Feed für
Beiträge
Kommentare

In der Zeitschrift „Mensch und Maß“, 8/18, wurde der letzte Text veröffentlicht, den

General a.D. Dr. Franz Uhle-Wettler

Franz Uhle-Wettler – Bild: NDC-Organization

kurz vor seinem Tode geschrieben hatte. 

Uhle-Wettler setzt sich darin mit Geschichtsdarstellungen auseinander, die an der Wahrheit vorbei dem Deutschen Volk seine Schuld an – nicht begangenen – Verbrechen aufbürden.

Wie auch die heutige Medien-Propaganda alles daran setzt, das Deutsche Volk herabzusetzen und zu bekämpfen, so treiben es auch „politisch korrekte“, also mainstreamgehorsame „Historiker“. Uhle-Wettler erklärt sehr gerechtdenkend differenziert:

Auch Historiker sind Kinder ihrer Zeit; mithin werden auch ihre Wertungen von den Werten ihrer Zeit beeinflußt. Deshalb ist das, was gelegentlich als „political correctness“ – kurz PC – abgewertet wird, nicht unbedingt negativ zu beurteilen; Wertungen aus demokratischer Sicht sollten heute eher selbstverständlich sein.

Fragwürdig wird die PC erst, wenn Historiker ihre Darstellungen nach dem politisch gewünschten Urteil ausrichten, also

  • unbequeme Quellen manipulieren,

  • essentielle Tatsachen übergehen,

  • und wichtige Fragen nicht mehr stellen.

Das aber geschieht häufiger, als wünschenswert ist. Hieraus ergibt sich der Einfluß der political correctness auf das in der Bundesrepublik vorherrschende Geschichtsbild.

Uhle-Wettler erläutert diesen Befund an einigen Beispielen und stellt fest, daß die PC schon sehr früh, nämlich bereits nach dem 1. Teil des 30-jährigen Weltkrieges begann. Hier zunächst als Beispiele Darstellungen führender Persönlichkeiten im 1. WK: Ludendorff und Tirpitz.

1. Feldherr General Erich Ludendorff

Erich Ludendorff (Bild: zinaharam.ml)

… Dieser gilt heute als Erzmilitarist und wird entsprechend gezeichnet. Hierzu zeigt einer der renommiertesten deutschen  Nachkriegshistoriker in seiner (an sich bewundernswerten) Studie über das Verhältnis der Staatskunst zum Kriegshandwerk, daß Ludendorff sogar als Militär, als Heerführer ein Bösewicht war.

Bezeichnend sei, daß er in der Winterschlacht in Masuren 1915 die deutschen Soldaten seinem kalten Ehrgeiz geopfert, sie also „verheizt“ hat, wie ein späterer schrecklicher Ausdruck lautet. Jener Historiker untermauert sein Urteil sogar durch einen wahrlich gewichtigen Zeugen, den damaligen Chef des Generalstabes, General v. Falkenhayn.

Falkenhayn habe beklagt, daß bei jener Schlacht die deutschen, strategisch ungemein wichtigen Reserven „in den Wäldern von Augustowo“ einen sinnlosen Untergang fanden. Das überzeugt wohl die meisten Leser.

Allerdings: Sieht man bei Falkenhayn nach – doch wer ist schon mißtrauisch genug, und wer hat dann noch Zeit sowie Gelegenheit? – so entdeckt man Erstaunliches:

General v. Falkenhayn kommentiert gar nicht den Untergang deutscher, sondern den Untergang russischer Truppen „in den Wäldern von Augustowo”.

Man könnte einwenden, das sei ein Irrtum, ein Flüchtigkeitsfehler. Doch schon aus dem gleichen Werk lassen sich zahlreiche ähnliche Beispiele anführen, die zudem oft von anderen Historikern übernommen wurden und werden.[1]

2. Großadmiral Alfred v. Tirpitz

Großadmiral Alfred von Tirpitz (Bild: PicClick DE 51609717)

Ein anderer Mißliebiger jener Zeit ist der Großadmiral v. Tirpitz. Ein Beispiel zeigt, wie auch dieser Mißliebige oft behandelt wird.

