Stromlinienförmig „politisch korrekte“ üble Nachrede auf die Fliegerin und Erfinderin Melitta von Stauffenberg
Mittwoch, 20. Juni 2012 von Adelinde
Der Autor Reinhold Hahn
zeigt in seinen untenstehenden
Anmerkungen zu „Melitta von Stauffenberg – Ein deutsches Leben“ von Thomas Medicus
ein Beispiel auf für das in der Völkerwelt einzig dastehende deutsche Leiden an der „Schuld“-Krankheit, an der das deutsche Volk – u. a. nach chinesischer Ansicht – über kurz oder lang sterben wird.
Ein Volk erhält sich, indem es sich selbst wertschätzt, nicht überschätzt, nicht unterschätzt. Dazu gehört, daß es mit seiner Geschichte lebt, gerecht mit ihr umgeht, nichts beschönigt, aber auch nichts in Bausch und Bogen verdammt.
Im Folgenden sehen wir ein Beispiel für die – in den bald 7 Jahrzehnten nach Ende des 2. Weltkrieges – übliche Praxis, deutsche Menschen, die – nun einmal in die Zeit hineingeboren – in irgendeiner Weise mit der NS-Herrschaft in Berührung kamen, von vornherein zu verdächtigen, zu verurteilen, als Unpersonen zu behandeln.
Handelt es sich gar – wie im vorliegenden Fall – um einen deutschen Menschen jüdischer Abstammung, gebietet es die „Vorsicht“, ausdrücklich zu betonen, daß dieser Mensch mit dem Judentum auf keinen Fall gleichzusetzen sei, um die Bahn frei zu bekommen, ihn, weil er für Deutschland kämpfte, mit Häme zu übergießen und all sein Tun und Unterlassen zu mißdeuten, ohne deshalb des Antisemitismus geziehen zu werden.
Weil es so typisch ist für das Deutschland unserer Zeit, sei dies Beispiel hier bei Adelinde veröffentlicht, um – durch die Diagnose – vielleicht einen kleinen Teil zur Therapie, zur Heilung von der deutschen Krankheit, beizutragen.
Nun also
Reinhold Hahn
„Ein deutsches Leben“ im Visier hämischer Analyse
Die Testfliegerin und Erfinderin Melitta von Stauffenberg
DER SPIEGEL (Nr. 10/5.3.12) widmete der Neuerscheinung „Melitta von Stauffenberg – Ein deutsches Leben“ (Rowohlt Berlin Verlag, Berlin; 416 Seiten, 22,93 Euro) von Dr. Thomas Medicus eine Doppelseite mit Abbildungen. Der Autor hatte es sich zur Aufgabe gemacht, Ergänzendes und Vertiefendes zur
bisher einzigen Melitta-Stauffenberg-Biographie von Gerhard Bracke (SPIEGEL, S. 138)
durch eigene Nachforschungen zu erschließen.(1)
Dipl.-Ing. Melitta Gräfin Schenk von Stauffenberg, geb. Schiller (1903-1945), als zweite Frau in Deutschland zum Flugkapitän ernannt (1937), flog als Ingenieurflugzeugführerin während des Krieges bei der Luftwaffenerprobungsstelle Rechlin und bei der Technischen Akademie der Luftwaffe in Berlin-Gatow den bekannten Sturzkampfbomber Ju 87 („Stuka“) und die ebenfalls sturzflugfähige zweimotorige Ju 88.
Die mit dem Hitler-Attentäter verschwägerte Frau des Althistorikers Prof. Dr. Alexander Graf v. Stauffenberg hatte in München Mathematik, Physik und Flugmechanik studiert, daneben sämtliche Flugscheine erworben und arbeitete später hauptsächlich an der Entwicklung von Sturzflugvisieren, die sie unter unvorstellbaren physischen und psychischen Belastungen in extremen Fluglagen selbst erprobte.
Für die einmotorige Nachtjagd entwickelte sie ein spezielles Nachtlandegerät, das Bruchlandungen verhindern sollte und sich im Einsatz bewährte. In Anerkennung ihrer fliegerischen und wissenschaftlichen Tätigkeit im Dienste der Luftwaffe wurde ihr als vierter Frau das EK II verliehen.
Von den Folgen des am 20. Juli 1944 fehlgeschlagenen Attentats ihres Schwagers Claus blieb auch sie nicht verschont. Aber wegen kriegswichtiger Aufgaben 6 Wochen später aus der Haft entlassen, nutzte Gräfin Stauffenberg, die sich nur noch Gräfin Schenk nennen durfte, jede Gelegenheit zum Besuch bei den inhaftierten Familienangehörigen und zu deren Unterstützung.
Als sich die Fliegerin am 8. April 1945 mit einer Bücker 181 auf dem Flug zu ihrem Mann befand, wurde sie in der Nähe von Straubing von einem amerikanischen „Mustang“-Jäger abgeschossen und tödlich verletzt.
Aufdringliche Süffisanz
Nun liegt ein neues Buch über diese außergewöhnliche Frau vor. Betrachtet man die umfangreiche Bibliographie und bedenkt man die stattliche Anzahl an nachgewiesenen Archivstudien des Dr. Medicus, dann könnte man meinen, diese gewiß beeindruckende Quellenerschließung müsse ein großartiges Werk der gerechten Würdigung dieser bemerkenswerten Frauenpersönlichkeit erbracht haben. Tatsächlich fehlt es nicht an wertvollen Ergänzungen zur Erstbiographie und neu gewonnenen Einsichten, die das eigentlich Verdienstvolle ausmachen.
Doch mit der Lektüre dieser biographisch angelegten Analyse wächst die Enttäuschung, erweist sich die gesamte Darstellung in ihrer aufdringlichen Süffisanz doch weniger als „Biographie“ denn als ein zeitgeistkonformes „Enthüllungsbuch“ auf der Grundlage des üblichen simplifizierten Geschichtsbildes.
