Friede auf Erden – er kommt aus dem Frieden der Völker mit sich selber (Zenta Maurina: Dostojewskij)
Donnerstag, 16. Dezember 2010 von Adelinde
Es muß ja nicht Selbstgefälligkeit sein.
Doch wer sich selbst nicht leiden kann, macht es auch andern schwer, ihn zu lieben.
Ich hab sie jetzt in der Vorweihnachtszeit einmal wieder aufgelegt, die
MISSA SOLEMNIS
von Beethoven, nachdem ich die Worte der lettischen Philosophin Zenta Maurina in ihrem Werk Mein Lied von der Erde gelesen hatte:
Zwanzig Jahre habe ich mich in Schweden, wo mein Instrument, das Mittel meiner Ausdrucksfähigkeit, die deutsche Sprache, nichts galt, nach Deutschland gesehnt, das mir in meinen seit 1952 gehaltenen Vorträgen einen so lebendigen Widerhall geschenkt hat, nach Deutschland, das für mich in dem Sanctus der „Missa solemnis“ von Beethoven lebt: in unaussprechlicher Innigkeit schwebt die Solo-Violine in himmlischer Höhe und behält bis zum Schluß die Führung in den andachtsvollen Soli- und Chorstimmen.
Welche Wertschätzung unseres besonders von uns selbst so viel geschmähten Deutschland! Ausgerechnet dieses Sanctus mit seiner elegischen Violinstimme, deren Reinheit, Schönheit, Frömmigkeit mit Worten nicht zu beschreiben ist, ist einer aus ihrer baltischen Heimat Vertriebenen Sinnbild Deutschlands!
Weihnachten – das Fest des Friedens – auch mit uns selbst,
Heimkehr zu unserem besseren Selbst! Die Sprache Beethovens ist zwar geboren aus einer deutschen Seele, aber sie ist die Sprache, die in allen Völkern verstanden wird.
Dostojewskij, der seinem russischen Volk mit ganzer Seele verbunden war, sagt in seinen Winterlichen Bemerkungen:
Es gibt eine chemische Verbindung zwischen dem menschlichen Geist und der heimatlichen Erde,
und findet damit wohl bei niemandem tiefere Zustimmung als bei einer „Entheimateten“ wie Zenta Maurina. Das widerspricht auch nicht ihrer Erkenntnis,
daß es für Menschen eines Geistes nur eine Heimat gibt.
Sie meint die Heimat im Ewigen, im göttlichen Wesen, das alles durchwebt und sich danach sehnt, vom Menschen in dessen Ich wahrgenommen und gelebt zu werden. Und das ist die Heimat, in die uns das beethovensche Sanctus führt.
Dostojewskij beklagt jedoch:
… die Urwurzel der Brüderlichkeit, das Gottbewußtsein, fehlt in Westeuropa. Vergebens haben die Sophisten die Brüderlichkeit durch Vernunft und Berechnung aufzurichten versucht. Ein Ameisenbau ist das Ergebnis.
Und so konnte die Erfüllung der Sehnsucht Zenta Maurinas, nach Deutschland zu ziehen, im deutschen Alltag nicht gleichzeitig die Erfüllung der Sehnsucht nach heimatlicher Geborgenheit sein.
Denn leider befinden wir Menschen uns zumeist nicht in dauerndem Einklang mit den göttlichen Harmonien des beethovenschen Sanctus.
Selbstverachtung und Selbstüberhebung liegen nahe beieinander.
Das
Am deutschen Wesen soll die Welt genesen
findet sein Spiegelbild im Rußland des 19. Jahrhunderts, von wo der Sturm auf alle Kultur, auf alles gottzugewandte Leben in Europa, Asien und Südamerika losbrechen sollte, der „Pansatanismus“, wie Zenta Maurina die Losbindung des Teufels aus eigener bitterster Erfahrung nennt.
Dostojewskij sah sie kommen, die Hölle. Er hatte eine ähnliche unter dem verbrecherischen Zar Nicolai I. selbst durchleben müssen, zuerst im „Totenhaus“ des Petersburger Gefängnisses, dann zu 4 Jahren Zwangsarbeit „begnadigt“ nach Sibirien verschleppt und danach zwangsrekrutiert für 6 Jahre als Soldat in der Armee. Trotz allem Elend blieb er ungebrochen in seiner Liebe zu Rußland und in seinem Gottsuchen.