Tirpitz berichtete 1872 brieflich seinen Eltern und 1919 in seinen Erinnerungen von Schwierigkeiten beim Fischereischutz: Nicht einmal in deutschen Hoheitsgewässern konnte er unter Hunderten von Fischern die Deutschen finden, die er schützen sollte.

Fand er zufällig doch einige, so erklärten diese ihm unverblümt, sie tarnten sich stets unter fremden Flaggen. Wenn sie als Deutsche erkannt würden – so führen ihnen die Engländer „durch die Netze“ und sie seien „des Lebens und ihrer Netze nicht sicher.“

Ein führender bundesrepublikanischer Historiker und Marinehistoriker, lange Jahre Präsident der Ranke-Gesellschaft, schildert das 1977 wie folgt:

Tirpitz hatte „deutsche Fischer zu schützen, was gründlich mißlang, denn diese verließen sich lieber auf englische Toleranz als auf deutsche Seemacht.“[2]

Wiederum könnte man einwenden, das alles sei vielleicht fragwürdig, aber zugleich auch unwichtig. So ist es – aber eben deshalb ist es bedeutsam.

Diese und viele, viele weitere Beispiele zeigen, wie sehr die PC den Leser sogar bei der Schilderung bedeutungsloser Ereignisse gefährdet. Und die Beispiele zeigen, daß heutige Historiker sogar Unwichtigstes in Richtung des Gewünschten lenken und damit die Bühne für die Behandlung von Wichtigem herrichten.

Vor allem aber: Die Behandlung solcher Unwichtigkeiten wirft die Frage auf, wie solche Historiker mit wichtigen Fragen umgehen – also mit den Fragen, die unser heutiges Geschichtsbild bestimmen.

Hierzu wiederum ein Beispiel: Unsere Historiker urteilen fast einhellig: Der Flottenbau durch Tirpitz und Wilhelm II. war verhängnisvoll. Er wurde „mit dem politischen Verstand eines Oberlehrers“ verübt. Die deutsche Flotte sollte nicht, wie Tirpitz behauptete, eine „Risikoflotte“, also ein Abschreckungsinstrument sein. Sie sollte England „von den Weltmeeren fegen“, hat also England „existentiell“ bedroht, damit ins französisch-russische Lager „gezwungen“ und so die Kräftelage geschaffen, der Deutschland 1918 erlag.[3]

Angesichts dieses gewichtigen Vorwurfs wird man fragen müssen – müssen! –, wie viele Schiffe andere Staaten bereits hatten, als Tirpitz 1900 mit dem Bau einer für 58 Großkampfschiffe (Linienschiffe und Panzerkreuzer) geplanten, England „existentiell bedrohenden“ Flotte begann.

Geht man diesem Gedanken nach, so findet man wiederum Erstaunliches: Die Schiffszahlen sind leicht und auch in den englischen Flottenlisten jener Jahre zu finden. Dennoch erwähnt keiner derjenigen Historiker, die die Tirpitzflotte als Angriffs- und Bedrohungsinstrument werten, wie viele Großkampfschiffe andere Staaten um 1900 schon hatten.

Freilich: Damals waren bereits weit über 100 (wohl 138, darunter 113 modernere) englische, 55 französische und 41 russische Großkampfschiffe im Dienst.[4]

Diese Fakten widersprechen der politisch korrekten Verurteilung des deutschen Flottenbaus. Also werden sie, obwohl essentiell, höchst selten genannt.

Da könnte man fragen, ob George Orwells Ministerium für Wahrheit grüßen läßt.

Die Geographie tritt noch hinzu. Die deutsche Flotte basierte in Kiel sowie Wilhelmshaven – und hatte als einzigen Überseestützpunkt Kiautschou in Nordostchina.

Dennoch soll sie den Zweck gehabt haben, die für England lebenswichtigen – und das waren die ozeanischen – Seeverbindungen zu bedrohen und die Royal Navy „von den Weltmeeren zu fegen“.