Auf einen Nenner gebracht, läßt sich von der hämischen Abrechnung mit einer deutschen Familie jüdischer Abstammung sprechen. Melittas Vater Michael Schiller, Baurat und preußischer Beamter im Posener Land, war lange vor seiner Eheschließung mit Margarete Eberstein vom Judentum zum Christentum übergetreten. Grund genug, hier mit dem „oberlehrerhaften Ton des ‚Nachtretens‘ “ anzusetzen, wie ein Rezensent sich ausdrückt.(„Schwarzwälder Bote“ vom 24.3.2012). So heißt es bei Medicus wörtlich:
Melitta … war vom Judentum ihres Vaters noch nicht einmal schwach angehaucht. Zum Judentum ihres Vaters hatte sie deshalb keine Beziehung, weil auch dieser den Bezug zu seiner Herkunft verloren hatte. (S. 184)
Der Generalvorwurf gegenüber den Schiller-Kindern zielt jedoch vor allem auf deren Anpassungsbereitschaft an ein totalitäres Regime ab.
Die Anpassungsleistung des Vaters an die wilhelminische Mehrheitsgesellschaft war bei seiner Tochter Melitta unter den Lebensbedingungen des Nationalsozialismus in Überanpassung umgeschlagen. (S. 187).
In Wirklichkeit sind Leistung und Lebensschicksal Melittas für Thomas Medicus nur Mittel zum Zweck einer solchen diabolischen Abrechnung.
Das hat auch Rainer Blasius in seinem umfangreichen Artikel unter ausdrücklichem Hinweis auf die 1990 bei Langen Müller erschienene „sehr informative Biographie von Gerhard Bracke“, dazu unter geradezu provozierender Verwendung des Titelfotos von dessen Buch, klar erkannt. (FAZ vom 19. März 2012) Die Rezension ist nicht minder provokant überschrieben:
„Der dritte Feuerstoß“
und schließt mit einer vernichtenden Kritik in Form der metaphorischen Aussage:
Zwei Salven gab der amerikanische Pilot einst ab, und mit einem dritten Feuerstoß – samt Häme über die Schiller-Geschwister – will ein wenig sensibler Biograph die Gräfin endgültig vom Himmel holen. Vergeblich.
Der Pilot Thomas Norboune, der am 8. April 1945 die unbewaffnete Fliegerin abschoß, trug zufällig denselben Vornamen wie der Autor Medicus. Vielleicht hat der ihn deswegen in seinem Buch verschwiegen oder – im Medicus-Jargon ausgedrückt – „unter den Tisch fallen lassen.“
Wie bereits angedeutet, rezensierte nach einer Autorenlesung in Lautlingen auch „Der Schwarzwälder Bote“ in seiner Ausgabe vom 23. März 2012 das
nach dem bisherigen Standardwerk von Biograph Gerhard Bracke
präsentierte Medicus-Buch durchaus kritisch und beanstandet vor allem die
mannigfaltig eingestreuten spekulativen Bemerkungen.
Der Epilog des Buches bietet nach Ansicht des Rezensenten „Zündstoff“ insofern, weil der Autor die Nachkriegszeit und Melittas Geschwister massiv in Richtung „versuchte Verklärung“ beleuchtet, das Bestreben einer „Reinwaschung durch Heldentum“ argwöhnt und Verbindungen und „Verstrickungen“ der Angehörigen zum Nazi-Regime glaubt nachweisen zu müssen. Im übrigen sei die
Kenntnis der Erstbiographie durchaus hilfreich. Ob das Buch allerdings die bisherige Standardliteratur ablöst, darf bezweifelt werden, eher dient es als Ergänzung,
faßt der Rezensent zusammen.
Legendenbildung und Klarstellung
Abgesehen von der Tendenz zu spekulativen Schlußfolgerungen neigt der Autor zu eben derartigen Legendenbildungen, die er anderen, insbesondere den Schiller-Geschwistern, permanent vorwirft.
Die FAZ veröffentlichte in dem Zusammenhang, bezogen auf den erwähnten Beitrag von Rainer Blasius, am 28. März 2012 (Nr. 75, S. 15) einen Leserbrief von Gerhard Bracke mit folgender Klarstellung:
Die Behauptung des Autors Medicus, den Geschwistern Schiller sei es nach 1945 darum gegangen, die Fliegerin zur Widerstandskämpferin zu stilisieren, und ich hätte als Biograph dasselbe Ziel verfolgt, entspricht keinesfalls der Wahrheit. Vielmehr wünschte Frau Klara Schiller (verstorben 1996) ursprünglich für den Buchtitel zur Würdigung ihrer Schwester Melitta ohne jeden Bezug auf die zeitgeschichtliche Bedeutung des Namens Stauffenberg schlicht nur „Flugkapitän Melitta Schiller“ – ein klarer Beweis für die Unhaltbarkeit jener absurden Unterstellung. …
Nunmehr wird den Schwestern Dr. Jutta Rudershausen und Dipl.-Ing. Klara Schiller also ein „Heroisierungsprogramm“ geschwisterlicher „Erinnerungspolitik“ angedichtet, das Gräfin Melitta von Stauffenberg nachträglich zur „Widerstands-Heroine“ verklären sollte. Medicus bedient sich dazu einer ausgeklügelten Konstruktion unter Berufung auf ein Schreiben von Gräfin Dönhoff an Klara Schiller, indem er ausführt:
An Dönhoff wandte sich Klara Schiller mit der Bitte, sie möge das Manuskript ihrer Schwester Jutta samt Fremdbeiträgen kommentierend beziehungsweise einleitend herausgeben. Der Olymp schien nahe, doch die nach wie vor aktive Mitherausgeberin der „Zeit“ lehnte wegen Arbeitsüberlastung dankend ab, ließ die Bittstellerin wissen, sie sei keineswegs im Ruhestand und soeben damit beschäftigt, ein Buch zu schreiben, ein weiteres könne sie sich nicht zumuten. Im übrigen habe sie „mit großem Interesse den Beitrag von Paul Handel gelesen“. Hinter der mit einem zweifelhaften Lob garnierten Entschiedenheit der Absage dürfte sich mehr als nur Arbeitsüberlastung verborgen haben.