Was war Dostojewskijs „Verbrechen“ gewesen?
Maurina:
Der teuerste aber von allen ausländischen Dichtern war ihnen (Dostojewskij und seinem Lieblingsbruder) Schiller.
Schillers Ideale von Freiheit und Menschenwürde
waren auch die Dostojewskijs. So nahm er als junger Mann Verbindung auf mit Menschen, die – angesichts der kranken Volks- und Gesellschaftsverhältnisse im damaligen Rußland – ähnliche Ideale vertraten.
Ganz Europa bewegte sich auf die Ideen der 48er-Revolution zu. Der Sozialismus erschien als das rettende Ziel. Nur verstanden die führenden Männer darunter sehr verschiedene Formen und wollten sehr verschiedene Wege dahin gehen.
Maurina stellt fest:
Der Weg von Schillers Idealismus, in dessen Bann Dostojewskijs frühe Jugend verging, bis zum französischen utopischen Sozialismus ist nicht weit. Dostojewskij glaubte, daß die Dichtkunst und Philosophie, an deren Spitze George Sand und Victor Hugo, dazu berufen sei, die Welt zu erneuern und die Menschheit zu beglücken.
Und sie zitiert Dostojewskij, der später – auf seine Jugend zurückschauend – schreibt:
Damals faßte man diese ganze Sache in einem rosigen, paradiesisch-moralischen Lichte auf. Es ist wirklich wahr, daß der Sozialismus damals … mit dem Christentum verglichen als eine Verbesserung und Korrektur desselben erschien, die man den Ansprüchen der Zivilisation und denen des Jahrhunderts angepaßt hat. All die neuen Ideen gefielen uns in Petersburg ungemein, sie schienen uns im höchsten Maße heilig und ethisch zu sein und vor allem – allmenschlich, ein zukünftiges Gesetz für die ganze Menschheit ohne Ausnahme.
Dies baute sich auf der
Kritik an den unmenschlichen Lebensverhältnissen in Rußland
und die russische Theokratie auf:
Der Zar von ganz Rußland ist ein selbstherrschender und unumschränkter Monarch. Seiner obersten Gewalt nicht nur aus Furcht, sondern aus Gewissen zu gehorchen, befiehlt Gott selbst,
zitiert Maurina das Staatsgrundgesetz von 1832 und hebt hervor, was alle Gewaltherrscher und ihre Zuarbeiter kennzeichnet:
Alle diese Beamten waren von einer schier abergläubischen Furcht vor der Macht des geschriebenen Wortes besessen … Alles erregt den Argwohn der Tyrannen. Damals wurden Worte und Privatbriefe zum Staatsverbrechen, heute (sie gibt die Skizze zu ihrem Buch über Dostojewskij 1932 heraus) sind es Gedanken und Seufzer.
Welche Tragik einer lettischen Patriotin! Auch sie als Schriftstellerin war in ihrem Heimatland, dem von ausländischen Mächten endlich frei gewordenen Lettland, von offizieller Seite als angebliche Anhängerin des „jüdischen Internationalismus“ mißverstanden und boykottiert worden. Maurina:
Die Zusammenkünfte der russischen Idealisten im 19. Jahrhundert nun standen unter Beobachtung der zaristischen Geheimpolizei, der nichts heilig war.
Es gab zweiundzwanzig Spezialzensuren. Jede Kritik der Regierung und Ämter war verboten. Von Nikolai I. hat sich der Ausspruch aufbewahrt: „Fortschritt? Was für ein Fortschritt? Dieses Wort ist aus der offiziellen Sprache auszumerzen.“
Kaum war er zum Zaren gekrönt, beseitigte er an der Moskauer Universität den Lehrstuhl der Philosophie, und als Grund wurde die
„tadelnswerte Entwicklung dieser Wissenschaft durch deutsche Gelehrte“
angegeben. Bei einer Fahrt durch Moskau zeigte der Zar auf das Universitätsgebäude mit den Worten: „Da ist die Wolfshöhle.“
Besonders hervor tat sich unter den damaligen Idealisten
der wortgewaltige und einflußreiche Zeitungskritiker Belinskij.
