Beethoven und seine „unsterbliche Geliebte“
Mittwoch, 8. Juli 2009 von Adelinde
Beethoven bezeichnete sich selbst als Tondichter.
Daher fragen viele Beethoven-Forscher nach den Lebensumständen, die die jeweiligen Hintergründe seiner Tondichtungen waren. Namentlich ihr Bemühen, das Geheimnis um Beethovens „unsterbliche Geliebte“ zu enträtseln, hat sie zu immer neuen Vermutungen und gedanklichen Konstruktionen geführt. Das lange gewahrte Geheimnis ist jedoch seit 26 Jahren gelüftet. Die
Musikwissenschaftlerin Marie-Elisabeth Tellenbach
hat 1983 ihre diesbezüglichen Forschungsergebnisse in ihrem Werk Beethoven und seine „unsterbliche Geliebte“ Josephine Brunswick – Ihr Schicksal und der Einfluß auf Beethovens Werk niedergelegt.
Beethoven und diese geheimnisumwobene Frau haben sich selbst über ihre Liebesbeziehung weitgehend ausgeschwiegen.
Sollte man angesichts dieses bewunderungswürdigen Schweigens nicht die Ehrfurcht besitzen, es auch heute noch zu respektieren, und an die Frage nicht rühren?
fragt die Autorin mit Recht und antwortet sogleich selbst:
… es geht … nicht an, sich auf den Standpunkt zurückzuziehen: Wir wissen es nicht und wollen es nicht wissen. Denn wir überlassen damit Hypothesen das Feld, die schwere Schatten auf das Bild des Menschen Beethoven werfen und an seinem Werk Erklärbares unerklärt lassen.
All die abstrusen Deutungen, teils mit Eifer tiefenpsychologisch hergeleitet (Beethoven sei schwul gewesen, habe im Rotlicht verkehrt, habe seinem Neffen gegenüber pädophile Neigungen verspürt, habe an Syphilis gelitten, habe sich dauernd in irgendwelche adlige Damen verliebt, und die „Unsterliche Geliebte“ sei nur ein Traumbild gewesen), diese Deutungen, die m. E. mehr die Lebensart der Schreiber als die Beethovens enthüllen, zerfallen in nichts, wenn man der Beweisführung Tellenbachs folgt. Sie erkennt in Beethoven
eine Persönlichkeit, die auf dem Gebiet des Ethos und des Geistes an den Grenzen des Menschenmöglichen lebte … Und diese Persönlichkeit ist nicht von ihrem künstlerischen Werk zu trennen.
In Übereinstimmung u. a. mit dem langjährigen Leiter der musikwissenschaftlichen Abteilung des Deutschen Instituts in Rom Dr. Friedrich Lippmann folge ich in meinen Darlegungen hauptsächlich dem Werk Tellenbachs, weil es, wie Lippmann hervorhebt,
voller neuer, konkreter Ergebnisse (steckt,) die ein gründliches Studium der Dokumente sowie der Musik gezeitigt (hat,) ein Werk, das sich fesselnd (liest) und zugleich streng wissenschaftlich (ist).
Die Beweisführung Tellenbachs in einer kurzen Abhandlung in aller Tiefe nachzuvollziehen, ist nicht möglich – ich kann nur allen Musikliebenden empfehlen, dieses überzeugende Buch selbst zu lesen. Ich will hier darum nur ein paar Schlaglichter in Form von Texten und Musikbeispielen auf Beethovens leidvolles großes Sehnen werfen, das seiner tragischen, unerfüllten, bis an sein Lebensende nicht erloschenen großen Liebe zu Josephine von Brunswick entsprang und sein Werk mitprägte.
Josephine von Brunswick
wurde 1779 in Preßburg geboren als drittes Kind des Grafenpaares Brunswick. Mit ihrer älteren Schwester Therese und ihrer Mutter weilte sie im Mai 1799 in Wien. Therese schreibt in ihren Lebenserinnerungen:
Als wir jene merkwürdigen 18 Tage in Wien waren, wünschte meine Mutter, ihren zwei Töchtern Therese und Josephine den unschätzbaren Musikunterricht Beethoven’s zu verschaffen. Beethoven, wie Adalbert Rosti, ein Schulfreund meines Bruders, versicherte, würde nicht zu bewegen sein, der bloßen Einladung zu folgen; wenn aber Ihre Excellenz sich bequemen, die drei Treppen der engen Wendeltreppe am St. Petersplatz zu erklimmen, und ihm die Visite zu machen, so möchte er für den Erfolg bürgen. – Dieß geschah. Meine Sonate Beethoven’s mit Violine und Violoncello-Begleitung, wie ein Mädchen, das zur Schule geht, unter dem Arm, traten wir ein. Der unsterbliche, liebe Louis van Beethoven war sehr freundlich und so höflich, als er sein konnte. Nach einigen Phrasen de part et d’autre, setzte er mich an sein verstimmtes Piano und ich begann gleich damit, Violine und Violoncellobegleitung mit zu singen und spielte dabei recht brav. Dieß entzückte ihn so sehr, daß er versprach, täglich zu kommen, in das Hôtel zum Erzherzog Carl … Er kam fleißig, blieb aber statt einer Stunde von 12, bis oft 4 bis 5 Uhr, und wurde nicht müde, meine Finger, die ich empor zu strecken und flach zu halten gelehrt ward, nieder zu halten und zu biegen. Der Edle muß sehr zufrieden gewesen sein; denn durch 16 Tage blieb er nicht ein einzigsmal aus. Wir spürten bis 5 Uhr keinen Hunger … Damals ward mit Beethoven die innige, herzliche Freundschaft geschlossen, die bis an sein Lebensende dauerte. Er kam nach Ofen; er kam nach Martonvásár …
In der damals bestehenden Doppelmonarchie Österreich-Ungarn hieß der heutige Stadtteil von Budapest Buda noch Ofen. Dort besaß das ungarische Adelsgeschlecht derer von Brunswick ein Schloß und in Martonvàsàr einen Landsitz.
Bei dem Aufenthalt in Wien nun besuchten die 3 Damen Brunswick auch die Galerie Müller des Grafen Deym von Stritetz.
Dieser,
den ersten Familien der Monarchie
angehörend, 47 Jahre alt und noch unverheiratet, hielt bereits nach wenigen Tagen um die Hand Josephines an. Therese schreibt:
(er) sah die unvergleichliche Schönheit welche in Josephine gleichsam wie in der Knospe noch verborgen lag und entbrannte beim ersten Anblik von der heftigsten Leidenschaft.
Die Mutter hielt ihn für unermeßlich reich und bedrängte die Tochter, ihr Jawort zu geben. Josephine gab nach. Doch in ihren Aufzeichnungen kurz vor ihrem Tode 1821
bricht noch einmal die Schockwirkung dieses Erlebnisses hervor, das sie ihrer Mutter nie verziehen hat,
schreibt Tellenbach und zitiert Josephine:
Mit Feuereifer drang Deym auf Vollziehung der Vermählung mit unglaublicher Hast.
Und nach 6 Wochen fand sie denn auch statt. Als die Mutter bald darauf gewahr wurde, daß Deym sie getäuscht hatte und in finanziellen Schwierigkeiten steckte, wollte sie die Ehe rückgängig machen. Doch nun war Josephine dazu nicht mehr bereit. Sie erklärte, daß sie ihren Gatten
immer mehr liebe und schätze,
und aus Briefen ist zu entnehmen, daß die beiden eine recht gute Ehe führten. Aus ihr gingen 2 Töchter und 2 Söhne hervor. Im Januar 1804 starb Deym an einer Lungenentzündung. Erst nach seinem Tode gebar Josephine ihr viertes Kind.
Beethoven in diesen 4 1/2 Jahren
war
der standhafte Besucher der jungen Gräfin – unentgeltlich gab er ihr Unterricht. (Tellenbach)
Beethoven ist scharmant,
schreibt Josephine 1800 in ihrem Neujahrsbrief.
Er hat mir versprochen, daß er jeden dritten Tag kommen werde, um mir Stunde zu geben, wenn ich fleißig wäre. Und ich bin es wirklich.
Josephines Bruder bestätigt Ende des Jahres 1799:
Beethoven kommt jetzt fleißig zu Pepi und ist überhaupt sehr scharmant.
(Die Geschwister Brunswick nannten Josephine Pepi oder Pips.) Der Unterrichtserfolg der hochbegabten Schülerin stellte sich sehr bald ein, und schon Ende 1800 spielte Josephine in einem glänzenden Konzert
zu Ehren der Herzogin von Giovane
gemeinsam mit Beethoven
als einem wahren Engel
– wie sie schrieb – und anderen Musikern, wobei sie den Klavierpart der drei Violin-Sonaten op. 12 bestritt.
Die Herzogin war bezaubert und alles herrlich gelungen,
schwärmt Josephine. Therese notierte erfreut, man habe von Josephine gesprochen als
dieser göttlichen Gräfin Deym, der Meisterin des Klaviers und Herrin aller Herzen.
Sie muß auch Beethovens Geist aus seinen Kompositionen unmittelbar erspürt und zum Ausdruck gebracht haben, denn als er einmal wegen eines Katarrhs nicht zu ihr kommen konnte, schrieb er seinem Stellvertreter Zmeskall:
… was den Vortrag anbelangt …, so werden sie ihr nichts zu sagen brauchen …
Dieses Verstehen seiner Musik muß ihn zutiefst beglückt haben. Und Josephine bekannte ihm später:
noch ehe ich Sie kannte machte ihre Musick mich für Sie enthousiastisch.
