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Georg Friedrich Händel

Zu Händels 250. Todestag am 14. April 2009.

Die Eltern

Händel 1730

Georg Friedrich Händel 1730

Bei seiner Geburt ist der Vater Georg Händel (1622-1697) 63 Jahre alt. Die 30 Jahre jüngere Dorothea Taust (1651-1730) ist seine zweite Frau.

Das erste Kind aus dieser Ehe stirbt 1684 bei der Geburt. Georg Friedrich wird ein Jahr später, 1685, geboren, ihm folgen noch zwei Schwestern. Mit ihnen, ihren Kindern und seiner Mutter bleibt er zeitlebens in Verbindung. Sein Vater stirbt, als Händel 12 Jahre alt ist.

Mutter Dorothea entstammt dem Pfarrhaus von Giebichenstein (heute Stadtteil von Halle/Saale). Sie wird als weltoffen, mutig gelassen und praktisch veranlagt beschrieben, Eigenschaften, die wir auch bei ihrem Sohn antreffen.

Vater Georg Händel

Vater Georg Händel

Von einer musikalischen Begabung ist bei ihr nicht die Rede, ebenso wenig wie bei ihrem Mann, Händels Vater. Dessen Vater war aus Breslau nach Halle gekommen. Mit seiner Frau Anna Beichling, der Tochter eines Eislebener Kupferschmiedes, hatte er neben Georg noch weitere Söhne, die alle wieder Kupferschmiede wurden. Nur Georg macht eine Ausnahme:

Er wird Heilpraktikus, ist im Dreißigjährigen Krieg mehrere Jahre Feldscher, erwirbt sich als Wundarzt mit seinen virtuosen Chirurgenhänden Ruhm, läßt sich 1652 in Giebichenstein als Amts-Chirurg nieder und wird sogar Leibchirurg beim regierenden Herzog. Er bleibt jedoch weitgehend selbständig, wird wohlhabend und kauft 1665 das stattliche Haus in Halle, das noch heute besteht und das Händel-Museum beherbergt.

Händelhaus in Halle 1946 und 1958

Händelhaus in Halle 1946 und 1958

Halle

wird 1680 brandenburgisch, zu einer Zeit, als die Stadt mit der Pest zu kämpfen hat.

Halle 1580

Halle um 1580

Halle verliert die Hälfte seiner Bevölkerung. Georg Händel ist als Pestarzt eingesetzt. Seine Braut Dorothea ist nicht zu bewegen, ihre Angehörigen in ihrem Haus im Stich zu lassen, um die eigene Haut zu retten, obwohl schon ein Bruder und die Schwester von der Pest dahingerafft sind und auch der Vater erkrankt ist.

Den Bevölkerungsverlust gleichen die Hugenotten aus Frankreich aus, die in Halle ebenso wie in ganz Brandenburg und Berlin angesiedelt werden. Das Wirtschaftsleben – durch die Pest zum Erliegen gekommen –

Christian Thomasius, Porträt von Johann Christian Heinrich Sporleder (aus: http://de.wikipedia.org/wiki/Christian_Thomasius)

Christian Thomasius, Porträt von Johann Christian Heinrich Sporleder (aus: http://de.wikipedia.org/wiki/Christian_Thomasius)

erholt sich. Halle bekommt 1694 eine Universität, entscheidend mit angestoßen durch den Aufklärer und Rechtsgelehrten Christian Thomasius (1655-1728), der 1690 nach Halle gezogen ist, nachdem er sich in Leipzig mit seinem Kampf gegen

Pedantismus, Scholastik, Orthodoxie, Buchstabenwissen und Geisteserstarrung

bei der Obrigkeit gründlich unbeliebt gemacht hat. Thomasius lehrt an der Universität nicht mehr in lateinischer, sondern in deutscher Sprache. Er kämpft gegen die Hexenprozesse. Friedrich der II. wird später sagen:

Wenn die Frauen in Deutschland [jetzt] friedlich leben und sterben können, verdanken sie es Thomasius.

Händel wird später bei ihm Jura studieren.

Die Kindheit

Älteste bekannte Darstellung von Händels Geburtshaus - Stich aus The Illustrated London News vom 18. Juli 1859 (aus: http://de.wikipedia.org/wiki/H%C3%A4ndel-Haus)

Älteste bekannte Darstellung von Händels Geburtshaus - Stich aus The Illustrated London News vom 18. Juli 1859 (aus: http://de.wikipedia.org/wiki/Händel-Haus)

So wächst Georg Friedrich in einem recht aufgeklärten Umfeld und ebensolchem Elternhaus in Halle auf, in seinem Geburtshaus, einem nüchtern praktisch ausgerichteten Geschäftshaus – die Händels handeln auch mit Wein.

Früh wird die musikalische Hochbegabung und Beflissenheit des Jungen bemerkt, die in das Händelhaus nicht recht passen will. Sein erster Biograf John Mainwaring (1735–1807) berichtet:

Von Kindesbeinen an hatte dieser Händel eine solche ungemeine Lust zur Musik bezeiget, daß sein Vater … darüber in Unruhe gerith.

Der strenge Vater will, daß aus dem Sohn was Rechtes wird – das Musikantentum ist während des langen Krieges in Verruf geraten –, und verbietet ihm jede Beschäftigung mit der Musik. Das kleine Wunderkind umgeht mit Hilfe einer Tante das Verbot – so eine Anekdote, nicht unähnlich der Bachschen –, indem es sich regelmäßig in einer Dachkammer ans Clavichord setzt und versucht, auf eigene Faust in der Musik voranzukommen.

Einschneidend für ihn aber wirkt sich die Reise seines Vaters nach Weißenfels aus. Eine Anekdote erzählt, wie der kleine Achtjährige hinter der Reisekutsche herläuft, sie nach einigen Meilen einholt und auf inständiges Flehen schließlich einsteigen darf.

In Weißenfels erkennen der Herzog Johann Adolf I. und sein Hofkapellmeister, der Opernkomponist Johann Philipp Krieger, die Hochbegabung des Jungen, als er zum Ende eines Gottesdienstes die Orgel spielt. Der Herzog rät dringend zu einer musikalischen Ausbildung des Kindes.

