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Das Wort „völkisch“ ist seit seiner Vereinnahmung durch ein Blatt wie den „Völkischen Beobachter“ erledigt. Wer es dennoch benutzt, macht sich verdächtig, einem System anzuhängen, das national-egoistisch, chauvinistisch nur das eigene Volk achtet, Daseinsrecht und Kultur fremder Völker aber geringschätzt.

Das ist das genaue Gegenteil von dem, was die Schöpfer dieses Wortes wollten. Wie die große lettische Schriftstellerin Zenta Maurina dachten sie weder chauvinistisch noch internationalistisch. Sie wollten die Mannigfaltigkeit menschlichen Seins in der Verschiedenartigkeit der Völker erhalten wissen.

Chauvinismus und Internationalismus

Briefmarkenausgabe zu Ehren von Zenta Mauriņa (Lettland 1996)

Briefmarkenausgabe zu Ehren von Zenta Mauriņa (Lettland 1996) (Wikipedia)

Zenta Maurina sprach stets vor übervollen Sälen. In den dreißiger Jahren war sie als Autorin ihrer Bücher so gefragt, daß sie sagen konnte[1]:

Ich brauche nicht mehr für meine Manuskripte einen Herausgeber zu suchen … Ich habe mehrere Verleger, die zu mir kommen und ihre Vorschläge unterbreiten. Jedes Manuskript wird, wenn es fertig ist, gedruckt, und wenn das Buch erschienen ist, wird es alsbald ausverkauft.

Trotzdem erlebte sie nach jeder Veröffentlichung Beschimpfungen in der Presse. Ihre Feinde waren die rechten Nationalisten ebenso wie die linken Internationalisten. Beiden konnte und wollte sie es nicht rechtmachen, denn:

Ich bin kein Chauvinist wie meine Gegner, aber ich bin auch kein Internationalist, wie jene mich schmähen. Ich liebe die Schönheit und Eigenart der Völker und Menschen, wie die der Blumengesichter und Vogelgesänge, die zu beobachten ich nicht müde werde. Es gibt für mich keine bevorzugten Nationen, keine niedrigen und hohen Rassen, nur bevorzugte, begnadete und andererseits unterentwickelte, geistig unterernährte Menschen. Wie es eine wahre und eine falsche Liebe gibt, so auch einen wahren und falschen Patriotismus.

Ebenso kraß, wie man sich am Ende der dreißiger Jahre bei uns (in Lettland) vom „verfaulten Westen“ abwandte, kehrte man auch allem Russischen den Rücken; man unterschied nicht zwischen einem politischen System und Leistungen geistiger Kultur. Weil der Bolschewismus für uns gefährlich war, las man weder Tolstoj noch Tschechow und verwarf Dostojewskij, obwohl er die Gefahr des Atheismus hellsichtig angeprangert hatte.

Und dann stellt sie als Beispiel einen lettischen Dichter vor, der sie häufig besuchte, um sie eines „Besseren“ zu belehren, und der daran glaubte, daß

alle Völker der Erde zu uns pilgern (werden), um unsere Malerei, Dichtkunst und Musik kennenzulernen. Ich erlaubte mir, diese Utopie zu bezweifeln; darauf erwiderte der Verfasser preisgekrönter patriotischer Gedichte: „Das Studium an den fremden Universitäten hat Sie verdorben. Wenn ich der Präsident wäre, würde ich der Jugend das Studium im Ausland strengstens untersagen. Leute wie Sie sind Verräter an unserer Kultur. Ihre Sprache und Denkweise ist landesfremd.“

Schiller (Gemälde von Anton Graff)

Schiller (Gemälde von Anton Graff)

Genauso dachte 2500 Jahre vor ihm Likurgus, als er mit seinen Gesetzen Sparta formte, wie Schiller so eindrucksvoll die Erstarrung im immer Gleichen schildert, das der Kultur die Luft zum Atmen abschnürt durch die Abschottung nach außen und die künstliche Beschränkung auf sich selbst.

… nichts Traurigers könnte der Menschheit begegnen, als wenn alle Staaten nach diesem Muster wären gegründet worden,

resümiert Schiller, denn

in einer ewigen Einförmigkeit, in einem traurigen Egoismus sollte sich der spartanische Staat ewig nur um sich selbst bewegen.