Beethoven äußerte des öfteren seinen Vorsatz, sich von verheirateten Frauen innerlich fernzuhalten, um deren bestehende Ehe nicht zu gefährden. So schrieb er Josephine später:
Als ich zu ihnen kam – war ich in der festen Entschlossenheit, auch nicht einen Funken Liebe in mir keimen zu lassen.
Aus dieser Tatsache, einen festen Entschluß fassen zu müssen, geht hervor, wie berührt Beethoven von Anfang an von Josephine war. Therese schrieb, daß die junge Frau in jenen Jahren strahlte,
in allem Glanz der Jugend und Schönheit, mit Geist, Witz und Verstand.
Und:
Nie wird Josephine gewöhnlich wirken, obgleich sie sich zwanglos und lässig benimmt. Sie ist immer hübsch, anmutig und vornehm …
Nach dem Tode Deyms änderte sich Beethovens Lage.
Nun erscheint das Wort Hoffnung
oft und an gewichtiger Stelle,
schreibt Tellenbach. Zu Neujahr 1805 vertonte er für Josephine das Gedicht Tiedges, das er selbst mit der Überschrift „An die Hoffnung“ versah und in dem es heißt:
O Hoffnung! laß, durch dich emporgehoben, den Dulder ahnen, daß dort oben ein Engel seine Tränen zählt!
Nach dem Trauerjahr und nachdem sich Josephine von einem „Nervenfieber“ erholt hatte, kam Beethoven fast täglich zum Unterricht zu ihr in das kleine Landhaus in Hietzing nahe dem Schönbrunner Schloß.
Unsere kleinen Musiken haben endlich wieder angefangen,
schreibt die jüngere Schwester Charlotte von Brunswick, die Josephine Gesellschaft leistete, am 19. Dezember 1804 an Therese,
Pepi spielte vortrefflich Klavier; … Beethoven kommt sehr häufig, er unterrichtet Pepi. Das ist etwas gefährlich, gestehe ich dir.
Zwei Tage später schreibt sie an ihren Bruder Franz:
Beethoven ist fast täglich bei uns, gibt Pipschen Unterricht – du verstehst mich, mein Herz!
Und Therese antwortet:
Aber sage mir, Pepi und Beethoven, was soll daraus werden?
Beethoven indes begann im Jahr 1804 intensiver als zuvor an seiner Oper Leonore zu arbeiten, später Fidelio genannt. Noch fast 20 Jahre später zeigte er seinem Helfer Schindler
im Schönbrunner Hofgarten auf der Anhöhe zur linken Seite der Gloriette eine sich knapp über dem Boden teilende Eiche, in deren Gabelung sitzend er 1805 an der „Leonore“ geschrieben hatte.
Im Aufblühen der Beziehung zwischen Beethoven und Josephine und dem Schaffen an der Oper Leonore erkennt Tellenbach ein
biografisches und historisches Band.
Die große Arie der Leonore ist Ausdruck seiner eigenen Seele:
Komm, Hoffnung, laß den letzten Stern der Müden nicht erbleichen! Komm, o komm, erhell ihr Ziel, sei’s noch so fern, die Liebe, die Liebe wird’s erreichen.
Und in einem seiner Briefe an Josephine schreibt er – auch in Anbetracht seiner Schwerhörigkeit:
Ein Ereigniß machte mich lange Zeit an aller Glückseeligkeit des Lebens hienieden zweiflen – nun ist es nicht halb mehr so arg, ich habe ihr Herz gewonnen, o ich weiß es gewiß, welchen Werth ich drauf zu legen habe, meine Thätigkeit wird sich wieder Vermehren, und – hier verspreche ich es ihnen hoch und theuer, in kurzer Zeit werde ich meiner und ihrer Würdiger da stehn …
Auch er selbst hofft, durch die Liebe seiner Leonore, Josephine nämlich, wie Florestan aus dem Kerker – seiner Einsamkeit – befreit zu werden.
Sein Schaffen nimmt mächtigen Aufschwung,
es entstehen neben der Oper die glanzvollen, herrlichen Werke wie die Waldstein-Sonate, die heitere F-Dur Sonate op. 54, die Appassionata, die 4. Symphonie, das Klavierkonzert Nr. 4, die Rasumowsky-Quartette, das Violinkonzert!
Durch den biographischen Hintergrund wird die Ungebrochenheit als Merkmal dieser Stilperiode erklärlich,
schreibt Tellenbach.
Nur dadurch, daß Josephine Witwe wurde und Beethovens Liebe erwiderte, konnte sie ihre ganz einzigartige Stellung in seinem Leben einnehmen,
fährt Tellenbach fort. Und sie führt Fürst Lichnowsky an, den Freund und Förderer Beethovens, der
einst Charakterzüge an Josephine wahrnahm, die sie ihm als die geeignete Gefährtin eines Beethoven erscheinen ließen.
In einem seiner 13 gefundenen Briefe an Josephine bringt Beethoven seine Hoffnung zum Ausdruck:
Lange – Lange – Dauer – möge unsrer Liebe werden – sie ist so edel – so sehr auf wechselseitige Achtung und Freundschaft gegründet – selbst die große Ähnlichkeit in so manchen sachen, im Denken und empfinden – o sie laßen mich hoffen, daß ihr Herz lange – für mich schlagen werde – das meinige kann nur – aufhören – für sie zu schlagen – wenn – es gar nicht mehr schlägt – geliebte J….
Beethoven schrieb das Andante favori WoO 57,
zu dem Tellenbach berichtet:
Er hatte das Andante … bekanntlich als 2. Satz der Waldstein-Sonate komponiert. Dann aber löste er es aus dem Zusammenhang und schickte es Josephine mit den Worten „hier – Ihr – Ihr – Andante“.
Was ihm dieses Andante favori bedeutete, geht nicht nur aus dem Wort favori hervor, sondern auch aus seiner Reaktion auf einen Scherz damit:
Beethovens Schüler Ferdinand Ries
hatte es nach bloßem Hören dem Fürsten Lichnowsky beigebracht. Dieser nun machte sich besagten Scherz, indem er Beethoven sagte, er habe etwas komponiert, was nicht schlecht sei, und begann, ihm das von Ries aus dem Gedächtnis aufgeschriebene Andante favori vorzuspielen. Ries berichtet:
Beethoven wurde hierüber sehr aufgebracht, und diese Veranlassung war schuld, daß ich Beethoven nie mehr spielen hörte. Denn er wollte nie mehr in meiner Gegenwart spielen und begehrte mehrmals, daß ich bei seinem Spiel das Zimmer verlassen sollte.
Das Heiligtum seiner Seele war angetastet worden.
Im Gegensatz zu den meisten Werken Beethovens ist das Andante favori niemandem gewidmet, wie alle Werke Beethovens keine Widmung aufweisen, für die man eine enge Verknüpftheit mit dem gemeinsamen Schicksal der beiden nachweisen kann.
Die Widmungen der Werke an hochgestellte und reiche Persönlichkeiten verschaffte Förderung der Werke und war lebenswichtig für einen Komponisten. Ein Werk niemandem zu widmen, mußte Gründe haben. Werke ohne ausdrückliche Widmung können als in Wirklichkeit Josephine gewidmet angesehen werden, deren Namen es zu verschweigen galt.
Schon
1807 wendete sich das Schicksal der beiden ins Tragische.
Beethoven und Josephine sahen sich genötigt, sich voneinander zu trennen. Was war der Grund zur Trennung? Das zu verstehen, fällt uns Heutigen schwer: Josephine wurde von ihrer Familie gedrängt, als Angehörige des Adels ihre Verbindung mit dem Musiker aus bürgerlichem Stande aufzugeben!
Im selben Jahr 1807 komponierte Beethoven die Coriolan-Ouverture. Beim Hören dieser Musik könnte man darüber nachsinnen, ob man eine solche Musik schaffen kann, ohne selbst im eigenen Leben tiefstes Leid zu durchleben. Coriolan endet bekanntlich im Selbstmord.
Mein Herz haben Sie schon längst, lieber Beethoven,
hatte Josephine 1805 geschrieben und zugleich um Verschwiegenheit gebeten,
den größten Beweis meiner Liebe – meiner Achtung empfangen Sie durch dieß Geständnis, durch das Vertrauen!
Beethoven hat es nie gebrochen, er hat geschwiegen, obwohl sein gewaltiges Leid des Verzichts dadurch noch vergrößert wurde. Josephine selbst war in ihrem Standesbewußtsein befangen und damit ganz ihrer Zeit verhaftet. Sie wünschte, daß ihre Kinder als Aristokraten aufwuchsen und erzogen wurden.
Ich müßte heilige Bande verletzen, gäbe ich Ihrem Verlangen Gehör – glauben Sie – daß ich, durch Erfüllung meiner Pflichten, am meisten leide – und daß gewiß edle Beweggründe meine Handlungen leiteten,
schrieb sie ihm. Zwar hatte die Französische Revolution stattgefunden, die Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit und damit die Abschaffung des Adelsstandes erstrebte, aber sie hatte diese Ziele nicht erreicht. Bedenken wir:
Der junge Mozart hatte bei Hofe noch mit der Dienerschaft zusammen essen müssen. Die Bresche, die Beethoven durch seine Persönlichkeit für die Späteren schlug, genügte tragischerweise noch nicht, ihm selbst die Ehe im höheren Adel zu ermöglichen (Tellenbach).
