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Das Bild eines besonderen Menschen in schwerer Zeit

von Roswitha Leonhard-Gundel

Hans Christian Andersen (Bild: /funen/hans-christian-andersen/das-hans-christian-andersen-haus-odense)

Hans Christian Andersen wurde am 2. April 1805 in Odense auf der Dänischen Insel Fyn geboren.

Geburtshaus (Bild: /funen/hans-christian-andersen/das-hans-christian-andersen-haus-odense)

Er hatte eine schwere Jugend, denn er trat seinen Lebensweg in einem verarmten Elternhaus an. Der Vater starb bereits, als Christian erst 11 Jahre war. Die Mutter, dem Alkohol ergeben, konnte als Wäscherin keinen ausreichenden Lebensunterhalt erwirtschaften. Durch diese Lage der Familie wurde es H. Ch. Andersen kaum möglich, die Schule zu besuchen. Da ihn sein Vater mittellos zurückgelassen hatte, fühlte er sich gezwungen, zunächst in einer Fabrik zu arbeiten.

Am Ende seiner Schulzeit, als er etwa 18 Jahre alt war, entstand das Gedicht:

Das sterbende Kind

Mutter, ich bin müde und sehne
Mich, zu schlafen an dem Herzen Dir.
Heiß auf mein Gesicht fällt Deine Träne,
Weine länger nicht, versprich es mir!
Hier ist’s kalt und draußen Stürme wehen,
Doch im Traum ist Alles licht und klar.
Engelskindlein hab’ ich dort gesehen
Immer, wenn mein Aug’ geschlossen war.

(übersetzt von Ludolph Schley, 1853)

Bereits in diesem zu Herzen gehenden, frühen Gedicht kommt H. Ch. Andersens große Begabung zum Ausdruck, sich in den Schmerz anderer, hier seiner geliebten Mutter, hineinzuversetzen und sie gleichzeitig zu trösten. Menschen, die mit sterbenden Kindern zu tun haben, bestätigen, daß letztere sich besonders dem Göttlichen verbunden fühlen, sobald sie den herannahenden Tod spüren.

In Andersens Erzählung „Sie taugte nichts“, vernehmen wir einen vernichtenden Ausspruch des Stadtschulzen über seine Mutter, in dessen Diensten sie als Wäscherin steht. Unter den unwürdigsten Verhältnissen muß sie selbst in der kalten Jahreszeit Stunde um Stunde imWasser stehen, um die Wäsche zu waschen. Kann es da verwundern, daß sie immer wieder einen Schluck aus der Flasche nimmt, die einzige Möglichkeit sich zu wärmen? „Oh, wie tut das gut! Wie das wärmt. Es ist ebenso gut wie warmes Essen, und es ist nicht so teuer“, so spricht sie zu ihrem Sohn.

„Gleichzeitig veranstaltet der Stadtschulze ein großes Mittagessen mit Wein flaschenweise“, weiß die befreundete Nachbarin Maren zu berichten, die empört ist, wie der Arbeitgeber mit dem Sohn über dessen Mutter gesprochen hat. Die Freundin in ihrer Treue ist es auch, die die Wäscherin erlöst und nach Hause führt.

Bald darauf stirbt die Mutter und wird auf dem Armenfriedhof beerdigt. Maren pflanzt noch einen Rosenstrauch auf das Grab, der Junge steht dabei. „Und ich sage dir, sie taugte etwas! So laß die Welt nur sagen: ,Sie taugte nichts!’ “, tröstet sie ihn.

Beim Lesen dieser Geschichte, die indirekt auch eine Kritik an den sozialen Verhältnissen der damaligen Zeit in sich birgt, spürt man, daß die „Welt“ seelenlos geworden war, das einfache Volk jedoch nicht.

Ergreifend kommt das auch im Märchen „Das kleine Mädchen mit den Schwefelhölzern“ zum Audruck. Es entstand nach einer Bildvorlage, die zur Wohltätigkeit gegenüber Bedürftigen auffordern sollte. Ch. Andersen kam der Aufforderung nach, auf diese Weise zu helfen. Seine Mutter hatte als Kind ja selbst hungernd auf der Straße gelegen, woran sich ihr Sohn bei seinem Besuch in der Stadt 1845 ausdrücklich erinnert gefühlt hatte.

Auch diese Geschichte endet, wie sein frühes Gedicht „Das sterbende Kind“ mit einem tröstenden Blick ins Himmelreich.

Humorvoll dagegen ist der Erzählton in dem Märchen „Des Kaisers neue Kleider“. Es geht auf eine aus Spanien stammende Erzählung von 1335 zurück, die Andersen in einer deutschen Übersetzung 1836 kennengelernt hatte. Erst unmittelbar vor der Drucklegung fügte er die geniale Schlußwendung an, in der das kleine Kind den Betrug entlarvt. Durch sie wird diese Erzählung zeitlos gültig bleiben.

Mit 14 Jahren versuchte sich H. Ch. Andersen in Kopenhagen bereits als Theaterschauspieler und Sänger zu betätigen, leider vergeblich. Schließlich nahm ihn Konferenzrat und Direktor des königlichen Theaters Kopenhagen Jonas Collin 1822 – 1827  in seine Obhut und in seinem Haus auf.

Auch dem dänischen König Friedrch VI. fiel H. Ch. Andersens Begabung auf, so daß er Unterstützung erhielt und an der Lateinschule in Slagersen lernen konnte. Bis 1828 wurde ihm sogar das Universitätsstudium bezahlt.