Maurina bezeichnet Belinskij als den
Vater der modernen russischen Kritik … Dieser self-made-man war der politische, soziale und philosophische Führer der jungen Generation.
Er traf den Nagel auf den Kopf und auf die Zustimmung der Jungen, wenn er feststellte:
Der Dichtertitel, der Beruf des Schriftstellers hat bei uns schon längst das Talmigold der Epauletten und vielfarbigen Uniformen ausgestochen.
Und so geht ein Brief Belinskijs von Hand zu Hand, den Zenta Maurina bezeichnet als
eines der interessantesten Zeitdokumente, das in knappen, grellen Worten die russischen Zustände geißelt: zur Zeit Dostojewskijs und Turgenjews wurden Menschen von Menschen wie das liebe Vieh verkauft, „obwohl sie dazu nicht einmal jene Rechtfertigung haben, auf die sich die amerikanischen Farmer voller List stützen, indem sie behaupten, der Neger sei kein Mensch.“
Belinskij zeige darin auf Rußland als ein Land,
wo es keinerlei Garantie für persönliche Freiheit, für Ehre und Eigentum gebe, wo nicht einmal eine polizeiliche Ordnung herrsche, „sondern nur eine riesige Korruption von diensthabenden Dieben und Räubern“. Rußland brauche … „das Erwachen des Gefühls menschlicher Würde, das seit Jahrhunderten in Dreck und Mist verlorengegangen ist.“
Belinskij behaupte,
der russische Mensch besitze eine eingeborene Veranlagung zum Nihilismus … Wird der russische Mensch von einer religiösen Manie befallen, „so räuchert er dem irdischen Gott inbrünstiger als dem himmlischen“ … „Eine Bestie ist unser Bruder, der russische Mensch.“
Dieser Brief Belinskijs wurde – so Maurina –
an allen Enden Rußlands, wo Menschen nach Freiheit dürsteten, … gelesen und abgeschrieben. Für die revolutionär gesinnte Jugend wurde er zum Manifest: es gab viele, die ihn auswendig konnten. In der Geschichte der russischen Revolution hat dieser Brief eine bedeutende Rolle gespielt. Herzen bezeichnet ihn mit dem Epithet „genial“ und nannte ihn das Testament Belinskijs. Selbst Lenin unterstreicht „die gewaltige lebendige Einwirkung“, die dieses Schriftstück gehabt hat.
Belinskij verkünde
gemeinsam mit Herzen und Bakunin, den russischen Revolutionären, … den Atheismus als größte Befreiung des Geistes.
Anders als diese war er jedoch
ein leidenschaftlicher Kämpfer für die Idee der Humanität. Er empört sich gegen Gott aus Liebe zur Menschheit und will an einen Schöpfer dieser unvollkommenen Welt, die nur durch die Vernunft des Menschen vervollkommnet werden kann, nicht glauben …
Der Brief fällt in die Hände der Geheimpolizei. Zu seinen Verbreitern hatte Dostojewskij gehört und damit zu dem Kreis von „Hochverrätern“. Maurina berichtet, daß Zar Nikolai I. eigenhändig auf die vom Grafen Orloff, dem Chef der Gendarmerie, am 22. April 1849 vorgelegte Eingabe schrieb:
Ich habe alles gelesen, eine wichtige Sache, … in höchstem Maße verbrecherisch und unzulässig. Die Verhaftungen haben wie üblich zu beginnen. Mit Gott. Sein Wille geschehe.
Auch dieser Mensch, der „Zar aller Reußen“, beruft sich auf „Gott“.
Welche Verschiedenheit im Empfinden göttlichen Seins
gibt es doch unter den Menschen! Belinskijs Einfluß indes – so Zenta Maurina –
nicht nur auf den jungen Dostojewskij, sondern auf den russischen Sozialismus und die russische neuzeitliche Mentalität ist ungeheuer: er bekämpft den christlich gesinnten Utopismus durch den materialistischen Atheismus und bereitet – ohne sich bewußt zu sein, was er tut – den Weg zum marxistischen Kommunismus.
