Hochkarätig: Impressionistinnen
Freitag, 19. März 2010 von Adelinde
Ein wunderschön gestalteter, aufwendig mit vielen Bildern und aufschlußreichen Texten ausgestatteter Band „Impressionistinnen“ ist zur gleichnamigen Ausstellung in der Schirn Kunsthalle Frankfurt (22.2. bis 1.6.08) erschienen, herausgegeben von Ingrid Pfeiffer und Max Hollein, Verlag Hatje Cantz (Titelbild von Berthe Morisot).
Ein Genuß, die ausdrucksstarken Bilder zu betrachten, eine Freude, das Genie von vier der Malerinnen zu erleben, die in der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts trotz vielfältiger Behinderungen hervortraten und denen nun erstmalig eine breite Plattform geboten wurde, auf der
eine hochkarätige Auswahl von etwa 150
ihrer Werke dargeboten wurde, wie Direktor Max Hollein im Vorwort des Bandes mitteilt.
Hollein hebt hervor, daß gerade diese vier Künstlerinnen
- Berthe Morisot,
- Mary Cassatt,
- Eva Gonzalès und
- Marie Bracquemond
schon
in ihrer Epoche besondere Anerkennung erfuhren, von Freunden und Kritikern sogar zum Kern der impressionistischen Bewegung gezählt wurden und weltweit in den wichtigsten Museen und Sammlungen vertreten sind,
aber dennoch
bis heute in der Wahrnehmung einer großen Öffentlichkeit fehlten. (8) (Seitenzahlen in Klammern)
Pfeiffer hingegen betont, daß die Malerinnen noch immer nicht
in einem Atemzug mit ihren Kollegen Monet, Manet, Renoir, Degas, Pissarro usw. genannt werden.
Noch in der „aktuellen Literatur“ werden
nur die Frauen … in den Anthologien bei Aufzählungen mit Vornamen genannt,
also ausdrücklich als Frauen gekennzeichnet. (14)
Wir kennen es aus den Kritiken auf dem Gebiet der Musik für die Komponistin Emilie Mayer (1812-1883). Ihre meisterlichen Werke wurden stets relativ zu ihrer „weiblichen“ Herkunft beurteilt, so auch die Werke der Malerinnen. Den Kritikern fehlt es dann allzu leicht an Objektivität.
Sobald bekannt ist, daß ein Werk von einer Frau stammt, wird ihm die Zuschreibung zur Klasse der Großen von vornherein verweigert. Diese Neigung ist bis heute zu beobachten, wenn auch wohl kaum noch gewagt wird auszusprechen, was bis weit ins 20. Jahrhundert hinein noch allgemeine Ansicht war:
… daß es keine genialen Frauen gibt und daß, wenn sie Genie zeigen, ein Betrug der Natur vorliegt, insofern sie Männer sind. (Edmond de Goncourt 14)
Die Gazette des Femmes habe schon
1883 die Zahl der professionell arbeitenden französischen Künstlerinnen (Malerinnen und Bildhauerinnen) auf etwa 3000
geschätzt, berichtet Pfeiffer und fügt hinzu:
In der Epoche des Impressionismus kamen rund 1000 amerikanische Künstler jährlich zum Studium nach Paris, davon ein Drittel Frauen. (12)
In einem gesonderten Kapitel des Buches beschreibt Anna Havemann den Kampf der Künstlerinnen um die Berechtigung, zu den angesehenen öffentlichen Kunstakademien zugelassen zu werden, deren Unterricht kostenlos war. In Europa zog er sich im Gegensatz zu Nordamerika jahrzehntelang hin. Frauen in Deutschland, Frankreich, England, die ihr Talent ausbilden lassen wollten, waren gezwungen, bei Künstlern teuren Privatunterricht zu nehmen.
In Berlin setzte Anton von Werner, von 1875 bis 1915 Direktor der Hochschule für bildende Künste, 1879 in den Statuten des Hauses den §60 durch, der die Aufnahme von Frauen untersagte.
Erst 1919, nach von Werners Tod, rang sich die Akademie angesichts der gesellschaftlichen Veränderungen (seit 1908 waren Frauen an preußischen Universitäten zugelassen, 1919 wurde das Frauenwahlrecht eingeführt) dazu durch, ihre Zulassungspraxis zu ändern. (282)
Das größte Problem schien den Verantwortlichen das Aktstudium zu sein. Da Frauen
nach Auffassung der Akademiker, Mediziner und Sittenwächter der bürgerlichen Moral … die intellektuelle Fähigkeit, Körperliches in Geistiges zu verwandeln,
abginge, wurde ihnen lange Zeit das Studium der Aktmalerei vorenthalten, das jedoch wichtige Voraussetzung für die Schaffung lebensvoller Figuren ist. Völlig undenkbar gar schien die Anwesenheit von Frauen in gemischten Aktzeichenklassen, würden durch sie doch die männlichen Studierenden zu sehr abgelenkt. Erst im Januar 1900
nach mehreren Parlamentsdebatten
wurden Gelder bewilligt, die der Ecole des Beaux Arts in Paris ermöglichte, eine von den Männern getrennte Aktklasse für Frauen einzurichten,
um Frauen endlich eine gleichwertige, staatlich finanzierte künstlerische Ausbildung zu ermöglichen. (Tamar Garb 286).
