Eroberungssucht
Montag, 3. November 2025 von Adelinde
„Uns treibt nicht die Eroberungssucht“,
heißt es in der Resolution des Deutschen Reichsta-ges 1917 an die alliierten Feindmächte im Bemühen um den Waffenstillstand.
Das Deutsche Heer steht noch in allen Feindländern und kein Feindesfuß auf deutschem Gebiet. Aus dieser „komfortablen“ Lage bietet das Deutsche Reich seinen Feinden den Frieden an.
Das Kaiserreich kämpfe, heißt es weiter, zur „Ver-teidigung seiner Freiheit und Selbstständigkeit“, und nicht, um sich noch mehr Territorium einzuverlei-ben.
Das war einmal und kam aus deutschem Anstand. Hat sich diese Haltung in der Welt durchgesetzt? Lesen wir dazu das Beispiel, das
Thomas Engelhardt
aufzeigt über das Schachern der alliierten Sie-germächte bezüglich der
Ostseeinsel Fehmarn:
1945: Die Sowjetunion erhebt Anspruch auf die Insel Fehmarn, um diese an die SBZ an-zugliedern und damit die Ostseeausgänge kontrollieren und sperren zu können.
Die Fehmaraner haben es einem Briten zu verdanken, daß ihre Insel nach dem 2. Weltkrieg nicht der sowjetischen Besat-zungszone zugeschlagen wurde und somit ab 1949 zur DDR gehört hätte.
Der Sachverhalt geht aus den Memoiren des Lord Strang of Stonesfield[1] hervor.
Der Krieg war noch nicht beendet, doch Deutschland längst geschlagen, als die Alliierten sich über die Aufteilung Deutsch-lands Gedanken machten. Die „Ständige Konferenz“ befaßte sich dann mit der Umsetzung der im Februar 1945 beschlos-senen Aufteilung in vier Besatzungszonen.
Erst 1956 erfuhren die Fehmaraner, wie knapp sie offenbar dem „real existierenden Sozialismus“ entgangen waren. Ein Leben in Freiheit hätte es für sie dann bis zum Mau-erfall nicht gegeben.
Sir William Strang Baron of Stonesfield gab im Jahr 1956 seine Memoiren „Home and abroad“ heraus. Darin schildert er, wie er in den Verhandlungen 1945 als britischer Unterhändler dem russischen Abgesandten Fjodor Gusew gegenüberstand, der energisch die strategisch wichtige Insel Fehmarn für die sowjetische Besatzungszone einforderte.
Der amerikanische Diplomat George Whinant hielt sich in diesen Verhandlungen zurück.
Fjodor Gusew wollte die Insel Fehmarn
Auf Seite 207 seiner Memoiren[2] berichtete Lord Strang of Stonesfield:
„Als wir die Grenzen der Besatzungszo-nen in Deutschland diskutierten, ver-suchte Gusew zwei Monate lang die Einbeziehung der Ostseeinsel Fehmarn in die sowjetische Besatzungszone.“
Lord Strang blieb strong. Er schreibt in seinen Memoiren:
„Die Ostseeinsel Fehmarn ist immer ein fester Bestandteil Schleswig-Holsteins gewesen und gehört als solche nach dem Jaltaer Abkommen ohne jeden Zweifel zu dem Großbritannien zugestandenen Be-satzungsgebiet.“
Strang sorgte sich, daß die Sowjetunion weiter nach Dänemark vordringen könnte.
„Ich widersetzte mich, auch, wenn das Foreign Office mich ermächtigt hatte, nachzugeben. Ich fuhr fort, standhaft zu bleiben, und eines Tages ließ Gusew die Forderung unschuldig fallen, als ob sie ihm nie etwas bedeutet hätte.“
Der „Retter der Insel“ unternahm 1958 eine Nordlandreise. Er setzte mit der „Theodor Heuß“ von Großenbrode nach Gedser über und sah aus der Ferne die Insel, die er verteidigt, aber nie betreten hatte.
Zur Eröffnung der Fehmarnsundbrücke, so berichtete das Fehmarnsche Tageblatt, lud die Stadt Burg den Lord ein, doch er mußte aus gesundheitlichen Gründen absagen.
Im Jahre 1978 starb der Diplomat im Alter von 85 Jahren. Eine Gedenktafel im Fach-werkgemäuer des Heimatmuseums erinnert an den Lord.
