Feed für
Beiträge
Kommentare

Die Süddeutsche Zeitung brachte unlängst einen Bericht von Heribert Prantl unter der Überschrift:

Wann Holocaustleugnung legal ist

Sein Versuch, einen Justiz-Vorgang verständlich zu erklären, scheitert daran, daß er unentwegt mit Abscheubekundungen sein eigenes Urteil in den Vordergrund schiebt.

Es geht um einen 88-jährigen Deutschen aus Thüringen, der wegen Volksverhetzung gerichtlich belangt worden war, vor drei Instanzen mit seinem Anspruch auf freie Meinungsäußerung nicht durchkam, vom Bundesverfassungsgericht jedoch freigesprochen wurde.

Diesen Sachverhalt und das, was geschehen war, erklärt Simone Utler in Spiegel-Online sehr viel klarer unter der Überschrift:

Kneipengespräch über Kriegsschuld ist keine Volksverhetzung

Wir erfahren:

  • In der Kneipe läuft der Fernseher und bringt eine „Dokumentation über den Zweiten Weltkrieg“.
  • Der 1924 Geborene der Erlebnisgeneration macht seinem Ärger über die seiner Meinung nach fehlerhaften Darstellungen von Deutscher Kriegsschuld Luft.
  • Zwei Tage später bringt er dem Wirt Literatur zum Thema und spricht mit ihm unter 4 Augen darüber. In der Kneipe ist außer den beiden kein weiterer Mensch zugegen.
  • Der Wirt zieht mit der Literatur zur Polizei und zeigt den Mann an.

Simone Utler bezeichnet die Literatur, die sie sicher nicht selbst durchgesehen hat, als „Pamphlete“. Heribert Prantl nennt sie „braunes Zeug“. Weder den Spiegel- noch den Süddeutsche-Lesern wird der Inhalt referiert. Sie bekommen die fertige, zu übernehmende Beurteilung von vorn herein vorgesetzt. Das halte ich für eine Mißachtung der Leserschaft seitens der Zeitungen. Guter Journalismus sieht anders aus.

Lassen wir Prantl beiseite, der für den 88-Jährigen nur eine einzige Bezeichnung bereithält und in bald jedem 2., 3.  Satz immer wieder verwendet: Neonazi. Mit dieser Bezeichnung, die derzeit eines der schlimmsten Schimpfwörter ist, kann man im heutigen Deutschland einen Menschen öffentlich erledigen. Ist das noch vereinbar mit dem Grundgesetz, dessen allererster Satz lautet:

Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt –

und eines jeden Staatsbürgers der Bundesrepublik Deutschland?

Simone Utler erklärt die Begründung des Bundesverfassungsgerichtes

Sie schreibt:

Das BverfG in Karlsrhe entschied: Die in der Kneipe verkündeten Parolen (sic!) des Mannes sind als Meinungsäußerungen zu sehen und daher vom Grundgesetz Artikel 5 Absatz 1 Satz 1 geschützt. Auch sei in dem Fall nicht von einer Volksverhetzung auszugehen, da der Mann seine Schriften nur an einen Einzelnen weitergegeben habe – ohne Anhaltspunke für Weiterverbreitung.

Karlsruhe habe – so Utler – erklärt, daß unter den Schutz des Artikels 5 des Grundgesetzes Meinungsäußerungen fallen – gleich ob

sie sich als wahr oder unwahr erweisen, ob sie begründet oder grundlos, emotional oder rational sind, als wertvoll oder wertlos, gefährlich oder harmlos eingeschätzt werden.

Allein die sogenannte Leugnung des Holocaust sei nicht erlaubt. Denn – so die Karlsruher Richter – der Holocaust sei

eine geschichtlich erwiesene Tatsache, die eigentlich nicht dem Schutzbereich der Meinungsfreiheit unterfällt.

Den Tatbestand der Holocaust-Leugnung scheint man in einer der mitgebrachten Schriften darin als gegeben anzusehen, daß dort behauptet werde, wissenschaftlich erwiesen sei,

daß es keine Gaskammern für Menschen gegeben habe.

Doch um diesen Fragenkomplex ging es dem Mann aus Sicht des BVerfG nicht in erster Linie. Der Mann habe seine diesbezügliche Äußerung nur genutzt

als Teil eines „einleitenden Begründungsversuchs“ … zur Erklärung seiner kruden (sic!) Ansichten über die fehlende Kriegsschuld Deutschlands und die „Lügen der Nachkriegsgeneration“. Diese Grundthesen seien ihrerseits als wertende Äußerungen vom Schutzbereich der Meinungsfreiheit umfaßt, lautet das Fazit aus Karlsruhe. Die vorinstanzlichen Urteile hatten darauf abgezielt, daß der Mann den Holocaust geleugnet hatte.