Da ist es erklärlich, daß dieser Behauptung stets die Erörterung der unabänderlichen geographischen Beschränkungen jeder deutschen Flottenaktivität fehlt.

Schließlich tritt ab 1907 der Neubau der russischen Ostseeflotte hinzu. Diese Flotte sollte etwa 60 Prozent der gesamten deutschen Flotte erreichen. Sogar die englische Admiralität hat in internen Studien anerkannt, daß bei der Stärkebemessung der deutschen Flotte die russische Ostseeflotte eine Rolle spielen müsse.

Doch in der heutigen Tirpitz-kritischen Literatur gibt es die russische Ostseeflotte fast ebenso wenig wie die Geographie. [5]

Das ermöglicht dann die politisch korrekte Verurteilung der England „existentiell bedrohenden“ deutschen „Großflotte.[6]

Eine Bedrohung erscheint aber von Wilhelmshaven aus und mit knapp 60 Großkampfschiffen gegen weit über hundert englische sowie mit der starken französischen und der russischen Flotte im Rücken nur möglich, wenn man alle entgegenstehenden Tatsachen unerwähnt läßt.

Als Letztes hierzu: Unsere heutigen Historiker urteilen fast einhellig: Tirpitz „hat die See nicht verstanden“. Deshalb hat sich seine Schlachtflotte im Kriege als „nutzlos“ erwiesen.[7]Geht man diesem Gedanken nach, so wartet

wiederum Erstaunliches:

Den Argumenten fehlt stets die Frage, ob diese „nutzlose“ Flotte Wichtigstes, ja: Kriegsentscheidendes verhindert hat.

Konkret: Die Royal Navy hat von 1914 bis 1916 immer wieder untersucht, ob sie mit Schlachtschiffverbänden in die Ostsee einbrechen könne. Sie wollte sich dort mit der russischen Flotte vereinigen, die gesamte deutsche Küste zwischen Flensburg und Memel bedrohen, den Seeweg nach Rußland öffnen und den deutschen Ostseehandel sowie vor allem die lebenswichtigen Erztransporte aus Schweden unterbinden.

Die beiden anderen Projekte waren die Errichtung einer englischen Flottenbasis auf Helgoland oder Borkum. Das hätte die deutschen Flußmündungen wie mit einem Kork verschlossen.

Die militärische und wirtschaftliche Wirkung aller drei Projekte ist kaum zu überschätzen. Noch bedeutsamer wäre vermutlich die politische Wirkung auf die neutralen Staaten, vor allem in Skandinavien gewesen.

Doch die Royal Navy kam immer wieder zu dem Ergebnis, die Vorhaben seien undurchführbar, weil sie zu Seeschlachten in denkbar ungünstiger Lage, dicht vor den deutschen Basen führen würden. [8]

Da ist es denn wiederum kein Wunder, daß heutige Historiker diese Projekte nicht erwähnen, wenn sie die Tirpitzflotte als „nutzlos“ bezeichnen.

Aus Sicht der politischen Korrektheit ist die Beurteilung des Tirpitzschen Flottenbaus durch einen der renommiertesten heutigen Historiker in seinem oft als grundlegend bewerteten Werk über die „Deutsche Außenpolitik von Bismarck bis Hitler“ hervorzuheben.

Anderthalb Seiten lang stellt er die Methoden des „gigantischen“ und deshalb „Schrecken verbreitenden“ Flottenbaus dar. Es war eine „Rüstung im weltpolitischen Hinterhalt“, um dann, wenn genügend gerüstet war, „mit dem in aller Stille geschärften Schwert in der Hand“ überraschend hervortreten zu können.

Das Vorgehen war „lautlos“ und sollte schließlich „mit einem die Welt aufrüttelndem Paukenschlag beendet werden“. Bis dahin galt es, „gleichsam versteckt die Waffen zu schmieden“ und „in aller Heimlichkeit aufs Ganze zu gehen“.

Dieser Schilderung folgt die Beurteilung: „Tollkühne Planung, ein berauschendes Gemisch aus moderner Technik und atavistischer Gewalt, aus rationalem Kalkül und utopischem Ziel.“[9]

Aber auch dieser Darstellung fehlen Angaben über die Stärke anderer Flotten jener Zeit. Sie sind jedoch essentiell, weil nur sie erlauben zu prüfen, ob der deutsche Flottenbau wirklich „gigantisch“ war.