Vater Händel hat nun nichts mehr dagegen. Georg Friedrich erhält beim denkbar besten Lehrer, dem Organisten der Liebfrauenkirche und Komponisten Friedrich Wilhelm Zachow (1663-1712), Unterricht in Orgel-, Cembalo- und Clavichord-Spiel, in der Improvisationskunst sowie in allen Kompositionstechniken. Händel lernt die zeitgenössische europäische Literatur für Tasteninstrumente kennen und bildet sich auch im Violinspiel aus.

Berlin

Ganz sicher ist es nicht, aber doch sehr wahrscheinlich, daß Händel in Begleitung eines Freundes der Familie, möglicherweise Zachows selbst, schon als Junge nach Berlin an den Hof des Kurfürsten Friedrich III. kommt. Dort versammelt die kunstliebende, philosophierende Kurfürstin Sophie Charlotte die besten Geister ihrer Zeit. Sie gründet die Oper von Berlin und dirigiert selbst die Hofkonzerte, die nach ihrem Tode auch sogleich wieder erlöschen.

„Aber“, urteilt Romain Rolland,

es war schon viel, dieses schöne Feuer italienischer Kunst auf eine kurze Stunde entzündet zu haben. So kam es denn, daß der kleine Händel zum erstenmal mit der Musik des Südens in Berührung kam.

So auch mit der weltlichen Konzertmusik, wie sie in Frankreich seit Jean-Baptiste Lully (1632-1687) gepflegt wird. Der zwölfjährige Händel erregt mit seinem Spiel auf dem Cembalo größtes Aufsehen. Friedrich bietet Händels Vater an, dem Sohn eine Musikausbildung in Italien zu finanzieren und ihm nach erfolgreichem Abschluß eine Anstellung am Berliner Hof zu gewähren. Vater Georg Händel nimmt das kurfürstliche Angebot nicht an. Er will seinem Sohn die Freiheit der Wahl für seine berufliche Zukunft erhalten.

Der Thronfolger, „Soldatenkönig“ Friedrich Wilhelm I., wird später ein außerordentlicher Bewunderer der Kompositionen Händels sein. Händel selbst hält die Verbindung zum Berliner Hof lebenslang aufrecht.

1740 berichtet die Presse, Händel sei bald nach der Krönung Friedrichs II. (1712–1786) nach Berlin gereist, um dem König seine Aufwartung zu machen, der bekanntermaßen die Musik liebt und Händels insbesondere hochschätzt.

1702 beginnt Händel sein Jurastudium, das er aber noch im selben Jahr wieder aufsteckt. Mit 17 Jahren bekommt er die Organistenstelle in Halles Domkirche. Doch er strebt weiter. Berlin und Weißenfels – beide Höfe hätten ihn sicherlich mit offenen Armen aufgenommen – wählt er nicht, er geht nach

Hamburg.

Dort gibt es das Opernhaus am Gänsemarkt,

Hamburgs Oper am Gänsemarkt 1726 (aus: http://de.wikipedia.org/wiki/Oper_am_Gänsemarkt)

Hamburgs Oper am Gänsemarkt 1727 (aus: http://de.wikipedia.org/wiki/Oper_am_Gänsemarkt)

das Reinhard Keiser, einer der bedeutendsten deutschen Opernkomponisten des Barock, zum Zentrum der frühen deutschen Opernkultur und damit Hamburg zum Anziehungspunkt für zahlreiche kunstsinnige Besucher gemacht hat.

Die Oper am Gänsemarkt ist keine Hofoper, sondern eine Oper für jedermann. Wer den Eintritt bezahlt, ist willkommen. Der fortschrittliche Entwicklungsstand des Bürgertums in der Freien und Hansestadt wird Händel in seiner aufgeklärten Familientradition entgegengekommen sein.

Hamburg ist seit zwei Jahrhunderten Freie Reichsstadt, ist von den Zerstörungen des Dreißigjährigen Krieges verschont geblieben, das Bürgertum kann sich die Bevormundung durch einen absolutistischen Herrscher vom Hals halten und sich der wirtschaftlichen und kulturellen Entwicklung der Heimatstadt selbst annehmen.

Karte von Hamburg um 1700

Karte von Hamburg um 1700

In Hamburg wird Dichtung in deutscher Sprache gefördert, in der Oper am Gänsemarkt wird neben Italienisch und Französisch auch Deutsch gesungen. Hier stimmt das Volk mit den Füßen darüber ab, was gespielt und gesungen wird. Das Volk versteht vornehmlich deutsch. So kommt in Hamburg die frühe deutsche Oper zur Blüte.

Johann Mattheson, 1746 (Kupferstich von Johann Jacob Haid) (aus: http://de.wikipedia.org/wiki/Johann_Mattheson)

Johann Mattheson, 1746 (Kupferstich von Johann Jacob Haid) (aus: http://de.wikipedia.org/wiki/Johann_Mattheson)

Händel nimmt bei seiner Ankunft am Gänsemarkt zunächst im Orchester an der Zweiten Geige Platz. Er tut so,

als ob er nicht auf fünfe zählen könnte, wie er denn von Natur zum dürren Schertz sehr geneigt war,

berichtet der vier Jahre ältere Sänger, Dirigent und Komponist an der Oper und Sohn reicher Hamburger Kaufleute Johann Mattheson.
Alsbald erkennt er das Genie Händels. Beide haben einander viel zu geben: Händel beherrscht von Halle her die Wissenschaft vom Kontrapunkt. Im weltoffenen Hamburg, nicht zuletzt unter Matthesons Einfluß, hat die alte Vorherrschaft des Kontrapunktes allerdings dem von Regeln freieren Kompositionsstil weichen müssen.

Laß die schwerfällige Kunst zu Hause … Was dich die Natur als gut lehrt, tue es, spiele es, sing es – das Schlechte meide, tilge,

rät Mattheson. Er verlangt, daß die Sänger und Sängerinnen ihren teilnahmslosen Gesangsstil aufgeben zugunsten von Bewegung und lebendigem Mienenspiel.

Hamburg ist daher für Händel der Wendepunkt in seinem Schaffen. Von hier führt sein Weg weg von der Orgelbank hin zur Oper, weg aus verzopftem Regelzwang hin zu moderner musikalischer Ausdrucksweise, die dem Klanglichen den Vorzug gibt gegenüber dem Strukturellen, dem Erleben über das wahrnehmende Ohr den Vorzug gegenüber der vernunftgeborenen Konstruktion.

Neben der Klangschönheit händelscher Musik sind die Mannheimer Sinfonik und die Wiener Klassik die Früchte dieser Befreiungsbewegung.

