Das andere Amerika
Montag, 11. Dezember 2017 von Adelinde
6. Folge der Reihe „Deutsche Geschichte am Beispiel Hanna Reitsch“
Captain Cohn vertrat das EINE Amerika, das das besiegte Deutsche Volk seelisch am Boden halten wollte und will.
Das führte zu Nachrufen für
Hanna Reitsch,
die – viel zu früh mit 67 Jahren – am 28.8.1979 gestorben war, zu Nachrufen, wie wir hier einen als Beispiel bringen, der im „Spiegel“ (36/1979) zu lesen war und den Wikipedia wiederholt:
Hanna Reitsch […] verkörperte aufs äußerste zugespitzt die deutsch-nationale Schizophrenie zwischen äußerer Modernität und innerem Mittelalter, zwischen technisch-wissenschaftlicher Intelligenz und verblendeter „Gläubigkeit“, zwischen persönlichem Anstand und kollektiver Barbarei.
Der „Spiegel“, eines der Lizenzblätter der Alliierten, des von Captain Cohn vertretenen Amerika!
Aber es gab auch das ANDERE Amerika,
das dem frischen Leben und der Anerkennung großer Leistungen zugetane, auch der deutschen, von denen es besonders nach dem Krieg durch Beschlagnahme in großem Stil profitiert hatte.
Dieses andere Amerika erlebte Hanna Reitsch und läßt uns in ihrem Werk „Höhen und Tiefen“ daran teilnehmen.
Ende März 1961 wurde Hanna Reitsch zu Wellensegelflügen nach Kalifornien eingeladen.
Ich konnte mein Glück kaum fassen, daß ich nun jene berühmten Sierra-Nevada-Wellen würde erleben dürfen. Segelfliegerisch stand diese Reise unter keinem glücklichen Stern. Sie beschenkte mich aber mit unerwartet herrlichen menschlichen Begegnungen.
Die kalifornischen Gastgeber empfingen sie besonders herzlich. Im Kreis der berühmten Testpiloten – wie Joe Walker, Major Bob White, Jack McKay, Scott Crossfield und anderen – mußte sie
erzählen und wurde viele Stunden lang von ihnen über Erfahrungen im Huckepack-Schlepp (ich startete 1944 eine fliegende Bombe Me-328 auf der Fläche des Bombers Do-217) sowie über Sperrballonseil-Kappversuche mit Bombern, über Raketen-Flugversuche mit der Me-163 befragt.
Ich ahnte damals nicht, daß einer der ganz jungen Testpiloten von „Edwards“, der meinen Erzählungen bescheiden im Hintergrund lauschte, Neil Armstrong war, der später als erster Mensch den Mond betrat.
Die Testpiloten gaben mir in kameradschaftlicher Weise Einblick in viele Versuche, an denen in „Edwards“ gearbeitet wurde.
Nach fliegerischen Erlebnissen kam es am 30. April zum Abflug von Los Angeles nach Washington,
und ich ahnte damals nicht, was alles an unvergeßlich tiefen Eindrücken mich noch erwartete … Vom 1. bis 7. Mai war in und von Washington aus ein atemberaubendes Programm für mich vorgesehen.
So gab es für die ersten Hubschrauberpilotinnen der Welt, zu denen sie als erste Hubschrauber-Fliegerin gehörte, einen Empfang bei dem neuen amerikanischen Präsidenten John F. Kennedy. Im Weißen Haus
wollte der Präsident (von ihr) höchst interessiert etwas über den letzten Flug in das von Russen eingeschlossene Berlin und über die Tage in der Reichskanzlei erfahren …
Am folgenden Tag ließ einer der Senatoren Hanna Reitsch mit seiner Privatmaschine fliegen,
einer „Aero Commander“, über Philadelphia nach Bridgeport zu der riesengroßen Sikorsky-Hubschrauber-Firma …
Der würdige, weltberühmte alte Konstrukteur und Chef seiner Firma, Igor Sikorsky, ließ es sich nicht nehmen, uns persönlich zu empfangen. Als seine Gäste wurden wir von ihm zum Lunch in einen Sondersaal geladen.