Die Vorstellung eines Gottes, der außerhalb der Welt die Geschicke des Menschen leite, war vielen Menschen nicht mehr nachvollziehbar, und zu viel Grausamkeit war im Namen der Religion begangen worden. Aber
was die Revolutionäre nun ersannen,
war nicht besser. Belinskijs
Aussprüche in den letzten Lebensjahren sind wie eine Vorahnung der Thesen Lenins …
schreibt Maurina und führt als Beispiel an:
Um einen Teil der Menschheit glücklich zu machen, bin ich, wie mir scheint, bereit, den übrigen Teil mit Feuer und Schwert zu vernichten.
Hier sieht Maurina ein Denken, das nicht weit von dem Lenins entfernt ist:
Es ist nicht wichtig, daß vier Fünftel der Menschheit zugrundegerichtet werden, wenn nur das eine Fünftel der Kommunisten übrigbleibt.
Und sie fügt hinzu:
Hätte Belinskij gewußt, wohin seine Lehre führen werde, wäre er wohl zutiefst erschrocken.
In einer Anmerkung dazu zitiert sie den aufschlußreich anerkennenden Satz aus der bolschewistischen „Literatur-Enzyklopädie“ 1930 Bd. I:
Belinskij war der Vorgänger des russischen marxistischen Gedankens. Seine Verdienste sind unermeßlich.
Bis 1856 jedoch durfte noch nicht einmal der Name dieses angeblichen Hochverräters genannt werden.
Dostojewskij wäre soweit wie Belinskij nie gegangen. Er war und blieb ein Gottsucher.
In späteren Jahren sah er nach allem Lebenselend, das er durchgemacht hatte, für sein russisches Volk immer noch keinen andern Heilsweg als den über das Zarentum und die russisch-orthodoxe Kirche.
Doch schon im Vernehmungsprotokoll nach seiner Festnahme bekundet er sein Herz, das für sein russisches Volk schlägt und sich vom Sozialismus abgestoßen fühlt:
Ich gestehe aufrichtig, daß mein ganzer Liberalismus im Verlangen besteht, meinem Vaterlande das Beste zu wünschen – eine ununterbrochene Entwicklung zur Vervollkommnung. Diesen Wunsch trage ich in mir, seit ich bewußt zu leben angefangen …
Was aber die soziale Richtung anbetrifft, so bin ich nie ein Sozialist gewesen, obwohl ich gern über soziale Fragen gelesen und mich mit ihnen beschäftigt habe …!
Schmähung des eigenen, Liebe zum andern Volk und umgekehrt: Dostojewskij und Turgenjew
Dostojewskij konnte nicht verstehen, wie ein Mensch wie Turgenjew seinem eigenen Volk gegenüber so herzlos sein und ihm ein anderes, das deutsche, vorziehen konnte:
Sein letzter Roman hat mich einfach wild gemacht. Er selber sagte mir, der Hauptgedanke, der Ausgangspunkt dieses Buches liege in dem Satz :
„Und wenn ganz Rußland von der Erdoberfläche verschwände, so würde das die ganze Menschheit weder aufregen noch einen Nachteil für sie bedeuten.“
Ebensolche Sätze – des öfteren ausgesprochen im heutigen Deutschland von den Nachfahren des Sozialismus, den Grünen und (anderen deutschen) Linken – regen hierzulande kaum jemanden auf, so tief ist das Selbstwertgefühl heute auch bei uns versunken, ist die deutsche Selbstverachtung seit Jahrzehnten in Mode.
Dostojewskij dagegen empfand die Gottferne, die in solcher Lieblosigkeit dem eigenen Sein gegenüber liegt, brennend, ätzend:
… ich mußte feststellen, daß es für alle diese liberalen Leutchen, alle diese Progressisten, hauptsächlich aus der Schule Belinskijs, ein Genuß und eine Genugtuung ist, Rußland zu schmähen.