Bei allem Verständnis, daß die Insulaner sich bewußt waren, daß es noch schlimmer für sie hätte kommen können unter einer sowjetischen Besatzung als unter einer britischen, doch Besatzung ist Besatzung, d.h. Fremd-, ja Feindmächte bestimmen über die Heimat. Diese Erniedigung! Mit welchem Recht?
Doch wir wissen inzwischen längst, warum die Alliierten gegen Deutschland in den Krieg zogen. Nicht die Völker waren die Urheber. Sie wurden als Manövriermasse benutzt, um für die durch Riesen-geldbesitz Mächtigen im Hintergrund weitere Er-werbungen von Reichtümern zu ermöglichen. DAFÜR hielten die Soldaten ihre Haut hin.
Und aus Deutschland konnten die Habgierigen viel durch ihre Plünderungen gewinnen. Gegen ein tüch-tiges Volk wie die Deutschen lohnt sich ein Krieg für die Verbrecher allemal.
Die Situation auf Fehmarn nach dem 2. Welt-krieg schildert Heimatforscher Karl-Wilhelm Klahn in seiner Stadtchronik. Nach dem Zweiten Weltkrieg nahm Fehmarn 18.000 Flüchtlinge aus den einstigen Ostgebieten auf.[3] Es wurden mehrere Hilfs-Lazarette eingerichtet.
Am 3. Mai 1945 versenkte die britische Luft-waffe mehrere Schiffe, die vor Burgtiefe ankerten. Vier Tage später besetzten engli-sche Truppen die Insel.
Vergeblich suchten sie den SS-Reichsführer Heinrich Himmler in Katharinenhof. 43.000 Marinesoldaten wurden auf Fehmarn gefan-gen gehalten. 17 fehmarnsche Nationalso-zialisten wurden in Haft genommen. 14 in Gadeland bei Schleswig, drei in Eselsheite bei Paderborn.
Was hatte Himmler ihnen getan, was die Natio-nalsozialisten? Was sie betrieben, war reine Innenpolitik. Sich mit ihnen auseinanderzusetzen konnten die Sieger ruhig den Deutschen selbst überlassen.
Doch man sieht daran: der Wille der Menschen, in ihrer Eigenart und unter Gleichen im eigenen Volk zu leben, der mußte – nicht nur in Deutschland – in allen Völkern gebrochen werden. Denn eine Weltein-heitsmasse Mensch ließe sich leichter ausbeuten als selbstbewußte Völker.
Auch der „Spiegel“ befaßt sich in seiner Ausgabe v. 28.11.1956, Nr. 48/1956 mit dem Thema Fehmarn unter ZONENGRENZE / GESCHICHTE:
Wohin gehört Fehmarn?
Die 12.766 Einwohner der schleswig-hol-steinischen Insel Fehmarn können der Liste jener Männer, die sich Verdienste um ihr Eiland erworben haben, einen neuen Namen einfügen: den des britischen Diplomaten Lord Strang. Ihm allein verdanken sie es, daß sie 1945 nicht ein Teil der sowjetischen Besat-zungszone Deutschlands wurden, sondern unter die Oberhoheit der britischen Militär-regierung kamen.
Diese überraschende Tatsache wird in einem Buch mitgeteilt, das in diesen Tagen in Eng-land erschienen ist. Es sind die Erinnerungen des britischen Diplomaten Sir William Strang, der 1953 den Dienst quittierte, nachdem er 34 Jahre im britischen Auswärtigen Dienst gestanden hatte, und der seit 1954 Baron Strang of Stonesfield ist.
Lord Strang legte das Manuskript seiner Me-moiren vor dem Druck dem Foreign Office zur Begutachtung vor, und dieses Amt zeigte sich
„großzügig in der Einschätzung dessen, was das öffentliche Interesse an Ent-hüllung oder Kommentar erlaubt“.
In dem Buch ist freilich nicht nur zu lesen, wie die Insel Fehmarn der westlichen Welt erhalten blieb. Lord Strang erläutert auch, warum die westlichen Alliierten 1945 den Sowjets eine deutsche Zone zugestanden, die 47 Prozent des Reichsgebiets von 1937 sowie 38 Prozent seiner Bevölkerung umfaßt und damit entschieden größer ist als jede der westlichen Zonen. Für den Sinn dieser Rege-lung konnten die Historiker bisher keine rechte Erklärung anbieten.