Die Pennsylvania Academy of the Fine Arts dagegen, so ihr fortschrittlicher Leiter von 1876 bis 1883 Thomas Eakins, war
die einzige Schule auf der Welt, wo Frauen die menschliche Figur ohne Verdruß studieren können. (284)
Eakins zeigt sich als Freigeist, wenn er 1887 an Amelia van Buren schreibt: Die Künstlerin
muß professionelle Privilegien in Anspruch nehmen. Sie muß ihr eigener Tugendwächter sein. Sie muß sich das Recht nehmen, nackte Männer und Frauen zu studieren. Sie erteilt der Prüderie eine Absage, sperrt die Tür ihres Ateliers ab, wann immer sie will, und verweigert den Zutritt mit der Begründung, daß sie ein Modell bei sich hat.
Ohne diese Privilegien braucht sie sich keinerlei Hoffnung zu machen, in irgendeiner Weise mit Männern oder den intelligenten Vertreterinnen ihres eigenen Geschlechts konkurrieren zu können, und eine Prüderiebescheinigung würde in diesen Zeiten nicht dazu beitragen, eine figürliche Studie aus der Hand einer jungen Dame zu verkaufen. (284-285)
Als 1867 Louisa Starr für ein Historiengemälde die „Gold Medal“ gewinnt, „überschwemmen“ Frauen die Royal Academy of Arts in London. Der damalige Präsident Francis Grant
kommentierte in einer Rede Starrs außergewöhnlichen Erfolg:
“Ich glaube, dies ist eine ernsthafte Warnung an uns Männer, die wir uns die Herren der Schöpfung nennen. Vielleicht werden wir in unseren Schuhen zittern, wenn wir sehen, wie die »Sturmflut« weiblicher Begabung und Initiative mit großer Geschwindigkeit auf uns zurollt und droht, über uns zusammenzuschlagen.“ (286)
Die Impressionisten, so Wynford Dewhurst 1904 ,
… waren unabhängige Kollegen, die einander freundschaftlich verbunden und von den gleichen Empfindungen getrieben waren und alle dasselbe ästhetische Problem zu lösen suchten. Gleichzeitig lassen sie sich in deutlich unterscheidbare Persönlichkeiten und Gruppen trennen … Zum ersten Mal in der Geschichte der Kunst spielen Frauen eine aktive Rolle in der Gründung einer neuen Schule. Madame Berthe Morisot, Miss Mary Cassatt und Madame Eva Gonzalès müssen zu den frühen Impressionisten gerechnet werden.
Betrachten wir nun ihre Bilder, so fällt uns auf, daß ihre Motive sich auf ihre Familienangehörigen in ihrer Häuslichkeit, ihren Gärten und auf ihren Terrassen beschränken, auf die vermeintlich typisch und eigentlich „weiblich“ enge Welt. Da es für Frauen des Bürgertums zu ihrer Zeit jedoch unmöglich war, ohne Ehemann oder Anstandsdame auszugehen, waren ihnen Motive aus der Öffentlichkeit weitgehend unzugänglich.
Doch wichtig ist weniger die Örtlichkeit, als vielmehr die Wiedergabe des Wesens, des lebendigen Ausdrucks der dargestellten Menschen. Und hier zeigen die Künstlerinnen ihre ganz besondere Fähigkeit des Hinsehens und Wiedergebens. Der Impressionismus zeichnet sich dadurch aus, daß er den flüchtigen Augenblick festzuhalten bestrebt ist, seine Formen und Linien an Eindeutigkeit und Festigkeit verlieren, aber gerade dadurch das Wesensmäßige so besonders lebensnah und wahrhaftig vor das betrachtende Auge tritt.