Bestrebt, ihre eigene Widerstandsbiographie, das Ansehen Preußens wie des preußischen Adels zu pflegen, tat Marion Gräfin Dönhoff alles, um ihr wichtiges Werk, das aus den Unbilden der Zeit herausgehobene Geschichtsbild des 20. Juli, moralisch wasserdicht zu halten. Eine unsichere Kandidatin wie Melitta von Stauffenberg auf den Schild zu heben, hätte sich auf ihren Ruf negativ auswirken können. Dönhoff war viel zu klug, um sich an solch einem undurchsichtigen Fall die Finger zu verbrennen.
Und um der Selbstgefälligkeit die Krone aufzusetzen, fügt der „wenig sensible Biograph“ (FAZ) noch hinzu:
Mit der Absage von Dönhoff war das Unternehmen „Gräfin nobilitiert Gräfin“, in dem die eine der anderen posthum die höheren Weihen einer Beteiligung am 20. Juli verleiht, endgültig gescheitert. (S. 347)
Nun ist das mit dem „moralischen Wasserdichtsein“ geplanter Widerstandshandlungen ohnehin so eine Sache, denn als einst die Studentin Marion Dönhoff – nach eigenen Angaben – vom Dach der Frankfurter Universität die Hakenkreuzfahne herunterholen wollte, klemmte dummerweise gerade die Dachluke.
Aber daß Klara Schiller mit demselben Anliegen auch den Luftkriegsexperten und Motorbuch-Verlag-Erfolgsautor Werner Girbig („Im Anflug auf die Reichshauptstadt…“) angeschrieben hatte, war Herrn Medicus offenbar nicht bekannt. Daß jedoch andererseits die ihr persönlich bekannte Gräfin Dönhoff schlicht wirklich keine Zeit (und keine Lust) gehabt haben könnte, sich erst einmal in eine ihr nicht geläufige Materie einzuarbeiten, dieser Gedanke erschien wohl völlig abwegig zu sein.
Verrannt in die fixe Idee vom „Heroisierungsprogramm“, konnte einem ein solcher Gedanke gar nicht kommen, obwohl Dr. Medicus selbst die Erfahrung mit dem Einarbeiten auf dem Gebiet der Luftkriegsgeschichte peinliche Fehler eingebracht hat. Nicht nur, daß er Höhen- und Seitenleitwerk eines Flugzeugs verwechselt („Hakenkreuz am Höhenleitwerk“, S. 142), daß er den englischen Standardbomber Avro „Lancaster“ für eine „Fliegende Festung“ (amerikanische B-17) hält (S. 191) und die Bücker 181 für ein „Sportflugzeug“ (S. 314), er verlegt obendrein die „Reichsmarine“ der Weimarer Republik kurzerhand in das Kriegsjahr 1943 (S. 206). Aus dem Brillantenträger Oberst Helmut Lent wird bei Medicus der „berühmte Nachtjägerpilot Hans Lent“ (S. 273).
Melittas Schwestern gedachten nach dem Kriege vor allem der Fliegerin und Wissenschaftlerin, auch wenn die Vorstellungen Juttas hinsichtlich der Anzahl der Patente – dies war auch Klaras Meinung – viel zu hoch gegriffen waren. Die Korrespondenzen mit führenden Flugzeugkonstrukteuren wie Prof. Willy Messerschmitt und Gerhard Fieseler dürften für die „Heroisierung einer Widerstandskämpferin“ ebenso ungeeignet gewesen sein wie die umfangreichen Briefwechsel wegen der Frage der Rechtmäßigkeit der EK-Verleihung an Gräfin Stauffenberg, die Briefwechsel mit Hitlers einstigem Luftwaffenadjutanten Oberst Nikolaus von Below und dem Adjutanten des Großadmirals Dönitz, dem persönlich bekannten Walter Lüdde-Neurath. Selbst Görings Tochter Edda war schriftlich mit einer Anfrage Klara Schillers befaßt worden, von den einstigen militärischen und wissenschaftlichen Vorgesetzten Melittas ganz abgesehen.
Spekulative Vermutungen und Tatsachen lösen einander ab in der Darstellung des Thomas Medicus, um die Entstehung einer „Widerstandslegende“ im Leben und Wirken der „fliegenden Amazone“ gemäß der „Erinnerungskultur“ ihrer Schwestern zu begründen. Damit erschließt sich zugleich der eigentliche Zweck, dem die Nachforschungen offensichtlich dienen sollten. Die Begründung für die angeblichen Bestrebungen, Gräfin Stauffenberg als „Beteiligte“ am 20. Juli moralisch aufzuwerten, liefert nach dieser Konstruktion „vermutlich“ ein nach dem Krieg verständliches Kompensationsbedürfnis der mehr oder weniger selbst „belasteten“ Familie Schiller. Demnach wollten die Geschwister mit Hilfe der „Legendenbildung“ vor allem ihre eigene „Vergangenheit bewältigen“, ihre persönlichen „Verstrickungen“ in der Zeit des Dritten Reiches, ihre „vertrackte Familiengeschichte“ unbedingt „unter den Teppich kehren“ (S. 330).
Auch Jutta Rudershausen, fand Medicus endlich heraus,
„hatte Interesse daran, den Mantel des Schweigens über ihr Leben vor 1945 wie über ihre Familiengeschichte zu breiten.“ (S. 330) Von der „gröbsten Geschichtsklitterung“ ist die Rede, hatte sie doch (bei Abfassung ihres Manuskripts) die jüdische Herkunft ihres Vaters Michael Schiller „kurzerhand unter den Tisch fallen lassen“ (ebd,) Schlimmer noch: Ihr Mann Kurt Rudershausen, den sie 1932 heiratete, trat 1935 in die NSDAP ein und stieg während des Krieges in der Parteihierarchie auf. Dennoch gelang es ihm nach 1945, „von der amerikanischen Besatzungsmacht in Deutschland als Parteifunktionär unerkannt zu bleiben und sich einem Entnazifizierungsverfahren zu entziehen.“ (S. 333)
Wie einfach: die Konstruktion einer Konstruktion
Jedoch kam Jutta auf Dauer um die „Schuldfrage“ nicht herum, sinniert Medicus:
Wie sollte sie mit ihren komplizierten Familiengeheimnissen umgehen, mit sich als ‚Halbjüdin‘, ihrem Mann, dem ehemaligen Nazi-Bonzen, ihrem Vater, dem Juden? Irgendwann war die Zeit reif für eine biographische Selbsterfindung, und an die Stelle der einstigen Scham gegenüber den Stauffenbergs trat der Stolz, mit der Familie des Hitler-Attentäters verschwägert zu sein.“ (ebd.) So einfach lassen sich Legenden „überzeugend“ begründen.