Strang war der britische Vertreter in jenem alliierten Komitee, das die Zonengrenzen durch Deutschland zog. Er sagt jetzt frei-mütig, warum diese Linie für den Osten militärisch höchst günstig wurde, nämlich so, daß sie an einer Stelle nur 150 Kilometer vom Rhein entfernt ist:
Die Westmächte glaubten, der Sowjet-Union ein besonders großes Stück deutschen Ge-biets anbieten zu müssen, weil sonst nach ihrer Auffassung Gefahr bestand, daß die Sowjet-Armeen an den Grenzen Deutschlands haltmachten und den erschöpfenden End-kampf mit der Wehrmacht den Engländern und den Amerikanern allein überlassen würden.
Strangs Buch beweist wieder einmal, mit welcher Sorglosigkeit die Westmächte wäh-rend des Krieges an das dachten, was danach kommen sollte. Winston Churchill, Englands Kriegspremier, gestand schon in seinen Er-innerungen ein, daß er sich während des Krieges unter dem Druck der militärischen Ereignisse lange Zeit überhaupt nicht um die Frage gekümmert hatte, wie nach dem alli-ierten Siege die Besatzungszonen abgegrenzt werden sollten.
England, Amerika und die Sowjet-Union hatten zwar gegen Ende 1943 beschlossen, die „European Advisory Commission“ (EAC) einzusetzen. Diese „Beratungskommission für Europa“ sollte sich mit dem Problem befas-sen, doch berichtet Churchill, daß die Pläne dieses Gremiums wegen Zeitmangels lange überhaupt nicht vor das Kabinett kamen.
„Die Frage der russischen Besatzungszo-ne in Deutschland“, schrieb Churchill nicht ohne nachträgliches Bedauern, „spielte … bei unseren anglo-amerika-nischen Diskussionen kaum eine Rolle… Eine russische Zone in Deutschland blieb eine akademische Vorstellung …“
Strang enthüllt nun, warum die „akademische Vorstellung“ in der EAC jene praktische Ge-stalt annahm, die heute für Politiker und Strategen des Westens ein Alptraum ist.
Gemeinsam mit dem damaligen amerikani-schen Botschafter in London, John Winant – er beging später Selbstmord -, und dem sowje-tischen Botschafter Fjodor Gusew konferierte Strang auf 120 Sitzungen neunzehn Monate lang in London.
Strang bezeugt, daß alle Vereinbarungen der Kommission von den Regierungen glatt ge-nehmigt wurden.
„Die Gesamtsumme unserer Leistungen, als Ganzes betrachtet, war eindrucks-voll,“
freut sich Strang noch heute. Mit dem Stolz des Berufsdiplomaten, der sich einem Poli-tiker – wie seinem Außenminister – überlegen fühlt, fügt er hinzu:
„Was mehr ist: Die von der Kommission getroffenen Vereinbarungen wurden anders als manche von denen, die von erhabeneren Konferenzen ausgearbeitet wurden, auch in die Tat umgesetzt.“
Er räumt freilich ein, daß die Sowjets die Verhandlungen in der EAC verschleppten. Anfang 1945 etwa mußte die Kommission ihre Arbeiten neun Wochen ruhen lassen, weil Botschafter Gusew keine Zeit zu einer Sitzung fand. Strang erkennt heute nachträglich, daß die Sowjets wohl meinten, die Zeit arbeite für sie –
„je mehr sie in Mitteleuropa vordrangen, desto mehr würde sich ihre Position bei dem Handel verbessern.“
Gusew, den Strang heute noch „einen finsteren, ziemlich hölzernen Menschen“ nennt, scheint bei den Angelsachsen den Eindruck genährt zu haben, die sowjetische Lust zum Vormarsch in Europa sei begrenzt.
Jedenfalls erläutert Strang die Konzessionen, die England und Amerika damals den Sowjets wegen des Umfangs ihrer Zone machten, ausdrücklich mit der Befürchtung, die Sowjets könnten sonst an der deutschen Reichsgren-ze stehenbleiben:
„Es konnte nicht vorausgesehen werden, wie weit die westlichen alliierten Streit-kräfte nach Deutschland vorstoßen würden. Es bestanden immer noch Zwei-fel darüber, ob die sowjetischen Armeen die deutsche Grenze überschreiten würden. Es schien unserer Regierung, daß es von Vorteil wäre, wenn sie (die Sowjets) ermuntert hätten, mit uns bis zum Ende zusammenzuarbeiten.“
Als zusätzliche Gründe dafür, daß Stalins Armeen so weite Gebiete überlassen wurden, nennt Strang Befürchtungen der englischen Militärs, sie selbst würden nach dem Kriege nicht genügend Soldaten haben, um eine sehr große Zone besetzt zu halten.