Wir wollen aber andererseits nicht verschweigen, daß es böhmische Adlige waren, die Fürsten Lobkowitz und Lichnowski, die gemeinsam mit dem Erzherzog Rudolf von Habsburg
Beethoven durch die Gewährung eines „lebenslangen Gehalts“ einen finanziellen Freiraum verschafften, den vor ihm kein Künstler in dieser großzügigen und vorbehaltlosen Art erhielt. (Tellenbach)
1809, als Beethoven erwog, nach England zu gehen, unterzeichneten die drei einen entsprechenden Vertrag, Beethoven erhielt von ihnen jährlich 4000 Gulden, was sie auch in der Zeit des Staatsbankrotts des kaiserlichen Österreich 1811 durchhielten, und Beethoven blieb in Wien.
Beethoven ließ sich aber nicht kaufen. Nicht nur, daß er seine Gönner immer mal wieder wenig schmeichelhaft kennzeichnete wie „Lobkowitz’scher Esel“ oder „Seine Durchlaucht, die zwar meistens mit dem Verstande abwesend“, sondern nach einer beleidigenden Behandlung durch den Fürsten Lichnowsky schleuderte er diesem sogar stolz die Worte entgegen:
Fürst! Was Sie sind, sind Sie durch Zufall und Geburt. Was ich bin, bin ich durch mich. Fürsten hat es und wird es noch Tausende geben. Beethoven gibt’s nur einen.
Aber diese republikanische Gesinnung fand im Adel zu Beethovens Zeit noch keine Gegenliebe.
Jede Leidenschaft muß schweigen,
notiert Josephine in ihrem Tagebuch 1810,
jede Schwäche ausgerottet werden. Sie müssen alle in Ketten zu unseren Füßen liegen und schweigen … Gänzliche Verzichtleistung seiner Selbstheit … strenge Urtheile über sich selbst ohne Nachsicht.
Hier eifert sie der von ihr verehrten Römerin Arria nach, die sich durch Seelengröße und Standhaftigkeit auszeichnete. Aus Liebe zu ihrem zum Tode verurteilten Gatten erstach sie sich selbst mit dem Dolch. Josephine versuchte ihr Selbst zu erdolchen um der aristokratischen Erziehung ihrer Kinder willen.
Ich liebe Sie unaussprechlich – wie ein frommer Geist den andern – Sind Sie dieses Bündnisses nicht fähig? Anderer Liebe bin ich nicht für jetzo nicht empfänglich,
schreibt sie Beethoven und an anderer Stelle:
Meine ohnedieß für Sie enthousiastische Seele, noch ehe ich Sie persönlich kannte – erhielt durch Ihre Zuneigung Nahrung. Ein Gefühl, das tief in meiner Seele liegt und keines Ausdrucks fähig ist, machte mich Sie lieben; … die Güte ihres Charakters, ihre Zuneigung vermehrte es – dieser Vorzug, den Sie mir gewährten, das Vergnügen Ihres Umgangs, hätte der schönste Schmuck meines Lebens seyn können …
Josephine wünschte die sogenannte platonische Liebe zu Beethoven.
Ein unerträglich unklarer Zustand entwickelte sich.
Liebe J. da ich beinahe fürchten muß, daß sie sich von mir gar nicht mehr finden laßen – und ich mich den Abweisungen ihres Bedienten nicht mehr unterziehen mag – so kann ich wohl nicht anders mehr zu ihnen kommen – als Wenn sie mir hierüber ihre Mejnung offenbaren – ist es wircklich an dem – daß sie mich nicht mehr sehen wollen – so – gebrauchen sie Offenherzigkeit – ich Verdiene sie gewiß um Sie – als ich mich von ihnen entfernte, glaubte ich, dieses zu müßen, da es mir vorkam, als wünschten Sie dieses – obschon ich nicht wenig gelitten hierdurch –, so bemeisterte ich mich meiner doch – doch kamm es mir später wieder vor als – irrte ich mich in ihnen …,
schreibt Beethoven ihr. Diese Qualen konnte er nur dadurch mildern, daß er Josephine gar nicht mehr sah.
Wie wehe tut mir’s, sie nicht sehen zu können – doch besser ist’s für ihre, für meine Ruhe, sie nicht zu sehen.
Er schreibt die Cello-Sonate op. 69. Wer die Johannes-Passion von Johann Sebastian Bach kennt, kann das Motiv der Arie „Es ist vollbracht“ heraushören. Beethoven hat zur Widmung der Cello-Sonate vermerkt:
Inter Lacrimas et Luctum,
zu Deutsch:
Unter Tränen und Trauer,
und auch das Andante-favori-Motiv – hier schmerzverzerrt – ist herauszuhören.
Doch hoffe ich noch,
hatte Beethoven Josephine noch mitgeteilt. Sie aber brachte
das fürchterlichste Opfer ihres Lebens
für ihre Kinder: Sie heiratete 1810 einen Schüler des von ihr hochverehrten Pädagogen Pestalozzi, den baltischen Freiherrn Christoph von Stackelberg, den sie als Erzieher ihrer Kinder ausersehen hatte, der diese Aufgabe aber nur als Ehemann Josephines übernehmen wollte.
Die Ehe war von Anfang an unglücklich, der großsprecherische, pedantische, erpresserische Stackelberg entpuppte sich als zur Erziehung der Kinder völlig ungeeignet, legte Josephines Denken und Handeln nach seinen Maßstäben aus, brachte ihr Vermögen an sich und machte sich aus dem Staube, nachdem dieser elenden Ehe 2 Töchter entsprungen waren.
Wir waren immer Träumerinnen,
erinnert sich Therese später,
… im psychischen im außerweltlich Höheren lebend – wie könt es uns auf dieser, in dieser Welt, die wir nicht geachtet, gut gehen? Geldverhältnisse? Das Ideale riß uns hin, wir folgten gerne – wir glaubten, hofften, liebten! …
Josephine büßte ihre Fehlwahl mit völliger Verarmung.
Mit der Heirat seiner Geliebten 1810
beginnt eine neue (Schaffensperiode Beethovens), welche mit der vorhergehenden verglichen, eine auffallende Abnahme der Produktivität des Komponisten zeigt,
stellt der amerikanische Beethoven-Forscher Thayer fest.
Es war mit dem Manne eine Veränderung vorgegangen, zu groß und zu plötzlich, um dem gewöhnlichen Einflusse der vorgerückten Jahre zugeschrieben werden zu können … Die plötzliche Unterbrechung seines Triumphzuges als Komponist …
wundert sich Thayer. Im 3. Satzes des Streichquartetts op. 95 f-Moll, hören wir wieder das Motiv aus dem Andante favori, das in F-Dur gesetzt ist. Was ist daraus geworden im Allegro assai vivace ma serioso, f-Moll statt F-Dur und „serioso“!
Doch was geschah 2 Jahre später mit Beethoven 1812?
Er komponierte die heitere, freudig-erregte 8. Symphonie und die Violin-Sonate op. 96, die im 1. Satz ein kleines Gespräch wiederzugeben scheint und in den weiteren Sätzen große Ruhe verströmt:
Unverhofft sehen sich Josephine und Beethoven im Juli 1812 in Prag wieder. Beide wollen von dort weiter in die böhmischen Badeorte, Beethoven nach Teplitz, Josephine nach Karlsbad, wahrscheinlich dann weiter nach Franzensbad, wo sie zwar in keiner Gästeliste erscheint – Adlige waren damals nicht gezwungen, sich einzutragen -, wo aber der Name ihrer Familie aus Vorjahren mehrmals in Gästelisten des aufstrebenden Badeortes zu finden ist. Aus Teplitz, wo die berühmte Begegnung Beethovens mit Goethe stattfand, schreibt Goethe:
Es ist Herr v. Beethoven für einige Tage von hier nach Karlsbad gegangen.
Beethoven blieb aber nicht nur einige Tage, sondern 1 ½ Monate fort und ist in einer Gästeliste in Franzensbad für 1 Monat eingetragen. Auch ein Brief von ihm an den Verlag Breitkopf und Härtel vom 9. August 1812 ist aus Franzensbad abgesendet. So läßt sich der 3teilige große Brief Beethovens vom 6. und 7. Juli an seine „unsterbliche Geliebte“ sehr gut in das Jahr 1812 einordnen.
Josephines Ehe mit Stackelberg ist zerrüttet, Stackelberg befindet sich seit Monaten in seiner Heimat Estland. Und
9 Monate später,
am 8. April 1813 bringt Josephine ein kleines Mädchen zur Welt. Sie hatte es schon 2 Monate nach der Empfängnis ihrer Schwester Therese überantwortet. Therese von Brunswick
schreibt:
Josephines Kind will ich nicht als das meinige ansehn, sondern es für seine Eltern mit der größten Verleugnung und wie es Pflicht ist, erziehen…
Und über die Geburt der Kleinen berichtet sie:
Nach Angabe der vorsichtigen und mutigen Mutter löste ich es, zog es an. Von dem Augenblick gehörte das liebliche Engelchen mein, und anderthalb Jahre kannte es Niemanden außer mich. Wir mietheten eine Ziege, welche mit Tagesanbruch in mein Zimmer gebracht wurde, wo das Kindchen an meiner Seite schlief; es wurde bedient und genährt durch mich … Den achten Tag war die Taufe im Zimmer der Mutter, und der Dominikaner-Mönch hatte Mühe, die Namen herzusagen, die wir in unserer Zärtlichkeit ihm beilegten: Maria, Theresia, Selma, Arria, Cornelia, Minona. Ich war Taufmutter, und das Kind wurde mir förmlich geschenkt.