Doch
diesem Stil wurde unterstellt, “explizit feminin” zu sein in seiner Hervorhebung der Lichteffekte, seiner hellen, sensitiven Oberflächen, der häufigen Verwendung von Weiß, dem offenen Pinselstrich, der Skizzenhaftigkeit und “Offenheit” der Ausführung …
Dies und die Themenauswahl
wurde als Argument für harte Kritik verwendet und mit – den Frauen allgemein zugewiesenen – Eigenschaften belegt: kapriziös, nervös, unentschieden, oberflächlich, nachahmend, unfertig, naiv, schwächlich, temporär und ohne bleibenden Wert. (15)
Der neue Stil war gewöhnungsbedürftig, und erst allmählich ging den Betrachtenden die Genialität auf, mit der bedeutende Künstler und Künstlerinnen gerade mit den Mitteln des Impressionismus gestalteten, eines Kunststils, der sich überdies bewußt
mit den Herausforderungen und Möglichkeiten einer bürgerlich-urbanen Moderne (auseinandersetzte). (Pollock 154)
Berthe Morisot (1841-1895)
bekommt gemeinsam mit ihren Schwestern im Alter von 13 Jahren privaten Malunterricht in Paris, macht 1858 erste Kopien im Louvre und ist 1864 erstmals im Pariser Salon mit zwei Landschaften vertreten. Ein Jahr später läßt ihr Vater ihr und den Schwestern ein Atelier im Garten des Pariser Wohnhauses bauen.
In den folgenden Jahren stellt sie regelmäßig im Pariser Salon aus. Sie lernt Edouard Manet kennen. Sie arbeiten häufig gemeinsam und beeinflussen einander. 1877 heiratet sie seinen Bruder. 1878 bringt sie ihr einziges Kind, Tochter Julie Manet, zu Welt, die sie dann oft malt.
Sie erzielt Höchstpreise für ihre Werke und hinterläßt 1880 auf dem Höhepunkt ihres Schaffens einen herausragenden Eindruck auf der Impressionisten-Ausstellung in Paris.
Berthe Morisot ist nicht wie manche ihrer Kollegen „Malerin der Arbeitswelt“, hebt Linda Nochlin hervor,
sie gehört vielmehr – wie unter anderem Whistler und Manet – zu den Künstlern des ausgehenden 19. Jahrhunderts, die eine spezifische Ikonografie der Freizeit erstellen … Morisots Œuvre enthält zahlreiche Werke zum Thema Freizeit, Müßiggang und Erholung (52),
die sich die wohlhabende bürgerliche Gesellschaft zu damaliger Zeit leisten konnte. Dabei schien sie nach den Worten ihrer Mutter in ihrer Malerei durchaus harte Arbeit zu sehen: Sie habe beim Malen stets ein
sorgenvolles, unglückliches, fast grimmiges Gesicht (gemacht, ja,) Ihr Dasein gleicht den Qualen eines Kettensträflings.
Mary Cassatt (1845-1926),
die Amerikanerin, übersiedelt 1872 endgültig nach Europa, nachdem sie sich bei einem Frankreich-Aufenthalt vier Jahre zuvor entschlossen hat, Malerin zu werden. Sie lernt fließend französisch und deutsch zu sprechen, vertritt aber „offensiv“ ihr „Selbstverständnis als Amerikanerin“, wie sie auch
eine politische und erklärtermaßen feministische Denkerin (ist, die will, daß Frauen) jemand und nicht etwas
sind. So war sie bestrebt,
eine Bildsprache zu formen, mit der sich die Frau nicht mehr als Objekt, sondern als Subjekt ins Bild des zeitgenössischen Lebens setzen ließ. (154)
Sie wird von Degas entdeckt und eingeladen, dem Club der „Indépendants“, wie sich die Impressionisten auch nennen, beizutreten. Beide verbindet die gleiche Art, zu empfinden und unabhängig „von der offiziellen zeitgenössischen Kunst“ zu schaffen.
Auffallend oft ist das Paar „Mutter und Kind“ Cassatts Motiv.
Sie brillierte mit Bildern von Kindern und ihren Müttern. Doch ihr Sentiment wäre niemals in Sentimentalität abgeglitten. Dafür hatte sie einen zu lebhaften Geist. Und zu viel Geschmack.
Ein Kritiker des New York Daily Tribune faßt 1895 zusammen:
Es kommt nicht oft vor, daß man auf einen so gebieterischen Strich trifft, mit einer so festen und kräftigen Hand. Die Weiblichkeit dieser Malerin kommt in der Zärtlichkeit ihrer Kinderporträts heraus, doch in allen anderen Aspekten ihrer Kunst schaltet sie die Frage des Geschlechts weitgehend aus. Sie macht gute Bilder und das genügt ihr.
Eva Gonzalès (1849-1883)
wird 1869 Manets einzige Schülerin. Ab 1872 stellt sie regelmäßig im Pariser Salon aus. Ihr Werk „Eine Loge im Théàtre des Italiens“ lehnt der Salon allerdings ab. Dasselbe Werk daraufhin im Salon triennal in Gent ausgestellt, erhält größtes Lob. Im L’Art Universal schreibt Camille Lemonnier:
… alle bewundern das Temperament, die außergewöhnliche Sicht der realen Welt, die offensichtliche Virtuosität und die Fähigkeiten einer sehr jungen Künstlerin, die sie zwar der Schule Manets zuordnen, von der sie aber denken, daß sie in mancherlei Hinsicht ihrem Meister sogar überlegen ist.