Und um eine poetische Ausgestaltung nicht verlegen, spannt der Autor den Bogen seiner Gedanken zum „Stimmungswechsel“ durch die Widerstandsforschung, als die Verschwörer des 20. Juli zu moralisch vorbildlichen Helden aufstiegen:
Irgendwann in diesem Jahrzehnt muß (so lautet die logische Schlußfolgerung) bei Jutta Rudershausen und Klara Schiller die Überzeugung gereift sein, auch Melitta von Stauffenberg stehe wegen der nunmehr ausschließlich widerstandsmoralischen Bedeutung ihres Nachnamens ein Platz im Pantheon des 20. Juli zu. Die Gelegenheit war günstig, die Bewältigung der Vergangenheit selbst in die Hand zu nehmen und die familiäre der öffentlichen Erinnerung anzugleichen. Mit Otto Schiller als grauer Eminenz schlossen sich Jutta und Klara zu einer Gemeinschaft zusammen, die Erinnerung konstruierte und damit gleich zweifach der Entlastung diente. Ihre nationalsozialistische Verstrickung sollte entsorgt werden und der jüdische Familienhintergrund weiter unentdeckt bleiben. (ebd.)
Klara Schiller hatte in Gesprächen zwar immer wieder betont, ihre Schwester Melitta hätte „damit“ (mit dem Attentat auf Hitler) doch gar nichts zu tun gehabt, „tut nichts ….“ (Lessing, Nathan), vor Medicus findet auch sie keine Gnade.
Klara Schiller hatte Chemie und Agrarwissenschaft studiert und war von 1934 bis 1938 am „Institut für Pflanzenbau“ in Gießen beim Chef der „Reichsarbeitsgemeinschaft Pflanzenbau und Pflanzenzüchtung“ beschäftigt. Danach widmete sie sich in Madrid bis 1943 für die I.G. Farben dem Soja-Anbau und wirkte damit zur Bewältigung „eines der zentralen Probleme der NSErnährungspolitik.“ (S. 335)
Nach Deutschland zurückgekehrt, arbeitete Klara Schiller am Kaiser-Wilhelm-Institut in Müncheberg. Wilhelm Rudorf, Leiter des KWI seit 1936 und nach Medicus „ein überzeugter Nationalsozialist und Antisemit“, kannte sie persönlich gut. Zur Sicherung der ernährungswissenschaftlichen Autarkie der deutschen Kriegswirtschaft beschäftigte sie sich mit der Züchtung von eiweiß- und ölhaltigen Pflanzen. In dem Zusammenhang durfte jedoch nicht darauf verzichtet werden, auf die Kooperation des KWI mit dem Konzentrationslager Auschwitz zur Herstellung von künstlichem Kautschuk hinzuweisen.
Dieser Kontext mag Klara Schiller unbekannt gewesen sein, (wird noch eingeräumt, doch:) Verständlich ist in jedem Fall, daß die in der Kriegswissenschaft des Dritten Reiches tätige passionierte Wissenschaftlerin Müncheberg, Rudorf und das KWI für Pflanzenzüchtung nach 1945 lieber gegen eine Erinnerung eintauschte, in der ihre Schwester Melitta von Stauffenberg als tadellose moralische Heldin auftrat. (ebd.)
Auch das ist wieder eine von den völlig aus der Luft gegriffenen aberwitzigen Konstruktionen aus Spekulation und Behauptung.
„Verdächtig“: Bruder Otto Schiller arbeitete für die Ernährung des deutschen Volkes während der englischen Hungerblockade!
Den Bruder Otto Schiller (1901-1970) betrachtet Medicus als „Fall für sich“, schließlich ist der spätere Professor der Universitäten Hohenheim und Heidelberg, in mehrfacher Hinsicht „verstrickt“ und „belastet“ gewesen.
Der „abgemusterte“ Freikorpskämpfer(2) studierte in Breslau am Agrarkulturchemischen und Bakteriologischen Institut und beendete seine Studien mit einer Promotion. Sein Thema „barg politischen Zündstoff“, weil die Untersuchung indirekt den Auswirkungen der englischen Hungerblockade auf die deutsche Landwirtschaft während des Weltkrieges galt. Seitdem war die Frage, wie das Deutsche Reich landwirtschaftlich autark werden könne, für Otto Schiller „politisch wie wissenschaftlich bewußtseinsbildend“, was ihn offenbar von vornherein „verdächtig“ erscheinen läßt.
Wie seine Schwester Melitta schöpfte auch er einen Großteil seiner Lebensenergie aus dem Trauma des Versailler Friedens, der sich tief ins Kernholz des Schiller’schen Familiengedächtnisses eingeschnitten hatte. (S. 336).
An anderer Stelle setzt der Autor „Friedensdiktat“ in Anführungszeichen, als handelte es sich nicht sachlich um einen an den Fakten orienterten Ausdruck, sondern um einen bloßen Propagandabegriff der NS-Zeit.
Seit 1924 wirkte Dr. Schiller als Saatzuchtleiter auf landwirtschaftlichen Gütern in der Sowjetunion,
die dort deutschen Trägern zur Erprobung neuer Anbaumethoden zur Verfügung gestellt wurden. Später absolvierte der junge Gelehrte ein Zweitstudium in Volkswirtschaft in Berlin und Königsberg. Über das Thema „Die wirtschaftlichen und sozialen Probleme der Kollektivbewegung in der Sowjetunion“ promovierte er erneut. Im Mai 1931 wurde Dr. Dr. Otto Schiller als landwirtschaftlicher Sachverständiger an die deutsche Botschaft nach Moskau berufen (S. 337). Durch eine ausgedehnte Reisetätigkeit in Stalins Reich wurde er dabei zum Augenzeugen der infolge Zwangskollektivierung hervorgerufenen Hungerkatastrophe. Nebenbei erwarb er sich exzellente Sprach- und Fachkenntnisse. Doch aufgrund des Mißtrauens sowjetischer Behörden mußte er Ende 1936 die deutsche Botschaft in Moskau verlassen, und 1939 erhielt er sogar Einreiseverbot in die Sowjetunion.