Die Namen hatten beziehungsreiche Bedeutungen: Der Rufname Minona rückwärts gelesen ergibt Anonim.
Die Tochter des größten lebenden Musikers sollte in Anonymität aufwachsen,
bemerkt Tellenbach dazu. Der Name kommt aber auch in Goethes Werther vor. Dort ist die Rede von Minona als Tochter eines keltischen Sängers, und es heißt dort:
Alpin, lieblicher Sänger! und die sanftklagende Minona! – Wie verändert seid ihr, meine Freunde, seit den festlichen Tagen auf Selma, da wir buhlten um die Ehre des Gesanges …
Mit dem Namen Selma weist Josephine ausdrücklich auf diese Textstelle hin. Damals sprach man in gebildeten Kreisen gern in antiken Bildern, um eigene Lebensverhältnisse verschlüsselt darzustellen.
Cornelia, die ideale Mutter der Antike, war Josephines Vorbild, als sie um ihrer Kinder willen auf eigenes Lebensglück verzichtete.
Die Namen der „Taufmutter“ Therese waren in Wirklichkeit Maria Theresia. Auch diese Namen sollte die Kleine erhalten.
Der starken Römerin Arria, die sich selbst erdolchte, strebte Josephine nach, als sie versuchte, sich selbst und ihr Sehnen zu verleugnen und auf die Gemeinschaft mit dem Geliebten zu verzichten, womit sie sich und ihn ins Unglück und in unendliches Leid stürzte.
Aus der Sicht der kurzen glücklichen Zeit in Böhmen ist die Klavier-Sonate op. 90 zu verstehen, deren erster Satz überschrieben ist:
Nicht zu geschwind und sehr singbar vorgetragen!
In seinem Exemplar der Odyssee von Homer hat Beethoven die Worte Telemachs angestrichen:
Meine Mutter, die sagt es, er sei mein Vater; ich selber weiß es nicht, denn von selbst weiß niemand, wer ihn gezeugt.
Nun nach der Geburt Minonas, dem Zeugnis ihres außerehelichen Verhältnisses, galt es erst recht zu schweigen. Nach damaliger Sitte hätte Stackelberg Beethoven zum Duell herausfordern müssen. Beide Männer wären gesellschaftlich erledigt gewesen, wäre der „Sündenfall“ ans Tageslicht gekommen. Stackelberg reiste nach kurzem Aufenthalt in Wien wieder ab.
Zeitgenossen fiel in jenem Jahr 1813 Beethovens heruntergekommener äußerer Zustand auf. Er, der stets gut Gekleidete, wurde in abgerissenem Zeug angetroffen und lieh beträchtliche Geldsummen, obwohl er über gute Einkünfte verfügte.
Thayer hat einmal Ein- und Ausgaben des Jahres 1813 gegeneinander aufgerechnet. Ihm bleibt schleierhaft, wozu Beethoven das viele Geld brauchte. Der Gedanke, daß er Josephine bis zum Äußersten seiner Möglichkeiten beigesprungen ist, konnte Thayer zu seiner Zeit noch nicht kommen, ihm fehlten noch manche erst später entdeckten Papiere. Doch liegt der Gedanke nahe:
Beethoven erkundigt sich nämlich am Tage der Geburt seiner Tochter auch nach den Möglichkeiten, in Graz eine Akademie zu geben, um zu Geldmitteln zu kommen,
… denn leider wird Wien nicht mehr mein Aufenthalt sein können; vielleicht ist es jetzt schon zu spät,
schreibt er. In einem anderen Brief heißt es:
… nicht wissen kann ich, ob ich nicht bald als Landesflüchtiger von hier fort muß …
Zu damaliger Zeit machte sich der Vater eines außerehelichen Kindes strafbar.
Im Mai 1814 kehrte Stackelberg zurück,
um Josephine mit ihren Kindern nach Estland zu holen. Da sie sich weigerte mitzukommen, wendete er sich an die Polizei. Diese erschien prompt mit 6 Mann,
und die lieben Kleinen wurden ohne Abschied, der Reisewagen vor dem Thor, mit ihrer Gouvernante, die Josephine ihnen gegeben hatte uns entführt!!
berichtet Therese. Neben seinen eigenen beiden kleinen Töchtern nahm er auch Minona mit.
Beethoven dagegen hatte Weltruhm erlangt.
Während des Wiener Kongresses wird seine Oper Fidelio aufgeführt,
und bei der Akademie im großen Redoutensaal … waren die Kaiserinnen von Österreich und Rußland, der König von Preußen und andere „höchste Herrschaften“ anwesend.
In den Gemächern des Erzherzogs Rudolph und in dem großartigen Palais des Grafen Rasumowsky machten die Fürsten Europas „ihm die Cour“. Gerade während Josephine diffamiert in Elend und Verborgenheit lebte, wurde Beethoven ein Grad öffentlicher Hochschätzung zuteil, der ihm wohl erlaubt hätte, eine Brunswick zu heiraten. Welche Ironie! (Tellenbach)
Von Fluchtplänen ist seit dem Sommer 1813 zwar keine Rede mehr, aber Beethoven wechselte seine Wohnungen in einer Häufigkeit, die es schwer werden ließ, ihn aufzufinden. An Franz von Brunswick schreibt er:
Was mich angeht, ja du lieber Himmel, mein Reich ist in der Luft, wie der Wind oft, so wirbeln die Töne, so oft wirbelts auch in der Seele …
Und in sein Tagebuch schreibt er:
Ergebenheit, innigste Ergebenheit in dein Schicksal! Nur diese kann dir die Opfer zu dem Dienstgeschäft geben. O harter Kampf! … Du darfst nicht Mensch sein, für dich nicht, nur für andere: für dich gibt’s kein Glück mehr als, in dir selbst, in deiner Kunst. O Gott! gib mir die Kraft, mich zu besiegen! Mich darf ja nichts an das Leben fesseln. Auf diese Art mit A/J geht alles zugrunde.
Dennoch war Beethovens Hoffnung noch nicht ganz gesunken. Er schreibt seine Lieder An die Hoffnung und An die ferne Geliebte, in denen wir das Andante-favori-Motiv wiederfinden.
Bis zum Sommer 1816 müssen Josephine und Beethoven einander in Baden bei Wien und in Döbling noch getroffen haben, das läßt sich aus einigen Quellen erschließen.
Ein großes Glück für die Nachwelt stellt das
Tagebuch der Fanny Giannatasio
dar. Sie war die Tochter des Leiters eines Erziehungsinstituts in Wien, in dem Beethovens Neffe aufgenommen wurde, dessen Fürsorge Beethoven übernommen hatte. Fanny – Beethoven in nichterwiderter Liebe zugetan – gibt in ihrem Tagebuch Aussagen Beethovens und ihre Eindrücke von seinem Befinden wieder. So lesen wir aus dem Jahr 1816, was sie bei einem Gespräch Beethovens mit ihrem Vater mitgehört hatte:
Ich erfuhr, … er liebe unglücklich! … er (hatte) eine Person kennengelernt, mit welcher sich näher zu verbinden er für das höchste Glück seines Lebens gehalten hätte. Es sei nicht daran zu denken, fast eine Unmöglichkeit, eine Chimäre.
Wörtlich gibt sie Beethovens weitere Äußerung wieder:
Dennoch ist es jetzt wie am ersten Tag. Ich hab’s noch nicht aus dem Gemüth bringen können.
Sehr wahrscheinlich ist, daß er auf jeden Fall den
Sommer 1816 in Baden bei Wien mit Josephine
verbracht hat. Auch seine äußere Erscheinung wird nun wieder von einem Zeitgenossen hervorgehoben:
Beethoven war nicht wie Jean Paul in Lumpen gehüllt, sondern ganz in Gala…
Doch nach diesem Sommer scheint die Trennung endgültig gewesen zu sein. Beethoven hat in seinem Exemplar von Goethes Westöstlichem Divan die Verse angestrichen:
Wenig Blätter Freuden,
Ganze Hefte Leiden;
Einen Abschnitt macht die Trennung,
Wiedersehn! ein klein Kapitel,
Fragmentarisch. Bände Kummers,
Mit Erklärungen verlängert,
Endlos, ohne Maß …
Beethoven notiert ein Zitat des Plinius, allerdings in seinem Sinne etwas abgewandelt: „Vidi malum et accepi.“ Zu Deutsch: Ich habe das Unglück begriffen und auf mich genommen. Übereinstimmend sprechen Zeitgenossen vom Ausdruck unendlicher Trauer in Beethovens Augen.
Lisch aus
ist das Lied, das dem entspricht. Josephine geht an ihrer Schwermut zugrunde.
Der Körper nämlich ist nur mitleidend,
schreibt sie ihrem Arzt.