1880 wird ihr Pastell „Ehrendame“, im Salon ausgestellt,
in der Presse durchgängig gelobt. Manet, der voller Stolz auf Gonzalès ist, schreibt ihr: “Die Zeitungen sind jeden Tag voll des Lobes über Sie. Erlauben Sie mir, daß auch ich mich darüber freue, denn manchmal haben Sie bei mir Rat eingeholt. Es scheint, als würde sich der Erfolg, den Sie schon seit langem verdienen, in diesem Jahr endlich einstellen …“ (299)
1883 stirbt sie 34-jährig kurz nach der Geburt ihres Sohnes. Bei ihrer Beerdigung auf dem Friedhof des Montmartre sind
alle Persönlichkeiten der Pariser Welt der Kunst und Literatur … anwesend. (300)
Marie-Caroline Sainsaulieu entdeckt im Werk Eva Gonzalès’ eine Besonderheit, die ihr mit dem 15 Jahre jüngeren Henri de Toulouse-Lautrec gemeinsam ist: die Verwendung des Rot, mit dem sie auf ihren Bildern Akzente setzen. Beide könnten ansonsten verschiedener nicht sein. Die abgebildeten Werke der Gonzalès geben der Entdeckerin Recht, vielleicht auch in ihrer Beurteilung:
Sie weiß nicht, daß dieses Rot, rein, roh, schnörkellos, beinahe primitiv, neue Erkundungen in der Malerei vorhersagt. (212)
Marie Bracquemond (1840-1916)
ist die Tochter eines Kapitäns der Handelsschiffahrt, was einen unsteten Lebenswandel der Familie bedingt. Die Mutter lernt einen neuen Partner kennen und folgt diesem nach Le Havre, Paris, Etampes. Im Unterricht bei dem Maler Jean-Auguste-Dominique Ingres findet sie ihren eigenen, impressionistischen Stil:
Ich will an der Malerei nicht arbeiten, um Blumen zu malen, sondern um die Empfindungen auszudrücken, die mir die Kunst einflößt,
schreibt sie in einem Brief Mitte der 1850-er Jahre. Bereits 1859 wird sie in den Pariser Salon aufgenommen und stellt mehrfach aus.
Im Louvre begegnet sie ihrem späteren Ehemann Félix Bracquemond, dessen Namen sie annimmt. 1870 schenkt sie ihrem einzigen Kind, Sohn Pierre, das Leben. Er wird ebenfalls Maler.
Ehemann Félix macht eine steile Karriere. Seine Dominanz macht Marie zunehmend zu schaffen, seine ständige Kritik zermürbt sie. Auf sein Drängen hört sie schließlich mit der Malerei auf, nachdem sie eine Reihe herausragender Werke geschaffen hat und zum Beispiel auch von Degas hoch anerkannt worden ist. Ohnehin hat ihr ein eigenes Atelier nicht zur Verfügung gestanden, das des Ehemannes durfte sie nicht nutzen. Sie mußte sich mit ihren Malutensilien in ihr Zimmer zurückziehen.
Am Ende ihrer Schaffenszeit stehen Keramiken, die sie exzellent mit Blumen bemalt hat. Mit ihrem
Übergang von den Gemälden zu den Tellern des “Service mit Blumen und Bändern“,
meint Jean-Paul Bouillon in seinem Beitrag über Marie Bracquemond, sei auch ihr Übergang
von der Muse der Künste … zur Muse des Haushalts
bezeichnet. Sie habe sich
um das alltägliche Leben in der Villa Brancas (gekümmert), während Félix im Atelier arbeitete. (242)
Sohn Pierre weist auf den bezeichnenden körperlichen Ausdruck ihrer krankgemachten Seele hin, wenn er schreibt:
Nahezu bewegungsunfähig und ständig leidend, kapitulierte sie und widmete die verbleibenden Kräfte … den Besorgungen des Haushalts. (242)
Drei Jahre nach ihrem Tod erlebt Paris die erste Retrospektive ihres Werkes in der Galerie Bernheim-Jeune, bei der
161 Exponate, darunter 90 Gemälde, 34 Aquarelle und 9 Ätzradierungen (ausgestellt werden!) (303)
Der hervorragend ausgestattete Bildband „Impressionistinnen“ bringt sicherlich auch Kunstkennern beträchtlichen Gewinn. Die wiedergegebenen Bildwerke der Künstlerinnen sind beeindruckend.