Wenn er nach Meinung von Maurina Turgenjew in Bezug auf dessen Patriotismus nicht ganz gerecht wird, so ist sicher trotzdem aufschlußreich, was Dostojewskij weiter ausführt:
Turgenjew sagte mir, daß wir vor den Deutschen auf allen Vieren kriechen müßten, daß es für alle nur einen gemeinsamen Weg, den der Zivilisation gäbe, und daß alle Versuche des Russizismus und der Selbständigkeit eine Schweinerei und Dummheit seien.
Auch hier scheint ein grundlegendes Mißverständnis vorzuliegen, das auch die öffentliche Meinung in Deutschland zu beherrschen scheint:
-
Wer seine Liebe zu seinem Volk bekennt, muß kein chauvinistischer Nationalist sein.
-
Und wer sich dazu bekennt, daß alle Menschen auf der Erde in einem Boot sitzen und im Höchsten eine Sprache sprechen, in der sie einander verstehen, weil sie im letzten Grunde ihres Wesens gleich veranlagt sind, gleichermaßen die Sehnsucht nach freier Entfaltung ihrer Persönlichkeit und das Recht darauf in sich verspüren, der muß kein gott- und volksvergessener Internationalist sein.
Unerträglich war Turgenjew Dostojewskijs Auslassung beim Abschied der beiden in Deutschland, die Maurina mit seiner „Emigrantenbitterkeit“ erklärt, die sie als ebenfalls Betroffene nur zu gut nachempfinden konnte. Dostojewskij
behauptete, das einfache deutsche Volk sei ehrloser als das russische, und daß es dümmer sei, liege auf der Hand.
Wörtlich berichtet Dostojewskij von dem Vorfall:
Turgenjew erbleichte (buchstäblich, ich übertreibe wirklich nichts, nichts!) und erwiderte mir: „Mit diesen Worten beleidigen Sie mich. Wissen Sie denn nicht, daß ich mich hier endgültig niedergelassen habe, ich zähle mich selbst zu den Deutschen und nicht zu den Russen und bin stolz darauf.“
Die nationalen Wurzeln eines jeden Menschen gehören zu seiner Persönlichkeit wie alle andern Wesensmerkmale, mit denen er geboren wurde. Sie zu schmähen, bedeutet, die Würde des Menschen anzutasten.
Turgenjew – der Wahldeutsche – fühlte sich getroffen, obwohl er von seinen Wurzeln her Russe war. Maurina erklärt:
Von deutscher Philosophie und deutschem Geist beeinflußt, an die verfeinerte Lebensart im Ausland gewöhnt, empfand Turgenjew für Deutschland eine tiefe Sympathie. In der deutschen Ausgabe von „Väter und Söhne“ spricht er seinem „zweiten Vaterland“ seinen Dank aus.
Auch das gibt es, die
Wahlheimat eines Weltbürgers.
Aber es ist weit entfernt von dem, was Dostojewskij in Genf auf dem ersten Kongreß der Friedens- und Freiheitsliga miterleben mußte, der unter der Beteiligung von Garibaldi und Bakunin tagte:
er hört die Rede des „Weltzerstörers“ Bakunin, nach dessen Modell er den Schigaleff in den „Dämonen“ gezeichnet hat. Hier lernt er die menschenfeindlichen Ideen der Weltrevolution näher kennen. Die wüstenhafte Seelenarmut Bakunins, des russischen Anarchisten, sein nihilistischer Intellektualismus und das einfältige Zutrauen der fünftausend Zuhörer erschrecken ihn tief. Aufmerksam verfolgt er den Gedankengang des terroristischen Atheisten über die Ausrottung der Großmächte und des persönlichen Eigentums durch Feuer und Schwert und den Wahn, auf diese Weise den Weltfrieden zu erzwingen … hellsichtig erfaßte er
die anwachsende Gefahr der Gottlosigkeit und des Nihilismus.