Die Seele leidet unerträglichen Schmerz…
Bis zu ihrem Lebensende entwirft sie tiefgründige Briefe an Beethoven, in denen wir erkennen können, daß sie Kants Kritik der reinen Vernunft gelesen hat. Ob Beethoven die Briefe je erhalten hat, wissen wir nicht. Therese schreibt in ihr Tagebuch:
Ob Josephine nicht Straffe leidet wegen Luigis Weh! Seine Gattin – was hätte sie nicht aus dem Heros gemacht!
Am 31. März 1821 stirbt Josephine im Alter von 42 Jahren. Sie wird auf dem Währinger Friedhof begraben.
Kein Gedenkstein bezeichnet ihr Grab, keine Inschrift sollte der Nachwelt auch nur schlichte und knappe Kunde von ihrer Existenz überliefern,
schreibt Tellenbach. Denn auch ihre Familie hatte sich von Josephine abgewandt. Hören Sie das Adagio ma non troppo aus der Klavier-Sonate – ohne Widmung! – op.110, komponiert in Josephines Todesjahr 1821!
Beethovens letzte, die 3. Schaffensperiode nimmt ihren Anfang 1818, nachdem er seine schwere Krise nach der endgültigen Trennung von Josephine überwunden hat und seine Schwerhörigkeit in völlige Ertaubung übergegangen ist.
Beethoven schreibt die Missa solemnis, die 9. Symphonie mit Schillers Ode an die Freude, die großen Klavier-Sonaten op. 106, genannt Hammerklavier, op.109, 110, 111 und die großen späten Streichquartette.
Genau 6 Jahre nach Josephine, am 26. März 1827, stirbt Beethoven 56jährig,
und Breuning und Schindler wählen für seine Grabstätte den Platz auf dem Währinger Friedhof,
wo er stets gern weilte,
wie Breuning sagte, nämlich an Josephines Grab.
Therese hatte Josephines Söhne beauftragt, die Papiere ihrer Mutter in einer
schönen Kiste oder Chatouille (zu verwahren.) Es sind Schätze für die Zukunft, der Menschheit angehörig,
schrieb sie ihnen. Unter diesen Schätzen befanden sich die erwähnten 13 Briefe Beethovens an Josephine, die 1957, also 150 Jahre nach ihrem Entstehen, erstmalig der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wurden.
Aber erst Marie-Elisabeth Tellenbach, hochgebildet und gewissenhaft, dabei empfindsam für die Gemütstiefe und Seelengröße Beethovens, konnte das Lebensbild dieses hervorragenden Menschen und Genies ins rechte Licht rücken.
Therese von Brunswick schreibt rückblickend:
Beethoven! ist doch wie ein Traum, daß er der Freund, der Vertraute unseres Hauses war – ein herrlicher Geist! warum nahm ihn meine Schwester Josephine nicht zu ihrem Gemahl … Josephines Herzensfreund! Sie waren für einander geboren …
Eine herrlich wie fraulich anmutige Sichtweise, ein Wunschbild, wie es jede feine Seele wohl gut nachempfinden und zu wünschen vermag. Tellenbachs Beurteilung hat sicher einen in vielerlei Hinsicht vertretbaren Hintergrund. Doch in der Wirklichkeit führt das tiefenpsychologisch gleich mehrfach begründete Scheitern der Beziehung zur eigentlichen Tragik. Ich kann hier nicht alle Gründe aufzählen, die diskutiert werden. Einer dieser Gründe ist aber: L. v. B. war mit seiner Kunst verheiratet, und wie jede Ehe hieß das auch für ihn – in seiner Rolle als Künstler – große Opfer bringen. Seine eigenen Worte, die Tellenbach zitiert, beweisen das: „Ergebenheit, innigste Ergebenheit in dein Schicksal [als Komponist und Musiker]! Nur diese kann dir die Opfer zu dem Dienstgeschäft [an der Menschheit] geben. O harter Kampf! … Du darfst nicht Mensch sein, für dich nicht, nur für andere: für dich gibt’s kein Glück mehr als, in dir selbst, in deiner Kunst. O Gott! gib mir die Kraft, mich [in meinen allzumenschlichen Gefühlen] zu besiegen! Mich darf ja nichts an das Leben fesseln. Auf diese Art mit A/J geht alles zugrunde.“ [….]Klammereinfügungen sind Ergänzungen von mir.
Aus diesen Zeilen, die wie ein Gebet klingen, wird ersichtlich, dass für Beethoven die selbst erkannte Genialität in Sachen Musik den Vorrang hatte, die er nicht zugunsten einer durchaus emotional starken Empfindung zu Josephine herzugeben bereit sein konnte. Weil das Genie die „Behinderung des Künstlers im Alltagsleben“ in einer weltlich-ehelichen Bindung erkannte, übte er harten Verzicht. Dieser Verzicht auf die dauernd „fern bleibende Geliebte“) ist sicher dann auch aus diesem tieferen Grund für ihn eine schwere seelische Last. Ausdruck dieser Last fand dann – wie Tellenbach das einfühlsam berichtet – in seiner Muisk aus der Zeit der Nähe zu Josephine. Mehr als auf platonische, rein geistige und seelische Liebe – wenn auch mit leiblichen Folgen (Minona?) – konnte es bei Beethoven nicht herauslaufen. Weitere Gründe mögen daneben ein Rolle gespielt haben, aber darauf geht Tellenbach nicht ein.
Es wäre schön, liebe Adelinde, wenn Du in Deinem gelungenen Aufsatz die zitierten Musikstücke ausschnittweise technisch mit einer Wiedergabemöglichkeit einbauen könntest. Das macht gerade die dadurch zum Ausdruck kommenden Gefühlswelt des/der Liebenden sichtbar. Das Sehnen und Lieben kann kaum besser als durch Musik ausgedrückt werden – und Deine Leser könnten
mitempfinden.
Also, sehr geehrte Frau B.,
der Aufsatz ist wieder einmal hervorragend und interessant sowieso.
Mit wirklicher Kultur gegen Degeneration, Desinformation und Zersetzung! Sie machen es vor! Bitte weiter so!
Ergänzend zu dem Artikel über „Beethoven und seine Unsterbliche Geliebte Josephine Brunswick“ lasse ich wissen, dass ich 1996 eine Doppel-CD (DDD 456103/4 RBM Musikproduktion Bietigheim-Bissingen) mit Sonaten / Andante favori WoO 57 und ausgesuchten Liedern produziert habe, um dem Buch von Frau Tellenbach eine „musikalische“ Ergänzung zu geben.
[…] Wörtlich gibt sie Beethovens weitere Äußerung wieder: Dennoch ist es jetzt wie am ersten Tag. Ich hab’s noch nicht aus dem Gemüth bringen können. […]
Liebe Frau „Adelinde!,
vielleicht wissen Sie es noch nicht: Grundlegende neue Funde im Hinblick auf das Leben von Josephine Brunswick und ihre Beziehung zu Beethoven hat die kanadisch-österreichische Musikforscherin Rita Steblin veröffentlich, die seit Jahren in den einschlägigen Archiven (u.a. in Ungarn und der Slowakei) forscht. Hier finden Sie eine erste Zusammenfassung ihrer wirklich aufsehenerregenden neuen Erkenntnisse: http://www.beethoven-haus-bonn.de/sixcms/detail.php?id=35717&template=verlag_publikation_en&_mid=
(= Folge VI der vom Bonner Beethovenhaus herausgegebenen „Beethoven-Studien“) Die Ergebnisse dieser Recherchen gehen weit über die Funde von Frau Tellenbach hinaus, da diese nur sehr begrenzte Zeit für ihre Recherchen in den (damals kommunistischen) osteuropäischen Archiven zur Verfügung hatte. Vieles, was Frau Tellenbach nur andeuten bzw. erschließen konnte, liest sich im Lichte dieser neuen Erkenntniss nochmals völlig anders und erfordert wiederum eine große Revision der bisherigen Thesen. (Nur soviel: Frau Steblin konnte nachweisen, dass Minona nicht Josephines letztes Kind war. Im Herbst 1815 brachte sie unter sehr mysteriösen Umständen ihr achtes und letztes Kind, Emilie, zur Welt. Vater war der damalige Hofmeister und Erzieher ihrer „Deym-Kinder“ Andrehan.) Ich bin sicher, dass dieser Essay – er ist erst die Spitze eines Eisberges neuer Funde! – Sie interessieren und bewegen wird! (Leider war im Leben Josephines nicht alles so romantisch und edel, wie Frau Tellenbach es sich begreiflicherweise noch gewünscht hatte!)
Sehr interessant, Herr Dr. Ensel,
den Essay von Rita Steblin würde ich natürlich gern lesen. Da ich Mitglied im Verein Beethoven-Haus bin, dürfte es kein Problem sein, an die Schrift zu kommen. Herzlichen Dank und Gruß! Adelinde
Ich grüße Sie, Herr Schwarz, Sie erwähnten die CD, mit den entsprechenden Musikbeispielen. Ich besitze eine Kopie dieser CD und wüsste gerne, wo ich ein Original bekommen könnte.
Frau Tellenbach ist leider in diesem Frühjahr verstorben. Ich bin mit ihrem Bruder bekannt, der mir leider erst nach dem Tod von Frau Tellenbach ihr Buch in die Hand drückte mit den Worten. „Hier, lies das mal. Es ist anspruchsvoll in der Ausdrucksweise, aber es ist eben eine durch und durch wissenschaftliche Arbeit.“ Ich habe dieses Buch verschlungen.
