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Erfreulich ist, daß Clara Schumanns kompositorisches Werk mittlerweile ganz normal zum Repertoir vieler Orchester und Chöre gehört, ohne daß ihre „Weiblichkeit“ groß hervorgehoben wird.

Viel ist über sie geschrieben worden. Die einen heben sie in den Himmel, die andern verdammen sie. Was die Letzteren an Härte in Clara Schumanns Wesen und Handeln zu finden meinen, führen sie gern auf ihre schwierige Kindheit zurück.

Clara Schumanns Leben läßt sich in kein Klischee pressen.

Das fängt schon damit an, daß ihr Vater gerade sie, das Mädchen, ganz gegen die jahrhundertelange Gewohnheit aus der Geschwisterschar auswählt, um sie beruflich zu fördern, und seine Söhne vernachlässigt.

Wer war der Vater, wer die Mutter, und wie verlief Claras Kindheit?

Die Eltern

Friedrich Wieck, Claras Vater,

Friedrich Wieck in jungen Jahren

Friedrich Wieck in jungen Jahren

– in dem kleinen Ort Pretzsch in der sächsischen Provinz geboren – hatte bis zu seinem 20. Lebensjahr kein öffentliches Orchesterkonzert erlebt. Er hatte das Gymnasium besucht, Theologie studiert, nach bestandenem Examen und Probepredigt in Dresden die Theologie wieder an den Nagel gehängt und nun versucht, sich als Hauslehrer bei wohlhabenden Familien durchzubringen.

Er soll ein guter Lehrer gewesen sein, der sich mit den fortschrittlichen Lehren Rousseaus, Basedows und Pestalozzis beschäftigt hatte.

1815 – er war nun 30 Jahre alt – ließ er sich als Klavierlehrer und Inhaber einer Klavier- und Musikwarenhandlung in Leipzig nieder. Noch im selben Jahr wird er in der Allgemeinen musikalischen Zeitung als beliebter Leipziger Musiklehrer erwähnt.

Als rühriger Geschäftsmann reiste er auch regelmäßig nach Wien, um Klaviere einzukaufen und machte unter anderem die Bekanntschaft mit Beethoven. Also: An Selbstvertrauen mangelte es ihm nicht.

1816 heiratete er seine Schülerin

Marianne Tromlitz, Claras Mutter,

Mutter Marianne Tromlitzdie begabte Sängerin aus einer traditionsreichen Musikerfamilie. Sie sang Solopartien in den wöchentlich stattfindenden Gewandhauskonzerten, u. a. den Sopran der Messe in C-Dur von Beethoven. Weitere Auftritte als Solistin folgten.

Schon jetzt begann Wieck, sich im Glanze der Talente eines Familienmitglieds selbst einen Namen zu machen. Sein Ansehen als Geschäftsmann und Klavierlehrer wuchs mit jeder Vorstellung, die Marianne gab,

stellt die amerikanische Musikwissenschaftlerin Nancy Reich in ihrer gründlichen Arbeit über Clara Schumann heraus.

Marianne spielte besser Klavier als ihr Mann, gab Unterricht für die Fortgeschrittenen und trat im Gewandhaus auch als Pianistin auf.

1817 brachte sie ihr erstes Kind zur Welt, die Tochter Adelheid. Die starb, kurz bevor Clara am 13. September 1819 geboren wurde.

Ihren Sohn Alwin hatte sie gerade im August 1821 geboren, als sie zwei Monate später, im Oktober, wieder mit dem Gewandhausorchester auftrat, diesmal als Pianistin in einem Konzert von Ferdinand Ries. Auch die Geburt von Gustav 1823 konnte sie nicht davon abhalten, weiter zu konzertieren.

Sie hatte 1824 gerade ihr 5. Kind Viktor geboren und sich von Wieck getrennt, als in der Allgemeinen musikalischen Zeitung eine Rezension des Gewandhauskonzertes mit dem Zweiten Klavierkonzert von John Field erschien, bei dem sie den Klavierpart übernommen hatte.

Mariannes Leben hatte viel Ähnlichkeit mit dem späteren Leben ihrer Tochter Clara.