Der Überfall auf die Sowjetunion am 22. Juni 1941 (führt Medicus hämisch weiter aus) versetzte Otto Schillers Karriere einen kräftigen Schub.
Die erstmals an diesem Tag vom sowjetischen Außenminister Molotow verwendete Propagandaformel vom „Überfall“ wird bis zum Überdruß immer wieder bemüht, soll in diesem Fall aber eine besondere Konnotation beim Leser auslösen.
Bereits vor Beginn des Vernichtungskrieges im Osten war der agrarwissenschaftliche Experte in den Wirtschaftsstab Ost berufen worden. (S. 338)(3)
Im Wehrwirtschaftsstab Ost also
nahm der Sowjetkenner die Reisetätigkeit wieder auf, die er 1936 unfreiwillig hatte aufgeben müssen. (ebd.)
Die wichtigste Aufgabe dieses Stabes sieht Medicus natürlich in der rücksichtslosen „Ausplünderung von Land und Leuten“. Einerseits
sollte die Versorgung der auf sowjetischem Territorium kämpfenden deutschen Truppen gewährleistet“ sein, andererseits galt es die deutsche Kriegswirtschaft als Ganzes zu unterstützen. (ebd.)
So war Otto Schiller als Verfasser der „berüchtigten“ nationalsozialistischen „Neuen Agrarordnung“ vom Februar 1942 „genau der richtige Mann“, soll dessen Berichte über kollektivierte Landwirtschaft doch auch Stalin gelesen haben, wie Medicus sarkastisch anmerkt (S. 339).
Der „Spezialist des Hungers“ aus Erfahrung wußte, „daß die Vermeidung von Hunger agrarwissenschaftlicher Methoden bedurfte.“ (ebd.). Von Bauernbefreiung und Privateigentum durch die „Neue Agrarordnung“ konnte nach Medicus „trotz aller propagandistischen Rhetorik“ keine Rede sein.
Dem 1969 mit dem Großen Bundesverdienstkreuz ausgezeichneten Prof. Otto Schiller werden indirekt „Massenverbrechen“ der deutschen Besatzungspolitik in Weißrußland angelastet. Etwas moderater formuliert, heißt es schließlich:
An Planung wie Ausführung der nationalsozialistischen Hungerpolitik in den zu Kolonien degradierten besetzten sowjetischen Gebieten war der Agrar- und Sowjetexperte Otto Schiller an verantwortlicher Stelle beteiligt. (ebd.)
Immerhin würdigt man heute in Polen den am 27. September 1901 in Krotoschin (Posen) geborenen Professor Otto Schiller als
berühmten deutschen Wissenschaftler auf dem Gebiet der Landwirtschaft und der Argarpolitik (mit dem Zusatz:) Er war der Bruder der berühmten deutschen Pilotin Melitta von Stauffenberg.(4)
Worauf aber stützt sich hauptsächlich die These von der Erfindung einer Heldensaga, von der „Heroisierung“ Melittas von Stauffenberg durch deren Geschwister?
Um die „neue Biographie“ nicht als bloßes „Remake“ (wie es in einem äußerst kritischen Kommentar bei Amazon heißt) erscheinen zu lassen, bedurfte es natürlich mindestens einer sensationellen „Enthüllung“. Und für diese steht jetzt ein Name: Prof. Dr. Paul von Handel, einst Arbeitskollege Melittas während ihrer Tätigkeit in der DVL (Deutsche Versuchsanstalt für Luftfahrt) Berlin Adlershof und verschwägert mit den Familien Üxküll-Gyllenband und Stauffenberg. Paul v. Handel war also ein enger Vertrauter der Gräfin Stauffenberg. Konkret geht es um die Frage, ob die Fliegerin von den Attentatsplänen ihres Schwagers wußte oder sogar um Unterstützung gebeten worden war.
In seinem Buch argumentiert Thomas Medicus :
Gerhard Bracke hat in seiner … Biographie von einer Mitwisserschaft gesprochen und behauptet, Melitta von Stauffenberg sei in die logistischen Planungen des Attentats auf Hitler mit einbezogen gewesen. Der deutsch-kanadische Historiker Peter Hoffmann, Fachmann für die Geschichte des 20. Juli 1944, ist Bracke in seiner grundlegenden Biographie über die Brüder Stauffenberg … gefolgt, die Behauptung einer Mitwisserschaft beziehungsweise Mittäterschaft Melitta von Stauffenbergs ist seither weitgehend unwidersprochen geblieben, zumindest nie widerlegt worden. Tatsächlich gibt es für ihre Beteiligung an den Attentatsplänen des 20. Juli keinerlei stichhaltige Beweise. Der einzige Zeitzeuge, den Bracke aufbieten konnte, war Melittas alter Freund Paul von Handel. (S. 276).
Auf diese Weise suggeriert der Autor, es sei Bracke darum gegangen, eine solche „Behauptung“, von der überhaupt keine Rede sein kann, unbedingt zu vertreten. In Wahrheit konnte der Biograph einen derartigen Zeitzeugenbericht aus Melittas unmittelbarer Umgebung nicht einfach ignorieren, und er nahm ihn ernst. Der Ausdruck „Mittäterschaft“ verfälscht obendrein den Sachverhalt ganz erheblich. Obwohl v. Handels Bericht „Erinnerungen an Litta“ vollständig wiedergegeben wurde, sahen weder Prof. Peter Hoffmann noch der renommierte Tübinger Althistoriker Prof. Karl Christ einen Anlaß, aus quellenkritischen Gründen am Wahrheitsgehalt zu zweifeln oder die Glaubwürdigkeit des Dokuments in Frage zu stellen.(5)
Der Umstand (schreibt v. Handel), daß ich von den Plänen vom Umsturz wußte, war dadurch gegeben, daß ich dabei gewisse Funktionen übernehmen sollte. Und der Grund, weshalb Litta nichts davon wußte, lag einfach darin, daß sie nichts damit zu tun haben sollte. […] Ich trat im Jahre 1943 mit meinem gesamten Institut für Elektro-Physik, dessen Leiter ich damals war, aus der Deutschen Versuchsanstalt aus und verlegte es nach Süddeutschland … […] Dies brachte es mit sich, daß ich von 1943 ab nur sehr selten in Berlin war, etwa im Monat nur auf ein paar Tage zu Besprechungen mit führenden Reichsstellen der Forschung. … Ich sah Claus nur selten in seinem Haus und Litta nur selten in Gatow.