Außerdem habe man berücksichtigen müs-sen, daß die Sowjetzone vielleicht durch eine Änderung der deutschen Grenzen zugunsten Polens verkleinert werden könnte.
„Wenn wir versucht hätten, die Grenzen der Sowjetzone sehr weit nach Osten zurückzustecken“, faßt Strang jedoch zusammen, „wäre es fast gewiß über-haupt nicht zu einer Vereinbarung gekommen.“
Einen Trost, der die „eindrucksvolle Gesamtsumme unserer Leistungen“ rechtfertigen soll, findet er freilich:
„Wenn es zu dem Zeitpunkt, zu dem die westlichen Streitkräfte 1945 mit den sowjetischen bei Torgau an der Elbe zusammentrafen, kein Abkommen gegeben hätte, dann hätten wir und die Amerikaner vielleicht eine Regelung aushandeln können, die die Ostgrenze unserer Zonen an die Elbe verlegt hätte, mehr als hundert Meilen östlich der Linie, auf die wir uns tatsächlich geeinigt hat-ten. Berlin aber, das die Russen bereits besetzt hatten, würde dann gewiß ein Teil der Sowjetzone geblieben sein.“
Strang wirft auch die Frage auf, warum kei-nerlei Abmachungen über den freien Zugang der Westmächte nach Berlin durch die Sow-jetzone getroffen wurden. Er entschuldigt sich:
„Weder die britische noch die amerika-nische Delegation erhielt Instruktionen, diese Frage während der Verhandlungen über Deutschland zu stellen.“
Strang gibt zu:
„Die Möglichkeit einer Vereinbarung bestand damals, und vielleicht nur damals. Es mag ein Fehler gewesen sein, daß wir nicht versuchten, eine Klausel über den Zugang nach Berlin einem der Protokolle der ‚European Advisory Commission‘ beizufügen.“
In merkwürdigem Gegensatz zu der Groß-zügigkeit, mit der die Angelsachsen damals den Berlin-Verkehr behandelten und Land an die Sowjets verschenkten, steht der erbitterte Privatkrieg, den Strang auf eigene Faust um die Insel Fehmarn führte.
„Als wir die Grenzen der Besatzungszo-nen in Deutschland erörterten“, so erzählt er, „versuchte Gusew zwei Monate hindurch, die Einbeziehung der Ostsee -Insel Fehmarn in die Sowjetzone zu erreichen.
Nach dem Text unseres Entwurfs fiel die Insel zwar als Teil der Provinz Schleswig-Holstein, zu der sie gehört, klar in die britische Zone, aber der Zeichner, der die dazugehörige Landkarte entworfen hatte, hatte es etwas unklar gelassen, wohin sie fiel.
Gusew machte sich das zunutze. Er kämpfte verbissen – wenn auch mit gelegentlichem Augenzwinkern, denn er wußte, daß er frech war -, um dies weitere Vordringen der Sowjets in der Ostsee in Richtung Dänemark durchzu-setzen.
Ich widersetzte mich nicht weniger verbissen, obwohl das Foreign Office mich ermächtigt hatte nachzugeben. Ich blieb dabei, und eines Tages ließ Gusew die Forderung unschuldig fallen, als hätte sie nie etwas für ihn bedeutet.“
Die schamlose Kriegs- und Siegermoral uns Deutschen gegenüber zeugt von einem nicht zu unterbietenden moralischen Tiefstand.
Möglich, daß sie auch der deutsche Anstand von 1917 als Gegensatz zu ihrer Gier gestört hat. Nichts anderes treibt die steinreichen Hintergrundmächte zu ihrer nicht abreißenden Kette von Kriegen an.
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Anmerkungen
* Lord Strang: „Home and Abroad“; Verlag André Deutsch, London, 1956. Qu.: DER SPIEGEL 48/1956
[1]Lord Strang of Stonesfield, * 1893, † 1978.
[2]William Strang: „Home and Abroad“, Verlag André Deutsch, London, 1956.
[3]Fehmarn hatte im Jahre 1944/1945 etwa 10.000 Einwohner.</