Zum Vorwurf der „Heimlichkeit“:

Wenn ein Schiff vom Stapel gelaufen ist, kann jedermann es sehen – und sogar dann dauerte es auch damals noch mindestens zwei Jahre, bis ein Großkampfschiff fertiggebaut und eingefahren war.

Die Darlegung, Tirpitz habe heimlich bauen wollen, widerspricht also schon beim Bau einzelner Schiffe der Vernunft, Heimlichkeit war „augenscheinlich“ unmöglich.

Mithin wäre es ganz abwegig gewesen, eine Flotte, für deren Bau 17 Jahre angesetzt waren, heimlich bauen zu wollen.

Eben deshalb widerspricht der Vorwurf der Heimlichkeit den schlichten Fakten: In den Anhängen A und B zum Flottengesetz von 1900 war festgelegt, welches Schiff in welchem der kommenden 17 Jahre außer Dienst gestellt und welche Schiffe in welchem der kommenden 17 Jahren als Ersatz und welche wann zusätzlich gebaut sollten.

Das Gesetz war von Dezember 1899 bis Juni 1900 in den Ausschüssen des Reichstags und in den Plenarsitzungen diskutiert und schließlich im Reichsanzeiger veröffentlicht worden.

Jedermann, dabei die Marineattachés und die Botschafter anderer Länder, konnte das Gesetz und die beiden Anhänge lesen.

Nie ist eine Flotte weniger heimlich gebaut worden.

Mithin hat natürlich auch die britische Fachliteratur das Gesetz ausführlich diskutiert; der offiziöse Naval Annual druckte eine Übersetzung mitsamt der amtlichen deutschen Begründung schon 1900 ab. Von „Heimlichkeit“ also wiederum keine Spur.

Allerdings schloß der Naval Annual eine aus Sicht der heutigen politischen Korrektheit unbequeme und vielleicht deshalb nie zitierte Bewertung an:

Diese Flotte könne auch nach Fertigstellung 1917 für sich allein (individually) die britische Seeherrschaft (supremacy at sea) niemals gefährden. Also war der Flottenbau sogar nach damaliger offiziöser britischer Bewertung weder „Schrecken verbreitend“ noch „gigantisch“ und schon gar nicht „heimlich“.[10]

Weiterhin soll die Tirpitzflotte „hyperteuer“ gewesen sein, wobei nicht angegeben wird, nach welchem Maßstab die Flotte hyperteuer gewesen sein soll:

Waren die Schiffe zu teuer?
War die ganze Flotte im Vergleich zu anderen, ähnlich starken Flotten hyperteuer?
Oder im Vergleich zu den Ausgaben für das Heer?
Oder war die Flotte hyperteuer im Vergleich zur Leistungsfähigkeit der deutschen Volkswirtschaft?

Eben wegen der Unschärfe des Ausdrucks wäre es wohl zweckmäßig gewesen, die wesentlichen Fakten zu nennen: Ausgaben für das einzelne Schiff: Die deutschen Schiffe waren wesentlich billiger als die Schiffe anderer Nationen.[11]

Flottenbudgets:

  • 1900 lag das Kaiserreich an fünfter Stelle hinter England, Rußland, den USA und sogar Frankreich.

  • 1905/6 lag es noch immer an fünfter Stelle,

  • 1910 und 1912/13 an dritter Stelle (Rußland und Frankreich waren zurück gefallen),

  • 1913/14 lag Deutschland an vierter Stelle (Rußland war vorbei gezogen). [12]

Ausgaben für die „hyperteure“ Flotte im Vergleich zu den Heeresausgaben:

Die Ausgaben schwankten von 1900 bis 1914 anfangs um 20 Prozent, dann um 25 Prozent und schließlich wieder 20 Prozent des gesamten Wehrbudgets (Heere, Flotte und Sonstiges).[13]

Wehrausgaben in Prozent des Bruttosozialprodukts:

1905 – 1914: England 3,25 Prozent, Deutschland 2,88 Prozent – und damit sogar erheblich niedriger als lange die Ausgaben der Bundesrepublik zur Zeit des Kalten Krieges.