Es ist erschütternd zu lesen, welches schwere Schicksal Beethoven und Josephine zu tragen hatten. Vor allem aber bin ich dankbar dafür, dass Josephine von Brunswick, die eine bewunderungswürdige Frau war, und ich bin sicher, gäbe es heute noch einen Stefan Zweig, hätte er sich an die Arbeit gemacht, eine Romanbiographie über sie zu schreiben, in dieser Gründlichkeit aufgezeigt wurde.
Es gibt Aussagen verschiedenster Zeitzeugen über Josehpine, die alle in die gleiche Richtung weisen. Sie war eine bescheidene, hoch gebildete und belesene, wunderschöne Frau voller Ideale, die sich nach dem Tod Ihres Mannes Deym, dem sie auf dem Totenbett versprach, sich der gemeinsamen Kinder anzunehmen, sich ganz dieser Aufgabe widmete. Sogar zu Pestalozzi fuhr sie in der Absicht, einen Lehrer zu finden, um ihren Kindern die bestmögliche Ausbildung zukommen zu lassen. Leider tat sie mit dem Stackelberg, den sie dort kennen lernte und von dem sie sich erhoffte, einen guten Lehrer für ihre Kinder gefunden zu haben, einen, wie sich bald herausstellte, fürchterlichen Missgriff.
Diese Heirat, die um die sogenannte zweite Schaffensperiode Beethovens herum geschah, stürzte sie letztlich ins Unglück. Die Stackelbergschen Kinder wurden ihr, nachdem sie sich von ihm getrennt hatte, da sie seine Erziehungsmethoden nicht dulden konnte, von ihm auf hinterhältigste Weise weggenommen, und um die Deymschen Kinder musste ihre Schwester schließlich den Kaiser um Fürsprache bitten. Finanziell hatte Stackelberg sie ebenfalls in eine ruinöse Situation gebracht.
In dieser Situation hat Ihr Beethoven ab 1818 über verschlungene Wege Geld zukommen lassen. Josephine starb im März 1821 an Depressionen. Die letzten Beethoven-Sonaten, vor allem die As-Dur-Sonate und das Arietta der 0p. 111, geben von diesem Schicksalsschlag für Beethoven in besonderer Weise Zeugnis. Auch die Missa Solemnis und die Neunte Sinfonie sind Ausdruck dieses Verlustes, den Beethoven durch den Tod Josephines tragen musste. Im 3. Satz der 9. “ steht am Ende des 2.Themas (3/4 Takt!), wie ich gerade heute entdeckte, „morendo“, warum wohl? Auch sonst enthält die 9. viele Themen – Motive, die in Zusammengang stehen mit dem Beginn Ihrer gemeinsamen Zeit.
Die 2. Fassung des Liedes „An die Hoffnung“ kommt im 4. Satz der 9. zitatmäßig in eindeutigerweise zum Tragen (Tellenbachbuch, Kapitel Spuren in der Musik). Beethovens Ausspruch: „Ich habe niemals daran gedacht, für den Ruf und die Ehre zu schreiben: Was ich auf dem Herzen habe, muss heraus, und darum schreibe ich“, kann man gar nicht ernst genug nehmen. Auch die Lieder Beethovens geben ein erschütterndes Beispiel von der Tatsache, dass eine Verbindung mit Josephine aus den Gegebenheiten der Zeit nicht zustande kam.
Wer das Buch von Marie-Elisabeth Tellenbach gelesen hat, wird es nicht vergessen können. Auch wird er endlich einen Zugang bekommen zu Werken, die bisher rätselhaft erschienen, z. B. die letzten Quartette. Die Entdeckung des Menschen Beethoven ist für mich eine unbeschreibliche Bereicherung im Verständnis seiner Musik.
Herzlichen Gruß, Elisabeth Galle
Sehr geehrter Herr Ensel,
Leider bin ich von der Musikwissenschaft nach der Lekture des Tellenbach-Buches, in dem sie in beeindruckend beschämender Weise den Beethoven-Forschern unwissenschaftliches Vorgehen wissenschaftlich belegt, mehr als enttäuscht.
Mit freundlichem Gruß
E. Galle
Vielen Dank für Ihre bereichernden Kommentare, Frau Galle.
Ich fühle mich Ihnen sehr verbunden für Ihre kompetente und mit so viel Herzenswärme gestaltete Seite. Ich freue mich, dass man die Arbeit von Frau Tellenbach auf diese Weise würdigt. Ich hätte es nicht besser machen können.
Ich möchte Sie gerne auf einen sehr lesenswerten Aufsatz von Sergiu Celibidache hinweisen im Booklett zur 9. Sinfonie (EMI, Münchner Philharmoniker), wo er in bissiger Art und Weise darauf aufmerksam macht, dass das presto im sogenannten Scherzo ( 2.Satz) – ( Beethoven hat diese Bezeichnung übrigens nicht benutzt) – nicht langsamer – wie allgemein üblich -, sondern schneller zu spielen sei, als das molto vivace vorher. Er rechnet sogar ganz genau den Tempounterschied mittels der angegebenen Metronomzahlen aus. Durch die Zunahme des Tempos bekommt das Presto den Ausdruck eines slawischen Volkstanzes. Die für diese Tänze so typischen Motivwiederholungen treten klar hervor und der Tanzcharakter diese Satzes wird deutlich. Tja, und slawischer Tanz macht dann auch wieder Sinn im Hinblick auf Josephine und Beethovens gemeinsamer Vergangenheit.
Ich habe in Bremen Alfred Brendel auf das Buch angesprochen. Es war nicht viel Zeit und so steuerte ich geradewegs mit der Frage auf ihn zu, die mich am meisten interessierte, nämlich ob er das Buch kenne, und hielt es ihm hin. Doch an seinem Blick erkannte ich schon, dass er es zumindest nicht gelesen hatte, denn dieses Buch vergisst man nicht, wenn man es gelesen hat.
In Eisenach gab es im Juni alle Beethoven-Sinfonien an einem Tag. Jede Stunde eine. Das Buch habe ich in einer der 10-minütigen Einführungensveranstaltungen, als das Thema auf die unbekannte „Unsterbliche Geliebte“ zu sprechen kam, kurz vorgestellt. Ich wurde danach von einigen Interessierten angesprochen, die sich nach dem Buch erkundigten. So tut jeder das Seine für die Verbreitung dieser von Frau Tellenbach so überaus gründlich recherchierten und bereichernden Erkenntnisse.
Hallo!
Vielen Dank für diesen schönen Beitrag zu „Beethoven und seine unsterbliche Geliebte.“ Eine kleine Anmerkung dazu. Das Bildnis der jungen Dame auf dem Medaillion, das sich heute,wie sie schreiben, in der Sammlung Bodmer im Beethovenhaus in Bonn befindet zeigt meines Erachtens nicht Josefine Brunswick sondern ein Abbild von Gräfin Anna Marie Erdödy, geb.Gräfin Nitzky.
Erdödy wurde am 21.8.1778 geboren. (Es existiert eine Miniatur auf Elfenbein von ihr, die in den Gesichtszügen sehr genau der Darstellung auf dem Medaillion in der Sammlung Bodmer entspricht.) Erdödy besaß ein Landgut in Jedlersee – heute im 21. Wiener Gemeindebezirk Floridsdorf in der Jeneweingasse 17. Jetzt eine Beethoven Gedenkstätte.
Beethoven war von 1812-1815 dort häufig zu Gast. Die Gräfin war eine kunstsinnige Förderin und eine große Bewunderin von Beethovens Kunst. Das geht besonders aus einem Gedicht hervor das sie 1815 Beethoven schickte.
Vielleicht war in der persönlichen Bewunderung auch Liebe, wo sich doch oft und gerne Bewunderung und Liebe paaren.
Erdödy gab den Besitz in Jedlersee im Jahre 1818 auf. Sie starb am 12. März 1837. Wenn sie auch nicht Beethovens große Liebe war so scheint sie doch einen Platz in seinem Herzen gefunden zu haben!
Herzliche Grüße von
F. Tinhof
Guten Tag Adelinde,
Ich finde Tellenbachs Buch auch sehr plausibel und auf jeden Fall wissenschaftlicher belegt als die erzwungenen, im psychoanalytischen Nebel verschleierten Indizien von Salomon.
Merkwürdigerweise folgt selbst das relativ neue Beethoven-Lexikon tendenziell eher der Antonie Brentano Theorie anstatt beide zumindest gleichwertig dazustellen. Die Deym Theorie wird immernoch irgendwie despektierlich behandelt. Offenbar ist etwas dran an dem „Beethoven-Establishment“, das Frau Steblin erwähnt.
Grüße
Fanny
Das „Beethoven-Establishment“, das Frau Steblin (wer ist sie?) erwähnt, näher erklärt zu bekommen, wäre spannend, liebe Fanny.
Liebe Adelinde,
s. Beitrag 5: „Leider war im Leben Josephines nicht alles so romantisch und edel, wie Frau Tellenbach es sich begreiflicherweise noch gewünscht hatte!“
Schaut wohl so aus. Trotzdem scheint mir Frau Tellenbachs Theorie immer noch die passendste zu sein, wenn auch in Details veränderte Erkenntnisse hinzukommen werden.