So etwas aber verstanden die „Völkischen“ nicht unter dem Begriff „völkisch“. Zenta Maurina spricht in deren Sinne, wenn sie sagt[2]:

Weltoffenheit und geistige Wachheit bedingen einander.

Denn, so beschreibt sie ihre Begegnung mit der großen Beethoven-Interpretin Elly Ney:

Wir begegneten uns jenseits aller Länder im Glauben, daß es eine gemeinsame Allheimat gibt, und Elly Ney war und ist noch heute für mich eine Vertreterin dieser uns allen gemeinsamen Heimat.

Die von Maurina angesprochene Allheimat ist das, was die Samoanerin Kifanga als das große göttliche Sehnen nach sich selbst betrachtet. Es ist die göttliche All-Einheit, in der die Völker als große mannigfaltige Weltgemeinschaft vereint sind, in der es keine von vornherein Auserwählten und keine Ausgestoßenen, keine Bevorrechtigten und keine Zu-Benachteiligenden gibt.

In dieser über allem Zwist und aller Enge waltenden All-Einheit verstehen aufgeschlossene Menschen aller Völker einander in der Sprache der Kunst, vor allem der Musik, wenn sie aus diesem höchsten Sein entsprungen ist. Über diese schöpferische Macht sagt Zenta Maurina:

Jede Produktivität höchster Art, jedes bedeutende Aperçu, jede Erfindung, jeder größte Gedanke, der Früchte bringt und Folge hat, steht in niemandes Gewalt und ist über aller irdischen Macht erhaben.

Als die bolschewistischen Internationalisten in ihrem Gleichmacherwahn sich anmaßten, alles völkisch Besondere hinwegzufegen, prallten

Lettland_dainas

Dainas (Aufzeichnungen von Barons) an einer Hauswand in Riga (Wikipedia)

im Kampf gegen die vernichtende Sturzflut aus dem Osten … zwei Gegensätze aufeinander, Macht und Geist. Die Äste der Birke darf man brechen, wer aber den Wipfel eines Baumes bricht, begeht unverzeihlichen Frevel, heißt es in einer alten Daina. Seit 1940 waren es aber gerade die Wipfel, die am Baltischen Meer zerbrochen wurden. Man verhieß den Menschen Gleichheit – wer die Masse überragte, wurde einen Kopf kürzer gemacht.

Das im Lichtkreis des Sonnenbaumes arbeitende lettische Volk, das in seinen Dainas vor dem Niedertreten des Grases als einer der größten Sünden warnt, wurde in Staub und Asche getreten. Zuerst die Ehre und das Selbstvertrauen, dann das Leben selbst. Ein Volk, das zweitausend Jahre am Baltischen Meer den Acker bebaut und sich im ewigen Rhythmus der Aussaat und Ernte gewiegt hatte, wurde in den Strudel des roten Terrors gerissen.

Was die Chauvinisten und die Internationalisten eint, ist die Tatsache, daß sie – wie Schiller Sparta kennzeichnet -,

die ganze Moralität (preisgeben), um etwas zu erhalten, das doch nur als ein Mittel zu dieser Moralität einen Wert haben kann.

Dennoch bedeutet – wie Zenta Maurina aus bitterer eigener Erfahrung weiß – die

Vertreibung aus der Heimat „Absturz ins Nichts“.

Im schwedischen Uppsala findet sie zwar Aufnahme, erlebt aber

jene Not der Abgeschlossenheit, zu der der Heimatvertriebene verurteilt ist.

Zenta Maurina und Elly Ney

Zenta Maurina und Elly Ney, München 1952

Die Begegnung mit Elly Ney nun

vollzog sich in dem Lande, das ich von Jugend auf gut kenne, dessen Sprache ich von Kindheit auf spreche (Deutsch) und an das mich tausend Fäden knüpfen. Sie aber wußte von dem kleinen niedergetretenen Lande, aus dem ich stamme, nur sehr wenig. Sie stand vor mir in großer Freiheit, im strahlenden Licht des Sonnenuntergangs. Ich war mit tausend sichtbaren und unsichtbaren Fesseln gekettet, in die Nacht der Fremde hinausgeschleudert.