Der gleichaltrige Johann Sebastian Bach dagegen krönt die „alte“ Musik mit seinem genialen Gesamtwerk, indem er sie zu höchster Vollendung führt.

Im August 1703 reisen Mattheson und Händel als wohl recht „lustige Brüder“ gemeinsam in einer Kutsche nach Lübeck. Dort möchte der berühmte Komponist und Organist an der Marienkirche Dietrich Buxtehude (1637–1707) in den Ruhestand treten. Er sucht einen Nachfolger.

Aber genau wie zwei Jahre später Johann Sebastian Bach, der den Weg zu Buxtehude von Arnstadt in Thüringen nach Lübeck zu Fuß bewältigt, bewerben sich die beiden nicht um die Stelle. Sie hätten die Tochter Buxtehudes heiraten müssen.

Zurück in Hamburg kommt es zwischen beiden Musikern zum Streit. Damals wurde das Orchester vom Cembalo aus dirigiert. Bei der Aufführung von Matthesons Oper Cleopatra, in der Mattheson singt und Händel am Cembalo sitzt und dirigiert, will Mattheson nach Beendigung seiner Gesangspartien zurück ans Cembalo, Händel aber seinen Platz nicht freigeben. Da bekommt das Publikum neben der Opernaufführung eine zweite Aufführung geboten: die Konkurrenten streiten lautstark und duellieren sich schließlich auf dem Gänsemarkt. Sie haben es zum Glück beide überlebt, aber ihr Verhältnis zueinander ist nun gespannt.

Am 8. Januar 1705 wird Händels erste Oper Almira in Hamburg mit großem Erfolg uraufgeführt. Sie erlebt 20 Wiederholungen. Weitere Opern folgen: Nero sowie Daphne und Florindo. Alle drei sind verschollen.

Nach vier Hamburger Jahren strebt Händel nun wieder weiter. Er will sich im Land der Melodien – Italien – umsehen. Das Angebot des Fürsten de Medici, mit ihm und auf dessen Kosten zu reisen, lehnt er ab. Er verdient Geld für seinen Musikunterricht, den er in Hamburger Bürgerhäusern erteilt, und hat schon einiges zurückgelegt. Schon 1703 kann er seiner Mutter die Pension, die sie ihm aussetzt, zurückschicken. Jetzt, 1706, hat er 200 Dukaten zusammen und reist auf eigene Kosten gen Süden.

Italien

Dreieinhalb Jahre tummelt sich Händel in Italien. Sein Ruhm eilt ihm voraus. In Florenz, Rom, Neapel und Venedig wird „Il Caro Sassone“ – der liebe Sachse – von der künstlerischen und höfischen Elite herzlich empfangen.

Das erste Zeugnis darüber ist eine Eintragung im Tagebuch des Chronisten Francesco Valesio in Rom vom 14. Januar 1707:

Ein Sachse ist in unserer Stadt eingetroffen, ein ausgezeichneter Cembalist und Komponist. Heute hat er eine Probe seiner Kunst an der Orgel in San Giovanni di Laterano abgelegt zur Bewunderung aller.

Rom ist für Händel unter seinen Aufenthaltsorten in Italien wohl der wichtigste. Allein für seinen Mäzen Francesco Maria Ruspoli schreibt er mehr als 50 Werke, darunter viele Kantaten, die im Palazzo Bonelli oder auf dem Landsitz in Vignanello bei Rom aufgeführt werden, wo er für einen Sommer zu Gast ist.

Hier und in den Palästen des reichen Kardinals Ottoboni trifft sich, was Rang und Namen hat, so auch die berühmten und bedeutenden Musiker Arcangelo Corelli, Alessandro Scarlatti und dessen Sohn Dominico.

Nach dem Erdbeben 1703 hat Papst Clemens XI. angesichts des ausschweifenden Lebens des Klerus – als möglichen Grundes für “Gottes Zorn” – zwar die Aufführung von Opern verboten. Doch Händels reiche Mäzene Ruspoli und Benedetto Pamphili sowie sein Bewunderer Ottoboni sind auch mit seinen Kantaten und aufwendigen Oratorien höchst zufrieden, die er – statt Opern – für sie schreibt, so Il Trionfo del Tempo e del Disinganno, zu dem Kardinal Ottoboni das Libretto geschrieben hat. In diesem opernhaft inszenierten Oratorium ist von der Herkunft der Kunstform aus dem „Betsaal“, dem „oratorio“, nichts mehr zu spüren.

Zwei Opern – das päpstliche Verbot wird über Rom hinaus nicht befolgt – bringt Händel in Italien auf die Bühne, den Rodrigo in Florenz und die Agrippina in Venedig. Romain Rolland:

Venedig war damals die musikalische Metropole Italiens …Während des Karnevals führte man hier an sieben Theatern Opern auf … Abend für Abend gab es in den Kirchen musikalische Feierlichkeiten, Konzerte, die mehrere Stunden dauerten, mit mehreren Orchestern, mehreren Orgeln, mehreren Chören, die einander Echo waren. Dazu kamen jeden Sonnabend und Sonntag die berühm-ten Vespern der ,Hospitäler‘, jener berühmten Konservatorien, in denen Waisenmädchen, Findelkinder und ganz einfache Mädchen mit schönen Stimmen zur Musik erzogen wurden. Sie gaben Orchester- und Vokalkonzerte, für die sich ganz Venedig begeisterte. Venedig badete in Musik, das ganze Leben war damit durchsetzt, es schwamm im Meer musikalischer Wollust.

Das Libretto zur Agrippina hat Vincenzo Grimani, Kardinal und Vizekönig von Neapel (1652–1710), verfaßt. Drei Wochen braucht Händel, um die Musik dazu zu schreiben, und er wird auch in Zukunft nie länger als 4 Wochen brauchen, um eine Oper zu komponieren. Über die Aufführung der Agrippina berichtet Mainwaring:

Sooft eine kleine Pause vorfiel, schrieen die Zuschauer: “Viva il caro Sassone! Es lebe der liebe Sachse!” – Jedermann war von der Größe und Hoheit des Stils gleichsam vom Donner gerührt, denn man hatte nimmer vorher alle Kräfte der Harmonie und Melodie in ihrer Anordnung so nahe und so gewaltig miteinander verbunden gehört.