Nach lesen der Briefausgabe, den Kh und zeitgenössischen Berichten ist LvBs Charakter für mich sehr nachvollziebar in dem Buch beschrieben.
Vielleicht hat Josephine nach einer unvorhergesehenen Begegnung mit Beethoven 1812 in Prag ihm was über ihre unglückliche Ehe mit Stackelberg vorgeheult, und Ludwig hat sich hinreissen lassen.
Dass er sie geliebt haben könnte und auch gerne dazu gestanden hätte – und durch die Umstände litt, möchte ich gerne glauben. Aber 3 uneheliche Kinder wie Fr. Steblin recherchiert hat, zeugen bei Josephine leider nicht gerade von Charakterstärke. Ändert ja aber nichts daran, dass Beethoven besser von ihr dachte.
Das Beethoven Establishment erwähnt Frau Steblin in ihrem Aufsatz und meint damit wohl ältere Forscher, die eher der Antonie-Theorie zuneigen, verbunden mit der Tatsache, dass das Buch von Tellenbach bisher wenig ins allgemeine Bewusstsein gedrungen ist bzw. gewürdigt wird und sich Antonie hartnäckig vor Josephine hält.
Selbst wenn Ts Theorie nicht stimmen sollte, kann das Buch von Solomon hinsichtlich der Gründlichkeit der Recherche und wissenschaftlichen Vorgehensweise Ts schlicht einpacken, und ich kann mich da nur Frau Galle anschliessen.
Grüße
Fanny
In Ihrem Vergleich Tellenbach-Solomon stimme ich mit Ihnen voll überein. Darüber hinaus befriedigt bei Tellenbach so sehr, daß sie sich reiner Vermutungen enthält. Fantasien vom „Vorheulen“ in Prag kämen für Tellenbach nicht in Frage. Für mich auch nicht.
„Ludwig“ hat sich auch ganz sicher nicht „erweichen“ lassen. Dem widersprechen seine 3 Briefe ohne Jahresangabe, die von innigster Liebe und Sehnsucht nach der Geliebten zeugen und aller Wahrscheinlichkeit auf seiner Reise von Teplitz zu ihr nach Franzensbad geschrieben wurden.
Ein John Klapproth aus Neu Seeland hat nun ein Buch (in englischer Sprache) über Josephine geschrieben. Da er sich auch auf Tellenbach beruft, bin ich gespannt, es zu lesen. Vielleicht erfahren wir darin wirklich Brauchbares über jene Frau, die ganz klar und unzweifelhaft die „Unsterbliche Geliebte“ Beethovens gewesen ist.
Liebe Adelinde,
mit „hinreissen lassen“ möchte ich keinesfalls bei LvB eine nur flüchtige Neigung unterstellen, im Gegenteil, ich bin ebenso wie Sie von seiner innigsten Liebe zu J. überzeugt und gehöre mittlerweile auch zu den Josephinen-Theorie Anhängern.
Aber wieso sollte man sich nicht vorstellen, dass J. ihm erst 1812 ausdrücklich offenbarte, dass sie ihn liebe – schon immer geliebt habe, da es ihr um 1805 in Wien nicht erlaubt/möglich war und daher die Beziehung ersteinmal abgebrochen wurde.
Dann flammte sie bei der Begegnung neu auf und wurde intim, aber mittlerweile hatte J. noch ein vorehelich gezeugtes Kind von Stackelberg und ließ sich offenbar später auch noch mit dem Erzieher ihrer Kinder ein von dem sie laut Steblin auch nochmal schwanger wurde.
Ob sie B. geliebt hat? Bestimmt – aber vielleicht nicht so treu und konsequent wie er sie. „Allein ich spüre, daß mein Herz sich empört und meine Feder zurückhält; wir wollen die Besprechung dieser Fragen dem Gerechten überlassen, der nie strauchelte und nie selbst der Gnade bedurfte.“ JJRousseau
Das Buch Klapproth muss ich nachsehen. Klingt interessant.
Ein wundervolles Wochenende.
Fanny
haben Sie nähere bibliographische Angaben zu dem Klapproth-Buch? Ich kann keine Titel eines solchen Autors finden.
Grüße
Fanny
Liebe Fanny,
das Klapproth-Buch kommt demnächst heraus. Ich habe vom Autor mit E-Mail den Buchinhalt übermittelt bekommen.
Daß Josephine Beethoven nicht erst 1812 ihre Liebe gestand, zeigen mehrere Briefstellen aus den Jahren zuvor wie diese:
„Meine ohnedieß für Sie enthousiastische Seele, noch ehe ich Sie persönlich kannte – erhielt durch Ihre Zuneigung Nahrung. Ein Gefühl, das tief in meiner Seele liegt und keines Ausdrucks fähig ist, machte mich Sie lieben; … die Güte ihres Charakters, ihre Zuneigung vermehrte es – dieser Vorzug, den Sie mir gewährten, das Vergnügen Ihres Umgangs, hätte der schönste Schmuck meines Lebens seyn können …“
Liebe Adelinde, liebe Fanny,
wenn ich mich in den Disput „Tellenbach contra Solomon“ auch nochmals einmischen darf: Ich empfand das Buch von Frau Tellnbach als ich es vor über 15 Jahren erstmals las, als eine Erlösung gegenüber den unerträglichen hobbyanalytischen Thesen Solomons! Im Gegensatz zu letzterem hat sie empirisch gearbeitet und in den (osteuropäischen) Archiven sehr vieles über Josephine Brunswick und über ihr Leben entdeckt, was damals neu war. Natürlich konnte auch sie nicht ohne Hypothesen arbeiten, dafür war einfach die gesamte Quellenlage zu dünn! Jedenfalls kommt Frau Tellenbach das unbestreitbare Verdienst zu, die Josephine-Hypothese in vielen Punkten empirisch (also quellenfundiert!) untermauert zu haben. (Erstmals war diese These ja Anfang des vorigen Jahrhunderts von La Mara formuliert worden, dann wurde sie Anfang der Fünfziger Jahre von Kaznelson mit noch viel Phantasie – und noch ohne Kenntnis der kurze Zeit später aufgefundenen 13 Briefe Beethovens an Josephine, verwitwete Gräfin Deym!! – weiterentwickelt und Mitte der Siebziger Jahre von Harry Goldschmidt sehr ausgewogen gegen abwägend Solomon bekräftigt. – Goldschmidts Buch „Um die Unsterbliche Geliebte“ ist m.E. nach wie vor ein lesenswerter Klassiker. Goldschmidt erweist sich in dieser Debatte als großer Synthetiker!)
Ein weiteres Plus des Buches von Frau Tellenbach ist ihr großes Fingerspitzengefühl, ihr Einfühlungsvermögen, die Exaktheit und Datenfundiertheit ihrer Argumentation und nicht zuletzt ihr Verzicht auf peinliche, in der Regel auch noch pathologisierende (hobby)-psychoanalytische Interpretationen, wie Solomon sie ja so sehr liebt. Bezeichnend für die Sklerose der etablierten Beethovenforschung und beschämend für die gesamte Zunft ist, dass das Buch von Frau Tellenbach fast durchweg ignoriert wurde!
Ich bin also in dieser Kontroverse voll auf der Seite von Frau Tellenbach und hatte in dieser Angelegenheit vor 12 Jahren auch einen sehr freundlichen Briefwechsel mit ihr.
Nur.
Mittlerweile ist die Forschung – zum Glück! – doch weitergegangen. Und hier kommen die entscheidenden neuen Funde von der kanadisch-österreichischen Musikwissenschaftlerin Rita Steblin, die noch einmal unglaublich viele neue Informationen in den osteuropäischen Archiven, u.a. in Ungarn und der Slowakei, gefunden hat. Um das Wichtigste vorwegzunehmen: Die Funde von Frau Steblin widerlegen nicht die Josephinehypothese – sie unterstützen sie eher noch! – differenzieren aber vor allem das Josephine-Bild, das Frau Tellenbach noch gezeichnet hatte. Dafür muss man sich vor Augen halten, dass Frau Tellenbach, wie sie in ihrem Buch auch andeutet – sie hat es mir auch geschrieben – bei ihren Recherchen in den damals noch kommunistischen Ländern nur sehr begrenzt Zeit zur Verfügung stand.
Dazu kommt – und damit möchte ich Frau Tellenbach nicht „vorführen“, denn das passiert allen Forschenden -, dass Frau Tellenbach sich auf dem Hintergrund ihres damaligen Wissensstandes ein sehr idealisierendes Wunschbild von Josephine konstruiert hatte. Jeder Forscher, jede Forscherin „verliebt“ sich eben in seinen/ihren Gegenstand, und Liebe macht bekanntlich nicht selten blind. So ist es kein Wunder, dass die Josephine von Frau Tellenbach eine edle, hochkultivierte und hochanständige leidende Frau war – so wie sich Frau Tellenbach sehr wahrscheinlich „ihre“ Josephine gewünscht hatte. Dadurch hat nun Frau Tellenbach einige Aspekte übersehen, die in dieses idealisierende Bild nicht hineingepasst haben. So z.B. war die Beziehung zu Andrehan keineswegs nur eine edle Verbindung im Geiste!