Jedem von uns ist es überlassen zu beurteilen, wie weit unsere Menschenwelt von jener grausamen Krankheit geheilt ist. In China sitzen Menschen wie der Freiheitsheld Liu Xiaobo mit seinem liebevollen Herzen im Gefängnis, und seine Herrscher spotten über diejenigen, die ihm den Friedensnobelpreis verliehen haben. Auch die anmaßende „Weltmacht“ USA kennt die Todesstrafe, die heimtückischen Hinrichtungen Regimefeindlicher, ihr Präsident Obama konnte nicht durchsetzen, daß das menschenverachtende Guantanamo beendet wird, und die Angriffskriege dieser selbstgerechten Macht nehmen kein Ende.
Der Mensch ist ein Geheimnis; bist Du Dein Leben lang bemüht, es zu enträtseln, dann sage nie, daß Du Dein Leben vergeudet hättest. Ich beschäftige mich mit diesem Geheimnis, denn ich will ein Mensch sein,
sagt Dostojewskij, und Zenta Maurina erklärt:
Für ihn ist der Mensch nicht eine der zahllosen Spielarten der Natur, sondern das Zentrum aller Schöpfungen, die Sonne, um die alles kreist.
Im Menschen liegen alle Rätsel des Universums beschlossen, und wer das Rätsel Mensch löst, löst gleichzeitig auch das Rätsel Gott.
Soll ich Sie beneiden, weil Sie sich mit so vollkommenen anderen Dingen beschäftigen können als mit Dingen, die meinen Alltag bilden?
Schön-geistige Literatur, oder Gedanken, sind es zwar auch nicht grade. Aber was ist eigentlich „schöngeistig“? Die Auseinandersetzung mit den in Ihrem letzten Gespräch zitierten Autoren sind zwar „geistig“, aber „schön“?
Ich liebe die russischen Autoren, ich liebe auch die russische Musik! Ich liebe St. Petersburg, liebe ich deswegen Russland? Nein!
Aber es stimmt: Die Missa solemnis könnte ich mir auch mal wieder anhören. Ich ersticke förmlich in „Gorleben-Akten“! Das ist die Frucht einer langen Auseinandersetzung mit diesem Problem.
Der Mensch ist ein zweischneidiges Schwert. Zwischen allem Alltagstalmi, aller Grausamkeit, allem Elend gibt es immer wieder die menschlichen Leuchttürme:
Zenta Maurina ist einer von ihnen, Dostojewskij, Beethoven, die alle drei Schwerstes zu ertragen hatten und doch der Menschheit Halt und Geborgenheit gaben in ihrer unbeirrbaren Gottdurchdrungenheit, Seelenstärke und Liebe.
Der Beitrag ist dir wirklich gut gelungen!!
Danke!
Was Dostojewski über die „chemische Verbindung zwischen dem menschlichen Geist und der heimatlichen Erde“ schreibt, sollte heutige Forscher beschäftigen. Die vielen Flüchtlinge haben demnach ein gestörtes chemisches Verhältnis zu ihren neuen Lebensorten … eine weitreichende Feststellung von Dostojewski!
Wenn wir diese Musik hören – insbesondere den 2. Teil des Sanctus mit dem Benediktus und Hosianna – bleibt uns kaum noch etwas zu sagen, es macht uns demütig und stumm. Es ist das unsagbare Göttliche, das uns hier besonders im Zusammenklang der menschlichen Stimmen mit der elegischen Solovioline entgegenklingt (dieses Instrument wird übrigens oft zur Kennzeichnung von Jesus in der Musik verwandt), und wir sollten wohl erst eine lange Pause, einen Übergang, einlegen, bevor wir anfangen, uns prosaische Gedanken über das „Unsägliche“ in den Weltverbesserungstheorien zu machen. Keine dieser Theorien hat bislang etwas getaugt, egal, woher sie stammten. Solange nicht einmal unter den christlichen Völkern die Mindestvoraussetzung der conditio humana*gewährt sind, sollte erst einmal für deren Sicherstellung gesorgt werden.
(*conditio humana sind die Voraussetzungen, die zur befriedigenden Lösung von drei Grundproblemem der Gesellschaft unabdingbar sind. Es sind dies: a) Sicherung des physischen Lebens und Überlebens; b) Regelung des friedlichen Zusammenlebens und c) Entwicklung von Deutungen und Handlungsweisungen für ein sinnvolles Leben.)