Mit dieser Oper, die in Venedig 27 Mal aufgeführt wird, begründet und festigt Händel seinen Ruhm als Opernkomponist. Doch Händel verkehrt nicht nur in den Palästen der Reichen und Abgehobenen, sondern hört auch, was das italienische Volk auf den Straßen und Plätzen singt und welche Weisen die Gondolieri auf den venezianischen Kanälen trällern. Bis ins hohe Alter liebt und komponiert er seine bezaubernden Siciliani, verwendet er in seinen großen Werken bis hin zum Messias Hirten-Melodien, die er von den spanischen „Pifferari“ im multikulturellen Neapel gehört hat.

Hannover – England

Für seine Karriere wegweisend wird dann die Begegnung mit dem venezianischen, in hannöverschen Diensten stehenden Hofkapellmeister und Diplomaten Agostino Steffani, der sich ganz seiner kirchlichen Karriere widmen möchte und Händel gern in Hannover als seinen Nachfolger sähe.

Aber auch der Bruder des Kurfürsten sowie Baron von Kielmannsegg werben um Händel für den Hof in Hannover. Händel scheint zunächst unschlüssig und zu erwägen, nach Paris zu gehen. Seine 7 französischen Chansons aus dieser Zeit weisen Überarbeitungskorrekturen auf, somit sorgfältige Beschäftigung, um auch den französischen Stil in sich aufzunehmen. Er beherrscht die französische Sprache, in der er auch seine Briefe verfaßt, selbst die an die eigene Familie. Er entscheidet sich für Hannover.

Dort ist seit 1676 der weltberühmte Philosoph Gottfried Wilhelm Leibniz (1646-1716) als Hofrat und Hofbibliothekar angestellt, der die Kurfürstin Sophie (1630-1714) bewundert, mit der er sich in Gesprächen philosophisch austauscht. Sie beherrscht 7 Sprachen.

Die Oper von Hannover zu Händels Zeit hat 4 Logenränge und faßt 1300 Personen!

Händel tritt die Stelle als Hofkapellmeister in Hannover am 16. Juli 1710 an, läßt sich aber sogleich die Freiheit zusichern, längere Zeit abwesend zu sein, und nutzt dies bereits wenige Monate später für eine Reise zu seiner Mutter und vielleicht auch zu seinem verehrten Lehrer Zachow in Halle, um dann über Düsseldorf nach England zu gelangen.

Die achtzigjährige Kurfürstin Sophie von Hannover, die Mutter Georg Ludwigs, schreibt ihrer Tochter Sophie Charlotte, der preußischen Königin, wie sie Händel erlebt hat:

… Ich besuchte täglich unsere Kurprinzessin …; sie ergötzt sich an der Musik eines Sachsen, die alles übertrifft, was ich je auf dem Klavier und in der Komposition gehört habe. Man hat ihn in Italien sehr gefeiert. Er eignet sich zum Ka-pellmeister; wenn der König [von Preußen] ihn hätte, würde seine Musik besser in Ordnung sein als heute. Er geht aber nach Düsseldorf, um dort eine Oper zu komponieren … Er ist ein recht schöner Mann, und der Klatsch sagt, daß er der Geliebte der Victoria gewesen sei …

Bei diesem vagen Hinweis handelt es sich um die große italienische Sängerin Victoria Tarquini. Sicheres und Näheres erfahren wir nicht. Händel schirmt sein Privatleben zeitlebens erfolgreich vor der Öffentlichkeit ab.

Nach seiner Rückkunft aus England wird Händel nur noch für die Zeit von 1711 bis 1712 in Hannover sein. Ab 1712 ist sein Hauptwohnort London und wird es die weiteren 47 Jahre seines Lebens bleiben.

Händel ist vom hannoverschen Hof – sozusagen als künstlerischer Sendbote – äußerst liebenswürdig in den englischen „Urlaub“ verabschiedet worden.

Denn die Kurfürstin Sophie ist das 12. Kind Elisabeth Stuarts. Sie fühlt sich als Engländerin, spricht am liebsten Englisch, hat nur englisches Personal und hofft seit langem auf den englischen Thron für ihren Sohn Georg Ludwig, der zwar einige Sprachen ausgezeichnet beherrschen lernt, darunter aber ausgerechnet nicht Englisch.

Hätte Sophie die amtierende Queen Anne überlebt, wäre sie Königin von England geworden. Denn der antikatholische Act of Settlement des Jahres 1701 bestimmt, daß zukünftig nur Protestanten Inhaber des englischen Thrones sein dürfen. Als Tochter des böhmischen Königs Friedrich V. ist Sophie Protestantin. Ihre älteren Geschwister sind bereits tot, und so rückt sie in der Erbfolge nach ganz vorn.

Wenige Wochen nach ihr stirbt 1714 Queen Anne, und Georg Ludwig von Hannover wird tatsächlich als Georg I. König von Großbritannien und Irland. Die Personalunion Hannover-England wird 123 Jahre überdauern. Da die Bestimmungen des Acts of Settlement bis heute gelten, sind alle britischen Thronfolger und Thronfolgerinnen Nachkommen ihrer Stammutter Sophie von Hannover.

Mit der Thronbesteigung König Georgs I. geht also der Wunsch Sophies in Erfüllung. Der „Sendbote“ Händel aber ist schon zwei Jahre vor ihm in London. Er wird sich 1727 sogar „naturalisieren“ lassen, d. h. er bekommt die englische Staatsbürgerschaft, ist somit Engländer mit deutschem „Migrationshintergrund“ und „Weltbürger“ in Europa, der er in der Musik schon längst geworden ist.

Sofort wird der neue Engländer auf das Ehrenamt eines Komponisten der Königlichen Kapelle berufen, bekommt den Auftrag, vier Antiphone (kirchliche Wechselgesänge) zur Krönung George II. zu schreiben, wovon Zadok the Priest bis auf den heutigen Tag bei allen Krönungsfeierlichkeiten des britischen Königshauses erklingen wird.

Doch zurück zu Händels erstem Erscheinen auf der Insel 1710! Von der musikliebenden Queen Anne wird er wohlwollend empfangen. Denn – schreibt Romain Rolland:

Seit dem Tode Purcells war es um die englische Musik getan. Als Händel gegen Ende 1710 in England ankam, war die nationale Kunst tot. Es ist also absurd, wenn behauptet wird, wie es so oft geschieht, Händel habe die englische Musik getötet. Es gab für ihn nichts mehr zu töten, hatte doch London nicht einen einzigen Komponisten aufzuweisen.