So Simone Utler. Die Sprecherin des BVerfG Judith Blohm habe erläutert:

Das ist keine grundsätzliche Entscheidung zur sogenannten Holocaust-Lüge.

Denn, so Utler weiter:

Das BVerfG habe betont, weiterhin an der Entscheidung festzuhalten, daß die Leugnung des Holocaust nicht als Meinungsäußerung gilt.

Auf diesem Gebiet darf also weiterhin nicht offen geforscht, dürfen keine anderslautenden Ergebnisse veröffentlicht werden. Hier hat das BVerfG keine neuen Maßstäbe gesetzt. Zu den diesbezüglichen Denkverboten in Deutschland schrieb

Geoffrey Alderman am 30.10.2008 im Jewish Chronicle:

Es ist die Aufgabe der Historiker, zu prüfen, zu bestreiten und, falls nötig, das geschichtliche Wissen der Gesellschaft zu korrigieren. In diesem Verfahren sollte der Staat keine Rolle spielen, in keinster Weise.

Eigentlich eine Selbstverständlichkeit in einem republikanisch verfaßten Staat. Darüber haben sich renommierte Historiker längst ihre Gedanken gemacht und veröffentlicht.

So trafen sich Ende Oktober 2008 in der französischen Stadt Blois Historiker von Rang aus ganz Europa, darunter die Deutschen Jan Assmann, Heinrich August Winkler, Gerd Lüdemann, Aleida Assmann und viele andere und verfaßten ihren

Historiker-”Appell von Blois”

Darin heißt es:

Betroffen über die retrospektive Moralisierung der Geschichte und die intellektuelle Zensur, fordern wir die Mobilisierung der europäischen Historiker und appellieren an die Klugheit der Politiker.

Die Geschichte darf nicht Sklave der Aktualität sein noch unter dem Diktat konkurrierender Erinnerung geschrieben werden. In einem freien Staat steht es keiner politischen Autorität zu, die historische Wahrheit zu definieren und die Freiheit der Historiker unter der Androhung von Strafen einzuschränken.

Wir rufen alle Historiker auf, ihre Kräfte in ihren jeweiligen Ländern zu sammeln und unseren Strukturen vergleichbar aufzubauen. Jeder soll unverzüglich diesen Appell unterzeichnen, um die Pläne für Gesetze zum historischen Erinnern aufzuhalten.

Die verantwortlichen Politiker – die für den Erhalt der kollektiven Erinnerung eintreten – rufen wir dazu auf, sich bewusst zu machen, nicht durch das Gesetz und für die Vergangenheit staatliche Wahrheiten aufzustellen, deren juristische Anwendung schwerwiegende Folgen für die Historiker und die intellektuelle Freiheit im Allgemeinen haben.

Doch zurück zum Karlsruher Freispruch!

Dem Kneipengast ging es hauptsächlich um Fragen der Kriegsschuld, nicht so sehr um den Holocaust. Und:

Eine Volksverhetzung kann ein Mensch nur begehen, wenn seine Äußerung verbreitet wird (Blohm).

Die Karlsruher Richter erklärten:

Entscheidendes Kriterium, ob ein Verbreiten vorliegt, ist nach hergebrachtem Verständnis stets, daß eine Schrift einem größeren, nicht mehr kontrollierbaren Personenkreis zugänglich gemacht wird.

Karlsruhe setzt dem „Überdehnen“ Grenzen

und gibt endlich wieder etwas Raum dem freien Meinungsaustausch über „unsere jüngste Geschichte“:

Die Vorinstanzen hätten das Tatbestandsmerkmal „verbreiten“ ÜBERDEHNT.

Hier betrifft es das Anprangern in plakativer Draufsicht und das Zum-Schweigen-Bringen.

Auch die vormalige Präsidentin des Zentralrates der Juden in Deutschland Charlotte Knobloch

hat erkannt, daß in Deutschland etwas ÜBERDEHNT und damit in einer Wirksamkeit ins Gegenteil verkehrt wird: Die Schulkinder fühlten sich von den Schuldzuweisungen an das deutsche Volk nicht betroffen. Es sei falsch, den „Urenkeln“ gegenüber weiter in gleicher Weise wie bisher mit Schuldzuweisungen entgegenzutreten.

Sie hörten nicht mehr hin.

Es ist an der Zeit, auch in Deutschland zur Normalität zurückzufinden, zu einer Gelassenheit, die einer Demokratie angemessen ist.

image_pdfPDF erzeugenimage_printEintrag ausdrucken
Abonnieren
Benachrichtige mich bei
guest

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.

0 Comments
Inline Feedbacks
Lese alle Kommentare
0
Deine Gedanken interessieren mich, bitte teile diese mit!x