Es war bei einem dieser Besuche, … im Mai oder Juni 1944, als Litta mir sagte, daß Claus mit ihr gesprochen habe über sein Vorhaben und sie gefragt hätte, ob sie bereit sein würde, ihn mit einem der Flugzeuge, die ihr zur Verfügung standen, nach Ostpreußen in Hitlers Hauptquartier zu fliegen. …. Sie habe ihm dies selbstverständlich zugesagt.
Diese Nachricht hat mich tief bestürzt. Ich wußte natürlich, daß Claus diesen Vorschlag nur deshalb gemacht haben konnte, weil er den Kreis der Wissenden nur durch einen absolut verläßlichen Menschen erweitern wollte. […] Ich wußte aber auch, daß Litta zur freien Verfügung nur ein Flugzeug des Typs Fieseler Storch stand, ein Flugzeug, das speziell für Langsamflug konstruiert gewesen ist und dessen Reichweite nicht die ganze Strecke von Ostpreußen bis Berlin bewältigen konnte ohne Zwischenlandung zum Auftanken …(6)
Litta war sich der Tatsache wohl bewußt, daß der Plan mit dem Fieseler Storch beinahe aussichtslos erschien. Sie war aber nicht bereit, dies Claus zu sagen, sondern bestand darauf: „Wenn ich gerufen werde, bin ich da. Ich habe keine Angst vor dem Tode.“
Es war eines der letzten und schwersten Gespräche, die ich mit Litta hatte,
fügte v. Handel hinzu. Er wies sie darauf hin, daß sie verpflichtet wäre, Claus v. Stauffenberg die Wahrheit zu sagen. Damit gelang es ihm schließlich, sie umzustimmen.(ebd.).
Es ist nun bezeichnend, daß der Autor Medicus nicht nur die Notizkalender-Eintragungen über Begegnungen und Gespräche mit den Stauffenberg-Brüdern und Paul v. Handel vor dem 20. Juli einfach übergeht, sondern allein den Hinweis, daß das Führerhauptquartier „Wolfsschanze“ in Ostpreußen erst am 14. Juli 1944 nach Umbauarbeiten wieder zur Verfügung stand, für ausreichend hält, den Zeitzeugenbericht ad absurdum zu führen. Anhand dieser Einzelheit wird ungeachtet der Möglichkeit, daß v. Handel sich in den Monatsangaben geirrt haben könnte, die ganze Erzählung eines engen Vertrauten der Gräfin als bloße Erfindung abgetan, als „Räuberpistole“ bezeichnet. (S. 328).
Im Grunde genommen handelt es sich bei der in der Tat bemerkenswerten Aussage des vertrauten Kollegen aus der Vorkriegszeit nur um die Erwähnung einer Episode im Leben der Gräfin Stauffenberg, eine Facette im Gesamtbild, gewissermaßen eine Randnotiz, die weder v. Handel noch die Schiller-Geschwister (Otto lebte schon nicht mehr) zu einem Mitverschwörer-Mythos aufgewertet wissen wollten. Und was Medicus als „quellenkritisches“ Vorgehen betrachtet, entbehrt in Wahrheit aller Sachkriterien wissenschaftlicher Textkritik. Die behauptete Unglaubwürdigkeit des einzigen Überlebenden mit dem Wissen um diese Episode im Leben Melittas wird einfach als Behauptung in die Öffentlichkeit gebracht.
Entsprechend willkürlich verfährt der Autor im Umgang mit den Quellen, wenn er v. Handels Erwähnung seines zufälligen Anrufs aus München im Augenblick der Verhaftung Melittas „unter den Tisch fallen läßt“, wenn er in Verbindung mit dem Text der Stockholmer Rede Melittas deren Wunsch zu Beginn des Krieges, Einsätze für das Rote Kreuz fliegen zu wollen, schlicht als „Unwahrheit“ darstellt. (S. 251) Gräfin Stauffenberg war nachweislich auch DRK-Helferin im Krieg. Und wenn andererseits Prof. Dr. phil. Hermann Blenk, Melittas Kollege und späterer Leiter der Aerodynamischen Abteilung der DVL, schreibt, Melitta Schiller „beurteilte den heraufkommenden Nationalsozialismus sehr kritisch und nüchtern“ (7), dann stört eine solche Zeitzeugenaussage offenbar das verfolgte Gesamtkonzept. Die Nichtbeachtung einer so wesentlichen Zeitzeugenaussage dürfte kein Zufall sein.
Dagegen steht die Großzügigkeit im Erfinden eines nicht nachweisbaren „Dokuments“:
Zu Beginn des Jahres 1944, höhnt der Biograph, habe Gräfin Stauffenberg „eine Demütigung hinnehmen müssen“ (S. 267), weil dem Vorschlag auf Verleihung des EK I (vom Januar 1944), eingereicht vom Kommandeur der LKA, Generalleutnant Dr. Knauss, angeblich „nicht entsprochen“ worden war. Einen Beleg für die Ablehnung kann Medicus nicht vorweisen, denn so etwas gab es eigentlich auch nie. Zwischen Vorschlag und Verleihung lagen oft viele Monate, zumindest beim Ritterkreuz, und das ist der EK I-Verleihung an eine Frau durchaus vergleichbar. Von einer „Demütigung“ zu sprechen, ist absolut verfehlt und Zeichen der Ignoranz.