Innerhalb von vierzehn Tagen entsteht Händels Oper Rinaldo, der am 24. Februar 1711 am Haymarket Theatre mit ungeheurem Erfolg uraufgeführt wird. Die hinreißende Sarabanden-Arie „Lascia ch’io pianga“, die bereits in Händels Hamburger Oper Amira und in seinem römischen Oratorium Il Trionfo zu hören ist, wird weltberühmt und rührt über die Jahrhunderte die Herzen so tief wie das „Largo“ aus seiner Oper Xerxes.

In der Oper am Haymarket werden die meisten seiner Opern aufgeführt. Ab 1723 wird Händel ein eigenes Haus in London besitzen, das er bis zu seinem Lebensende bewohnt und das noch heute besteht.

Händel

Händel

Händel weiß sich bei den Engländern beliebt zu machen, indem er ihrem Nationalstolz entgegenkommt und zu ihren politischen Festen die Musik schreibt, so bereits 1713 das Utrechter Te Deum zur Feier der Beendigung des Spanischen Erbfolgekrieges.

Der Aufführung dieser ersten händelschen englisch-nationalen Festmusik lag allerdings ein Hindernis im Wege: die britische Gesetzeslage. Danach darf ein Fremder nicht beauftragt werden, für höchst offizielle englische Nationalfeiern die Musik zu liefern. Händel hatte ja noch nicht die englische Staatsbürgerschaft. Das Parlament darf aber Ausnahmen genehmigen.

Händel weiß sich zu helfen. Er schreibt noch schnell zum Geburtstag der Queen die schmeichelhafte Birthday Ode for Queen Anne, die in ihrer Londoner Residenz St. James aufgeführt wird.

Königin Anna ist hingerissen, und Händels Utrechter Te Deum wird am 7. Juli 1713 in der St. Paul Cathedral aufgeführt! Auch dieses erste Händelsche Monumentalwerk begeistert Queen Anne. Sie gewährt Händel eine lebenslange Pension von 200 Pfund. Händel hat sich als Komponist des englischen Hofes durchgesetzt.

Wie wenig der deutschen Heimat, aber um so mehr seiner Kunst verpflichtet Händel sich fühlt, zeigt sich in seinem „Verrat“ am hannoverschen Hof, den der große Händel-Forscher und -­musiker Chrysander nicht entschuldigen kann:

Queen Anne kann die Hannoveraner Verwandten nicht leiden und sieht den Prätendenten der Stuarts als Thronerben vor. Händel ergreift Partei für Anne, in deren Diensten er zur Zeit steht, und scheint seine Vertragspartner von Hannover vergessen zu haben.

Als nach Annes plötzlichem Tod dann doch Georg Ludwig als König in London einzieht, hält sich Händel zunächst schamhaft bedeckt, tritt dann aber mit seiner neuen Komposition Amadigi hervor. Nun ist – wie der Franzose Rolland bemerkt –

von jeher … die Musik den Deutschen eine Heilquelle gewesen, in der ein Besudelter sich reinbaden kann, die Erlöserin von der erniedrigenden Kleinlichkeit des täglichen Lebens.

Der musikbegeisterte Deutsche auf dem englischen Thron Georg I. bringt es nicht fertig, Händel länger zu zürnen. Nachdem zu seiner Krönung Händels Wassermusik bei einem Fest auf der Themse gehört hat, erhöht der König Händels Gehalt um noch einmal 200 Pfund. Händel wird Musiklehrer der Prinzessinnen und bekommt dafür weitere 200 Pfund Jahresgehalt.

Händel hat nun in seinen Werken für immer die deutsche Sprache verlassen. Seine Werke vertonen italienische und englische Texte. Mit seiner Übersiedlung nach England haben wir Deutschen unseren „Sachsen“ Händel sprachlich an die Briten verloren.

Existenzkampf

London stellt sich für Händel in den folgenden Jahren mit der Gründung der Königlichen Akademie als schwieriges Pflaster heraus. Die Königliche Akademie bestellt Händel darin zum

ersten und vornehmsten Komponisten und erteilte ihm eine unbeschränkte Herrschaft über das Orchester,

berichtet Charles Burney, der frühe Musikwissenschaftler, der Händel noch persönlich gekannt hat. Händel sei auf der Höhe seiner Reifejahre und seiner Kraft

äußerst beliebt [gewesen] bei dem Könige, dem Adel und dem Publikum einer großen und mächtigen Nation zur Zeit ihrer größten Glückseligkeit und Ruhe, da sie nicht nur alle Muße und allen Eifer besaß, die Künste des Friedens auszubilden, sondern auch Reichtum genug, um diejenigen freigebig zu belohnen, deren glückliche Bemühungen sie über die Grenzen der Mittelmäßigkeit hinaus getrieben hatten.

Doch die Direktoren der Akademie holen aus Italien den berühmten Komponisten Bononcini (1640-1747), vermutlich um den Opernbetrieb personell abzusichern und – ähnlich Wien – durch mehrere Komponisten bunter zu gestalten. Was ein edler Wettstreit hätte werden können, entartet zu einem aufreibenden Dauerzank zweier rivalisierender Parteien, wobei die Politik keine kleine Rolle spielt. Burney:

Gegenparteien sind in Freistaaten ebenso häufig als wild, und in dem gegenwärtigen Falle mischten sich politische Feindseligkeiten in den musikalischen Zwiespalt.

Denn Bononcinis Anhängerschaft rekrutiert sich aus Kreisen des Adels, die Händel verübeln, Kapellmeister des verhaßten Königs aus Hannover zu sein. Merkwürdigerweise zählt zu ihnen der Sohn des Königs, der Prince of Wales und spätere König Georg II., der mit seinem Vater öffentlich in Fehde liegt und damit der englischen Nation einen weiteren Grund liefert, das Haus Hannover zu verachten.

Händel-Karikatur

Händel-Karikatur

Noch heute ist die britische Presse nicht zimperlich, wenn es darum geht, die Namhaften zu belauern und herabzuziehen. Händel sollte das am eigenen Leibe in Pamphleten und Karikaturen erleben. Da auch die Musikliebhaber

zuweilen ebenso wunderlich, eigensinnig und unbillig als die Musiker selbst

zu sein pflegen, kommt es in London 1727 zu unglaublichen Erscheinungen der

heftigen Parteilichkeit des Publikums für die beiden Sängerinnen Cuzzoni und Faustina,

die von außergewöhnlicher Genialität gewesen sein müssen. Karten für ihre Auftritte werden wie Aktien an der Börse gehandelt. Die Nachfrage ist derart groß, daß die Eintrittspreise bis zum Sechsfachen gesteigert werden.