Ich mußte an seiner rechten Seite sitzen und wurde als besonderer Ehrengast behandelt. In einer ergreifenden Tischrede brachte er zum Ausdruck, daß es ihm nahezu wie ein geschichtliches Ereignis vorkomme, mich an seiner Seite sitzen zu sehen.
Ich hätte 1937 den ersten vollsteuerbaren Hubschrauber der Welt des von ihm tiefverehrten Konstrukteurs und Wissenschaftlers Professor Henrich Focke geflogen.
Ich hätte damit im Februar 1938 die auf der Welt bekannten erstmaligen Flüge mit jenem Hubschrauber in der Deutschlandhalle Berlins, über den Köpfen Zigtausender von Menschen, vierzehn Tage lang durchgeführt …
Ich hatte das Glück, nicht nur den genialen Konstrukteur gewaltiger, erfolgreicher Hubschrauber zu erleben, sondern Igor Sikorsky auch als einmaligen Menschen …
Als nächstes folgte die Einladung in das Raketenforschungszentrum Huntsville/Alabama.
Für mich war nicht nur das Wiedersehen mit Wernher von Braun und vielen seiner mir bekannten Peenemünder Mitarbeiter eine wahre Freude, sondern ich durfte auch einem Standversuch einer SATURN-Rakete am 11. Mai 1961 in Huntsville beiwohnen.
Niemals hatte ich Gelegenheit gehabt, einen Start der V-2-Rakete in Peenemünde zu sehen.
Als der Start der SATURN-Rakete gelungen war,
lagen sich die im Raum Anwesenden jubelnd in den Armen. Ihre Hände zitterten nach der ungeheuren Spannung und Konzentration. In Wernhers Augen standen Freudentränen.
Wernher von Braun war schon 1932 ihr Segelflug-Kamerad gewesen bei einem
Segelflugkurs in Grunau bei Hirschberg in Schlesien (unser beider Heimat) … Oft hatten wir damals zusammen am Südhang von Grunau gesessen, und Wernher hatte mir von seinen Raketenplänen erzählt, die einen Flug von Menschen auf den Mond schon einschlossen.
Neil Armstrong ließ es sich 9 Jahre später nicht nehmen, nach Deutschland zu kommen.
1970 feierte die Wasserkuppe in der Rhön ihr 50jähriges Jubiläum als historischer Segelflug-Berg. Aus diesem Anlaß strömten Segelflieger der ganzen Welt zu dieser für uns fast heiligen Stätte.
So auch Neil Armstrong, der nicht nur Astronaut, sondern auch begeisterter Segelflieger war. Mit viel Prominenz,
großem Jubel und rotem Teppich wurde Neil empfangen, gefilmt, fotografiert, interviewt und durch einen am Flughafen nur für geladene Gäste veranstalteten Empfang geehrt.
Neil wirkte wie ein großer, fast scheuer Junge. Er hatte keinerlei Star-Allüren. Im Gegenteil, man sah ihm an, daß er diesen Rummel um sich nicht liebte.
In jeder Antwort auf ihm gestellte Fragen kam seine große Bescheidenheit zum Ausdruck.
In Bremen, nach der Besichtigung der Firma VFW saßen Hanna Reitsch, Armstrong, sein Mitarbeiter Dr. Kuettner und Helmut Dette zu viert bei einem Gespräch beieinander. Dabei erzählte Neil,
daß er mir schon zehn Jahre zuvor erstmals begegnet sei – ich hätte dies nur nicht wahrgenommen, da er damals noch völlig unbekannt war. Es war 1961, als ich für drei Tage als Gast der großen amerikanischen Erprobungsstelle „Edwards“ nach Kalifornien eingeladen war.
Er sei mir seinerzeit dort als ganz junger Testpilot kurz vorgestellt worden, aber ich sei von den amerikanischen Flieger-Assen der Erprobungsstelle so umringt und beansprucht gewesen, daß er nur glücklich im Hintergrund den Berichten von mir gelauscht habe.