Folgt man der Kernthese des Autors, dann ging es Melittas Schwestern einzig darum, Gräfin Stauffenberg einen „Platz im anderen Deutschland des 20. Juli“ zu sichern, „sie sollte zur Widerstandskämpferin geadelt werden.“ (S. 327)
Jedenfalls kaufte das ZDF das Manuskript der „Hobbyjournalistin“ Jutta Rudershausen, und am 6. Januar 1974
flimmerte der Film „Fliegen und Stürzen“ über die bundesdeutschen Mattscheiben. Damit war das Narrativ einer Beteiligung Melittas an der Verschwörung des 20. Juli 1944 erstmals erfolgreich öffentlich lanciert worden. (S. 327)
Den einzigen Zeitzeugen Paul von Handel
als Kronzeugen für eine Beteiligung Melittas an den Attentatsplänen zu präsentieren war ein Coup. Dreißig Jahre nach dem Ereignis präsentierte Handel vor laufender Kamera seine Räuberpistole … (S. 328) … Sogar Jutta und Klara waren verblüfft, das hatten selbst sie beim besten Willen nicht erwartet. […] Seine Einlassungen fügten sich perfekt in die vergangenheitspolitischen Bestrebungen der Schwestern, vor allem aber in die eigenen. Seine Aussagen als Zeitzeuge dienten vor allem dem Zweck, auch sich selbst einen Platz in der Geschichte des Widerstandes gegen das NS-Regime zu sichern,
behauptet Medicus weiter. (ebd.) Im „Nachtreten“ mit Hilfe der Vergangenheitsbewältigung hinreichend geübt, genügt auch hier dem Autor der bekannte Hinweis auf das Kompensationsbedürfnis wegen „Verstrickung“. Im KZ Dachau hatte die SS-Führung 1943 ein Institut für Hochfrequenzforschung gegründet. Dort arbeiteten ca. 25 Häftlinge mit Spezialkenntnissen, die Radaranlagen aus erbeuteten Feindflugzeugen untersuchten. Für Medicus ist daher der Schluß naheliegend:
Als Direktor eines kriegswichtigen Forschungsinstituts waren Handel solche Verflechtungen zweifellos bekannt … Der hochgewachsene Freiherr, der 1981 in Salzburg starb, hatte viele Gründe, seine Spuren im geographischen Nirgendwo eines nicht näher bezeichneten Süddeutschlands versanden zu lassen und sich nachträglich eine bessere Vergangenheit zu verschaffen.(S. 330)
So schonungslos kommen Spott und Hohn über die Toten auf der Grundlage bloßer Vermutungen und spekulativer Konstruktionen daher.
Gräfin Dönhoff schickt das ZDF
Da erweist es sich als glücklicher Umstand, daß aus dem Nachlaß von Klara Schiller ein an sie gerichteter handschriftlicher Brief Paul v. Handels, datiert vom 27. April 1973, vorliegt, aus dem klar hervorgeht, w e r die Initiative zum ZDF-Beitrag für den besagten Dokumentarfilm eigentlich ergriffen hat: keine Geringere als Gräfin Dönhoff !
Heute Nacht (schreibt Prof. Handel) war Herr Caspari vom West Deutschen Fernsehen hier, Marion Dönhoff von der ZEIT hat ihn hierher geschickt [sic!]. Wir haben von 6 Uhr abends bis um ½ 3 früh über Litta und die ganze Zeit von damals gesprochen. Ich glaube, Ihr hättet gar keinen besseren Mann finden können zur Darstellung und Interpretation dieses Fernseh-Vorhabens. Er ist ein sehr gebildeter, kluger und überaus feinnerviger Mann mit einer ausgezeichneten Einfühlung in Littas Persönlichkeit, Umgebung und Zeit. Ich bin gewiß, daß seine Darstellung sehr schön und sehr richtig sein wird, und ich bin sehr dankbar, daß nun doch eine so schöne Erinnerung an Litta bleiben wird.
Der Brief enthält keine Bemerkung zur Bedeutung einer Mitwisserschaft, sondern bekundet ausschließlich das Interesse an einer Gesamtwürdigung von Leben und Leistung Melittas. Auf den Besuch des Drehbuch-Autors Caspari bezieht sich noch ein weiterer Passus in diesem Brief:
Ich glaube, Herr Caspari war mit seinem Besuch auch ganz befriedigt. Ich konnte ihm einiges sagen, was ihm selbst schon etwa so gedämmert hatte, was aber im Widerspruch stand zu allen Aussagen, die er bisher von einer Reihe von Menschen bekam, die Litta kannten und die er befragt hatte.
Wie gewissenhaft Paul v. Handel bei der Abfassung seiner „Erinnerungen an Litta“ vorzugehen bemüht war, zeigt seine Aufforderung an Klara Schiller („Pims“), über nötige Korrekturen frei zu verfügen:
Bitte fühle Dich frei, wegzulassen oder zu korrigieren, wie es Dir richtig erscheint. Es kann gut sein, daß, wenn die anderen Zuschriften vorliegen ….., daß dann da oder dort Korrekturen nötig werden, um Widersprüche oder Wiederholungen zu vermeiden.(8)
Hohn und Häme machen auch vor einem Kriegsversehrten, wenn er denn Deutscher ist, nicht halt
Zu den bemerkenswerten Seiten des Medicus-Buches gehören zweifellos die Ausführungen über das Schicksal eines jungen deutschen Soldaten, dessen Tod Gräfin Stauffenberg tief erschütterte. Oberleutnant Friedrich Franz Amsinck, Jahrgang 1919, war
ein außergewöhnlicher Mann (und) nach den Begriffen der Propaganda (wie der Autor sich ausdrückt) ein Held und entsprechend dekoriert worden. (S. 222 f.).
An der Ostfront 1941 schwer verwundet – linke Hand und rechter Ellenbogen fehlen ihm – , setzte er alles daran, sich mit Hilfe selbstkonstruierter Prothesen von Gräfin Stauffenberg zum Flugzeugführer ausbilden zu lassen.
