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Muttererde

Es kann nichts wachsen und
nichts so tief vergehen
wie der Mensch. Hölderlin

Eine Geschichte aus den Tagen nach 1945 von

Hanke Bruns

Urlaub im Schwarzwald. Gute Bekannte von uns haben sich hier ein Haus gebaut. Es liegt unmittelbar am Hang, von dem aus man weit ins Tal hinabschauen kann.

Wir sitzen eines Morgens auf dem Balkon und plaudern. Ich beuge mich über das Geländer hinweg und blicke wie absichtslos hinab. Un-sere Gastgeberin bemerkt das und versichert eifrig:

„Es ist noch sehr kahl, nicht wahr? Sicher vermissen Sie einen kleinen Garten.“ „Ja, Sie werden sicher nicht darauf verzichten.“ „Nein,“ mischt sich nun der Hausherr ein, „wir haben nur einige Schwierigkeiten mit dem Heranschaffen der Muttererde. Was meinen Sie wohl, wie teuer die hier ist.“

„Das glaube ich gern. Aber für Geld und gute Worte kann man es sich hier doch recht hübsch machen.“ Es herrscht einen Augen-blick Stille, die ich, ich weiß selbst nicht, wie es eigentlich kommt, plötzlich unterbreche:

 

Kindheit auf Trümmern 1945 (starpage)

„Mir fällt eine Parallele ein, wo Sie gerade von Muttererde sprechen. Als ich damals aus dem Felde in die zerbombte Stadt heimkehrte, regnete es. Ich erinnere mich noch genau, als sei es erst gestern gewesen. So tief hat sich das Erlebnis in mein Gedächtnis eingegraben. Unschlüssig wanderte ich durch die Straßen. Alles schien tot: die Häuser, die Bäume und auch die Menschen. –

Trümmerhalden ragten anklagend zum Him-mel empor. Schmutzige Regenlachen gluck-sten in den Steinungeheuern. Manchmal schlug ein Fensterkreuz im Wind. Ein Ofen-rohr, zerbeult, verrostet und durchlöchert, lag am Boden. Irgendwo stand ein zerdrück-ter Mülleimer.

 

Zertrümmertes Berlin 1945 (starpage)

Als ich um eine Ecke kam, sah ich Rauch aufsteigen. Hier wohnten also Menschen. Sie hatten sich einen verfallenen Keller aufge-baut. Vor den Fenstern hingen Mullgardinen. Auf den Simsen standen Blumentöpfe. Eine saubere Treppe führte in die Wohnung. Das flache geteerte Dach schützte gegen Unwetter. –

Nachdenklich stand ich vor dem Keller und blickte mich um. Es regnete nur noch wenig. Mein Blick fiel auf einen kleinen Knirps, der auf einem Berg spielte. Er hielt Eimer und Schaufel in Händen.

Die Frau trat zu mir. Ich hatte sie nicht kom-men hören. Plötzlich stand sie neben mir und rief: „Mackie!“ Ich erschrak. Die Frau lächelte verlegen: „Guten Tag!“ und „Mackie ist näm-lich unser Jung!“ Ich lächelte zurück: „Der baut wohl wieder auf!“ „Er spielt auf seinem Berg!“ – „Aha!“ – Schweigen. – Der Junge kümmerte sich nicht um uns. Er spielte weiter.

„Ist das nicht ein wenig gefährlich hier?“ fragte ich vorsichtig. „Man gewöhnt sich daran. Meistens spielt Mackie im Garten!“ „Im Garten?“ „Wollen Sie ihn sehen?“ Ich nickte und folgte der Frau, die über das Geröllfeld schritt. „Wir wollen den Berg abtragen. Aber das dauert ein bissel.“ „Verständlich!“ „Hier, sehen Sie, unser Garten!“

 

Kindheit auf Trümmern 1945 (startpage)

Ich stand auf dem Berg und sah zur anderen Seite herab. Fleißige Hände hatten die Trüm-mer fortgeräumt und einen Acker mitten in dieses Steinchaos gezaubert. Obenauf lag gute, schwere Muttererde. „Sie haben wir hergetragen!“ sagte die Frau stolz. „Wer?“ „Mein Mann, Mackie und ich!“ „Und wächst alles gut?“ „Wir wollen es hoffen. Vom letzten Jahr konnten wir noch nicht viel verlangen.“

Ich merkte, die Frau hatte es eilig. Im Weg-gehen sagte sie: „Sie sind hier fremd?“ „Ja, aber ich habe hier früher einmal gewohnt.“ Ich zeigte in die Richtung, in der unser Haus gestanden hatte. Die Frau nickte: „Es ist schlimm! – Sie sind wohl erst zurückgekom-men, ja?“ „So ist es!“ „Man gewöhnt sich schon daran. Die Zeit bleibt ja nicht stehen. Man kann immer noch etwas aufbauen, wenn man nur will!“

Sie ging. Ich folgte ihr langsam. Sie nahm den Jungen bei der Hand. Dann sah ich die beiden nicht mehr …

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