Clara Wieck als Kind

Das Scheidungskind

Ihre Eltern lebten nun also getrennt. Ihre Mutter war zurück zu ihren Eltern nach Plauen gezogen und hatte Clara und Victor mitgenommen. Alwin und Gustav blieben beim Vater. Der aber war nach damaligem sächsischem Recht der Besitzer der drei ältesten Kinder, und er machte von seinem Recht Gebrauch. Er erlaubte Marianne, Clara bis zum fünften Geburtstag zu behalten. 4 Tage nach diesem Datum mußte sie das Kind herausgeben. Marianne schreibt ihm:

Du bestehst darauf die Clara jetzt zu haben, nun sei es, in Gottesnamen, ich habe alles versucht dich zu erweichen, mag das Herz mir brechen, Du sollst sie haben; jedoch meiner Mutterrechte begebe ich mich nicht.

Bei der Übergabe auf halbem Wege zwischen Plauen und Leipzig, in Altenburg, ließ er sich durch seine Haushälterin vertreten. Arme Clara! Arme Mutter und Großmutter, die sich in Altenburg von ihr verabschiedeten und sie mit der Haushälterin des abwesenden Vaters ziehen lassen mußten!

Am 22. Januar 1825 wurden die Eltern geschieden. Clara war noch nicht 5 ½ Jahre alt. Die Mutter heiratete wenige Monate später den Klavierlehrer Adolph Bargiel. Sie wohnten noch ein gutes Jahr lang in der Nähe von Leipzig, und Marianne durfte ihre Kinder regelmäßig sehen. In einem Brief schreibt ihr Wieck:

Madam! Ich schicke Ihnen hier das Theuerste, was ich im Leben noch habe, setze aber voraus, das Sie alles, womöglich, mit Stillschweigen übergehen, oder sich so einfach und so ohne Falsch, ingleichen so unbestimmt auszudrücken, daß dieses unschuldige, harmlose und so ganz natürlich erzogene Wesen nichts höre, worüber es in Zweifel gerathen könne. Übrigens werden Sie dem Kinde wenig Gebackenes geben und keine Unart nachsehen … Wenn sie spielt, so lassen Sie sie nicht eilen. Der strengsten Befolgung meiner Wünsche sehe ich entgegen, wenn ich es nicht Übel nehmen soll …

Claras Brüder Alwin und Gustav erwähnt er mit keinem Wort.

Mit den regelmäßigen Besuchen war es dann zu Ende, als die Bargiels nach Berlin zogen, wo Adolph eine Klavierschule übernahm. Bald danach verloren Clara und ihre Brüder auch noch einen weiteren Teil von Geborgenheit: Friedrich Wieck entließ das Kindermädchen, das schon bei Claras Geburt zur Familie gehört hatte. Auch die vertraute Haushälterin wurde durch eine neue ersetzt.

Erst mit 20 Jahren, als sie mit ihrem Vater brach, wandte sich Clara wieder ihrer Mutter zu. Sie wohnte bei der Schwester ihrer Mutter in Leipzig oder, wenn sie in Berlin war, bei ihrer Mutter, die ihr in allen Krisen eine warmherzige Freundin geworden war.

Claras Frühkindheit

Clara war in ein Elternhaus hineingeboren worden, in dem von früh bis spät Klaviermusik erklang. Entweder wurden Klavierschüler unterrichtet, oder die Mutter bereitete sich auf ein Konzert vor.

Zum Tagesablauf gehörte für sie außerdem, sobald sie drei Jahre alt war, ein mehrstündiger Spaziergang an der frischen Luft, bei dem sie, um mit den Erwachsenen mithalten zu können, kräftig ausschreiten mußte. Diese Übung und Gewohnheit behielt Clara Schumann bis an ihr Lebensende bei, führte sie doch darauf ihre Gesundheit und Kraft zurück.

Als sie 7 Jahre alt war, legte ihr Vater ein Tagebuch für sie an. Darin schrieb er an Claras Stelle in der Ich-Form. Sich selbst erwähnt er als „der Vater“.

Aus diesem Tagebuch erfahren wir, daß Clara über ihren 4. Geburtstag hinaus kein einziges Wort sprach. Ihr Vater meinte, daß Clara auch nur sehr wenig verstand. Als sie dann endlich zu sprechen begann, glaubten die Eltern, sie sei schwerhörig.