Ich sei damals über mein Fliegen und meine Erfahrungen mit der V-1 befragt worden wie auch über den Start mit der V-1, die unter der Fläche der He-111 aufgehängt war; ferner über meine Starterfahrung im Huckepackschlepp mit der Me-328 auf der Do-217, außerdem über meine Erfahrung mit Starr-Schlepp und mit Auftanken in der Luft, für das ich Vorversuche mit der zweimotorigen Focke-Wulf „Weihe“ in den dreißiger Jahren gemacht hatte.
Vorne am Bug der Kanzel war ein langes Rohr angebracht, das ich in einen Trichter einführen mußte, der hinter einer He-46 geschleppt wurde.
Nun hatte sich das Blatt gewendet, und ich war es, die voll Erstaunen und tiefer Hochachtung Neils großartigen Berichten lauschte, wie er unseren Erdplaneten verließ und zum Mond raste, ihn umrundete und als erster Mensch auf ihm landete.
Es schien mir unfaßlich, mit einem Menschen, der das erlebt hatte und dessen Augen vom Mond aus unsere Erde als bläulich-leuchtende Kugel im All erblickt hatten, zusammen zu sein, und der mit seinen Kameraden Edwin Aldrin und Mike Collins in größter Präzision auf der Erde im Süd-Pazifik auf die Minute pünktlich wieder landete.
Bis in die Morgenstunden saßen wir vier beisammen und ließen uns von Neil erzählen, von den jahrelangen Vorbereitungsarbeiten, von der Ausführung, von den Schwierigkeiten und dem Erlebnis selbst.
Die Hauptfeier des Wasserkuppen-Jubiläums fand am folgenden Tag statt. Unter anderem wurde in Festreden auch Hanna Reitsch genannt, aber – wir sind im besetzten Deutschland! – der Leiter der Segelflugkommission
überreichte mir … – da dies nicht zu vermeiden war – einen Siegespokal, der für neue Rekorde üblicherweise überreicht wurde.
Er gratulierte mir vor der Festversammlung, ohne zu sagen wozu, und händigte mir ein Dokument aus, auf dem der anerkannte neue deutsche Frauensegelflugrekord im Zielflug mit Rückkehr bescheinigt und besiegelt war. Aber – was sagte er dazu? Ich traute meinen Ohren kaum:
„Wir gratulieren Hanna, die schon in den dreißiger Jahren so großartige Erfolge errungen hatte.“ Kein Wort fiel von der Gegenwart.
Ganz anders in den USA 1972!
Hanna Reitsch wurde 1972 von der Society of Experimental Test Pilots (SETP) als vielseitige und erfolgreiche Testpilotin nach Kalifornien zu einem fünftägigen Symposium im Beverly Hilton Hotel eingeladen.
Es handelt sich um eine internationale Pilotenvereinigung, deren Mitglieder streng ausgewählt werden.
Es sind meist Piloten von Ländern, die einst gegeneinander gekämpft und sich dabei besonders ausgezeichnet haben.
Das große „Award-Dinner-Banquett“, bei dem die Ehrungen verliehen werden sollten, fand in dem Riesenhotel „Hilton“ statt,
im „International Ball-Room“ … – einem festlich geschmückten Riesensaal, in dem jeweils zehn Personen an runden Tischen saßen und über 2000 Menschen Platz fanden …
Es war mir unfaßlich, daß als „high point“ (als Höhepunkt) dieses großen Abends, an dem zum Beispiel auch die Astronauten von „Apollo 16“ geehrt wurden -, meine Ehrung vorgesehen war.
Präsident Ken Kramer gab zunächst meinen fliegerischen Lebenslauf bekannt. Er sprach in 6 oder 7 Mikrophone.
Zu meiner großen Überraschung folgte eine Filmvorführung, mit Ausschnitten aus meiner fliegerischen Tätigkeit, die ich zum Teil selbst noch niemals gesehen hatte.
Es waren Filmstreifen, die aus den deutschen Archiven stammten, die nach dem verlorenen Krieg tonnenweise nach den USA gebracht worden waren.