In der schlichten, Jahrtausende überdauernden Melodie einer lettischen Daina höre ich das Säuseln der reifenden Ähren am Baltischen Meer, das für Elly Ney ein einmaliger Eindruck, für mich die unerreichbare Stätte nie zur Ruhe kommender Sehnsucht ist.

Diese Sehnsucht kennen die deutschen Ostvertriebenen nur zu sehr. In wie vielen kam sie erst mit dem Tode zur Ruhe, ohne daß sie in all den Jahrzehnten nach dem Kriege in Deutschland von offizieller Seite her Balsam auf ihre Seelen bekommen hätten. Im Gegenteil: Von linker Seite, die ja ungehindert lautstark die Meinungsführerschaft diesseits und jenseits der Zonengrenze in unserem Lande übernehmen durfte, wurden sie obendrein herzlos verhöhnt.

Elly NeyElly Ney aber schenkte der heimatvertriebenen Zenta Maurina

das, was der Mensch dringender benötigt als Geld und Erfolg, mehr als Brot und Wein, sie schenkte mir, was schwerer und seltener auf Erden zu finden ist als Ruhm und Reichtum: seelisches Verstehen, wie es nur Menschen schenken können, die in ihrem Ich weite Fenster zur Welt aufgebrochen haben …

Die beiden großen Frauenpersönlichkeiten, die der Menschheit so viel zu geben hatten, fanden

so schnell den Weg zueinander,

weil sie, wie Maurina weiß, einander nicht in einem Privathaus zuerst begegnet sind,

wo man sich vor der trennenden Kluft des Schweigens fürchtet und sie in überhitzter Hast mit dem Schutt verwelkter Worthülsen zuzuschütten bemüht ist. Aber wir begegneten einander im Zeichen der Appassionata –

bei einem Konzert Elly Neys. In dieser Weltallweite Beethovenscher Musik, kongenial gestaltet von Elly Ney, in dieser Seelenverwandtschaft fand Zenta Maurina wieder Heimat.

Die schwarze Sängerin

Eine andere große Begegnung, noch in Riga, die ebenfalls in der Hochachtung vor der Leistung einer andersvölkischen Künstlerin tief berührt, schildert Maurina: Eine junge Schwarze, Marian Anderson,

Marian Anderson 14. Januar 1940 Fotografie von Carl van Vechten, aus der Van Vechten Collection der Library of Congress (Wikipedia)

Marian Anderson 14. Januar 1940 Fotografie von Carl van Vechten, aus der Van Vechten Collection der Library of Congress (Wikipedia)

singt … Ihre schwarzen Augen haben einen weichen Glanz. Ihre Stimme ist nächtliches Dunkel und strahlendes Licht, eine Reinheit, die ans Göttliche grenzt. In den Negro spirituals singt der ganze schwarze Kontinent. Diese Melodien haben sie ernährt, und singend wird sie die Pforte des Paradieses öffnen, auch mit geschlossenen Lippen. Dichter sind wundersame Gefäße, auch Musiker sind es. Jedenfalls war es Marian Anderson, als sie Schubert sang. Eine unbegreifliche Lebens- und Todesnähe. Der Doppelgänger wird zu einem erschütternden Drama. Der Tod und das Mädchen zu einer Tragödie, wie ich sie bis in diese mystische Tiefe nie erlebt habe.

In der Stadt an den Ufern der Düna lauschten wir der schwarzen Sängerin, die in den Liedern des Wieners neue Seiten aufschlug, und glaubten an die völkerverbindende Macht der Kunst. Ein Hauch des ganzen Weltraums durchwehte Riga.

Auch hier wieder die Weltallweite der Seelen, die aus verschiedenen Völkern stammen und sich dennoch in der göttlichen „Allheimat“ vereint empfinden, ebenso wie sie Hochachtung empfinden vor der Verschiedenartigkeit des Erlebens und dessen kulturellen Gestaltens. Der Gedanke, diese göttliche Mannigfaltigkeit menschlichen und völkischen Seins einebnen zu wollen, käme ihnen niemals.


[1] Zenta Maurina, Die eisernen Riegel zerbrechen, Memmingen 1957, 4. Auflage 1979, 15.-19. Tausend

[2] Zenta Maurina, Begegnung mit Elly Ney – eine Danksagung, Memmingen 1956, 4. Auflage 1964, 15.-20. Tausend


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