Es war noch vor der kurzen Zeit bei der Mutter in Plauen, daß der Vater damit begann, sie

trotz ihrer angeblichen Taubheit ein paar Stück nach dem Gehör spielen zu lassen. Clara lernte die Melodien mühelos: was sie nicht hören konnte, waren gesprochene Worte. (Reich)

Nun gab Wieck seiner Tochter gemeinsam mit zwei gleichaltrigen Mädchen regelmäßigen Klavierunterricht, und nun sprach sie ihre ersten Sätze. Doch ihre sog. „Taubheit“ hörte erst auf, als Clara 8 Jahre alt war. Reich vermerkt dazu:

In Anbetracht der Fähigkeiten, die Clara später entwickelte, könnte es sich um das gehandelt haben, was Dr. Anna Burton als ,selektiven Mutismus‛ bezeichnet, eine durch emotionale Konflikte verursachte Sprachstörung.

Möglich, daß Clara sich – unbewußt – vor bösen Wortgefechten mit der völligen Ausblendung von Sprache geschützt hatte.

Das Wunderkind

Friedrich und Clara Wieck (Relief von Gustav Kietz)

Friedrich und Clara Wieck (Relief von Gustav Kietz)

Dagegen machte sich Wieck nun daran, der Welt an seiner Tochter Clara die Qualität seiner Erziehungsmethoden zu beweisen. Und Clara ging darauf ein. Wieck legte ihren gesamten Tagesablauf fest.

Ab Frühjahr 1825 – sie war 5 ½ – gab er ihr Einzelunterricht. Sie brauchte zunächst nicht nach Noten zu spielen, obwohl sie die Notenschrift lernte. Wieck kam es darauf an, daß Clara von vornherein lernte, sinnvoll zu phrasieren und einen singenden Ton zu erzielen, ihr späteres Markenzeichen, wofür sie berühmt wurde.

Mit sieben Jahren verbrachte sie täglich 3 Stunden am Klavier, eine davon beim Unterricht, 2 beim Üben.

Kurz vorher war sie auf die benachbarte Grundschule der Demoiselle Marbach gekommen, danach ein weiteres Jahr in ein größeres Lehrinstitut. Diese eineinhalb Jahre Schulzeit waren Claras gesamte Schulzeit. Selbst in diesen eineinhalb Jahren erteilte Wieck ihr vor der Schule 1 Stunde Klavierunterricht.

Wieck unterrichtete sie in den Fächern, die er für ihre spätere Virtuosen-Laufbahn für nötig hielt, z. B. in Englisch und Französisch,

vereint mit einem Hauslehrer,

damit – wie er in seiner Abhandlung Clavier und Gesang erklärte –

auch bei weniger Stunden des Tags ihre wissenschaftliche Bildung gleichen Schritt halte mit der künstlerischen, und auch noch Zeit übrig bleibe, in der freien Natur sich zu ergehen und ihren Körper zu kräftigen, während andere Kinder auf den Bänken in Schulen und Instituten 9 Stunden des Tages schwitzen müssen – und dies mit dem Verlust ihrer Gesundheit und einer frohen Jugend bezahlen.

Angesichts der damaligen Schulverhältnisse könnte er sogar rechtgehabt haben. Wie froh Claras Jugend allerdings in dem Korsett war, das ihr Vater ihrem Tageslauf zugemessen hatte, bleibt eine andere Frage. Er jedenfalls hatte vor, eine Virtuosin zu erschaffen, und dafür mußte seiner Meinung nach

die ganze Erziehung von frühester Jugend an darauf angelegt sein.

Robert Schumann 1830

Robert Schumann 1830

Als Robert Schumann 1830 ins Wiecksche Haus einzog, erlebte er das mit eigenen Augen mit, sah, wie Wiecks Augenmerk allein Clara galt, diese bereits ihre Vormachtstellung auslebte, während die beiden Knaben vernachlässigt und von Wieck gröblichst mißhandelt wurden. Robert sah schlimme Szenen, die er in seinem Tagebuch wiedergibt und die Frage anschließt:

Bin ich unter Menschen?