Zur Vorführung hatte man Filmstreifen zu einem langen Film zusammengefügt …
Man erlebte im Film
meine Hallenflüge in der Deutschlandhalle Berlin vom Februar 1938 mit dem ersten Hubschrauber der Welt, FW-61,
man sah mich raketenfliegend,
mit Bombern gegen Sperrballon-Seile rasen
und sogar Flüge mit der bemannten V-1 und anderes.
Nach Aushändigung ihrer goldumrahmten Urkunde
war es an mir zu danken. Ich trat vor die vielen Mikrophone. Da meine Worte auf Band aufgenommen und mir gesandt wurden, kann ich sie hier in deutscher Übersetzung wiedergeben:
Hier Teile aus der frei gehaltenen Rede von Hanna Reitsch:
Ich danke Ihnen für die große Ehrung, die mir heute zuteil wurde. Was Sie auch immer dazu veranlaßt haben mag, so muß ich dankbar bekennen, daß durch die Gnade des Himmels mir viele Gelegenheiten just zum rechten Augenblick in meinem Leben gegeben wurden, mich einsetzen zu dürfen.
Darum nehme ich diese Ehrung als kleiner Repräsentant meiner tapferen deutschen Kameraden an, die ebenso wie ich mit brennendem Herzen flogen, arbeiteten und versuchten, unserem Vaterland zu helfen.
Natürlich riskiert ein Testpilot sein Leben. Während meiner langen Aktivität als Flieger – seit mehr als 40 Jahren – und vor allem während der 10 Jahre, in denen ich als Testpilot auf den verschiedensten Typen, die es bei uns gab, fliegend tätig war, wurde mir bewußt, daß nur hingebungsvolle Arbeit – Steinchen auf Steinchen zusammenfügend -, verbunden mit größter Geduld, Zähigkeit und Ausdauer, eine Forschungsarbeit zum Erfolg und Segen für die Menschheit werden läßt.
Prächtige Kathedralen der Welt wurden niemals von einem einzigen Architekten geschaffen, sondern waren das Ergebnis mühsamster Arbeit von unzähligen zuverlässigen Arbeitern und Maurern, die einen Stein auf den anderen fügten. So war es und so wird es immer sein.
Und ich hatte die große Chance, ein solcher „kleiner Maurer“ zu sein – nicht zum Bau von Kathedralen, sondern im Aufbau der Fliegerei -, und das wurde mir zum tiefsten Glück; vor allem, wenn ich erlebte, daß meine Versuche dazu führten, unzähligen Fliegern – nicht nur in Deutschland – das Leben zu retten.
… Aber trotz allen wissenschaftlichen und technischen Fortschritts, der zu geradezu phantastischen, unfaßlich großen Resultaten führte, kann die Welt nur geheilt und können die Menschen nur glücklich werden, wenn jeder einzelne von uns „menschlicher“ wird.
Was die Welt zum Überleben nötiger hat als alles andere, ist Brüderlichkeit.
… „Ihr und unser“ Wernher von Braun sagte einmal …:
Nur ein erneuerter Glaube an Gott kann unsere Welt wandeln und uns vor einer Katastrophe bewahren.
Wissenschaft, das heißt technischer Fortschritt, und Religion sind dabei keine Gegensätze, sondern Geschwister.
Dies aber weiß und erlebt niemand so tief wie wir Piloten –
hoch über der Erde in der grenzenlosen Weite des Himmels fliegend.
Ob Ihr Astronauten mit donnernden Raumschiffen fliegt, ob dröhnende Jet-Piloten oder lautlose Segelflieger den Vögeln gleich in unseren Segelflugzeugen fliegen:
Wir alle dienen der Brüderlichkeit der Welt. Denn dort oben gibt es keine Grenzen, keine Völker, keine Sprachen – dort oben bildet alles eine Einheit.
Das ist das geheime Band, das uns Flieger auf der ganzen Welt verbindet wie Brüder.
Stille, dann stehende Ovationen und Umarmung durch den Mondflieger Edwin Aldrin – das lichte, andere Amerika!