Belastung pro Kopf der Bevölkerung: In den 10 Jahren vor dem Ersten Weltkrieg gab das Kaiserreich jährlich 20 Goldmark pro Kopf für die Streitkräfte aus, Frankreich umgerechnet 26 Goldmark und England 31.[14]

Zahlen aus weiteren, ebenfalls meist ausländischen Studien würden dies Bild nicht verändern.[15]

Die Folgen der relativen Zurückhaltung des Reiches bei Heeres- und Flottenausgaben sind allerdings nennenswert: Das (angeblich?) militaristische Kaiserreich und Österreich-Ungarn sind 1914 nach der Mobilmachung nicht nur mit weit unterlegenen Flotten, sondern nur mit weniger als zwei Dritteln (61:100) ins Feld gerückt, die ihre stets friedenswilligen Gegner aufbieten konnten.[16]

Erich Ludendorff

hatte als Chef der Operationsabteilung im Generalstab bereits ab 1912 auf eine Heeresvermehrung um drei neue Armeekorps gedrängt und in seiner diesbezüglichen

Denkschrift auch eine vergleichende Tabelle über die Heeresstärken beigefügt, die im Kriegsfall voraussichtlich gegeneinander zu kämpfen hätten. Das Ergebnis war ein erschütterndes.

Die Mittelmächte … waren um 498 Bataillone, 313 Eskadrons, 1928 Feldgeschütze den Feinden … unterlegen.

Diese Denkschrift schlug wie eine Bombe ein. Sie wies den Weg zur Rettung aus furchtbarer Gefahr, wenn Regierung und Volk einmütig zu ihr standen.

Das Drängen Ludendorffs führte jedoch dazu, daß „man“ ihn los sein wollte. Er wurde im Januar 1913 aus dem Generalstab als Regimentskommandeur nach Düsseldorf versetzt.

Fahrlässig wurde somit das Deutsche Volk im kommenden Weltkrieg einer vielfachen Überlegenheit des Feindes überantwortet.

Doch gerade das schien Absicht zu sein, wie Ludendorff erst nach dem Krieg klar wurde. Die treibenden Kräfte der Ablehnung einer höchst notwendigen Heeresverstärkung standen, wie Ludendorff schreibt,

… unter den Einflüssen von Mächten, die Deutschland schwach erhalten wollten, weil sie seine Vernichtung beschlossen hatten.

Das erkannte Ludendorff erst nach dem Kriege bei seinen Forschungen über die vielen Merkwürdigkeiten, die er erlebt hatte, und das wird uns Heutigen mit dem ferngesteuerten Merkel-Regime brutal klar vor Augen geführt.

Doch Uhle-Wettler weiter:

Für die Stärke der PC ist ein Detail bezeichnend:

Die genannten Finanzzahlen sind wichtig für die Beurteilung der Sicherheits- und Flottenpolitik der Staaten jener Zeit, dabei auch des Kaiserreichs.

Sie sind sowohl leicht als auch schwer zu finden. Leicht: in ausländischen, besonders amerikanischen Veröffentlichungen. Schwer, weil deutsche Historiker sie fast nie nennen.

Ein Allerletztes: Eine politisch korrekte Darstellung des Tirpitzschen Flottenbaus wäre unvollständig ohne die Darlegung, Tirpitz habe die Flotte auf gesetzlicher Grundlage gebaut, um so „die Entscheidungs- und Bewilligungskompetenz des Parlaments (…) zu beschränken“.

Doch auch diese Darlegung muß im Licht ergänzender, aber nicht erwähnter Tatsachen beurteilt werden.