… und doch war das englische Publikum so wenig geneigt, beiden gleichen Beifall zu schenken, daß allemal, wenn die Bewundrer der einen … anfingen zu klatschen, die Anhänger der andern unfehlbar zu zischen pflegten.

Händel startet nun sein eigenes Unternehmen, mietet das

Queens/Kings Theatre am Haymarket London

Queen's Theatre, Haymarket, the 18th-century predecessor of the theatre; watercolour by William Capon (V&A) (aus: http://en.wikipedia.org/wiki/Her_Majesty%27s_Theatre)

für fünf Jahre, reist im Herbst 1728 nach Italien, um neue Sänger anzuwerben, besucht im Sommer 1729 seine erblindete Mutter in Halle, kehrt über Hannover und Hamburg zurück nach London und eröffnet am 2. Dezember 1729 seine Oper – mit mäßigem Erfolg.

Im Sommer 1733 reist er mit seinem gesamten Ensemble nach Oxford. In der großen Festhalle der Universität bringt er sein neues Oratorium Athalia zur Uraufführung. In ihrer Begeisterung will die Universität ihm die Ehrendoktorwürde verleihen. Händel lehnt ab.

Noch im selben Jahr eröffnet die gegnerische „Adelspartei“ in London ihre Opera of the Nobility im Lincoln’s Inn Fields Theatre mit Nicola Antonio Porpora (1686-1768) als Komponisten und der Sängerschaft, die sie Händel zuvor abgeworben hat. Für zwei Opernhäuser ist in London die Nachfrage zu gering.

Als zum Ende der Spielzeit Händels Mietvertrag am Haymarkt ausläuft und der Theater-Eigner sein Haus an die Adelspartei vermietet, wird Händels Lage prekär. Er zieht in das neuerbaute Covent Garden Theatre um.

Durch übelste Intrigen der „upperclass“ kommt er jahrelang nicht zur Ruhe und verarmt. Burney resümiert:

Es läßt sich jetzt nicht mehr entscheiden, wer in diesem langen und verderblichen Kriege der angreifende Teil gewesen ist … Es ist in der Tat traurig, sich bei dieser Periode seines Lebens zu verweilen, die ein beständiges Gewebe von Unfällen und Verdrießlichkeiten war. Er verfertigte dreißig Opern zwischen 1721 und 1740. Indes erhielt keine davon, nach der Aufhebung der Akademie im Jahr 1729, den Beifall, den sie ihrem innern und vorzüglichen Werte nach verdient hätten … Verschmähung und Anfeindung hatten sich verschworen, ihm auf einmal Gesundheit, Ruhm und Wohlstand zu rauben.

Für Normalsterbliche ist dabei wohl vor allem unfaßlich, wie es einem Menschen möglich ist, in Zeiten derartiger Widrigkeiten eine solche Fülle von großartigen, einzig schönen Werken zu schaffen wie Händel.

Der ist jedoch der mannhafte Kämpfer, der sich nicht geschlagen geben will, der um den Sieg ringt, auch wenn er dabei zugrunde gehen sollte.

Er war von höchst reizbarem Temperament und duldete keinen Widerspruch, war aber auch nicht rachsüchtig; eifersüchtig bedacht war er allerdings auf seinen musikalischen Rang und beharrte hartnäckig auf allen Punkten, die seine Berufsehre betrafen,

berichtet der Zeitgenosse William Coxe. 1737 steht Händel am Abgrund:

Seit einigen Jahren schon hatte die Krankheit auf ihn gelauert, Arbeiten und unerhörte Sorgen hatten diese eiserne Gesundheit zerfressen. Ohne Erfolg hatte er während des Sommers 1735 und wahrscheinlich auch 1736 die Bäder von Tunbridge versucht. Er konnte sich keine Ruhe gönnen, da sein Theater vor dem Bankrott stand, und machte, um es zu halten, übermenschliche Anstrengungen … Am 12. oder 13. April 1737 versagte die Maschine ihren Dienst: Händel wurde vom Schlag getroffen, so daß die rechte Seite teilweise und die Hand ganz gelähmt war und selbst die geistigen Fähigkeiten in Mitleidenschaft gezogen waren. (Rolland)

Während seiner erzwungenen Abwesenheit macht sein Theater Bankrott und schließt die Pforten. Nicht anders allerdings ergeht es dem Konkurrenzunternehmen.

Während des ganzen Sommers befand sich der Kranke im Zustand der hoffnungslosesten geistigen Depression, er wies alle Pflege von sich, man fürchtete das Schlimmste. Endlich gelang es seinen Freunden, ihn Ende August nach Aachen in die Bäder zu schicken. Die Wirkung der Kur war ein Wunder: Innerhalb von einigen Tagen war er gesund. Im Oktober kam er nach London zurück.

Der auferstandene Titan nahm sogleich den Kampf wieder auf und schrieb in drei Monaten zwei Opern und den herrlichen Totenpsalm (Funeral Anthem) auf der Königin Tod. (Rolland)

Caroline von Brandenburg 1683

Caroline von Brandenburg 1683

Die Königin Caroline war damals, als Händel als Zwölfjähriger am Berliner Hof musizierte, die dreizehnjährige Kronprinzessin, von deren Begeisterung für Händel später in Hannover Sophie ihrer Tochter berichtete. Seit jenen Tagen sind Caroline und Händel befreundet.

Caroline war das einzige beim Volk beliebte Mitglied der neuen Dynastie. Ihre Barmherzigkeit gegenüber den Armen, ihre Bildung und ihr Takt machten sie zum Liebling der Briten. (John Eliot Gardiner)

Sie versieht an Stelle ihres unfähigen, meist abwesenden, mit Mätressen beschäftigten Gatten zeitweilig und erfolgreich die Regierungsgeschäfte, gleicht seine Fehler nach Möglichkeit wieder aus und vermittelt zwischen den zerstrittenen Parteien.

Sorgfältig erzogen und gebildet durch Königin Sophie Charlotte in Berlin hat Caroline viele wissenschaftliche und künstlerische Interessen. Sie steht mit Leibniz und Thomasius im Briefwechsel, unterstützt Voltaire im englischen Exil, der ihr zum Dank seine Henriade widmet, und fördert Händel. Er widmet ihr seine Wassermusik. Nach der Geburt ihres letzten Kindes 1724 leidet sie an Krämpfen im Unterleib. Ohne Betäubung wird sie 1737 operiert und stirbt am 20. November.