Vieles konnte Frau Tellenbach aber gar nicht rekonstruieren, weil ihr aufgrund der begrenzten Zeit die entscheidenden Dokumente noch nicht in die Hand gefallen waren. Und das hat nun Frau Steblin geleistet.
Wie gesagt: Frau Steblins Forschungen widerlegen nicht die Josephine-Hypothse, sondern bauen auf Tellenbachs Forschungen auf. Allerdings differenziert und revidiert der nüchterne und weniger idealisierende (und immer quellenfundierte!!) Blick Steblins eine Reihe von Aspekten des Tellenbachschen Josephine-Bildes. Dabei muss man m.E. nicht unbedingt so weit gehen wie Steblin und Josephine als eine „Femme fatale“ bezeichnen. Aber die Tatsache, dass sie sich nach Beethoven definitiv auch noch mit Andrehan eingelassen hat, beweist m.E., dass Beethoven für sie nicht dieselbe Bedeutung gehabt haben kann wie sie für ihn!
Somit kann es auch mit der späteren „Liebe im Geiste“ zwischen Beethoven und Josephine, die Tellenbach noch für die Zeit nach 1812 vermutet, nicht allzu weit her gewesen sein. Ich persönlich halte es auch für nicht unwahrscheinlich, dass Beethoven im Herbst 1816 von der Geburt von Josephines achtem und letztem Kind, Emilie, erfahren hat und seine damalige starke Depression nicht zuletzt dadurch verursacht war. Dieses Ereignis musste ja zwangsläufig sein Bild von Josephine und ihrer gemeinsamen Beziehung nachhaltig erschüttern, wenn nicht zerstören!
Man sieht: Die Rekonstruktion und Interpreation der Beziehung zwischen Beethoven und Josephine ist noch lange nicht abgeschlossen, sondern muss permanent aufgrund neuer Funde umgeschrieben und revidiert werden! (Ich habe vor zwei Jahren im Anschluss an die Lektüre des Aufsatzes von Rita Steblin in den „Bonner Beethoven-Studien“ 2007 mir allein zehn Seiten von weiterführenden Fragen und Hypothesen notiert!) Ich bin sehr gespannt, was Frau Steblin – sie ist bienenfleißig und arbeitet weitestgehend auf eigene Kosten; ein Skandal, wenn man das mit dem hochsubventionierten Beethovenhaus vergleicht!!! – noch alles zutage fördern wird!
Und damit wird interessanterweise kaum das Beethovenbild, wohl aber das von Josephine revidiert!
Liebe Adelinde, von dem Klapproth-Buch hatte ich noch nie etwas gehört. Wissen Sie, wann und wo es erscheint? Wollen Sie uns einige Neuigkeiten mitteilen? Oder sind Sie gar autorisiert, den Inhalt an Interessierte weiterzuleiten?
Herzliche Grüße!
Das „Klapproth-Buch“ ist nun da – zu kaufen bei https://www.createspace.com/3561406 (auch bei http://www.Amazon.com); zu lesen unter https://www.createspace.com/pub/community/give.review.do?id=1083775.
[…] Galle, den ich – vor allem durch die Hinweise auf das epochemachende Vorgängerbuch von Marie-Elisabeth Tellenbach – so treffend finde, daß er auch hier bei Adelinde erscheinen soll: Lieber Herr Klapproth, […]
Was ist Schicksal? Schicksal ist unser lebensscript, unsere Lebenspartitur. Ein Plan, eine Skizze unseres Lebenslaufs – weiter nichts. Das Leben selbst ist dann die Umsetzung. Das Schicksal ist wie die Sterne – sie zwingen nicht, sie machen geneigt. Nun – nehmen wir einmal an, dass dieses Schicksal doch etwas ist was über den Rahmen des sogenannten Zufalls hinausgeht, also eine Art göttlicher Handschrift wäre, für deren Auslebung wir ein gewisses Maß an Freiheit haben – dann ist es möglich, dass es durchaus „Schicksalsgebilde“ gibt, welche schön vorgezeichnet und durch schlechte Handhabe zu hässlichen Gebilden werden. Also – nehmen wir an, das eine Mann-Frau-Verbindung zwischen Josephine und Beethoven „vorgezeichnet“ war und diese Vorzeichnung durch die Gier der Mutter, welche Josephine gegen ihren Willen (!) an den vermeintlich reichen Deym verheiratete, aus niederen Beweggründen gnadenlos zerstört wurde; dass dadurch auch der Lebensgang der noch sehr jungen Josephine einen Schlag erhalten hat, welcher sich gnadenlos durch ihr ganzes weiteres Leben fortsetzt, ist selbstredend. So wie wenn zwei Autos auf der Autobahn nebeneinanderher fahren, und der eine gerät ins Schleudern und kracht an die Leitplanke – jeder hat diese verhängnisvollen Schleuderspuren schon gesehen. Wenn dies geschieht, kann der Fahrer des verunglückten Fahrzeugs noch so moralisch hochstehend sein – er ist dem nun drastisch geänderten Ablauf der nun wirkenden Kräfte ausgesetzt. Sein Fahrzeug – wenn es nicht völlig zerstört wird – nimmt Schaden, lässt sich nicht mehr korrekt steuern. Nun auch wenn das Beispiel vielleicht ein wenig banal ist, kennen wir doch selbst alle solche traurigen und eben tragischen Situationen. Der Kurs geht nicht mehr gerade aus, man wird angestoßen und stößt an, man versucht gegenzusteuern und kommt noch mehr ins Schleudern. Wenn man nun diese Formel zur Anwendung bringt, könnte man vielleicht darin sogar etwas aus der Bibel finden: „Wer frei von Schuld ist, werfe den ersten Stein auf sie…).“ Was da passiert ist, ist vor allem ein großes, großes Unglück! Lasst uns Mitgefühl mit diesen traurigen Menschenkindern haben, und lasst uns sie nicht verurteilen. Nur die damals dabei waren, wissen was wirklich geschehen ist. Wir werden die Wahrheit wohl nur durch liebevolle Anteilnahme und Hochachtung erfahren. Frau Tellenbach hat den ersten Schritt dazu getan und …
Beethoven hat sie geschrieben: Die Schicksalssinfonie!
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Das Adelinde-Gespräch
Ich bin – leider – erst heute auf diesen Blog gestoßen, nach dem Erwerb des Tellenbach-Buches.
Was mich bei der Autorin, unabhängig vom Buchinhalt, in formaler Hinsicht irritiert, ist ihr Verschweigen des eigenen Geburtsdatums. Dieses Verhalten lässt sich vielleicht bei Operndiven akzeptieren, sonst kaum. Außer Tellenbachs Todesjahr 2010 und dem Geburtsnamen Gerken erfährt man im www lediglich noch, dass ihr Ehemann der in Freiburg wirkende Berliner Historiker Gerd T. war, und die Hochzeit im März 1945 in Weilburg an der Lahn stattfand, die als Frucht 4 Kinder hervorbrachte.
Eventuell kann aber ja Herr Dr. Ensel insoweit demnächst für Aufklärung sorgen.
Da in gut 4 Monaten, mit dem Anbruch der „blechernen“ Zwanziger Jahre des 21. Jahrhunderts, ein sicherlich weltweite Beachtung findendes Beethoven-Gedenkjahr beginnen wird, sind zum Thema Josephine / U. G. wohl weitere Bücher zu erwarten.
Für mich eindeutig das stärkste Argument der Josephine-Theorie liefert das Foto Minonas als ältere Frau, abgedruckt auf Seite 174 in Chris Stadtländers Buch „Ewig unbehaust und verliebt… – Beethoven und die Frauen“, erschienen im Amalthea-Verlag 2001.
Die physiognomische Ähnlichkeit mit Beethoven ist entwaffnend — und sollte auch die letzten Befürworter der Brentano-Theorie von ihrem bisherigen Irrtum überzeugen. Jeder weiß, dass (einzelne) Töchter optisch zuallermeist nach ihrem Vater geraten, und Minona ist keine Ausnahme von der Regel. Mit ihr hat sich der große Bonner 1812 auch außermusikalisch verewigt! Der Wermutstropfen hierbei ist natürlich, dass es von Minona keine – heute lebenden – Nachkommen gibt. Stichwort: DNA-Test, vgl. https://www.heute.at/s/-12065131 und https://www.deutschlandfunk.de/besuch-in-der-bundesstadt-beethovens-nachfahren-in-bonn.1993.de.html?dram:article_id=449879.
Anlass zu Spekulationen bietet Minonas Sterbedatum, der 27. Februar 1897. Denn nur 35 Tage / 5 Wochen später starb in derselben Stadt einer, der sich zeitlebens immer zu seinem Ideal Beethoven bekannt hatte und vor lauter „Heldenverehrung“ fast an der rechtzeitigen Fertigstellung der 1. Symphonie verzweifelt wäre. Hat Johannes Brahms, der immer so gut Informierte, also womöglich gewusst, dass unter den Wienern eine Tochter seines Ideals lebte?! Es könnte ja sein, dass Max Kalbeck darüber nichts schreiben durfte …
[…] war wohl die erste hellsichtig verstehende Forscherin, die 1983 in ihrem epochemachenden Buch „Beethoven und seine ,Unsterbliche Geliebte’ Josephine Brunswick“ viele Einzelheiten zusammentrug und damit ein gültiges Beethoven-Bild schuf. mehr […]