In jenen Jahren erließen mindestens 18 andere Staaten ebenfalls Flottengesetze, dabei Japan, Chile, Rumänien, Rußland sowie – natürlich mit Zustimmung ihrer Parlamente – England, Schweden, Dänemark, Frankreich sowie die USA. Die Gründe, den Flottenbau gesetzlich zu fixieren, waren also vermutlich wesentlich, ganz wesentlich vielfältiger als eine PC-gemäße Darstellung schildert.[17]

Eine wichtige Zwischenbemerkung:

Der Historiker hat unzweifelhaft das Recht, die Tatsachen so zu beurteilen, wie ihm zutreffend erscheint. Er hat also das Recht, die russische Ostseeflotte, die weit über 100 englischen und die französischen sowie russischen Großkampfschiffe schon 1900, die geographischen Beschränkungen jeder deutschen Seemacht oder die Modalitäten des deutschen Flottenbaus so zu beurteilen, wie er für richtig hält.

Unabdingbar ist jedoch, daß der Historiker dem Leser nicht essentielle Fakten vorenthält, die seine These infrage stellen könnten. Das aber ist es, was heute unter der Wirkung der PC oft geschieht.

Fortsetzung folgt

Anmerkungen

[1] G. Ritter: Staatskunst und Kriegshandwerk, 4 Bde., München 1959 ff., III, S. 72; E. v. Falkenhayn: Die Oberste Heeresleitung in ihren wichtigsten Entschließungen, Berlin 1920, S. 51. – Allgemein zur Behandlung Ludendorffs durch G. Ritter und andere Historiker F. Uhle-Wettler: Erich Ludendorff in seiner Zeit, 2. Aufl. Berg 1996, S. 170 f., 180 ff./438, 189 ff., 194 f., 238 ff., 267, 353 f., 440 f., 453.

[2] Brief von Tirpitz an seine Eltern vom 27. Juni 1872 in Bundesarchiv/Militärarchiv (fortan angegeben als BA/MA) N 253/386, Blatt 18/19; A. v. Tirpitz: Erinnerungen, Leipzig 1919, S. 12 f.; M. Salewski: Tirpitz – Aufstieg, Macht, Scheitern, Göttingen 1977, S. 15; F. Uhle-Wettler: Alfred v. Tirpitz in seiner Zeit, Hamburg 1998, S. 32 f

[3] A. Hillgruber: Die gescheiterte Großmacht, Düsseldorf 1980, S.35 f.; G. Schreiber: Zur Kontinuität des Groß- und Weltmachtstrebens der deutschen Marineführung, in: Militärgeschichtliche Mitteilungen (fortan zitiert als MGM) 26 (2/1997); M. Stürmer: Das ruhelose Reich, Berlin 1983, S. 297; P. Kennedy: Tirpitz, England and the second Navy Law, in: MGM 8 (2/1970); J. Steinberg: Yesterday’s deterrent – Tirpitz and the birth of the German battlefleet, London 1965. S. 201 f.;
J. White: Transition to global rivalry – Alliance diplomacy and the Quadruple Entente 1895-1907, Cambridge, S. 233 f.;
L. Sondhaus: Preparing for Weltpolitik – German seapower before the Tirpitz era, Annapolis, Md., USA., 1997, S. 297 ff., und viele, viele andere. Dabei insbesondere V.Berghahn: Der Tirpitz-Plan – Genesis und Verfall einer innenpolitischen Krisenstrategie unter Wilhelm II., Düsseldorf 1971, S. 12 ff.; M.Epkenhans: Die wilhelminische Flottenrüstung 1908-1914 – Weltmachtstreben, industrieller Fortschritt, soziale Integration, München 1991, S. 4 ff.;
J. Willms: Nationalismus ohne Nation – Deutsche Geschichte 1789-1914, Düsseldorf 1983, S. 655 f.

[4] Ausführlich hierzu F. Uhle-Wettler: a.a.O. (Tirpitz), S. 161 f., 434 ff. (Anlage 3)

[5] Einzelheiten bei F. Uhle-Wettler, a.a.O., S. 298 ff.

[6] Der Terminus stammt von A. Hillgruber

[7]C. Graf v. Krockow: Admiral Tirpitz hatte die See nicht verstanden – Über den Irrtum, eine deutsche Flotte zu bauen, in: Die Welt, 28.3.1998; ähnlich M. Epkenhans, a.a.O., S. 407; W. Deist und V. Berghahn: Kaiserliche Marine und Kriegsausbruch 1914, in: MGM 7 (1/1970), sowie viele andere Autoren.