Er war damals 24 Jahre alt und wollte unter dem Eindruck seiner zerstörten Heimatstadt Hamburg unbedingt Jagdflieger werden. Nach erfolgreicher Ausbildung gelang es ihm, zum Stab des JG 301 versetzt zu werden und zum Feindeinsatz zu kommen. In der Nacht vom 20./21. Januar 1944 stürzte er mit seiner Fw 190 A-7 aus unbekannter Ursache etwa 10 km nördlich der Stadt Kehlheim in Bayern tödlich ab.(9)
An der Trauerfeier mit militärischen Ehren in Hamburg nahm auch Melitta teil und rühmte in der Nienstedter Kirche, wie Medicus formuliert,
den armen Krüppel Franz als „Beispiel und Vorbild soldatischen Lebens und Sterbens“, sein „stürmisches junges Kämpfertum“, das sich „nicht schöner und sinnvoller hat erfüllen können, als durch solchen Tod für Volk und Land“. Zwar ließ sie den „Führer“ in dieser Formel unter den Tisch fallen, das von ihr verfaßte fünfstrophige Gedicht „Andenken Friedrich Franz Amsincks“ trieb jedoch das dem nationalsozialistischen Toten- und Heldenkult eigene Pathos umso vehementer auf die Spitze,
wertet Medicus. Unter Hinweis auf Anklänge an das 1915 erschienene Kriegsbuch „Der Wanderer zwischen beiden Welten“ von Walter Flex (1887-1917) beschränkt sich der Autor jedoch darauf, nur eine einzige Strophe aus Melittas Gedicht zu zitieren:
Es ist die Ganzheit in Dir, die mich anrührte:
Deine herzergreifende Tapferkeit, die Liebe
Zum eigenen Schicksal; urgermanische Überlieferung,
neu und herrlich in Dir geboren.So lautet die zweite Strophe der knapp vier Jahre zuvor per Führerbefehl „arischen Personen“ gleichgestellten Melitta Gräfin Schenk von Stauffenberg, geborene Schiller, deren Großvater aus Brody stammte und dort in die Synagoge gegangen war. Hatte Litta all das vergessen….? (S. 259).
Und so tönt höhnender Nachhall von
systemkonformer Haltung (und) schlechtem Gewissen, weil sie am Tod Amsincks nicht ganz unschuldig war. Immerhin war es auch ihr Gutachten, das grünes Licht für seinen Einsatz als Nachtjäger gegeben hatte. Franz‘ Tod konfrontierte sie zum ersten Mal direkt und schonunglos mit den Auswirkungen der technisierten militärischen Gewaltanwendung, die ihr Arbeitsgebiet war. (S. 260).
Wenn man sich von dieser Sichtweise vereinnahmen ließe, müßte man glauben, die Gegner Deutschlands wären völlig ohne militärische Gewaltanwendung ausgekommen und Rüstungsanstrengungen, Arbeitsgebiet der „waffenkundigen Amazone“, wären einzig und allein in Deutschland üblich gewesen.
Den „amputierten Franz“ aber betrachtet Medicus als lebendigen Beweis dafür,
was es hieß, unter den Bedingungen des nationalsozialistischen Weltanschauungskrieges ein Krüppel zu sein. (S. 233).
Im Gegensatz zu dieser ideologisch verengten, monokausalen Geschichtsbetrachtung vertritt man in England ein realistisches Geschichtsbild und sieht die beiden Weltkriege als Einheit, spricht vom „zweiten Dreißigjährigen Krieg“ im 20. Jahrhundert. Und so formulierte es bereits der britische Premierminister W. Churchill im Februar 1944 in einem Brief an den (Bundes-)Genossen Stalin:
Ich betrachte diesen Krieg … als ein Ganzes und als einen dreißigjährigen Krieg von 1914 an …
Am Ende der Buchlektüre „Melitta von Stauffenberg Ein deutsches Leben“ aber drängt sich die Erinnerung an Mephistos Worte aus Goethes „Faust“-Dichtung auf:
Ein großer Aufwand, schmählich! ist vertan.
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1 Gerhard Bracke: Melitta Gräfin Stauffenberg – Das Leben einer Fliegerin Langen Müller, München 1990
2 Otto Schiller hatte sich nach dem Ersten Weltkrieg den Freikorpsverbänden zur Grenzsicherung angeschlossen.
3 Gemeint ist der „Wehrwirtschaftsstab Ost“. „Vernichtungskrieg im Osten“ gehört zum Standardvokabular seit der Reemtsma-Ausstellung gegen die deutsche Wehrmacht
4 „Hervorragende Polen, Deutsche und Juden des Krotoschiner Landes“, hrs. vom Regionalmuseum, Krotoszyn 2002, S. 41 f.
5 Peter Hoffmann: Claus Schenk Graf von Stauffenberg und seine Brüder, Stuttgart DVA 2. Aufl. 1992 Karl Christ: Der andere Stauffenberg – Der Historiker und Dichter Alexander von Stauffenberg Mü., Beck 2008
6 Gerhard Bracke, a.a.O., S. 178 f.
7 Prof. Dr. H. Blenk: Erinnerungen an Melitta Schiller, Schreiben vom 13.9.1974 Gerhard Bracke, a.a.O., S. 38
8 Brief Paul v. Handels an Klara Schiller vom 7. Juni 1974
9 Willi Reschke: Chronik Jagdgeschwader 301/302 „Wilde Sau“ Stuttgart 2011, S. 36
10 Briefwechsel Stalins mit Churchill, Attlee, Roosevelt und Truman 1941-1945 Berlin (Ost) 1961, S. 254
Liebe Adelinde,
viel Mühe, nur daß unter den heutigen Umständen es nicht möglich ist dem Wirken deutschsprachiger Juden, was nach Grimm die richtige Bezeichnung sein sollte, mit dem Ziel der Wahrheitsfindung nachzuspüren.
Was mich aber interessieren würde: Von Hanna Reitsch und Beate Uhse ist bekannt, daß sie die Flugscheiben als Testfliegerinnen flogen. Ist das auch von Melitta S. bekannt? Womöglich kam sie dafür nicht in Frage? Was weiß man darüber?
Ich glaube, das war eine sehr schwierige Zeit, und ich bin froh, die Gnade der späten Geburt zu haben.
Die Verlagsgruppe Langen Müller / Herbig in München bereitet für das Frühjahrsprogramm 2013 eine Neuauflage meiner Melitta-Gräfin-Stauffenberg-Biographie vor. Das bisherige Nachwort wird durch eine aktualisierte Fassung ergänzt.
Krotoszyn (niem. Krotoschin) – Aktuelle Erscheinung (2011) erklärte das Haus mit Bildern. Bitte starten Sie die Google Street View.
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