Clara wurde mit elf Jahren in Partiturlesen und Instrumentierung unterrichtet, bekam Geigenunterricht und lernte bei Heinrich Dorn Kontrapunkt. Ihr Opus 1 entstand, 4 Polonaisen für Klavier. Mit 13 erhielt sie Unterricht in Gesang, in Harmonielehre, Komposition und Orchestrierung bei den besten Lehrern Sachsens.

Clara Wieck (12)

Clara Wieck (12)

Wieck ging regelmäßig ins Theater und in die Oper und nahm seine Tochter Clara mit. Sie lernte schon als kleines Kind die Bühnenwerke von Lessing, Goethe und Schiller und viele Opern kennen.

Aus den Eintragungen in Claras Tagebuch geht hervor, daß sie bereits mit 8 Jahren unter anderem Webers Oberon, Mozarts Zauberflöte und Cherubinis Wasserträger, mit 9 Jahren Spohrs Faust, mit 11 Jahren Beethovens Fidelio, drei Rossini-Opern sowie Opern von Hummel und Mozart sah und hörte.

Sie war noch nicht 9, als sie schon zu dem musikalischen Zirkel gehörte, der sich regelmäßig bei den Wiecks traf. Ein Besucher erinnerte sich Jahre später:

Wiecks Haus war immer noch der Sammelplatz von einheimischen wie fremden Musikern und Musikfreunden. Jeder Componist und Virtuos, der nach Leipzig kam, fand dort in Vormittags- oder Abendunterhaltungen die beste Gelegenheit, sich hören zu lassen und selbst Neues zu sehen… Die Seele des Ganzen war aber Vater Wieck, der, wenn er guter Laune war, vor Humor übersprudelte.

Fortsetzung folgt

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Elke
Elke
13 Jahre zuvor

Ein sehr bemerkenswertes Zeit- und Lebensbild anfangs des 19. Jahrhunderts hat uns Adelinde hier gezeichnet:

Das Vorbild der Mutter als selbstbewusster Künstlerin und der gebildete Vater und Lehrer Wieck als frühe Förderer der ersten uns bekannten Pianistin, was hätten sie bewirken können, wenn nicht der Knoten des Mutismus, der Sprechverweigerung, im Umgang mit der Musik, die sie ja schon im Alter von 5 genoss, vermutlich dann durch den Umgang mit den gemeinsam mit ihr unterrichteten Mädchen im Alter von 8 Jahren geplatzt wäre?!! Man darf annehmen, dass Friedrich Wieck intuitiv zu diesem letzten Mittel des gemeinsamen Unterrichtens Zuflucht genommen hat: Kinder sind eben im Umgang mit Kindern am ungehemmtesten.

Vielleicht waren es lautstarke elterliche Streitigkeiten, vor denen sich die kleine Klara abgeschottet hat, zumal sie ja ein besonders feinfühliges Gehör geerbt haben muss.

Was wir für uns aus diesem Lebensbericht für unsere Zeit lernen können, ist, dass unter der heutigen Disco-, Rockband- und Heavy Metal- „Kultur“ solche Schreckkonflikte, die das Sprachzentrum lähmen, häufiger entstehen können als in einer Zeit, da man Musik nur selber und in eigen gewünschter Lautstärke herstellen konnte.

Ich habe eine mutistische Förderschülerin, deren Vater in einer Rockband spielt. Die dort entstehenden Dezibelstärken gelten allgemein als gehörschädigend. Man muss sich nun nur vorstellen, dass die junge Frau während der Schwangerschaft ihren Mann bei Konzerten begleitet hat….

Schwangere Berufsmusikerinnen haben aus diesem Grund Anspruch auf verlängerten Mutterschutz. Plötzliche Paukenschläge und Trompetenstöße im Sinfonieorchester können traumatische Hörkonflikte/Schreckängste im Embryo erzeugen, die u. U. sogar das Gehirn seine weitere Entwicklung einstellen lassen. Der Tatsache, dass das embryonale Ohr bereits mit Ende des 4. Schwangerschaftsmonats voll ausgebildet ist und dass das Fruchtwasser den Schall von außen um das 4-fache verstärkt ans kindliche Ohr bringt, trägt aber auch diese gesundheitlich notwendige Sonderstellung nicht Rechnung.

D.h. wir müssen unter diesem Wissen verantwortungsbewusster mit Schall umgehen, als das viele junge Menschen wahrhaben wollen.

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