[8] A. Marder: From the Dreadnought to Scapa Flow – The Royal Navy in the Fisher era, 5 Bde., London 1961, II, S. 176 ff.; L. Jellicoe, Viscount of Scapa: The Grand Fleet 1914-1916, London 1919. S. 128 ff.

[9] K. Hildebrand: Das vergangene Reich – Deutsche Außenpolitik von Bismarck bis Hitler, 2. Aufl. Stuttgart 1996. S. 200 ff. Dort auch die Darlegung, die Tirpitzsche Flotte sei außenpolitisch „viel riskanter“ als eine „zum Schutze der Kolonien deutsche Präsenz auf den Weltmeeren demonstrierende“ Kreuzerflotte gewesen (S. 203). Auch durch die sonstige Literatur zieht sich wie ein roter Faden die Darstellung, eine in Übersee stationierte Kreuzerflotte, wie sie damals Vizeadmiral Galster vorschlug, wäre außenpolitisch weniger riskant (und zudem weitaus billiger) gewesen – und wäre deshalb von Tirpitz abgelehnt worden. Hierzu müssen die Autoren allerdings Galsters Konzeption (falls sie ihnen überhaupt bekannt ist) verfälschend darstellen. Ausführlich hierzu F. Uhle-Wettler, a.a.O., S. 437 (Anlage 4).

[10] Naval Annual 1900, S. 2 ff. und S. 429 ff., zit. bei F. Uhle-Wettler, a.a.O., S. 435 f.- Zu Recht zitiert K. Hildebrand die Äußerung von Tirpitz: „Mund halten und Schiffe bauen.“ Doch es wäre verwegen, das als Beweis der unmöglichen, aber dennoch beabsichtigten Heimlichkeit zu werten. Tirpitz war das Imponiergehabe jener Epoche, in Deutschland des Wilhelminismus, nachweislich tief zuwider. So hat er sich mehrfach deutlich gegen das laute Pathos z. B. mancher Stapellaufreden („Neptuns Dreizack gehört in die deutsche Faust!“) ausgesprochen.

[11] F. Uhle-Wettler, a.a.O., S. 197 ff., 260 ff.

[12] Hyperteuer: K. Hildebrand, a.a.O., S.206; zu den Marinebudgets jener Jahre F. Uhle-Wettler, a.a.O., S. 201, 263 ff.

[13] F. Uhle-Wettler, a.a.O., S.223, 265

[14] Diese und weitere Zahlen, meist aus ausländischen Studien, bei F. Uhle-Wettler, a.a.O., S. 264 f., 443, Anlage 5

[15] Weitere Zahlen bei F. Uhle-Wettler, a.a.O., S. 443 (Anlage5).

[16] F. Uhle-Wettler: Ludendorff in seiner Zeit, 2. Aufl. Berg 1996, S. 60-65.

[17] K. Hildebrand, a.a.O., S.203; F. Uhle-Wettler, a.a.0. (Tirpitz), S. 112 ff.

image_pdfPDF erzeugenimage_printEintrag ausdrucken
Abonnieren
Benachrichtige mich bei
guest

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.

2 Comments
Inline Feedbacks
Lese alle Kommentare
KW
KW
5 Jahre zuvor

Dazu kann ich das neu aufgelegte Buch von Werner Maser im Kopp-Verlag empfehlen: “Fälschung, Dichtung und Wahrheit über Hitler und Stalin” zu 14,99.

Mich macht es fertig, daß unter uns Deutschen solche Verräter zu finden sind. Übrigens-Beim Knoop, dem Märchenerzähler, finden sich auch Historiker solcher Art. Ich habe mir die Namen mal alle aufgeschrieben und nach ihnen gegoogelt. Vernetzt und mit Preisen (Geld) behangen. Widerlich.

2
0
Deine Gedanken interessieren mich, bitte teile diese mit!x