Am 7. Dezember erhält Händel den Auftrag, die Musik zur Totenklage zu schreiben. Fünf Tage später hat er das große Werk – einem Oratorium vergleichbar – vollendet. 10 Tage später wird es in der Kapelle Heinrichs VII. in der

Westminster Abbey bei Nacht (aus:http://en.wikipedia.org/wiki/File:Westminster_abbey_night.jpg)

Westminster Abbey bei Nacht (aus:http://en.wikipedia.org/wiki/File:Westminster_abbey_night.jpg)

von

ungefähr 80 Choristen und 100 Instrumentisten des Orchesters seiner Majestät, der Oper etc. aufgeführt (Daily Advertiser).

Händels Opernepoche endet, er wendet sich dem Oratorium zu. Das Epos Saul entsteht, das inhaltlich starke Anklänge an Shakespeares Macbeth aufweist und von der musikalischen Dramatik her eher einer Oper denn einem Oratorium gleicht. Doch mehr als in der Oper ist im Oratorium Händels der Chor die Seele des Werkes. Romain Rolland stellt heraus:

Nicht der religiösen Idee zuliebe legt Händel (seinen musikalischen Dramen) zum Teil biblische Stoffe zugrunde, sondern … weil die Geschichten der biblischen Helden in Fleisch und Blut des Volkes, an das er sich wandte [das christliche, namentlich britische] übergegangen waren. Jedermann kannte sie …

Seine Oratorien hat Händel nicht für die Kirche, sondern fürs Theater geschrieben. Damit

entfesselte er den Zorn der Frommen, die “Sakrileg” riefen, als er Stoffe der Religion auf die Bühne trug.

Rolland zitiert eine freiheitliche Entgegnung auf solche Bigotterie in der London Daily Post:

die Vorstellung, zu welcher man geht, (ist) wahrlich in sich selbst die edelste Verehrung, der feierlichste Dienst der Gottheit … Denn die Art der Tätigkeit heiligt den Ort und nicht der Ort die Tätigkeit.

Die Londoner „hohe Gesellschaft“ ist prompt

wieder einmal entschlossen, ihn zu vernichten. Seine Konzerte blieben leer, es wurden Leute bezahlt, die seine Konzertankündigungen von den Mauern reißen mußten. (Roland)

Endlich! entschließt Händel sich, England den Rücken zu kehren, wo er nun seit dreißig Jahren gelebt, gekämpft und die Nation für alle Zukunft in unglaublich reichem Maße beschenkt hat.

Leider geht er nicht nach Deutschland, sondern folgt der Einladung des Vizekönigs von Irland. Um – wie er sagt –

dieser großmütigen und höflichen Nation etwas Neues anbieten zu können,

komponiert er auf ein Gedicht seines Freundes Jennens in drei Wochen den Messias. In Dublin verlebt er eine glückliche Zeit, kehrt jedoch nach London zurück, im Gepäck den Samson.

Die Londoner Kabale erreicht jetzt ihren Höhepunkt. Sie boykottiert seine Konzerte, so daß er in fast leeren Sälen musiziert und seine Einnahmen nicht reichen, um mit ihnen seine Orchestermitglieder und SängerInnen zu bezahlen. Er schreibt ihnen Schuldscheine aus, die er in besseren Zeiten später auf Heller und Pfennig einlösen wird.

Jetzt, 1745, ist er hochverschuldet und steht erneut vor dem Bankrott. Wieder droht der totale Zusammenbruch. Gänzliche Apathie, ja Geistesgestörtheit stellen sich wieder ein und dauern acht Monate.

Sieg und Ende

Aber wie durch ein Wunder tauchte er wieder aus dem Abgrund auf.

Er läßt sich von der englischen Nation in der großen Bewegung ihrer Volksseele mitreißen, als der Kron-Prätendent der katholischen Stuarts Charles III. Edward in Schottland gelandet ist und nun – vereint mit dem schottischen Adel – London und damit die bürgerlich-demokratischen Errungenschaften Englands bedroht.

Händel schreibt den Hymnus auf die Freiwilligen der Stadt London, des weiteren

zwei Oratorien, die eigentlich nichts anderes sind als zwei monumentale Nationalhymnen, nämlich das Occasional Oratorio …, in dem Händel die Engländer zum Kampf gegen den Einfall aufruft, und Judas Maccabaeus, die Hymne auf den Sieg … Sie feiert die Rückkehr des Siegers, des kühnen Herzogs von Cumberland … (Rolland)

„Tochter Zion, freue dich!“ ist der später unterlegte deutsche Text, der die Siegeshymne nutzt, um die „Ankunft Jesu“ in der Adventszeit zu feiern. Mit Israel und Zion identifizieren sich die Briten, und so

schlägt Händels Herz mit dem von ganz England (Rolland)

in diesen beiden Oratorien. Beethoven wird 12 Variationen über die Siegeshymne komponieren. Die Melodie wird als eines der Hauptthemen in der Fantasia on British Sea Songs von Henry Wood von 1905 an jährlich in der „Last Night of the Proms“ aufgeführt werden.

Siegesheld ist nun auch Händel selbst, nach fünfunddreißig Jahren erbitterten Kampfes hat er den Sieg für immer errungen. Nun ist er der Nationalmusiker Englands. Endlich hören die Geldsorgen auf.

Die folgenden Jahre sahen einige seiner heitersten Werke aufblühen. (Rolland)

Johann Sebastian Bach, der Händel mehrmals verfehlt hat und somit nie mit ihm persönlich zusammentraf, stirbt 1750, erblindet am grauen Star und nach mißlungener Augenoperation. Das gleiche Schicksal der Erblindung nach mißglückter Operation – Bach und Händel wurden vom selben Arzt behandelt – wird Händel ein halbes Jahr später ereilen.

Er schreibt mit seinen 65 Jahren rüstig an der Partitur zu Jephtha, als ihm seine Augen den Dienst versagen. Er notiert:

biß hier her kommen. Den 13. Febr. 1751 verhindert worden wegen des Gesichts meines linken Auges.

Zehn Tage später, an seinem Geburtstag, notiert er:

den 23. F. dieses etwas besser worden, wird angegangen.

