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Totschweigen und Übernahme weiblichen Geisteswerkes

Sokrates hatte von etwa 470-399 v.u.Z. gelebt. In den folgenden 24 Jahrhunderten sind zahlreiche Philosophinnen, Mathematikerinnen, Naturwissenschaftlerinnen und Kunstschöpferinnen hervorgetreten, die zu ihrer Zeit auch bekannt und anerkannt waren, dann aber wieder in Vergessenheit gerieten. Nach der Bronzezeit waren die Patriarchate entstanden, und Mädchen wurden im Gegensatz zu Jungen von sämtlichen Bildungsmöglichkeiten ausgeschlossen, das wissenschaftliche Hervortreten von Frauen dem zum Trotz bedurfte also ganz besonderer Kraftanstrengungen, so wie es Jahrtausende lang bis ins 20. Jahrhundert bleiben sollte.

Die Vermutung Hegels, vergessene Werke – also wohl auch die von Frauen – seien von der Weltgeschichte als ihrem Weltgericht zum Tode verurteilt worden, weil sie unbedeutend waren, diese Vermutung können wir Heutige getrost beiseite legen. Wir haben als Zeitgenossen erlebt, wie z. B. eine bedeutende, ihrer Zeit weit voraus- und tiefschauende Philosophin zu Lebzeiten erst schändlichst verlästert und dann mitsamt ihrem Werk totgeschwiegen wurde. Würde sich nicht ein kleiner Kreis VerehrerInnen um ihre Philosophie kümmern, Mathilde Ludendorff wäre längst – wie alle ihre bedeutenden Geschlechtsgenossinnen der Vergangenheit – vergessen. Ihre männlichen Zeitgenossen und Kollegen dagegen blieben bekannt: Jaspers, Heidegger, Horkheimer, Adorno, Sartre u.a.

So ist weibliche Weisheit in Wirklichkeit nie erstorben, sie ist nur immer wieder aus dem Blickfeld geraten, sei es, daß Männer sie in ihr Werk übernommen und als ihr geistiges Eigentum ausgegeben haben, sei es, daß die Werke von Frauen keine Werbung und Unterstützung fanden, ja, weil sie Werke von Frauen waren, geringgeachtet wurden und schließlich als gar nicht vorhanden der Vergessenheit anheimfielen, sei es, daß die Frauen ihre Werke unter Männernamen veröffentlichten bzw. ihren Namen durch Heirat verloren. Wer aber ohne Namen ist, ist für die Mitwelt nicht.

Wer weiß heute, daß z.B. Leibniz die Idee zu seiner „Monadenlehre“ einer Frau verdankt? Die Engländerin Anne Finch Conway

Buchdeckel Margaret Alic, Hypatias Töchter (mit dem Bild-Foto Emilie du Châtelets, Archiv für Kunst und Geschichte, Berlin)

ist die vergessene Philosophin des 17. Jahrhunderts, die das cartesianische Weltbild öffentlich erörterte und die strenge Trennung ablehnte, in der Descartes die sogenannte Materie in Bezug auf die Seele sah. Seele habe allein der Mensch, meinte Descartes, und erblickte im gesamten Weltall einschließlich aller Lebewesen außer dem Menschen nichts anderes als sich mechanisch bewegende Materie.

Anne Conway bestritt diese Trennung von Materie und Wesen, und erklärte,

die beiden seien unabdingbar miteinander verbunden. Für sie war die Natur nicht eine kosmische Maschine, sondern ein lebendiges Ganzes, bestehend aus kleinsten individuellen Einheiten, den Monaden, mit eigener Lebenskraft, organisiert und zusammengehalten von einem kosmischen Ordnungsprinzip.(9)

Sie hatte auch bereits die Vorstellung,

daß sich die Materie der Monaden wandeln könne(10)

– bis hin zum Menschen. Damit war sie Wegbereiterin für Darwins Evolutionstheorie.

Gottfried Wilhelm Leibniz wurde mit dem philosophischen System Anne Conways bekannt, als van Helmont Schriften von ihr der Kurfürstin Sophie von Hannover gebracht hatte. Diese war die philosophische Freundin Leibnizens, und sie machte ihn mit der Philosophie Anne Conways bekannt.