Das derzeitige westliche Modell der republikanischen, repräsentativen Demokratie zeigt heute bereits schon erste Ermüdungs- und Atrophieerscheinungen. Die allseits gelobte Gewaltenteilung kann längst nicht mehr als Garant für die conditio humana gelten, es bedarf eines dringenden Korrektivs zur physischen Rettung vieler Menschenleben und einer ethischen Maxime, um die Menschenwürde und die Menschenrechte weltweit durchzusetzen. Nationales wie regionales (EU) Denken ist zu eng inzwischen wegen der weltweiten Verflechtung.
Auf einige Mängel weist Adelinde bereits zu Recht hin. Die faktischen Verhältnisse im Hinblick auf Menschenrechte und -würde weltweit sind der eigentliche Maßstab der Beurteilung, ob die Rezepte des bisherigen republikanischen Demokratieverständnisses etwas taugen. Denn es ist doch bekannt, dass trotz Einhaltung der demokratischen Verhältnisse hier bei uns die längst entartete Wachstumsideologie, unterlegt vom Neoliberalismus, die Welt/die Erde nachhaltig zerstört. Dieser auch Mammonismus genannte Krieg gegen die Schöpfung ist der Grund, dass Menschen regionenweit (z.B. Afrika) Hunger leiden, der Raubbau an den Ressourcen der Natur (z.B. Amazonien) grenzenlos fortchreitet und selbst das ganze Wirtschaftssystem ad absurdum geführt wird.
Das Problem liegt darin begründet, dass nur von wenigen erkannt wird, dass Wirtschaft ohne Ethik, ohne Einbeziehung der Folgen des Wirtschaftens, auf Dauer nicht funktionieren kann. Zur Gewaltenteilung muß stets die Frage nach der Verantwortung darüber, was wir trotz Einhaltung der Gewaltenteilung weltweit unter den Menschen, Tieren und der Natur anrichten, hinzutreten. Das Korrektiv ist die absolut notwendige, ethische Klammer, in die die Gewaltenteilung einzubetten ist, und dies global.
Wir können uns nicht länger den Mund verbieten lassen durch das Argument, wer Ethik in der Wirtschaft fordere, der habe keine Ahnung von der Wirtschaft und den dort herrschenden Zwängen. Die sog. Sachzwangideologie ist die Vergötterung eines falschen Gottes. Ohne einen göttlichen Funken, wie er in der Musik Beethovens und in den Freiheitsrufen Schillers deutlich hörbar ist, geht es nicht gut zu Ende. Dieser göttliche Funke darf nicht länger in uns überhört oder mundtot gemacht werden. Nur so können wir menschenwürdige Visionen aufrecht erhalten.
Spaeter in seinem Leben sagte Dostojewski: „Schoenheit wird die Welt retten.“
Der Kunst dieses Vermoegen zuzusprechen – dafuer will ich ihm gerne alle Irrtuemer und Verwirrungen seiner Jugend nachsehen.
Ein sehr origineller Text, was Struktur als auch Inhalt anbelangt. Sie schaffen es, in kurzem Rundumschlag viele Aspekte angemessen zu tragen zu bringen. Es weist sie auch als Verständige in Sachen Dostojewski aus.
Inhaltlich keineswegs notwendig, aber auch nicht abwegig wäre noch ein dezenter Bezug zum Verhältnis Tolstoi und Dostojewski. Beide sind sich vermutlich ja nie persönlich begegnet, und doch besteht zwischen beiden eine geradezu antagonistische Verbundenheit. Mehr sicherlich noch, als Dostojewski mit Belinski oder Turgenjew haderte.
Ich hoffe, ich kann Ihnen mit meinem Hinweis auf die Dostojewski-Page eine kleine Freude bereiten. Hier finden sie neben vielen anderen Aspekten das Verhältnis zu Turgenjew, Tolstoi und Belinski explizit dargestellt. Bakunin findet sich dort nur am Rande wieder. Bakunin ist wieder ein Thema für sich . . .
Ich möchte mich also nachmals für Ihre Arbeit bedanken. Sie war sehr anregend und unterhaltsam für mich.
Achja die Seite:
http://dostojewski.npage.de/