Mit Hilfe eines staatlichen Reisestipendiums, das er Anfang der 1830er Hahre erhielt, unternahm er mehrere Reisen nach Deutschland, England, Italien, Spanien, Portugal und sogar in das Osmanische Reich. Der Einfluß der verschiedensten Landschaften, Kulturen und Menschen spiegelt sich oft in den Märchen. So zeigt die Beschreibung der Welt in der kleinen Meerjungfrau italienischen Einfluß.

Andersen führte ein rastloses Leben und ließ keine Gelegenheit aus, namhaften Schriftstellern, Märchensammlern und Verlegern seiner Zeit zu begegnen, nur wenige sollen genannt werden: Charles Dickens, Victor Hugo, E. T. H. Hoffmann und auch die Brüder Grimm.

Andersens Erzählstil und der der Brüder Grimm soll durch ein Beispiel veranschaulicht werden. Der Anfang eines überlieferten Volksmärchens könnte bei den Grimms so lauten:

„Es war einmal ein König, der hatte drei Söhne.“

Bei Andersen heißt es dagegen:

„Jetzt will ich dir eine Geschichte erzählen, paß nur auf! Sieh, in einem fernen Land lebte einmal ein König, der regierte das Land, denn das müssen die Könige ja tun, und er hatte drei Söhne: eins-zwei-drei, der erste war der älteste, und der dritte war der jüngste, und das war so vergnüglich, aber der mittlere war der mittlere, und das blieb er.“

Übermütig und vorwitzig ist diese Prosa, zu der er sich immer wieder hinreißen ließ.

Sehr beeindruckend ist seine Hinwendung zu einem unserer größten deutschen Dichter Friedrich Schiller. Die Auftragsarbeit für das zu Schillers 100. Geburtstag herausgegebene Album veranlaßte Andersen, sich über die Lage Marbachs gründlich zu erkundigen. Die Geschichte heißt: „Die alte Kirchenglocke, geschrieben für Schillers Album“. Andersen selbst hat sie als „Schillers Märchen“ bezeichnet.

Mit märchenhaften Ausschmückungen und congenial Schillers Wesen erfassend, zeichnet er den Lebensweg des großen Dichters. Seine Erzählung beginnt mit dem Läuten der Glocken zu seiner Geburt in Marbach und endet:

„… Es war gerade 100 Jahre her seit jenem Tag, da die Glocke im Turm zu Marbach Freude und Trost für die leidende Mutter läutete, die ihr Kind gebar, arm im ärmlichen Haus, dereinst ein reicher Mann, dessen Schätze die Welt segnet; er, der Dichter des edlen Frauenherzens, der Sänger des Großen und Herrlichen, Johan Christoph Friedrich Schiller.“

In dem Stimmungsbild „Der Vogel des Volkslieds“ geht es um eine Saga: Auf einem Hünengrab am Meer sitzt ein verstorbener König in tiefem Schmerz wie ein unseliger Geist. Ein Skalde frägt ihn: „Warum trauerst und leidest du?“

Da entgegnet der Tote: „Keiner hat mein Lebenswerk besungen. Das Lied hat es nicht über die Lande und in die Herzen der Menschen getragen; darum habe ich keine Ruhe, keine Rast.“

„Da griff der alte Barde in die Saiten der Harfe, sang von dem jugendlichen Mut des Helden, der Kraft seines Mannestums und der Größe guter Werke.

Da schwang sich aus der Harfe ein kleiner Vogel, der schönste Singvogel mit dem Klang der Drossel, mit dem seelenvollen Schlag des Menschenherzens, dem Klang des Heimatlandes. … Er flog über Berg und Tal, es war der Vogel des Volksliedes, der niemals stirbt.“

Und an anderer Stelle heißt es: „Der Vogel singt auch von der Treue im Norden, er hat Märchen in Worten und Tönen. … In heidnischer Vorzeit, in der Wikingerzeit hing sein Nest in der Harfe des Sängers.“

Dann wird die Zeit beklagt, „… in der nur die Macht Recht war, ein Bauer und ein Hund als Beute gleichviel galten. Wo fand da der Singvogel Zuflucht und Schutz? Roheit und Dummheit dachten nicht an ihn.“

Andersen fährt fort: „Jetzt  singt er hier drinnen. Draußen ist Schneesturm und Nacht, Sage und Lied schenken einen Segenstrunk ein, der Gemüt und Gedanken befeuert, so daß der Abend ein Weihnachtsfest wird.“

Zum Schluß dieses beeindruckenden Stimmungsbildes schreibt der Dichter:

„Der Frühling kommt, die Vögel kommen, neue Geschlechter mit den heimatlichen, den gleichen Tönen. Hört den Heldengesang, … den schweren Traum der Winternacht! Alles löst sich, alles steigt empor im herrlichen Gesang vom Vogel des Volksliedes, der niemals stirbt.“

Wir erleben in dieser Dichtung eine tiefe Hinwendung zur Natur, indem uns der Vogel sinnbildlich als Künder der Volksseele begegnet und uns mit den großen Taten unserer Ahnen verbindet.

Chrisian Andersen hat mehr als 160  Märchen gedichtet, die aus den unterschiedlichsten Anlässen und Texten entstanden sind. Dazu kommen Gedichte und Romane. Sein gesamtes Werk ist in viele Sprachen übersetzt worden.

Am 4. August 1875 starb er und fand in Kopenhagen seine letzte Ruhe. Erst 1913 wurde ihm mit der Skulptur der kleinen Meerjungfrau ein nationales Denkmal gesetzt.

Die kleine Meerjungfrau im Hafen von Kopenhagen (Bild: Wikipedia)

(Quelle: Christian Andersen, Sämtliche Märchen, Band 1 + 2, Nachwort: H. Detering)

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