Bürger- und Widerstands-Bewegung fast 4 Jahrzehnte am Leben zu halten, das kann wohl nur ermessen, wer selbst darin tätig gewesen ist. Denn natürlich “menschelt” es – wie überall – so auch hier, und nicht jedem und jeder ist es gegeben, das jahrelang auszuhalten. Zudem: Wer will sein halbes Leben mit dem Anrennen gegen ein riesiges Machtgefüge verbringen!

Andreas Graf von Bernstorff (aus: Kamien/Rheinländer, ÜberMacht & Phantasie)

Der Gartower Großgrundbesitzer Andreas Graf von Bernstorff, dem kurz vor Nennung des Standortes Gorleben der Wald auf seinem Areal von 6 Hektar über dem Salzstock Gorleben nach Brandstiftung zerstört wurde und der sich seitdem standhaft gegen eine Enteignung dieser durch die Verwüstung wertgeminderten Fläche wehrt, obwohl ihm zweistellige Millionenbeträge dafür geboten worden sind,  bemerkte einmal:

… so eine Sache wie das Gorleben-Problem, das einen so lange beschäftigt, führt zu Ermüdung, muß ich sagen. (Kamien/Rheinländer, ÜberMacht & Phantasie)

Und dennoch lebt die BI bis heute ungebrochen weiter. Bei der

Eröffnungsversammlung

begrüßte die Vorsitzende des Vereins Gorleben Archiv e. V. Asta von Oppen die Gäste und hob u. a. meine Wenigkeit als

eine der Allerersten der Bewegung

Marianne Fritzen bei einer Gorleben-Demo umringt von Polizisten (aus: Kamien/Rheinländer, ÜberMacht & Phantasie)

hervor, worauf Marianne Fritzen, die erste und langjährige Vorsitzende der BI einwarf:

Sie ist nicht eine der Allerersten, sie ist die Erste gewesen.

1988 bin ich jedoch nach 15 Jahren aus der Arbeit in der BI ausgeschieden, weil mir angetragen war, die Leitung eines Chores zu übernehmen.

Dieses neue Aufgabenfeld, dem ich mich mit Hingabe widmete – zeitweise leitete ich neben voller Stundenzahl als Lehrerin 4 Chöre und war Kreis-Chorleiterin – nahm meine gesamte Freizeit in Anspruch.

Ich diente nun in einem anderen “Ehrenamt” der Allgemeinheit und zog mich guten Gewissens vom Gorleben-Kampf zurück. Mir ging es wie Graf Bernstorff:

Für mich ist ganz wichtig, daß ich nicht nur gegen etwas bin, sondern auch für etwas sein kann. (a. a. O.)

Dennoch, trotz meiner 23-jährigen Abwesenheit im Gorleben-Widerstand, hebt Asta von Oppen mich freundlichst hervor! Das zeichnet diejenigen aus, die der Bewegung ununterbrochen die Treue gehalten und sich bewährt haben:

Duldsamkeit!

Ein Merkmal auch ganz besonders von Marianne Fritzen. Durch ihre kluge Duldsamkeit ermöglichte sie, daß der zusammengewürfelte Haufen von Menschen der verschiedensten Ideologie-Ausrichtungen im Kern zusammenhielt, Abgesprungene jederzeit wiederkommen und wieder mitmachen konnten, ohne Häme oder Vorwurf ausgesetzt zu sein.

So durfte ich auf einer Gorleben-Widerstands-Veranstaltung tief bewegt ihre Widmung lesen, die sie mir in das Buch geschrieben hatte, in dem so ausführlich über ihre Gorleben-Aktivitäten berichtet wird, Kamien/Rheinländer, ÜberMacht & Phantasie, wohl wissend, daß sie liebevoll übertrieben hatte:

Die Zeugungs- und Geburtsstunde der BI

spielte sich ganz schlicht und einfach ab. Ich will sie hier erzählen, weil m. E. beispielhaft ist, wie aus einer winzigkleinen Zelle ein ganzes Lebewesen entstehen kann, genau wie in der Biologie:

1973 wurde in der Elbe-Jeetzel-Zeitung berichtet, daß an dem Lüchow-Dannenberger Ort Langendorf an der Elbe der Bau eines Atomkraftwerkes geplant sei und der damalige niedersächsische Ministerpräsident Kubel der Bevölkerung mitteile, vor der friedlichen Atomkernspaltung brauche niemand Angst zu haben.