Innerhalb weniger Monate gebrauchte er (Leibniz) den Begriff „Monade“ zur Beschreibung der Urmaterie. So ging Anne Conways Auffassung von der Monade als dem unteilbaren Grundbaustein aller Materie und jeden Lebewesens in Leibniz’ philosophisches System, die „Monadenlehre“, ein,

schreibt Alic.(11)

Conways Lehre von der Beseeltheit der Welt der Erscheinungen stand im Gegensatz nicht nur zu Descartes’ mechanistischem Universum, sondern auch zur Weltsicht Newtons, der glaubte, alles bestünde aus unbelebten Partikeln, die der Schwerkraft gehorchten.

Das gottdurchseelte Weltall Mathilde Ludendorffs

Diese mechanistische Weltsicht aber siegte, so wie auch der männliche, vernunftbetonte, den Dingen der Erscheinungswelt zugewandte Geist über den weiblichen siegte, der dem – nur mit dem inneren Auge erkennbaren – Lebendigen in allen Erscheinungen nahesteht, bis Mathilde Ludendorff auftrat, die das Weltall als gottdurchseelt erschaute und eine einzig dastehende Schöp­fungsgeschichte vorlegte mit deren Erweiterungen in den Spätwerken Das Hohe Lied der göttlichen Wahlkraft und In den Gefilden der Gottoffenbarung, in denen sie die göttlichen Willensoffenbarungen mit deren Auswirkungen und deren Vorhandensein auch in der Menschenseele aufzeigt.

Mathilde Ludendorff (Zeichnung v. Wolfgang Willrich, 1941)

Mathilde Ludendorff sieht zwar durchaus den Gegensatz zwischen Materie und Seele, von daher ist ihr Weltbild „dual“ zu nennen. Denn sie sieht – wie Kant – die Materie, die Erscheinungswelt, eingeordnet in die Kategorien Raum, Zeit und Ursächlichkeit, von denen das Seelische, Göttliche, dagegen frei ist. Die Materie aber besteht aus Atomen, kleinsten Energiewölkchen, die sich selbst an den Grenzen zwischen der – den Naturgesetzen unterworfenen – Erscheinung und göttlicher Freiheit befinden:

Denn sie haben eine unvorstellbar geringe räumliche Ausdehnung, bestehen hauptsächlich aus – im Verhältnis dazu – riesigen leeren Räumen und sind damit nahe der Nichterscheinung, nahe Null, haben eine zeitlich fast unbegrenzte Dauer, nämlich die des gesamten Weltalls von seinem Anbeginn an bis an sein Ende, befinden sich somit nahe dem Unendlichen und sind in ihrer Kausalität nicht bis ins Letzte vorausberechenbar, also nahe der göttlichen Ursachlosigkeit, der Spontaneität, der Freiheit göttlichen Schöpfertums.

Die Materie liegt also als endliche Erscheinung nahe der Unendlichkeit, oder wie Mathilde Ludendorff sagen würde: Das Göttliche hat sich den Formen der Erscheinung nur soweit wie unbedingt nötig eingeordnet. Weil das Weltall aber in all seinen Erscheinungen auf wenigen göttlichen Willenrichtungen beruht, bildet es in sich und mit dem Göttlichen eine Einheit.

Das Beispiel der Anne Conway könnte durch zahlreiche weitere Beispiele ergänzt werden.

Jeder intellektuelle Erfolg einer Frau erschütterte die These der männlichen Überlegenheit,

schreibt Alic und fährt fort:

In anderen Fällen unterbanden Zeitgenossen und Nachfahren die wissenschaftliche Anerkennung von Frauen durch gemeinste Verunglimpfungen ihres Privatlebens.(12)

Wie ist uns auch das aus dem Leben Mathilde Ludendorffs nur zu bekannt!

Fortsetzung folgt


[9] Margaret Alic, Hypatias Töchter, Der verleugnete Anteil der Frauen an der Naturwissenschaft, Zürich 1987, S. 18

[10] a.a.O., S. 19

[11] a.a.O., S. 19

[12] a.a.O., S. 22

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