Die Entschuldigungs-Republik
Sonntag, 25. Oktober 2009 von Adelinde
Eine Entschuldigungs-Forderung jagt die andere in Deutschland:
Die neuesten:
- Harald Schmidt soll sich entschuldigen, fordert der Zentralrat der Juden in Deutschland.
- Thilo Sarrazin soll sich entschuldigen, fordert der Zentralrat der Juden in Deutschland, seine Entlassung forderte der Zentralrat der Muslime in Deutschland.
- Stephan Kramer, der Generalsekretär des Zentralrates der Juden in Deutschland, hat sich entschuldigt.
Worum ging’s?
Harald Schmidt,
der Late-Night-Talker, hatte in seiner neuen ARD-Show am Donnerstagabend ein Foto der Agentur für Arbeit gezeigt, vor der ein Torbogen mit der Aufschrift “Wachstum schafft Arbeit” zu sehen war.
So EXPRESS.DE am 19.9.09. Das sei eine Anspielung auf das Konzentrationslager Auschwitz gewesen, dessen Torbogen die Aufschrift “Arbeit macht frei” trug.
Entwürdigend, geschmacklos und beleidigend,
fand das der Generalsekretär des Zentralrates der Juden Stephan Kramer. Die Goldwaage mag ihm inhaltlich Recht geben. Politisch grenzt diese Praxis des Aufbauschens eher ans Belächelnswerte.
Und schon treibt der
Zentralrats-Generalsekretär Kramer
die Inflation der überziehenden Vergleiche mit dem NS-Staat mit an:
Ich habe den Eindruck, daß Sarrazin mit seinem Gedankengut Göring, Goebbels und Hitler große Ehre erweist. Er steht in geistiger Reihe mit diesen Herren.
Henryk M. Broder, der sich selbst als “Pausenclown” bezeichnet, nimmt in seinem Blog Achse des Guten dazu Stellung, indem er den Spieß umdreht in seinem Beitrag “Kramer, springen Sie”:
… diesmal ist Kramer, der angesichts der schwindenden Bedeutung des Zentralrates eine taktische Allianz mit der “Türkischen Gemeinde” sucht, zu weit gegangen. Er ist es, der sich wegen einer unsäglichen Verharmlosung des Dritten Reiches entschuldigen und von seinem Amt als Generalsekretär des Zentralrates zurücktreten sollte.
Der Aufforderung, sich öffentlich zu entschuldigen, schließt sich gewöhnlich bei den Zentralräten der Juden und der Muslime die Rücktrittsforderung an. Das kopiert Broder hier – wohl eher spaßeshalber – und sieht – falsch – voraus:
Das wird natürlich nicht passieren.
Kramer hat sich entschuldigt.
Broder
begründet seine Annahme so:
Denn bei den Juden ist die Personaldecke ebenso dünn wie bei den Sozialdemokraten. Und da muß man jedem dankbar sein, der bereit ist, einen Job zu übernehmen.
Witzig – oder ernsthaft? – sinnt Broder auf Abhilfe, so zu lesen bei sueddeutsche.de:
Die Vertretung der Juden in Deutschland sei in einem “erbärmlichen Zustand”, Präsidentin Charlotte Knobloch überfordert, ihre Stellvertreter belauerten sich gegenseitig.
Der Zentralrat trete als “Reue-Entgegennahme-Instanz” auf und betreibe Beschäftigungstherapie. Die Lösung: Broder bewirbt sich als Zentralrats-Präsident. Er wolle ein Ende dieses “kleinkarierten Größenwahns”, die Aufhebung der Holocaustleugnung als Straftatbestand, gute Beziehungen “zu den in Deutschland lebenden Moslems” (da hat er was zu tun) und “für eine säkulare Gesellschaft eintreten”. Na dann: Broder for President!
Die Süddeutsche spottet – vorsichtshalber, man will es mit dem Zentralrat wohl nicht verderben -, aber Broders Vorhaben, die “Holocaustleugnung als Straftatbestand” aufzuheben, ist wirklich überfällig, weil eines freiheitlichen Rechtstaates unwürdig. Die Süddeutsche meint weiter:
Wie so manche lustige Idee hat auch Broders Selbstbewerbung wenig Aussicht auf Erfolg, aber einen ernsten Hintergrund. Dem Zentralrat der Juden geht es nicht gut. Treten seine Vertreter öffentlich auf, wird es manchmal peinlich. Im Januar brach die Zentralrats-Präsidentin aus Verärgerung über die Aufwertung der antijüdischen Piusbrüder durch Papst Benedikt XVI. den Dialog mit “der katholischen Kirche” ab, ohne recht sagen zu können, wen sie damit meinte.
Auch Adelinde berichtete darüber. – Die Süddeutsche nun ganz im Ernst:
Und jetzt, im Herbst, stellte ihr Generalsekretär Stephan Kramer den Stammtischplauderer von der Bundesbank, Thilo Sarrazin, in eine Reihe mit Göring, Goebbels und Hitler – um sich bald darauf demütig zu entschuldigen. Jedesmal kommt die eine, entscheidende Schraubendrehung zu viel, das Gewinde knackt und bricht, und alles ist kaputt.
Es sind äußere Zeichen innerer Verunsicherung und Hilflosigkeit. Das Judentum in Deutschland steckt mitten im Generationen- und Mentalitätenwechsel. Es stirbt die Generation der Holocaust-Überlebenden; die kleine Schar ihrer Nachkommen, die für das Nachkriegsjudentum in Deutschland steht, mit all seinen Ängsten und Verletzungen, geht unter in der Mehrheit der Zuwanderer aus Osteuropa …
Nach innen aber war das Leben der kleinen Gemeinschaft mit nur wenigen Dutzend wirklich politik- und diskursfähigen Mitgliedern als moralische Instanz fürchterlich überfordert. Der Zentralrats-Präsident Ignatz Bubis überdeckte das großartig und um den Preis der Selbstzerstörung, sein Nachfolger Paul Spiegel schaffte es noch mit Mühe, Charlotte Knobloch gelingt es kaum noch. Dies nicht nur, weil sie keine so guten Pressemitteilungen schreiben kann wie Bubis.
Die Überreaktionen, das Wort-Keulenschwingen und die sich stets anmaßend anhörenden Rücktrittsforderungen sind also nichts weiter als Zeichen der Schwäche. Broder hat das Verdienst, sie aufgezeigt zu haben.
Wichtig für uns alle in Deutschland
ist, die Angst voreinander zu verlieren und frei und offen, aber mit Anstand, mit Achtung der Menschenwürde miteinander zu sprechen.
Die billigen Vergleiche mit dem NS-Regime sind ebenso unerträglich wie die dann folgende Zeremonie mit der Goldwaage, dem Aufjaulen der “Betroffenen” und der hohlen “Entschuldigungen” der erst losen, dann feigen Zungen.
Für das Publikum der Entschuldigungs-Republik und die Zuschauer in aller Welt eine peinliche Szenerie, weiter nichts.