Der bedeutungsschwere Text des feierlichen Chores:

Alle Freud’ wird nun zu Leide, aller Jubel wird zur Klage, wie sich Tag in Nacht verkehrt.

Ungewöhnlich langsam kommt er – mit unsicherer Schrift – bis zum Ende. Am 30. August 1751 ist dieses sein letztes Werk endlich fertig. Er selbst aber kann nichts mehr sehen.

Dennoch spielt er bei Aufführungen seiner Werke noch die Orgel. Anfangs übt er sich seine Parts ein, um sie dann an den vorgesehenen Stellen auswendig vorzutragen, dann aber sagt er seinen Musikern, er werde sie durch Improvisationen ersetzen und ihnen durch Triller jeweils ihre Einsätze anzeigen.

Händel ist – so glaubt Rolland – der größte Improvisationskünstler aller Zeiten gewesen, und das will angesichts Beethovens legendärer Improvisationskunst etwas heißen. Uns Nachgeborenen ist verwehrt zu erleben, was an Wundern die Zeitgenossen bei Händels Konzerten erleben durften. Einstimmig wird davon berichtet, wie Händel zu Beginn die Gestimmtheit des Publikums in sich aufnahm und – sich in sie einschwingend – zu improvisieren begann, mit dem Publikum unsichtbar Zwiesprache haltend. Sein Zeitgenosse Sir John Hawkins erzählt von der verzaubernden Wirkung auf die zuhörenden Menschen:

…wie soll man die Wirkung … auf die entzückte Versammlung beschreiben! … Stille … erfolgte in dem Augenblick, in welchem er sich anschickte, die Orgel zu berühren, eine so tiefe Stille, daß sie das Atmen hemmte und über den Lauf der natürlichen Funktionen Gewalt zu üben schien.

So sitzt er auch am 6. April 1759 bei der Aufführung des Messias an der Orgel. Mittendrin verläßt ihn seine Kraft, er rafft sich nochmal auf,

improvisiert, wie behauptet wird, mit der ihm eigenen Größe. Zu Hause angekommen, legt er sich zu Bett. (Rolland)

Er fühlt sein Ende. Seinem Testament fügt er den Wunsch an, in der Westminster Abtei beigesetzt zu werden. Er sagt:

Ich möchte am heiligen Karfreitag sterben, in der Hoffnung mit meinem guten Gott, meinem Herrn und Retter, am Tag seiner Auferstehung vereint zu werden. (Rolland)

Er stirbt in seinem Londoner Haus am Sonnabend vor Ostern, am 14. April 1759, um acht Uhr morgens.

Am 20. April wird er wunschgemäß in Westminster beigesetzt. Dort ist ihm ein Grabmal errichtet, für das er testamentarisch 600 Pfund bereit gestellt hat.

Zu seinem 100. Geburtstag veranstaltet Burney in der Westminster Abtei bei vollem Haus ein Händel-Gedächtnis-Konzert mit einem Riesenaufgebot an SängerInnen und Musikern.

England ist vereint in seiner Liebe und Verehrung für Händel, so auch Deutschland und die ganze musikliebende Welt.

Händel ist der unerreichte Meister aller Meister! Geht hin und lernt, mit wenigen Mitteln so große Wirkungen hervorbringen,

sagte kein Geringerer als Ludwig van Beethoven.

Georg_Friedrich_Händel

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Elke
Elke
14 Jahre zuvor

Welch ein Zeitbild am Beispiel Händel! Kunst und Kultur in voller Blüte! Venedig konnte 7 Theater unterhalten! Aber auch nördlich der Alpen entstanden nicht nur Dome und Schlösser, sondern auch Jahrhunderte überdauernde schöne Bürgerhäuser in dieser Zeit, dem Auge des Bürgers zur Erbauung! Die Seelen der Baumeister strahlten noch Schönheit aus! Wie arm sind wir Heutigen mit unseren Architekten dagegen, die nur nüchterne Sachlichkeit preiswürdig finden. Seele hat bei den wenigsten noch einen Stellenwert. Und ist es mit der Musik anders?

Welch ein Glück, dass Händel nach dem weltoffenen Hamburg kam, dem angeblich so kühlen Norden Deutschlands, wo er “dem Klanglichen den Vorzug gab vor dem Strukturellen, dem Erleben … den Vorzug gegenüber der vernunftgeborenen Konstruktion.” Diese Klangschönheit ist es, welche uns immer wieder in der Seele gut tut, und diese Freude und einfache Klarheit, welche aus seinen Kompositionen zu uns spricht.

Schade, dass mit dieser Vortragspräsentation nicht zugleich auch Musik von ihm gehört werden kann.

ches themann
14 Jahre zuvor

Ich inszeniere im Sommer Händels number one Almira bei den Donaufestwochen in Grein (Premiere 8.8.o9). Ich war von der Partitur überwältigt. Es ist wie bei Mozart. Von Anfang an sind alle Merkmale vorhanden, die später den Stil des reifen händel ausgemacht haben, hohe Kunst der Psychologisierung und Ausdeutung des Gemüts der figuren, eigenständige neue Mittel und Formen, Mehrsprachigkeit – ein erstaunliches Selbstbewußtsein für einen Erstling, tiefe Mitteilungen über das Menschsein. Ich bin tief beeindruckt und berührt. Freue mich über Austausch zu dieser Oper – weiß noch jemand etwas über sie?
Herzliche Grüße
Ches Themann

ches themann
14 Jahre zuvor

Nachtrag: etwas, das mich auch ganz stark beeindruckt hat, ist die Internationalität seiner Musiksprache. Elemente des italienischen, französischen und deutschen Stils von Anbeginn an in einem Werk verknüpft – ein wahrer Europäer. Begeisternd. Es gibt diesen Meinungsstreit, war Händel ein deutscher, englischer oder italienischer Komponist. Dazu fällt mir nur Bernsteins Antwort ein auf die Frage, als was er sich fühle – als Dirigent, Pianist oder Komponist. Seine Antwort lautete: Musiker.

Johanna
Johanna
14 Jahre zuvor

Toller Artikel !

Detlef Stapf
10 Jahre zuvor

Eine übersichtliche Biografie zu der ganz gut die Georg Friedrich Händel Tour in Halle passt http://kulturreise-ideen.de/musik/komponisten/haendel-georg-friedrich/Tour-musikstadt-halle-saale-zu-den-haendel-festspielen.html

tim
tim
8 Jahre zuvor

die seite is gut aber zuviel text

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