Daraufhin schrieb ich einen Leserbrief, in dem ich in 10 Punkten auseinandersetzte, warum man auch vor der angeblich friedlichen Atomkernspaltung Angst haben müsse.

Kurz nach Erscheinen des Leserbriefes rief mich Oberstudienrat Joachim Fritzen an und fragte, ob ich denn glaube, daß mit meinem Leserbrief der Ministerpräsident von Niedersachsen Kubel zu beeindrucken sei. Ich antwortete:

Der nicht. Ich habe seine Aussage als Aufhänger genutzt, um die ahnungslosen Lüchow-Dannenberger darüber aufzuklären, was auf sie zukäme, wenn sie den Bau des AKW zuließen.

Fritzen drängte weiter:

Das genügt ja nicht, um den Bau des AKW zu verhindern. Wir müßten doch wohl eine Bürgerinitiative gründen,

Dagegen ließ sich nichts einwenden. Es galt, den Worten Taten folgen zu lassen. Und so gründeten wir blutigen Polit-Laien die BI, wobei sich bald herausstellte, daß Marianne Fritzen, Hausfrau und Mutter von 7 Kindern, diejenige war, die die herausragenden Fähigkeiten besaß, eine solche Bewegung zu führen und an ihren auf sie zukommenden Aufgaben zu wachsen.

Als 1977 Gorleben als Standort eines „Nuklearen Entsorgungsparks“ verkündet wurde, legte sich eine Riesenlast auf unsere Schultern.

Heute – mit Hilfe der Katastrophe von Fukushima, ohne so etwas ist den Mächtigen wohl nicht beizukommen – wendet sich die deutsche Politik in unsere Richtung. So war nun schön zu erfahren, daß der

Landrat Jürgen Schulz (parteilos)

in seiner Begrüßungsansprache klarstellte, daß das Gorleben-Archiv vom Landkreis finanziell unterstützt werde. Gleich, wie man zur Atomtechnik stehe, so Schulz:

Das Archiv dokumentiert ein Stück Geschichte des Landkreises Lüchow-Dannenberg.

Es war nicht notwendig, die Anwesenden vor Leichtgläubigkeit gegenüber der Atomlobby zu warnen. Dennoch war mir der Hinweis des Landrates willkommen:

In Bezug auf „Gorleben“ gilt es genau hinzuhören, was Politiker verlauten lassen. Neuerdings ist viel von

Rückholbarkeit des Atommülls

die Rede. Gut, ihm – Landrat Schulz – sei eine Atommüll-Lagerung für die „Ewigkeit“ auch unvorstellbar. Wenn aber Politiker die Rückholbarkeit ins Spiel brächten, bedeute dies, daß „Gorleben“ weitergebaut werden könne: Man kann ja aus dem instabilen Salzstock notfalls den Müll an die Erdoberfläche zurückholen!

So läßt sich auch an diesem Landrat der allgemeine Gesinnungs-Wandel, die neue Nachdenklichkeit und Offenheit in Sachen Atomindustrie ablesen, haben wir doch ganz andere Landräte erlebt.

Auch dies eine Tatsache, die es lohnt, im Gorleben-Archiv dokumentiert zu werden.

Das Archiv selbst aber beweist, was Menschen gemeinsam auf die Beine stellen können, aus freien Stücken, ohne Auftrag „von oben“, allein aus dem Bewußtsein der Verantwortung gegenüber der Schöpfung und den zukünftigen menschlichen Generationen heraus.

 

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Roswitha
Roswitha
12 Jahre zuvor

Liebe Adelinde,

wir sind es gewohnt, von Dir stets über große Persönlichkeiten aus der Vergangenheit und Gegenwart zu erfahren. Nun vernimmt der Leser, dass die Initialzündung zur Gründung der BI vor 38 Jahren von DIR ausging!! Großartig!

Wie wohltuend von Frau Fritzen, diese Tatsache immer wieder zu erwähnen und ins rechte Licht zu rücken.

Tröstlich, der echte Idealismus, der mit Selbstlosigkeit gekoppelt ist, trägt immer wieder Früchte. Roswitha

Elke
Elke
12 Jahre zuvor

Einfach vorbildhaft und wunderbar!!

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